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Nach seinem Abschied von den Husaren nahm Gropius auf Drängen der Eltern im Herbst 1905 das Studium der Architektur wieder auf, diesmal an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Die Eltern waren über die Wahl des Studienortes vermutlich froh und hofften, in räumlicher Nähe mehr Einfluss auf den in ihren Augen etwas leichtlebigen Sohn nehmen zu können. Vergebens. Bald zogen erste Aufträge aus dem pommerschen Zweig der Familie die Aufmerksamkeit des jungen Filou vom Studium ab. Sie kamen von Onkel Erich, der offensichtlich die Vorliebe der Großmutter Luise für Walty teilte. Er ließ sich von dem jungen Neffen für sein Gut in Janikow einen Kornspeicher und ein Waschhaus errichten und vermittelte weitere Aufträge aus dem Umkreis der Gutsherrschaften. Ein Foto zeigt den 22-Jährigen mit kurz geschorenen Haaren, die seine abstehenden Ohren gut zur Geltung bringen, in dunklem Anzug mit hochschließender Weste und vor der Brust verschränkten Armen selbstbewusst in die Zukunft blickend.


Walter Gropius als Student (1905)

Stolz berichtete Walter der Mutter, dass er dabei sei, in Pommern ein bekannter Mann zu werden. Er wollte sie wohl beruhigen, denn allen elterlichen Ermahnungen zum Trotz betrieb Walter das Studium nur nebenbei, auch plagten ihn nach wie vor Geldsorgen. Er unterschätze nicht ihren berechtigten Ärger, aber sie solle doch nicht das Vertrauen in ihn verlieren, bat er die Mutter, er habe sich diesmal einfach verkalkuliert. Von jetzt an werde er sehr frugal leben und auch das Studium fleißig fortsetzen: »Meine privaten Sachen sind nun soweit gediehen, dass ich mich mit Effort auf die Erledigung der Hochschulzeichnungen geworfen habe. In den Collegs kann ich nach der langen Pause nicht mehr folgen, sie sind überhaupt außer für Genies illusorisch; ich gehe nicht mehr hin und arbeite alles nach Collegheften durch. Vor Statik graut mir am meisten.«5

Angesichts der Halbherzigkeit, mit der Walter das Studium betrieb, als wolle er den akademischen Anforderungen ausweichen, blieb die Mutter beunruhigt, obwohl er sie immer wieder von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen suchte und sich über ihr mangelndes Vertrauen beklagte: »Es tut mir leid, liebe Mutter, dass Du Dich nun wirklich in ein derartiges Misstrauen hineingeredet hast, dass Du meinen Gedankenkreis so gänzlich aus den Augen verloren hast und alles, was ich jetzt tue, missdeutest.«6

Ihr Argwohn sei um so weniger gerechtfertigt, als er sich nun seiner selbst viel sicherer und fürs Leben gewappnet fühle, was er nicht erreicht hätte, wenn er dem Vorbild des allzu bedächtigen Vaters gefolgt wäre. Von ihm, dem Vater, habe er jedenfalls nicht gelernt, auch einmal anderen auf die Zehen zu treten. Zudem sei er jung, wolle seine Zeit nutzen und nicht sauertöpfisch leben wie der Vater. Umso schmerzlicher empfinde er, dass die Mutter, die doch vom gleichen zupackenden Schlage sei wie er, ihn so gar nicht verstehen wolle.

Nach der geschickten Anspielung auf ihre enge Verbundenheit und Überlegenheit über den Vater ließ ein versöhnlicher Brief der Mutter nicht lange auf sich warten, auch wenn sie Walter weiterhin zur Fortsetzung des Studiums anhielt. Sie mahnte, erinnerte, sammelte Bücher und Artikel über Architektur und machte ihn auf Vorträge bekannter Architekten aufmerksam. So kehrte Walter im Wintersemester 1906 noch einmal an die Hochschule zurück, obwohl er sich längst darüber im Klaren war, dass er das Studium nicht zu Ende bringen würde. Er fand es langweilig und schwierig, abgehoben und wirklichkeitsfern und glaubte seinen Weg durch praktische Erfahrung schneller und besser finden zu können.

Als das Legat einer Großtante ihm eine beträchtliche Summe bescherte, beschloss er kurzerhand, ohne Abschluss von der Hochschule abzugehen und mit dem gleichaltrigen Jugendfreund Helmuth Grisebach, Neffe des bekannten Architekten Hans Grisebach, der 1888 das Sommerhaus der Familie Gropius am Timmendorfer Strand entworfen hatte, eine einjährige Studienreise nach Spanien zu unternehmen.

Die Reise verlief angenehm. Stolz berichtete Walter den Eltern von der Bekanntschaft mit entzückenden Frauen, weitgereisten Junggesellen und erfolgreichen Kaufleuten, denen er in seinen schönen Anzügen als vollendeter Weltmann begegne. Alles war gut bis auf die Trägheit des Reisegenossen, über die sich Gropius immer wieder beklagte. Erst als Grisebach glaubte, einen echten Murillo zum Schnäppchenpreis erstanden zu haben, stieg er in der Wertschätzung des Freundes. Nach einigen intensiven Stunden im Prado und weiteren vermeintlich günstigen Kunstkäufen beschlossen die beiden, die sich nun für gewiefte Kenner hielten, die Sache groß aufzuziehen, in den Antikengeschäften auf Schatzsuche zu gehen und größere Summen zu wagen.

