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ОглавлениеKrankenhaus Martha Maria
»Schwester Rabiata«, sagte Belu zornig. »Ich habs im Bein und nicht im Kopf. Jetzt lassen Sie mir gefälligst mein Handy.«
»Du bist schon wieder fit, wie ich höre!« Klaus Hofmockel stand im Krankenzimmer. In der Hand hielt er einen Strauß bunter Sommerblumen. Er zupfte eine kleine Margerite heraus, überreichte sie der Schwester, deutete eine Verbeugung an und nahm ihr dabei das Telefon ab. Dann griff er nach ihrer Hand und hauchte einen Kuss darauf.
»Unsere Frau Hauptkommissarin ist immer im Dienst. Sie können sich bei so einer hervorragenden Ermittlerin in der Stadt immer sicher fühlen.«
Die Krankenschwester setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und verließ kommentarlos das Krankenzimmer.
»Hallo!« Klaus wandte sich zu Belu. »Hier ein bisschen Gemüse für dich.« Er sah sich suchend nach einer Vase um, wurde im Bad fündig. Belu klopfte auf ihr Bett, ein Zeichen, dass Klaus sich hinsetzen sollte.
»Was sagt der Onkel Doktor?«
Belu grummelte.
»So schlimm?« Sein Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen.
»Komplizierter Bruch. Falle für mindestens fünf Wochen aus. Dann auch noch Reha. Scheiße.«
»Es wird zwar schwer werden, dich zu ersetzen – aber ich tue mein Bestes. Ich kann mir ja einen Schnüffler zu Hilfe holen.«
»Einen Schnüffler?«
»Herrn Lehmann.«
»Wer um Gottes willen ist Herr Lehmann?«
»Du kennst Herrn Lehmann nicht?«
»Klausi! Mir hat Schwester Rabiata schon gereicht. Reiz mich nicht!«
»Also gut, Herr Lehmann ist der Schäferhund von unserem Hausmeister. Du hast recht, Lehmännchen kann kein Polizeihund werden: Er hat einen Knochen geklaut.«
Belu lachte, stemmte sich am Bettgalgen hoch und schüttelte ihre langen schwarzen Haare. Normalerweise trug sie ihre Matte, wie sie ihre Haare bezeichnete, immer zu einem Zopf geflochten. Weiche Wellen umhüllten ihr Gesicht. »Halt mich auf dem Laufenden! Und jetzt erzähl. Was gibts Neues?«
»Nö, nö, meine Liebe. Erst bist du dran. Schön ausführlich.«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Sonst hätte ich nicht gefragt.«
»Also gut. Ist aber stinklangweilig.« Belu machte eine Kunstpause. Dann meinte sie schmunzelnd: »Ich bin auf einer Schnecke ausgerutscht.«
Klaus stieg sofort auf ihren lockeren Ton ein und konterte: »Hast du die denn nicht gesehen?«
»Nein, die kam doch von hinten.«
»Seit wann bist du so witzig, Bertaluise? Dieser Part, Witze zu reißen, kommt doch von mir. Jetzt aber mal ehrlich. Was hast du gemacht?«
»Es war tatsächlich eine Schnecke. Sie saß auf der letzten Treppenstufe. Ich wollte nicht auf sie drauftreten, habe einen großen Satz gemacht, bin aufs Kopfsteinpflaster gefallen, Knöchel verdreht, aua! War das jetzt detailliert genug?«
Klaus’ Mund stand offen. »Und das gab so einen komplizierten Bruch?«
»Als mir eine Dame beim Aufstehen helfen und ich auftreten wollte, war der Knöchel dann vollends durch. Das tat höllisch weh. Und jetzt lieg ich hier und muss mir von Schwester Rabiata das Handy wegnehmen lassen, bekomme Gemüse geschenkt anstatt Gummibärchen und mein Kollege erzählt mir nicht mal, was im Büro so los ist.« Belu zog geräuschvoll die Nase hoch.
»Ich dachte, Gemüse erhellt dein Gemüt, Gummibärchen machen nur dick, wenn du die ganze Zeit liegen musst.« Klaus war ehrlich zerknirscht. »Ich bringe dir morgen welche mit.«
»Jetzt erzähl schon, was ist in der Zwischenzeit im Präsidium los gewesen?«
»Wir hatten eine Feueralarmübung. Jeder im Gebäude musste ejakuliert werden. Das war vielleicht ein Spaß da draußen.«
»Was habt ihr gemacht? Ejakuliert?«
»Sorry, ich meinte natürlich, das Haus musste evakuiert werden. Peinlich.« Klaus schlug sich selbst leicht auf den Mund.
»Wie ist die neue Oberstaatsanwältin? Du weißt genau, dass mich das mehr interessiert als eine Feueralarmübung!«
»Viel kann ich noch nicht sagen. Das wird sich erst rausstellen, wie gut man mit ihr arbeiten kann. Jedenfalls beruft sie laufend Treffen per SMS ein. Sie meldet sich nicht per Mail. Das könnte untergehen, meint sie.«
»Wenn ich daran denke, wie oft du meine Mails erfolgreich ignoriert hast, kann ich die Dame vollkommen verstehen.«
Belu verschränkte die Arme vor der Brust, deutete mit dem Zeigefinger auf ein Glas, das am Nachttisch stand.
»Kannst du mir das Wasser reichen?«
»Das will ich meinen.« Klaus schenkte ein, reichte Belu das Glas und erzählte weiter. »Neulich hat sie gesimst, sie lädt uns zum Petting ein.«
»Kaum bin ich mal ein paar Tage nicht da, scheint es ja wirklich drunter und drüber zu gehen.«
»Entschuldige Belu, wirklich. Sie hat raspelkurze Haare. Mir ist sie zu burschikos.«
»Also überhaupt nicht dein Typ. Was ist nun mit dem Petting?«
»Natürlich nichts. Sie meinte Meeting, verstehst du. Meetings, die beruft sie laufend ein. Es wäre die Autokorrektur gewesen, die das Wort so verhunzt hat.«
»Hat sie sich so entschuldigt?« Belu schmunzelte.
»Nö, ist einfach drüber hinweggegangen, wie wenn es das Normalste auf der Welt wäre, dass die Autokorrektur Wörter verhunzt.« Klaus tippte auf das Glas seines Smartphones.
»Wer's glaubt! Kein Mord, kein Totschlag?« Belu spielte mit ihren Haaren, zwirbelte sie zu einem Zopf.
»Nein, aber ...«
»Was ist los, Klaus?«
»Die neue Oberstaatsanwältin. Sie ist … nun, wie soll ich sagen … speziell.«
»Ich kann mir schon vorstellen, was du mit speziell meinst. Sie will aufräumen. Und da du sie mir als burschikos geschildert hast, Kollege Klaus, duldet sie wohl keinen Widerspruch. Auf deine blöden Sprüche geht sie nicht ein. Habe ich recht, oder habe ich recht?«
»Wie immer, Chefin. Ich weiß nicht, was ich von der Dame halten soll. Sie trägt eine große Herrenarmbanduhr.«
»Danach solltest du sie nicht beurteilen. Sie ist sicher tüchtig.«
»Das mag ja sein. Sie hat mir doch tatsächlich einen dreißig Jahre alten Fall auf den Schreibtisch geknallt. Richtig hingeknallt.«
»Eine Frau, die weiß, was sie will.« Belus Mund verzog sich leicht. »Ich werde die Dame sicher bald kennenlernen. Sie hat dir also einen Cold Case gegeben. Will alte Fälle aufarbeiten und natürlich auch gelöst wissen. Da hast du was vor dir. Erzähle!«