Читать книгу Nichts ist vergessen - Ursula Schmid-Spreer - Страница 8
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»Hast du verstanden? Das Safeword ist mayday. Und da man bekanntlich mit einem Knebel im Mund nicht rufen kann, klopfst du mit den Zehen zweimal auf den Boden.«
Die Domina strich ihm zärtlich über die Wangen. In der Hand hielt sie eine brennende Kerze, ließ das heiße Wachs über seinen Hals laufen. Wenn der Mann ein Kätzchen gewesen wäre, hätte er zu schnurren begonnen. So stand er einfach nur da in seiner Feinrippunterhose und dem Netzhemd. Schon immer übte es eine Faszination auf ihn aus, wenn er gefesselt wurde. Wenn sie als Kinder Räuber und Indianer gespielt hatten, hatte er sich fangen und an Händen und Beinen fesseln lassen. Aus Jux waren sie als Teenager in Sexfilme gegangen. Die Szenen, in denen jemand mit Seilen verknotet oder fixiert wurde, erregten ihn besonders. Am Anfang ihrer jungen Liebe hatte sich seine Frau ja noch darauf eingelassen. Sie war unerfahren und dumm, aber neugierig. Mit zunehmenden Ehejahren lehnte sie es allerdings ab, ihm Handschellen anzulegen, geschweige denn, sich selbst festzurren zu lassen. So gönnte er sich – immer öfter – in der Mittagspause den Besuch bei einer Domina. Sie war keine Professionelle, das dachte er zumindest. Schließlich empfing sie ihn in einem Wohnhaus. Gab es ihm doch das Gefühl, sich nicht der käuflichen Liebe hinzugeben.
Wenn seine Sekretärin wüsste, was er sich da so in der Mittagszeit gönnte. Sie profitierte davon, er war dann rundweg ausgeglichen und sah über manchen Fehler hinweg.
»Knie dich nieder!«, befahl die Dame. »Wirds bald!«
Gehorsam kniete er sich hin.
»Wenn du besonders brav bist, Sklave, darfst du mich Monique nennen.« Sie legte ihm ein Hundehalsband um und zog ihn hinter sich her.
»Folge mir.«
Gehorsam ließ er sich in das Zimmer mit dem Andreaskreuz führen. Er liebte Fesselspielchen, die ihn noch mehr aufgeilten, das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein, allem, was da kommen mochte. Es törnte ihn noch mehr an, wenn er versuchte, sich zu befreien, und es ihm nicht gelang.
»Das wirst du schön bleiben lassen, Sklave«, meinte Madame. »Du kommst frei, wenn ich es sage, verstanden? Verstanden, habe ich gefragt!« Er nickte artig. Ja, so liebte er es. Wirklich zu schade, dass seine Frau so eine hausbackene Gemahlin war und für sie nur Blümchensex infrage kam. Die Domina gab ihm einen Klaps auf die Wangen, das Wachs einer Kerze tropfte auf seinen Körper. Sie nahm eine Peitsche und ließ sie langsam über seinen Rücken gleiten. Mit Blick auf eine Uhr, die leicht versteckt auf einem Kästchen stand, meinte sie: »Das nächste Mal bekommt das Halsband Stacheln.« Dann nahm sie ihm die Fesseln ab, entfernte die Zwicker an den Brustwarzen. »Den Rest kannst du selbst abnehmen. Hier ist ein Tuch für das Wachs.« Er tat, wie ihm geheißen, bedauerte, dass die Zeit schon vorbei war. Jetzt würde er wieder einige Tage warten müssen. Zu oft konnte er sich diese Stunde bei der Dame nicht erlauben. Seine Frau sollte es nicht mitbekommen, wofür er so viel Geld ausgab. Beschwingt ging er ins Büro zurück. Seine Mitarbeiterin wunderte sich schon gar nicht mehr, dass ihr Chef, der in der Früh meist muffelig war, oft nach der Mittagspause völlig entspannt und fröhlich zurück ins Büro kam.
Die Dame im Morgenmantel reichte ihrer Kollegin eine Tasse Tee.
»Da schimpfen sie immer über uns, über das älteste Gewerbe der Welt, und im Grunde genommen sind sie froh, dass es uns gibt.« Sie zog den Gürtel ihres Bademantels enger, fläzte sich auf das kleine Sofa.
