Читать книгу Mutter, Muse und Frau Bauhaus - Ursula Muscheler - Страница 7

2

Оглавление

Der kleine Walter versuchte sich auf dem Cello, denn es wurde zu Hause viel musiziert, und auf dem Zeichenblock, immerhin war der Vater Architekt, doch beides mit mäßigem Erfolg. Walter zeigte im Unterschied zu seiner älteren Schwester und seinem jüngeren Bruder keine besondere musische Begabung. Aber er besaß eine ganz andere, nicht weniger angenehme Eigenschaft: Er wusste andere für sich einzunehmen. Er war der erklärte Liebling der Großmutter Luise, geborene Honig, die ihn »Walty« zu nennen pflegte, und auch die Großtanten, von denen ihn eine großzügig in ihrem Testament bedachte, scheinen seinem Charme früh erlegen zu sein.

Walter war auch kein allzu erfolgreicher Schüler. Er besuchte eine private Grundschule, danach das humanistische Leibniz-Gymnasium, von dem er, da er sich schlecht behandelt fühlte, auf ein anderes wechselte. Insgesamt besuchte der sensible, verträumte, scheue Junge, als den ihn ein Familienfoto von 1892 zeigt, angelehnt an den Arm der Mutter, die sich ganz dem jüngeren Sohn zuwendet, vier oder fünf verschiedene Schulen. Als 1903 die Abiturprüfung anstand, er war nun fast zwanzig Jahre alt, erkrankte er. Großmutter Luise berichtete ihrem Sohn Erich: »Habe ich Dir von dem scheußlichen Pech erzählt, das unseren armen Walty heimgesucht hat? Er liegt seit dem 26. Januar mit einer schweren Influenza im Bett, dabei hätte er am 31. die schriftliche Prüfung gehabt, und in der nächsten Woche sollte es weitergehen … Stand am Sonntag für ein paar Stunden auf, war aber sehr schwach. Ich besuchte ihn am Nachmittag und fand ihn grübelnd und bedrückt. Mein Gott, wie sehr fühle ich mit ihm! Der Rektor und seine Lehrer mögen ihn, aber werden sie ihn später prüfen dürfen? Er wird sehr schwach sein, weil er so wenig isst, Mund und Hals tun ihm sehr weh. Oh, mein armer Walty!«1


Walter Gropius (rechts) mit seinen Eltern, seiner Schwester Manon und seinem Bruder Georg (1892)

Der arme Walty durfte, die Lehrer mochten ihn ja, die Prüfung nachholen – es blieb im Übrigen die einzige, die er zeitlebens ablegte –, und bald konnte Großmutter Luise Sohn Erich die frohe Botschaft übermitteln: »Ich bin heute glücklich, zufrieden, zuversichtlich und besonders dankbar, weil gerade eben mein geliebter Walty hier war, zum ersten Mal groß im langen Mantel statt in seinem lässigen Jackett, und er kam von der Reifeprüfung, die er sehr gut bestanden hat. Er war schrecklich glücklich, der junge Student! Rektor und Lehrer waren bei der Prüfung außerordentlich gnädig gewesen, voller Mitleid, weil er doch solches Pech gehabt hat, aus Krankheitsgründen … Ich bin außerordentlich glücklich, dass dieser geliebte Junge diese erste der vielen Prüfungen, die das Leben mit sich bringt, so leicht, mit solchem Glück bestanden hat. Er war zuerst sehr nervös heute, wurde dann aber immer ruhiger, bis er endlich ganz ohne jede Angst war.«2

Der kleine Walter mag nicht zuletzt aus der unbedingten Liebe der Großmutter Luise das ausgeprägte Selbstwertgefühl geschöpft haben, das auch den großen Gropius ein Leben lang nicht verließ und schließlich zum Erfolg führte. Hinzu kam die tatkräftige Förderung durch Mutter Manon, auch wenn diese ihn nicht ganz so vorbehaltlos anhimmelte wie die schwärmerisch veranlagte Großmutter, sondern Leistung forderte.

Die 1855 geborene Manon Auguste Pauline Gropius entstammte der hugenottischen Familie Scharnweber, die Ende des 17. Jahrhunderts aus Frankreich geflohen war und sich im protestantischen Brandenburg niedergelassen hatte. Die Familie war wohlhabend und angesehen. Manons Großvater Christian Friedrich, der zu den Reformern um Hardenberg gehört und die große Landeskultur-Gesetzgebung Preußens auf den Weg gebracht hatte, war preußischer Staatsrat, ihr Vater Georg, ein studierter Jurist, Landrat des Nieder-Barnimer Kreises und Besitzer des Rittergutes Hohenschönhausen in Barnim. Manon war das einzige überlebende Kind.

