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Alma Mahler und Walter Gropius heirateten am 18. August 1915 in Berlin, standesamtlich und ohne Familie, Trauzeugen waren zwei Passanten von der Straße. Nach der Trauung kehrte Gropius, der nur zwei Tage Sonderurlaub erhalten hatte, an die Front zurück, Alma nach Wien. Alma schien nun, wenn auch die Heirat auf ihren Wunsch vorerst geheim gehalten wurde, am Ziel ihrer Wünsche und nahm sich im Tagebuch fest vor: Nichts sollte sie in Zukunft mehr aus der Bahn schleudern. Nichts wollte sie mehr, als diesen Menschen glücklich machen.

Doch Beständigkeit war Alma nun einmal nicht gegeben. Bald schlug der Ton ihrer Briefe um. Eine Flut von Klagen und Beschwerden erreichte die Front. Obwohl Gropius nicht immer die Möglichkeit hatte, Briefe zu empfangen und sofort zu beantworten, warf Alma, die sich in ihrem Haus auf dem Semmering und der Zehn-Zimmer-Wohnung im ersten Wiener Gemeindebezirk die harte Realität des Schützengrabens wohl nicht so recht vorstellen konnte, ihm vor, dass er so selten schreibe und sie nicht so sehr liebe wie sie ihn. Sie urteilte verächtlich über Walters Familie, über Berlin und die Berliner, beklagte missmutig seine Abwesenheit, seinen Mangel an Aufmerksamkeit, bezweifelte seine eheliche Treue und drohte, wenn es ihm einfallen sollte, sie zu betrügen, sich auf die gleiche Weise zu rächen.

Einziger Lichtblick für Gropius war in dieser schwierigen Zeit wohl die Anfrage vom April 1915 aus Weimar, ob er sich vorstellen könne, die Nachfolge Henry van de Veldes als Direktor der Großherzoglich Sächsischen Kunstgewerbeschule anzutreten. Der Belgier van de Velde, der seit Kriegsbeginn als feindlicher Ausländer galt, hatte sein Amt niederlegen und dem Ministerium einen geeigneten Nachfolger vorschlagen müssen. Er hatte neben anderen Walter Gropius genannt. Gropius berichtete der Mutter, dem Angebot nach anfänglichen Zweifeln nun doch nähertreten zu wollen, da ihm ein solcher Posten Ansehen und die Möglichkeit zu großen Aufträgen verschaffen würde.

Er bat die Mutter, Pläne, Fotos und Veröffentlichungen seiner Bauten und Projekte zusammenzustellen und für alle Fälle bereitzuhalten. Sie widmete sich dieser Aufgabe mit der Hilfe Adolf Meyers gewissenhaft und wohl in der Hoffnung, den Sohn bald auf einem nicht nur sicheren, sondern für einen Architekten ohne akademischen Abschluss ehrenvollen Posten zu wissen, und bestärkte ihn in seinem Entschluss: »Ich finde es ganz richtig, dass Du van de Velde in bejahendem Sinne geschrieben hast, Du hast ja immer schon Lehr-Ideen gehabt, und es wäre doch für Dich eine große Ehre. Auch wäre es ja angenehm, gleich nach dem Kriege so eine feste Sache zu haben, die Dir Halt geben würde.«27

Die eigentliche Schützenhilfe bei den folgenden Berufungsverhandlungen aber leistete Alma. Sie riet Gropius, den Posten nur anzunehmen, wenn man ihm schriftlich alle Kompetenzen, die er verlange, zugesichert habe und die Fragen nach Geld und Titel zufriedenstellend geklärt seien. Er müsse das Bestmögliche herausholen, denn sie könne ihn sich nicht, so angenehm ihr Weimar als Ort der Kultur auch erscheine, in untergeordneter künstlerischer Stellung vorstellen. Ende 1915 begleitete sie Gropius, der ein paar Tage Fronturlaub bekommen hatte, höchstpersönlich zur Verhandlung nach Weimar.

Ansonsten wechselten nach wie vor Klagen zwischen der Front, Berlin und Wien hin und her. Es ist überhaupt erstaunlich, wie viele Briefe und Postkarten während des Krieges geschrieben und befördert wurden. 28 Milliarden waren es insgesamt über die Kriegsjahre. Regierung und Armeeführung wussten wohl, dass sich der Kampfeswille an der Front nur durch einen funktionierenden Postverkehr mit der Heimat aufrechterhalten ließ.

Manon Gropius beklagte sich, dass Alma bei einem Mahler-Konzert in Berlin gewesen sei – was nicht zutraf – und sich nicht bei ihr gemeldet habe. Gropius bedauerte, dass die Mutter wieder einmal kein rechtes Vertrauen in ihn setze. Sie müsse nun wirklich versuchen, ihn besser zu verstehen, auch wenn er ihr mit Siebenmeilenstiefeln fortgelaufen und aus dem Gesichtskreis verschwunden sei. Es schmerze doch sehr, wenn die eigene Mutter das nicht erkenne.

