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Mit den Eisheiligen unterwegs

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Dreizehnter April. Die Eisheiligen toben hoch oben in den Bergen. Sie fetzen einen Rock’n Roll über das waldlose Bergmassiv Zentralanatoliens. Weiße Ekstase wirbelt durch die Gassen eines Tausendseelendorfes in der Hochebene, pfeift eisig um die geduckten Lehmhütten. Ab und an mengt sich in das stürmische Pfeifen das Heulen eines Hundes. Gestern noch hatten wir kurzärmligen Sonnenschein, und alles, was Beine hat, tummelte sich auf dem Dorfplatz, an der Wasserstelle oder auf den grünenden Wiesen oben am Stausee. Jetzt sitzen gut ein Dutzend Dorfbewohner dicht gedrängt um den Kanonenofen aus dünnem Eisenblech, der mitten im Gästezimmer auf einem türkisfarbenen Holzpodest thront. Nach dem morgendlichen Wetterumschlag war er samt Holzpodest und Ofenrohren aus dem Keller geholt und mit wenigen Handgriffen mitten in der Stube auf dem Teppich aufgestellt worden. Die Stubentür geht auf, Selma bringt eine Kiepe mit Dornengestrüpp und getrocknetem Stalldung herein. Die Gäste rücken beiseite und machen den Zugang zum Ofen frei. Selma klappt die runde Herdplatte auf dem Ofen hoch, füllt auf die verbliebene Glut im Ofen die Dornenwische, schichtet darauf die in der Sonne des vergangenen Jahres getrockneten Stalldung-Batzen und gießt aus einer Flasche Petroleum darüber. Sie schließt die Herdplatte wieder und stellt einen Doppelstock-Teekessel darauf. Dann öffnet sie die untere Ofentür und bläst in die unter dem Dornengestrüpp noch glimmende Glut. Der Ofen füllt sich mit Knistern, erst zaghaft, dann hemmungslos. Ein prasselndes Feuer-Crescendo füllt den Raum und ergießt sich heiß in kalte Ohren. Das Eisenblech des Kanonenofens glüht in Ofenmitte nach und nach hellrot auf, wohlige Wärme schlägt in gleißende Hitze um, daß einem der Atem stockt. Man hält es in der Hitze direkt am Ofen nicht mehr aus, sie versengt einem unversehens die Kleidung. Die Stühle werden vom Ofen weggerückt. Die großflächigen schafwollgefüllten Sitzkissen entlang der Wände laden zum bequemen Schneidersitz ein. Sie liegen nicht mehr im eisigen Abseits, sie sind eingetaucht in die wohlige Wärme.


Die Eisheiligen draußen scheinen verstummt. Lautlos wirbeln sie einen Derwischreigen hinter den Fensterscheiben, fesseln mit ihrem Tanz meine Blicke. Ich schaue von meinem Fensterplatz aus in das weiße Treiben. Von den Sitzkissen klingen muntere Bauernweisheiten zu mir herüber. Doch sie verblassen im Schneegestöber auf meiner Netzhaut. Ich kann den Blick nicht wenden, gebannt versinke ich im Flockentanz draußen vor dem Fenster. Leicht und turbulent schlüpft er in meinen Kopf, weckt in mir eine Ahnung von Schwerelosigkeit.


Ich stehe auf und wickel mich aus der Wolldecke. Es ist sehr warm geworden. Ich schaue in den Teekessel, doch das Wasser sprudelt noch nicht. Ich reiche den Gästen Zigaretten, und alsbald steigt blauer Dunst von den Sitzkissen auf, verschwindet im abendlichen Dämmerlicht zur Stubendecke. Dort oben flirten die Kristalle des Kronleuchters rot funkelnd mit dem glühenden Ofen. Der Lichtschalter ist tot. Der Sturm muß in den Bergen wieder mal Strommasten flachgelegt haben. Ich nehme die Petroleumlampe aus dem Wandschrank, zünde sie an und hänge sie an die Wand. Jetzt kann 1001 Nacht beginnen. Ich lege noch ein paar Dornenzweige nach und lasse mich dann auf einem noch freien Sitzkissen an der Wand nieder. Behaglich lehne ich mich in die weichen Rückenkissen. In diesem Raum hat die Kälte ihre Aggression verloren.