Obwohl sie der häufige Schulwechsel hätte bedenklich stimmen müssen, bestand Manon Gropius wie auch ihr Mann, als Walter Architekt werden wollte, auf einem Universitätsstudium, und so immatrikulierte er sich nach glücklich bestandener Matura für das Sommersemester an der Technischen Hochschule München. Er bezog eine kleine Wohnung in der Theresienstraße, in die er bald ganz verliebt war. Sie sei entzückend und der Neid seiner Freunde, schrieb er der Mutter, auch mit den Studien komme er gut voran. »Vormittags modelliere ich jetzt mit großem Fleiß einen fast lebensgroßen, antiken weiblichen Torso, nachdem ich den männlichen in Plastilin vor drei Tagen zur Zufriedenheit des Professors beendet habe. Es macht mir viel Spaß und geht mir vorläufig besser von der Hand als das Zeichnen.«3

Walter blieb nicht lange in München. Als sein jüngerer Bruder Georg, ein begabter Junge, auf dem die größten Hoffnungen der Familie ruhten, schwer erkrankte, kehrte Walter im Juli 1903 nach Berlin zurück, um der Familie beizustehen. Er arbeitete vorübergehend als Praktikant im Büro der Architekten Hermann Solf und Franz Wichards, die mit der Familie befreundet waren. Eigentlich hatte er sich als Einjährig-Freiwilliger bei einem vornehmen Kavallerieregiment bewerben wollen, doch die Eltern, die in tiefer Sorge am Krankenlager weilten, waren zu einer Entscheidung nicht im Stande.

Erst nach dem Tod des Bruders im Januar 1904 stimmten die Eltern zu. Gropius bewarb sich beim Kavallerieregiment der Wandsbeker Husaren und wurde aufgenommen. Er trat seinen Dienst im Herbst an, wohlgerüstet, wie ein Bild zeigt, auf dem ein junger Mann in einer tadellos sitzenden dunklen, mit hellen Schnüren besetzten Jacke, dunklen Reithosen und schwarzer Mütze aus Seehundsfell zu sehen ist, der mit knappem Oberlippenbärtchen und abstehenden Ohren blasiert in die Welt schaut. Stolz und tapfer berichtete Gropius der Mutter aus der Kaserne: Seine Uniformen säßen ganz famos, er werde sehr elegant darin aussehen. Er fühle sich ausgezeichnet und gehe ohne jede Furcht den Strapazen entgegen.

Da bei den Wandsbeker Husaren sonst nur Adelige aufgenommen wurden, gehörte Gropius wie sein Freund, »der kleine Dr. Lehmann«, wie er ihn nannte, Spross einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Köln, zu den Außenseitern des Regiments. Umso mehr war er bemüht, sich durch eine betont forsche Haltung und tadellose sportliche Leistung auszuzeichnen und außerhalb der Kaserne gesellschaftliche Anerkennung zu erringen. In den Briefen bat er die Mutter immer wieder um Empfehlungen für den ausgedehnten Verwandten- und Bekanntenkreis der Familie in Hamburg und Umgebung. Sie möge doch bald Tante Lisbeth bitten, an Graf Hoffmannsegg zu schreiben. Er lerne jetzt, von welch immenser Bedeutung Beziehungen seien, sie könnten ihm sehr nützen. Er sei freilich auch ohne sie sehr angesehen, habe neulich beim Reiten eine Belobigung erhalten, die vor den Offizieren viel Eindruck gemacht und dazu geführt habe, dass er seitdem nur noch mit Glacéhandschuhen angefasst werde.

Die ausführliche Schilderung seiner Erfolge in der Hamburger Gesellschaft wie im Dienst sollte die Familie, die zwar wohlhabend, aber nicht reich war und die sein Husarenleben teuer zu stehen kam, wohl etwas über die hohen Kosten hinwegtrösten und zudem mit den militärischen Ambitionen des Sohnes aussöhnen, denen vor allem der Vater, der von seinem Einsatz im Krieg von 1870 im Familienkreis beharrlich schwieg, kritisch gegenüberstand. Einzig Großmutter Luise war ohne Vorbehalt stolz auf ihren Walty: »Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über, will sagen, er ist voller Liebe für Dich, mein liebes altes ›Dickchen‹ oder ›Husarenenkelchen‹! Da ich nicht weiß, ob Du wie Dein lieber, drolliger Vater sagen würdest: ›Aber Du sollst mich doch nicht so sehr lieben!‹, gebe ich mich mit meiner Unwissenheit zufrieden und liebe Dich weiter so schrecklich wie zuvor. Das tat ich schon am 18. Mai 1883, als morgens – es war ein Freitag – die Botschaft aus der Genthinerstraße eintraf: ›Ein Sohn ist geboren!‹ Die Freude hat wie ein Funke vom Himmel ein Feuer in mir entzündet, das seitdem immer glüht und glüht, ohne je zu flackern«.4

Die Eltern aber blieben skeptisch, umso mehr als fast jeder Brief des forschen Husaren an die Mutter von Geld handelte, da dieser mit seinen monatlichen Bezügen nicht auskam – ein Zustand, der wie das rechtzeitige Eintreffen glücklicher Zufälle sein Leben bestimmen sollte. Ihn quäle der Gedanke, schrieb er der Mutter, dass er diesen Monat wieder nicht über die Runden komme. Angesichts der Nervosität des Vaters sei es ihm fürchterlich, um Geld bitten zu müssen, und sie könne sicher sein, dass er es nur im äußersten Fall tue. Er sei, das wisse sie, kein Verschwender, noch nie gewesen, und er versage sich fast alles, um mit dem wenigen Geld, das er erhalte, auszukommen. Er werde noch ganz melancholisch wegen des verfluchten Mammons und ihres völligen Unverständnisses für seine schwierige Lage. Ihr Brief habe ihn ganz unglücklich gemacht, vor allem weil er so misstrauisch klinge. Sie glaube gar nicht, wie er wirtschaften müsse und was er sich alles abgehen lasse.

Mutter, Muse und Frau Bauhaus

Подняться наверх