Alma lamentierte über die geistige Enge, den Dünkel, das kaltschnäuzige Philistertum und die Herrschsucht der völlig unbedeutenden Schwiegermutter, ohne im Geringsten in Betracht zu ziehen, dass es sich bei den Familien Gropius und Scharnweber um alteingesessene und verdienstvolle preußische Familien handelte. Alma neigte zu drastischen, meist abwertenden Urteilen über Personen, die sie nicht schwärmerisch verehrten. »Sie ist sehr herrisch und ich zu leidenschaftlich – das Wort kommt hier aber nicht von Leidenschaft, sondern von Leidenschaftlichkeit – weil alles an ihr etwas zu klein geraten ist … Sag ihr doch einmal, dass die Türen der ganzen Welt, die dem Namen Mahler offen stehen, zufliegen vor dem gänzlich unbekannten Namen Gropius. Ob sie vielleicht einmal daran gedacht hat, was ich mit aufgab.«28

Dies kann als ein nicht sehr diskreter Hinweis auch an Gropius verstanden werden, dass sie die Ehe mit ihm vor allem geheim hielt, um ihre Position als Witwe eines bedeutenden Mannes nicht zu verlieren. Sie fürchtete den gesellschaftlichen Abstieg und wollte mit einer Veröffentlichung ihres neuen Zivilstandes so lange warten, bis der neue Mann an ihrer Seite in der Welt etwas gelten würde.

Mitten im Krieg musste Gropius versuchen, familiären Frieden zu stiften, was ihm, da selbst Partei, nicht recht gelang. Die Fronten verfestigten sich wie im wirklichen Krieg, die Gräben wurden tiefer. Gropius schlug sich auf Almas Seite, denn er hatte, wie er der Mutter schrieb, nur den einen Wunsch, dass er der Geliebten genügen möge und dass sie in ihrer unablässigen Sehnsucht nach Vollendung aus ihm machen werde, was nur immer in ihm an Großem angelegt sei.

Als sich im Februar 1916 herausstellte, dass Alma ein Kind erwartete, wechselte die Stimmung von bewölkt auf heiter. Manon Gropius fuhr nach Wien und wusste sich so beliebt zu machen, dass Alma glaubte, sie doch noch für sich gewonnen zu haben. Seine Mutter habe ihr, schrieb sie Gropius an die Front, weinend für alles gedankt. Auch dem Sohn gegenüber zeigte sich Manon versöhnlich und war gewillt, sowohl Almas vorzügliche wie auch befremdliche Eigenschaften schätzen zu lernen: »Ich weiß jetzt, dass Du wohl wirklich einen Schatz gehoben hast, und dass ein seltenes und innerlich reiches Menschenkind Dein eigen geworden ist. In ihrer lebhaften Art lässt sie mich viele Blicke in ihr Leben und auch in Eure gemeinsame Vergangenheit tun. Dass mir noch viele ihrer Ideen, Gewohnheiten und Anschauungen fremd und verwunderlich sind, ist ja natürlich. Ihr in jeder Beziehung großes Verwöhntsein macht mir recht oft Sorgen. Das wird vielleicht immer bleiben, wird aber nicht hindern, dass ich ihr gut bin und sie in vielen Beziehungen bewundere, weil sie klug und gut und reich begabt ist.«29

Verwöhnt wie sie war, interessierte sich Alma wenig für das Befinden ihres Mannes an der Front, und so teilte er seine schrecklichen Erlebnisse, seine schwermütigen Gedanken und seine Angst vor der Zukunft, ohne, wie es scheint, an die Briefzensur zu denken, vor allem der Mutter mit. »Ich möchte rasen, in Ketten geschlagen durch diesen wahnsinnigen, allen Lebenssinn tötenden Krieg … Der Krieg wird uns noch alle zu Grunde richten. Die Dauer zerstört die Nerven sensibler Menschen. Die Stimmung der Front gegen die Regierung wird Gott sei dank gefährlich, so werden vielleicht diese elenden Noten-Schreiber doch noch vor unser aller Ende bankrott machen.«30

Im Oktober 1916 brachte Alma eine Tochter zur Welt, die auf den Namen ihrer Großmutter Manon getauft und Mutzi genannt wurde. Glücklich und ausgeglichen berichtete Alma der Schwiegermutter von der Taufe und den schönen, mit Mann und Kindern gemeinsam verbrachten Weihnachtstagen. Sie schien bereit, mit den Kindern nach Baden-Baden zu ziehen, um die Entfernung von der Front zu verkürzen, vielleicht sogar in das ungeliebte Berlin. Den Heimaturlaub im März 1917 genoss Gropius dann aber doch in Wien, entzückt von Frau und Tochter. Manon Gropius zog – die zunehmende Lebensmittelknappheit zwang die Familien zusammenzurücken – zu Tochter und Schwiegersohn, dem Landrat Max Burchard, nach Alfeld.

Die Tage in Wien waren für Gropius nur eine kurze Ruhepause; er musste bald zurück an die Front. In einem Brief an Karl Ernst Osthaus, der gerade als einfacher Landsturmmann diente und dessen scharf antisemitische Einstellung er wohl kannte, machte er seinem Herzen Luft und – ob aus Anbiederung oder aus Überzeugung bleibt unklar – die Juden für alles verantwortlich: »Ich denke viel über den Sinn des Ganzen nach und komme nun manchmal in Zweifel und Gewissensnot; denn geschieht das alles wirklich nur, damit die Juden sich zu Hause mehr und mehr mästen und diese alles Leben und vermehrtes Gut aus dem großen Jammer erretten? Der Kapitalismus ist so grotesk geworden …, dass er doch schließlich wohl an sich selbst zu Grunde gehen muss?! Wir alle sind schuld, dass es so gekommen ist, wir haben die Juden unbehindert groß werden lassen.«31

Mutter, Muse und Frau Bauhaus

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