»Stimmt, ich habe diese heuchlerische Gesellschaft so was von satt! Der da eben, biederer Ehemann, Abteilungsleiter und dann kommt er in der Mittagspause zu mir.«
»Solange die Kasse stimmt, mache ich fast alles. Ich verkaufe Seifenblasen und ich erfülle Träume. Das, was eigentlich der Job der Ehefrauen wäre.«
»Und da die Frauen es anscheinend nicht können oder wollen, sind wir da. Mit dem Unterschied, dass wir Geld dafür nehmen.«
»Ich kann mir gut vorstellen, dass die Freier sich zu Hause gehen lassen. Am Wochenende ziehen sie wahrscheinlich die Schlafanzughosen noch nicht einmal aus. Mit dem Unterhemd, unrasiert, ungepflegt und schlampig hockt er dann das ganze Wochenende vor der Glotze. Bei uns trauen sie sich nicht, ungewaschen aufzutauchen.«
»Und wenn doch, dann stelle ich ihn unter die Dusche.«
»Hol doch bitte mal den Sekt aus dem Kühlschrank.« Sie stand auf, wäre beinahe über den langen Bademantel gestolpert. Sie öffnete eine Vitrine, holte drei Sektgläser heraus und goss ein.
»Drei Gläser?«
»Ja, Uli kommt nachher noch. Sie hat einen tollen Job aufgetan. Stell dir vor, so ein alter Geschäftsmann hat sie ins Theater eingeladen.«
Die junge Frau lachte, schmunzelte und meinte fröhlich: »Na, ob es beim Theater bleibt? Weißt du was, für meine Gage kaufe ich mir ein paar neue Seidenstrümpfe und den Lippenstift, den ich schon immer haben wollte.« Sie nahm einen großen Schluck, tauschte den Lederrock und den Ketten-BH gegen Stoffhose und Bluse. »Sag ihr einen lieben Gruß. Ich muss los, meine Kleine von meiner Mutter abholen.«
Kommissariat, Büro
Es war still im Büro. Auch wenn Klaus es nicht zugeben wollte, ihm fehlte Belu. Ihm fehlten die Gummibärchen, die Belu so gerne aß, der Duft von Kaffee mit der Prise Zimt. Er stierte vor sich hin, ließ seine Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Damals, als er noch ganz neu in der Abteilung war, saß er auch alleine im Büro, Zwielicht kroch seinerzeit durch das Zimmer. Die Laternen am Jakobsplatz waren angegangen.
Niemand wartete auf ihn zu Hause. Er war ein paar Jahre nicht mehr in Nürnberg gewesen, hatte als Austauschkommissar in Hamburg zugebracht. Es war eine interessante Zeit bei den Fischköppen gewesen. So richtig warm war er allerdings nie mit den Hamburgern geworden. Deshalb war er gerne wieder zurück nach Nürnberg gekommen.
»Auch schon wieder ein paar Jahre her«, sagte er zu sich selbst.
Eine Stadt lebte, veränderte sich. Es kam ihm so vor, als ob alles neu für ihn wäre. Als ob er die Stadt wieder neu entdecken müsste. Er wusste es noch ganz genau, dass sein Kühlschrank leer gewesen war und er Bücherkisten hatte auspacken sollen. Dazu fehlten ihm einfach die Muse und auch die Lust. Er war müde und erschöpft, fühlte sich einsam. Zu gerne wollte er sich einmal fallen lassen, nicht der Bestimmende sein.
Klaus schmunzelte, als er an seine Anfangszeit mit Belu dachte. Die Füße legte er immer noch gerne auf den Schreibtisch. Und auch die Ellenbogen stützte er gerne ab.
In jenen längst vergangenen Tagen hatte er sich nicht aufraffen können, in seine einsame Wohnung zu gehen. Er stieß mit dem Fuß gegen den Schreibtisch. Durch den Ruck flammte sein Computer auf, der im Sparmodus gedümpelt hatte. Wie von selbst glitten damals seine Finger über die Tastatur und gaben eine Adresse ein. Das Gespräch konnte er immer noch rekapitulieren.
»Hallo?« Eine sonore Stimme am anderen Ende der Leitung. »Womit darf ich dich verwöhnen?«
»Ähm, hier ist Klaus.«
»Guten Abend, Klaus.«
»Ich bin neu in der Stadt. Ich …«
»Kein Problem. Komm vorbei. Du findest mich ...«
Er läutete zweimal kurz, einmal lang, das verabredete Zeichen. Eine attraktive Frau, kurze, wellige Haare, öffnete ihm. Ein enges T-Shirt schmiegte sich an ihren Oberkörper. Die Röhrenjeans betonten ihre schlanke Figur. Dass sie kein Teenie mehr war, sah man nur, wenn man ihr ganz nahe kam.