Der Bauernplausch läßt mir die Ohren klingen. Da hat doch der Mahmut mit der Hasenscharte aus dem Tscherkessen-Dorf oben hinter dem Berggipfel des Karatonuz einen Tonkrug voller alter Goldmünzen auf seinem Acker ausgebuddelt und flink versteckt. Er wurde beim Buddeln aber beobachtet und angezeigt. Nun haben die Gendarmen ihn schon zwei Mal oben vom Berg herunter ins Dorf Tonuz auf die Gendarmerie gebracht und ihn dort über Nacht grün und blau geschlagen, damit er das Gold herausrückt. Denn solch vergrabene Armenier-Schätze gehören dem Staat bzw. ins Museum. Der Mahmut habe also saftig Prügel bekommen. Von dem Gold aber bis heute keine Spur.

Gleich neben dem Fundacker, auf dem Mahmut den Tonkrug ausgegraben haben soll, liegt ein Acker unserer Familie. Auf diesem Acker sitzt gleichsam wie ein erhobener Zeigefinger ein weit in die Hochebene sichtbarer Felsen. Durch Mahmut’s Fund einerseits und andererseits beflügelt durch den selbstredenden Spitzfelsen soll die Armee kurz darauf diesen Acker mit schwerem Gerät auf der Suche nach vergrabenen Schätzen umgebrochen haben. Gefunden hat die Armee wohl nichts. Aber auf dem Acker liegen jetzt Scherben von uralten Tonkrügen herum.


Mustafa fällt ins Gespräch ein. Er hat von Gold geträumt, das unter einer Hausruine vergraben ist. Er hat die Hausruine im Traum ganz deutlich gesehen. Dann hat er sie gesucht und gesucht. Er habe diese Hausruine tatsächlich gefunden. Sie sehe genauso aus, wie die im Traum. Den Schatz habe er leider noch nicht heben können, da eine Schlangensippe in der Ruine sitze. Dies sei auch ein Beweis für die Richtigkeit seines Traumes, denn Schlangen seien ja bekannt als Hüter des Goldes. Der Traum war also ein Fingerzeig Allah’s. Es beginnt eine ernsthafte Diskussion, wie der Schatz zu heben ist – wer macht mit, wie werden die Schlangen überlistet, wie werden unerwünschte Gaffer vermieden ....


Plötzlich öffnet sich die Stubentür. Eine eisige Brise weht von draußen herein. Im Türrahmen steht unter fescher Schiebermütze ein weiter dunkler Mantel auf dünnen Beinen. Begeisterte Willkommensgrüße fordern den Gast aus der Kälte auf, in der guten Stube Platz zu nehmen. Selma huscht hinter dem Gast herein, nimmt ihm den klamm nassen Mantel ab und breitet ihn über einen Stuhl in der Nähe des Ofens. Der Neuankömmling steht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sein Riechzinken auf dem Rundrücken zieht genüßlich das ihm entgegenschlagende Wohlwollen ein, scheint seinen Rücken noch runder zu spannen. Der Schalk springt ihm aus den Augen, setzt sich in jeden Nacken. Da steht er nun, der drahtige Vagabund, der vor 40 Jahren der reichste Bauer im Dorf war, sich damals in eine reiche Schöne aus dem fernen Malatya Hals über Kopf verliebt hatte und all sein Land verkaufte, um zu seiner auserkorenen Perle nach Malatya zu ziehen. Er verlebte mit seiner Frau glückliche Jahre bis ins hohe Alter. Dann nahm der Tod ihm seine Frau, und ihre Brüder jagten ihn ohne jeden Pfennig aus dem Haus. Er ging. Zunächst in eine Zigarettenfabrik. Er organisierte sich ein Zubrot, indem er 200 g oder auch 200 kg Tabak privat auf dem Schwarzmarkt verhökerte. So genau hat er über das Gewicht des privat verhökerten Tabaks nie Auskunft geben können, denn Tabak sei ja sehr leicht. Und wegen dieser paar Gramm wird er von den Gendarmen der Türkei seit 10 Jahren gesucht. Der Prozeß wurde ihm dazumal ja gemacht. Er sollte einen hohen Geldbetrag als Strafe zahlen oder eine Pritsche in der Haftanstalt belegen. Er beschloß zu zahlen, um dem Staat nicht noch die Kosten für die Pritschenbelegung aufzubürden. Seitdem ist er spurlos verschwunden. Doch manchmal taucht er plötzlich bei Freunden auf. So steht er jetzt neben dem Ofen, schaut schlitzäugig in die Runde, schmunzelt und schiebt seinen rechten Arm bis zum Ellenbogen in die Hosentasche. Er zieht einen warm blinkenden Metalltaler hervor, der sofort von Hand zu Hand geht und anerkennend als Goldtaler bestaunt wird. Mustafa beißt ein Mal auf den Taler, und auch er erkennt ihn dann als echtes Goldstück an. Wir sind also wieder beim Thema. Mustafa’s Traum vom Schatz in der Hausruine lebt erneut auf. Aber wie ist dieser Schatz ohne Aufsehen zu heben? Unser Vagabund durchmißt in mäßigem Wanderschritt einige Mal die Stube, bleibt dann am Ofen stehen und macht plötzlich aus dem Stand eine Drehung um 180 Grad in die Grätsche, so daß seine Jacke auffliegt und beinah das Ofenrohr vom Sockel holt. Er schnipst mit den Fingern, und alle Ohren harren der Worte, die da nicht kommen. Doch dann sprudelt es aus ihm heraus: Kaufen soll Mustafa das Grundstück mit der Ruine, kaufen. Dann mit Hausbau beginnen. Da falle beim Abriß der Ruine die Schatzsuche gar nicht auf. Und die Kauf- bzw. Bauschulden lassen sich dann aus dem Schatz bezahlen. So einfach sei das.