Walter bat die Mutter um finanzielle Unterstützung des vielversprechenden Unternehmens, und er tat dies wieder einmal sehr geschickt, mit einem Seitenhieb auf den Vater und die Familie Gropius. »Ich hoffe, Du wirst noch einmal stolz sein auf diese Sache. Lass mich ruhig etwas unternehmungslustiger sein als Vater, nur wer wagt, gewinnt, und die Gropius konnten nie wagen. Ich bin voller Zuversicht, ohne meine Ruhe zu verlieren. Sage nicht nein Deinem Sohn.«7

Eine erstaunliche Einschätzung der Familie Gropius. Immerhin war der Vater Königlicher Baurat am Polizeipräsidium in Berlin und sollte wenige Jahre später bei seinem Abschied vom Dienst zum Geheimen Baurat ernannt werden und die Ehrendoktorwürde erhalten. Walters Großonkel Martin Gropius schuf als Architekt einige architektonisch bedeutende Villen und Krankenhäuser, vor allem aber das Königliche Kunstgewerbemuseum, den heutigen Martin-Gropius-Bau. Carl Gropius, ein Vetter Martins, war ein bekannter Landschaftsmaler und betrieb in Berlin lange Jahre ein beliebtes Diorama.

Doch der Brief zeigte Wirkung. Die Mutter überwies dem unternehmungslustigen Sohn Geld aus dem Erbe seiner Großtante und, um den Vater nicht zu beunruhigen, aus ihrer Privatschatulle, die gut bestückt war, da sie als einzige Erbin ihres Vaters das Gut Hohenschönhausen geerbt hatte. Das Geschäft ging jedoch gründlich schief. Die so günstig gekauften Werke waren laut Expertise Pariser Kunsthändler durchaus nicht mehr wert, als sie gekostet hatten, vielleicht sogar weniger, und über die ganze Angelegenheit wurde brieflich kein Wort mehr verloren.

In Madrid traf Gropius Anfang 1908 Karl Ernst Osthaus, den Sammler und Gründer des Hagener Folkwang-Museums. Osthaus riet dem strebsamen jungen Mann, sich nach seiner Rückkehr bei Peter Behrens, der im Jahr zuvor Architekt und künstlerischer Berater der AEG geworden war, als Mitarbeiter zu bewerben, und schrieb ihm einen Empfehlungsbrief. Einige Wochen später stellte sich Gropius bei Behrens vor und wurde eingestellt.

Bald war Gropius im Hause Behrens und in dessen Atelier, dem Erdmannshof in Babelsberg, ein gern gesehener Gast. Er wusste sich beim Hausherrn und dessen Frau Lilli durch allerlei Freundschaftsdienste unentbehrlich und bei der Tochter Petra durch Tennisstunden beliebt zu machen. Die Tennisstunden allerdings strengten die Handgelenke so sehr an, dass seine schon von Haus aus nicht besonders ausgeprägte Zeichenfähigkeit weiter nachließ. Ein Mangel, der sich von Anfang des Studiums an bemerkbar gemacht hatte, wie er der Mutter mehr als einmal bekümmert gestand, und der ihn bisweilen an seiner Berufswahl zweifeln ließ. Er bekomme beim Zeichnen sofort einen Krampf in der Hand und müsse sich schon nach fünf Minuten ausruhen. »Meine absolute Unfähigkeit, auch nur das einfachste aufs Papier zu bringen, trübt mir manches Schöne und lässt mich oft mit Sorgen auf meinen zukünftigen Beruf sehn. Ich bin nicht imstande einen geraden Strich zu ziehen.«8

Mangelnde Zeichenfähigkeit war nicht sein einziges Problem, wie sich zeigte, als Behrens den jungen Mitarbeiter wohl aufgrund der baupraktischen Erfahrungen in Pommern und der Bekanntschaft mit Osthaus als Bauleiter für die Villen Cuno und Schroeder in Hagen einsetzte. Denn nun machten sich auch die mangelhaften Kenntnisse hinsichtlich Statik und Bautechnik unangenehm bemerkbar: Bei beiden Häusern traten massive Bauschäden auf. Als Behrens die Fehler dem jungen Mitarbeiter zur Last legte, kam es zum Streit, und Gropius verließ im März 1910 dessen Atelier, nicht ohne sich gegenüber Osthaus von jeder Schuld freizusprechen.

Gropius beschloss nun, sich endgültig selbständig zu machen. Er erhielt neue Aufträge aus dem Kreis der Pommerschen Gutsbesitzer und verpflichtete als Mitarbeiter den akademisch gut ausgebildeten Adolf Meyer, den er bei Behrens kennengelernt hatte. Als die ersten Aufträge abgearbeitet waren und neue nicht hereinkamen, verfiel Gropius auf die Idee, einen Vorschlag zur Gründung einer Hausbaugesellschaft auszuarbeiten, die Häuser in rationalisierter Fertigung errichten sollte. Diesen erlaubte er sich Walther Rathenau zu überreichen, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der AEG, den er ebenfalls über Behrens kennengelernt hatte, in der Hoffnung, das Unternehmen für eine solche Neugründung interessieren zu können. Ein etwas fragwürdiges Vorgehen, weil sich auch Behrens mit Fragen des kostengünstigen Wohnungsbaus für breitere Schichten befasste und gerade an einer Gartenstadt für die Beamten und Arbeiter der AEG in Henningsdorf arbeitete.

Mutter, Muse und Frau Bauhaus

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