So hatte er damals Violetta kennengelernt. Sie konnte gut zuhören, war einfühlsam und diskret. Von ihr, der erfahrenen Frau, konnte er sich führen lassen. Sie verzog keine Miene, als Klaus ihr sagte, dass er bei der Kriminalpolizei tätig war.
Er schob den Ordner von links nach rechts. Der Kaffee aus dem Automaten war inzwischen kalt geworden. Sein Mund verzog sich, als er an Belu und Violetta dachte. Unterschiedlicher konnten die beiden nicht sein. Jede war einzigartig – auf ihre Weise. Die überkorrekte Belu mit ihren dunklen Haaren, und Violetta, die Lebenskünstlerin mit den kurzen hellen Haaren.
Natürlich musste er schon ein paarmal im Milieu ermitteln. Es blieb nicht aus, dass er die eine oder andere Professionelle etwas näher kennenlernte. Wie oft schon hatte er bei einem Bier tiefschürfende Gespräche mit den Damen geführt? Violetta hielt sich an ihre Hurenehre. Sie verpfiff keine Kollegin, gab aber trotzdem oft Hinweise, die die Ermittlungen voranbrachten.
Klaus legte seine Beine auf den Schreibtisch. Er musste es ausnutzen, wenn Belu nicht im Büro war. So etwas würde sie nicht dulden. Er grinste, wusste genau, was Belu sagen würde: »Unflätig, Klausi.« Und dann würde sie ihn strafend über ihren Lesebrillenrand ansehen.
Studio Violetta
Klaus machte sich auf den Weg in die Nordstadt. In einer Seitengasse der Sulzbacher Straße parkte er seinen Wagen.
Violetta machte kein Hehl daraus, dass sie schon über fünfzig war.
»Hi Violetta, schön, dass du Zeit für mich hast.«
»Für meinen Lieblingsbullen doch immer. Du siehst blass aus, ist was?«
Er griente. »Ich hab mich heut' mal selber gewaschen, sonst macht das immer meine Mutti.«
»Magst du ein Bier? Das ist alkoholfrei!«
Klaus nickte. Er sah sich im Wohnzimmer um. Violetta hatte ein sogenanntes Empfangszimmer, in dem sie Gespräche mit ihren Gästen führte. Ein kuscheliges Sofa, zwei Sessel, ein Glastisch und eine Glaskommode; Klaus ließ sich auch gleich in den Sessel fallen. An den Wänden hingen geschmackvolle erotische Bilder; es waren keine Pornos. Und überall waren Kerzen.
Violetta drückte auf einen Knopf der Stereoanlage. Einschmeichelnde Musik erklang.
»Hast du ein bisschen zugenommen, oder bilde ich mir das nur ein, Klaus?« Violetta stellte Glas und Bierflasche vor ihn hin. Der wies den Einwand entrüstet von sich.
»Na hör mal, das ist kein Speck, das ist erotische Nutzfläche. Ich habe eine Freundin. Die steht nicht auf Hungerhaken.«
»Dann ist ja gut. Was kann ich für dich tun?«
Klaus zog ein Foto aus der Tasche. »Ich brauche deine Hilfe. Was meinst du? Bondage?«
Violetta betrachtete das Bild genau.
Die Farbe ihres Gesichts veränderte sich. Dann kippte sie vornüber.
*
Die alte Dame tauchte ihren Löffel in die Suppe. Nippte, verzog das Gesicht. »Das ist wieder ein Fraß«, rief sie und schleuderte den Löffel der Pflegerin hinterher. »Und sagen Sie jetzt bloß nicht, dass ich dement bin. Bin ich nicht. Es ist eine Zumutung, wie hier mit alten Menschen umgegangen wird.«
Sie stand auf, griff sich ihren Gehwagen und rollte aus dem Speisesaal in Richtung Kapelle. Dort blieb sie vor dem Bildnis der Mutter Maria stehen. Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Vergib mir meine Sünden!«
*
Schöner Brunnen
Cora nahm die Menschen gar nicht richtig wahr, die an ihr vorbeiliefen. Sie war mit sich selbst und ihren Gedanken beschäftigt.
»Wie konnte ich das alles so nur lange verdrängen«, murmelte sie.