Stimmung kommt auf. Selma serviert Tee. Aus dem kleinen Teekessel füllt sie starken Teesud in die Teegläser, aus dem etwas größeren Kessel füllt sie heißes Wasser auf. Sie stellt die Teegläser auf kleine Beistelltische, die an die Sitzkissen gerückt werden, und reicht den Gästen Würfelzucker. Nur unser Vagabund bleibt inmitten der Stube auf den Beinen. Das Teeglas in der einen Hand, schwenkt er mit der anderen den Teelöffel durch die Rauchschwaden und beschreibt seinen Weg ins Dorf. Eigentlich wollte er schon gestern kommen, erzählt er. Aber zwei Stunden vom Dorf entfernt, etwa in Höhe des Grauen Felsens, traf er auf Hühnerpascha Zeki, der im Dorf gerade 120 Eier verkauft hatte. Von ihm erfuhr er, daß die Gendarmen im Dorf gerade wieder Mal nach ihm suchen. Also änderte er seine Richtung und machte einen Umweg über das Bergdorf Samankaya, da dies im Frühjahr, wenn der Schnee auf den Bergen schmilzt, so im Matsch versinkt, daß es für die fahrbaren Untersätze der Gendarmen nicht passierbar ist. Und als er so über die Hochebene wanderte, was lachte ihn da aus klebrig glitschigem Lehmschlamm an? Ein Goldstück. Das Goldstück, das soeben die Runde gemacht hatte. In dieser Region wurden schon viele alte Münzen und Schmuckstücke gefunden, immer im Frühjahr, wenn das Wasser von den Bergen kommt. Von wo sie aus alten Verstecken herausgespült werden, ist noch ein Rätsel. Ja, und nach Übernachtung bei entfernten Verwandten in Samankaya ist unser Vagabund im Schutz der Eisheiligen einen Tag nach den Gendarmen in unser Dorf gekommen. Nun schlürft er andächtig seinen Tee, und die Bauern im Raum beschließen, ihm auf dem Friedhof außerhalb des Dorfes einen Grabstein mit eingehauenem Namen zu setzen. Bei der nächsten Suchaktion sollen die Gendarmen dort vor vollendete Tatsachen gestellt werden. So können Suche und Flucht endlich ein Ende nehmen, eine arme Seele kann ihre Ruhe finden.


Vom Minarett erschallt das Allah akbar. Die Männer erheben sich von ihren Sitzkissen und gehen zum Gebet in die Moschee.

















IM REICH DER SCHAFE

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