»Hom Sie wos gsocht?« Ein Junge ließ sich neben sie plumpsen. Er hielt ein Skateboard in der Hand, drehte den Schirm seiner Baseballkappe auf die Seite.
Cora schüttelte den Kopf. Sie stand auf, schlenderte Richtung Hauptmarkt. Ihre Gedanken drehten sich immer wieder im Kopf herum.
Warum ausgerechnet jetzt?
Studio Violetta
»Was ist passiert?« Violetta riss die Augen auf und stöhnte laut.
»Dir ist wohl schlecht geworden.« Klaus fächelte mit einer Zeitung wild hin und her.
»Ich habe heute noch nichts gegessen. Schau mal im Kühlschrank, da müssten noch Wurst und Käse drin sein. Machst du mir ein Brot?«
Klaus schnitt einige Scheiben ab, butterte sie und legte ein paar Scheiben Salami drauf. »Iss!«
Violetta nahm einen großen Schluck Wasser und biss herzhaft in das Brot. Klaus ließ sie aufessen, bevor er ihr eine Frage stellte: »Kannst du mir etwas über Bondage erzählen? Vielleicht ein wenig mehr als das, was ich schon weiß. Jemand wird verschnürt, damit er Lust dabei empfindet?«
Violetta biss vom Brot ab, kaute langsam. Klaus hatte ihr noch ein Glas Wasser eingegossen. Sie trank es mit kleinen Schlucken aus.
»Wie bist du eigentlich zu deinem Job gekommen? Fällt mir gerade auf, dass ich dich das noch nie gefragt habe.«
Sie nickte, nahm den letzten Schluck Wasser und begann zu erzählen: »Soll das jetzt ein Verhör werden, Herr Kommissar?«
»Natürlich nicht«, antwortete Klaus. »Es ist die reine Neugier.«
»Also gut, ich bin eher zufällig in dieses Gewerbe reingekommen. Ich wollte mir während der Ausbildung zur Tippse«, sie lächelte ein wenig, »ein bisschen Geld dazuverdienen und habe in einer Bar gejobbt. Das ist eher zufällig geschehen. Ein älterer Mann kam jedes Wochenende zu uns und er fragte mich, ob ich ihn mit einem Seil fesseln könnte.«
»Und hast du das gemacht?«
»Nachdem er mir gesagt hatte, was er mir dafür geben würde, habe ich nicht lange überlegen müssen.«
»Was hast du dabei empfunden?«
»Irgendwie hat es mir Spaß gemacht, Chefin zu sein. Weißt du, Klaus, im Büro war ich das blöde Lehrmädel, das man hin und her schubsen konnte. Mach dies, mach das.«
»Und im Laufe der Zeit hast du dir einiges an praktischem Wissen angeeignet.« Klaus sah sie lächelnd an.
»Aber so was von«, lachte Violetta. »Da kannst du dir ein Ei drauf backen.«
»Ich kann mir vorstellen, dass man als Lehrling nicht besonders viel verdient. Wie alt warst du damals?«
»Knapp achtzehn, der Barbesitzer hat mich trotzdem genommen. Ich war immer besonders nett und habe viel Trinkgeld bekommen.«
»So bist du also reingerutscht?«
»Stimmt, danach wusste ich: Das ist mein Job!«
Wohnung Cora
Cora beglückwünschte sich wieder einmal, dass sie so pedantisch war. Schon als Kind war sie sehr ordentlich bei ihren Schulsachen gewesen. Als sie von zu Hause auszog, hatte sie die Ordner aus dem großen Wohnzimmerbüfett mitgenommen. Auch eine Schachtel, in der Papierkram lag. So standen nun in ihrem Schrank in Reih und Glied Leitzordner, ordentlich beschriftet. Irgendwann einmal würde sie alles scannen und in Dateien ablegen, um Platz zu schaffen.
»Diese Schachtel hier werde ich auch mal in Angriff nehmen. Wenn ich mal viel Zeit habe. Ja, wenn ...«, sie grinste in sich hinein. Dann zog sie den Ordner Privat hervor, setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und begann zu blättern.
»Hier ist es«, rief sie laut. »Welch ein Glück, dass ich immer alles aufhebe und penibel ablege.«
Vielleicht mochte sie Klaus deshalb so gerne? Bei ihm in der Wohnung lag alles durcheinander. In einer Schachtel hatte er Papiere kreuz und quer eingeschlichtet. Nur ein Genie beherrscht das Chaos, stand ganz groß auf der Pinnwand in seinem Flur. Wenn es gar zu schlimm wurde, meinte sie immer zu ihm: »Ziehen die Hempels mal wieder um?« Dann mussten sie beide lachen und Klaus räumte einen Teil von links nach rechts.
Ordentlich abgelegt, mit Trennblättern versehen, drehte sie die Papiere um. Sie öffnete den Hebel, nahm das Blatt mit den Fotos heraus. Ein altes Haus mit bemoosten Ziegeln. Viel Grün um das Gebäude.
»Hier ist es ja«, murmelte Cora.
Wohnung Violetta
»So, jetzt hast du aufgegessen und jetzt erzählst du mir, wie das mit dem Bondage war.«
Violetta nickte und sagte völlig zusammenhanglos: »Nächste Woche werde ich 51 Jahre. Sieht man mir nicht an, gell? Ich würde gerne feiern. Du bist eingeladen.«
»Danke schön. Schweif nicht ab. Bitte!«
»Was hätte ich als Büromaus schon großartig verdient? Der ältere Mann wurde mein Dauerkunde, deshalb habe ich mich natürlich umgehört. Viel habe ich nicht erfahren. Bondage war damals noch kein Thema.«
»Ich vermute mal – learning by doing.«
Violetta nickte. »Ich habe Stunden in Bibliotheken verbracht. Es war interessant, was da alles stand und was ich ‚Neues‘ erfahren habe. Internet gab es ja schließlich noch nicht.«
»Wir haben mal einen Wochenendtrip nach Berlin gemacht. Cora hat mich dort in das Beate-Uhse-Museum geschleppt.«
»Wie interessant. Da möchte ich auch mal hin.«
»Da wirst du dich noch etwas gedulden müssen. Es ist seit September 2014 geschlossen. Sie suchen einen neuen Standort.«
»Wie schade.« Das Telefon läutete, Violetta drückte das Gespräch weg. »Was hast du dort alles gesehen?«
»Im Museum?«
»Ja, wo sonst?«
»Ich dachte, du willst wissen, ob wir Sightseeing in Berlin gemacht haben«, grinste Klaus.
»Wir sind doch grad beim Thema Verschnüren, also erzähle.« Violetta schlug die Augen nach oben und seufzte gespielt.
»Das ist wissenschaftlicher aufgezogen, als man meint. Du wirst durch unterschiedliche Kulturen und Epochen rund um das Thema Sex und Liebe geführt. Da waren wirklich kunsthistorisch wertvolle Exponate und was ich besonders interessant fand, waren die hochmodernen 3-D-Projektionen.«
Violetta lachte laut. »Das kann ich mir vorstellen. Klein Klausi betrachtet weibliche Geschlechtsteile in 3-D!«
»Na hör mal, so weltfremd bin ich nun auch wieder nicht.«
Violetta schlug die Beine unter ihren Po, legte sich eine Decke über den Schoß.
»Damals, vor dreißig Jahren, war das natürlich noch nicht in aller Munde. Heutzutage ist es für viele Leute ein toller Fetisch. Gerade, wenn sie in leitender Position sind. Sich dominieren lassen, einfach mal schwach sein dürfen, für viele der Inbegriff der Lust.«
»Ich kann es mir, ehrlich gesagt, nicht so richtig vorstellen, was einen umtreibt, sich fesseln zu lassen.« Klaus spielte gedankenverloren an seinem Pferdeschwanz.
»Weißt du, viele meiner Gäste wollen ihre körperliche Passivität spüren. Erst dann fühlen sie sich frei. Sie können sich dabei auf ihr Inneres konzentrieren und kommen zur Ruhe.«
»Womit hast du gefesselt?«
»Die japanische Kunst sah Stricke vor. Auch Ketten. Im Laufe der Zeit kamen Lack und Leder hinzu. Kerzenwachs, Peitschen, alles, was das lustvolle Herz begehrt.«
»Und wie ist es mit sadomasochistischen Praktiken?«
»Lässt sich nicht leugnen!«
»Und Strumpfhosen?« Klaus sah sie gespannt an.
»Eher nicht. Aber wenn der Kunde das so haben wollte, haben wir das natürlich gemacht.«
»Wir?«
»Ich hatte immer wieder mal Partnerinnen. Ich vermiete mein Studio ja auch.«
Klaus murmelte: »Interessant.«