Читать книгу IM REICH DER SCHAFE - Ursula Özdemir - Страница 8

Viehhändler zu Gast

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Gerade habe ich den Wäscheständer ins Haus geholt und nehme die trockenen Putzlappen und Geschirrhandtücher ab, da klingelt es. Die Frau eines bekannten Großviehhändlers aus der Stadt hinter dem Gebirgspaß steht vor der Tür und sagt: „Erkennst du mich?“ Im Hintergrund - von mir aus nicht zu sehen - sagt eine Männerstimme: „Die erkennt dich bestimmt nicht.“ Ich sage:“……Ganimet?“ Volltreffer. Sie und ihr Mann bringen einen Beutel mit einer großen Wassermelone und noch einen Beutel mit einem tiefgefrorenen Huhn mit. Während ich in der Küche das Huhn ins Eisfach packe, ist Ganimet’s Mann Tahir schon wieder verschwunden. Er wollte nur Mal schnell ‚rüber zu Meryem und Murat. Aber die sind unterwegs und suchen ihren Esel, ihren schmucken grauen Esel. Der ist ihnen gestern in den Bergen verloren gegangen. Es klingelt an der offen stehenden Haustür. Ganimet geht hinaus zur Tür, und ich höre sie sagen, dass mein Mann nicht da sei, der Besucher könne wieder gehen. Ich schaue nach, wen sie da gerade abserviert hat. Draußen steht ein Dorfjunge und fragt, ob er für mich wieder an der Wasserstelle Quellwasser holen solle. Er kommt etwa jeden zweiten Tag und erhält für’s Wasserholen immer ein kleines Trinkgeld. Ich gebe ihm einen Kupferkessel, und er zieht damit klappernd vom Hof. Das Mittagsgebet ertönt vom Minarett. Ganimet nimmt im Bad ihre rituellen Waschungen vor, verlangt dann einen Gebetsteppich von mir und will wissen, in welcher Richtung Mekka liegt, um ihr Gebet in die korrekte Richtung schicken zu können.

Kommt ein Muslim zu Besuch, ist es selbstverständlich, daß er sich auf Wunsch mit einem Gebetsteppich in einen ruhigen Raum zurückziehen kann. Gebetet wird mit dem Gesicht in Richtung der Kibla. Das ist eine Einlassung in der Südost-Ecke der Kaaba, dem aus dem Fernsehen allgemein bekannten „schwarzen Würfel“, dem von Abraham überkommenen Gotteshaus im Innenhof der Großen Moschee von Mekka. Auf ihrer Pilgerreise umkreisen die Muslime den „schwarzen Würfel“ in Scharen entgegen dem Uhrzeigersinn, gleich den Sternen, die die Sonne umkreisen. In dieser Kibla befindet sich ein Stein, der aus dem Paradies auf die Erde gefallen sein soll. Jeder Muslim versucht beim Umkreisen der Kaaba, mindestens ein Mal diesen vorbiblischen Meteoriten – den „heiligen schwarzen Stein“ - zu küssen oder wenigstens mit der Hand zu berühren. Für eine Berührung mit diesem Stein aus dem Paradies klettern sie sogar übereinander, um von den äußeren Reihen in die inneren Bahnen der kreisenden Pilger zu gelangen. Erwähnenswert ist an dieser Stelle, daß Meteorit auf Arabisch HADSCHAR heißt. Die Pilgerreise nennt man HADSCH. Ein Muslim, der die Pilgerreise gemacht hat, erhält vor seinem Namen den Ehrentitel HADSCHI. In Richtung genau dieses Steins beten Muslime aus aller Welt. Der Muslim in der Türkei richtet sich nach Süd-Osten aus, der Muslim in Indonesien richtet sich nach Süd-Westen aus.

Während Ganimet sich mit dem Gebetsteppich zurückgezogen hat, bringt mir der Dorfjunge den mit klarem Trinkwasser gefüllten Kessel. Heute hat es etwas länger gedauert, weil an der Wasserstelle eine beträchtliche Warteschlange anstand. Nach dem Mittagsgebet kommt Ganimet’s Mann Tahir mit meinem Mann auf die Veranda vor dem Haus. Im Schlepptau haben sie den gesuchten Murat, auf den sie vor der Moschee gestoßen sind. Hinter ihnen hinkt Meryem an ihrem Gehstock auf den Hof. Ich serviere auf dem Verandatisch aufgeschnittene Wassermelone. Murat’s Frau Meryem hat keine Zeit für Wassermelone, sie läuft gleich wieder los, um den Esel zu suchen. Ein fremder Viehhändler mit seinem Sohn gesellt sich zu uns auf die Veranda. Tahir hatte die beiden mit ins Dorf gebracht, um sie mit Murat ins Geschäft zu bringen. Der fremde Viehhändler will Murat’s komplette Schafherde aufkaufen, um sie dann gewinnbringend auf dem Viehmarkt in der Stadt weiterzuverkaufen. Auch die Neuankömmlinge bekommen Gabeln gereicht, um bei der Wassermelone zulangen zu können. Der fast taube Murat erzählt lauthals von seinem zuverlässigen Hütehund. Kürzlich seien in der Dämmerung zwei Wölfe in seine weidende Schafherde eingebrochen. Die Herde hätte sich sofort gezweiteilt. Ein Schaf hätten die beiden Wölfe von zwei Seiten an der Gurgel geschnappt. Aber sein Hund habe die Wölfe vertrieben. Er habe nämlich einen auch für Menschen kreuzgefährlichen schwarzen Rassehund, einen echten Kangal-Hund, der seine wertvolle Herde vor reißenden Wölfen in den Bergen schützt. Nun sei ihm sein guter, treuer Esel abhanden gekommen. Aber er hoffe, sein Esel sei genauso gewitzt wie der Esel aus der Geschichte mit dem Fuchs und dem Wolf. Und er erzählt genüßlich die Geschichte vom Fuchs und dem Wolf:

Es passierte eines Tages, daß ein Wolf und ein Fuchs sich anfreundeten. Als sie dann Riesenhunger bekamen, beschlossen sie, etwas Essbares zu finden. Sie pirschten hinauf auf einen Hügel und sahen von dort aus im Tal einen uralten Esel. Sie eilten ins Tal und stürzten sich auf den Esel. Der Esel flehte, man möchte ihn doch verschonen, er sei so uralt, sein Fleisch würde sowieso ganz zäh sein und ganz bestimmt nicht schmecken. Da weiter vorn im Walde würden sie schmackhaftere Nahrung finden. Der Wolf fragte den Esel, wie alt er denn sei. Ach, sagte da der Esel, das weiß ich selber nicht. Aber damals in meiner jungen Zeit haben mir die Osmanen mein Geburtsjahr ins rechte Hinterhuf geschlagen, dort müsste man es nachlesen können. Sagt der Wolf zum Fuchs, er solle doch Mal nachlesen. Sagt der Fuchs, er könne nicht lesen. Sagt der Wolf zum Esel, er solle doch Mal das rechte Hinterhuf anheben. Und als der Wolf gerade lesen will, was da steht, bekommt er einen Tritt, von dem er sich nicht mehr erholt. Ja, sagt da der Fuchs, deine Belesenheit hat dir nichts genutzt . . .

Murat schlägt sich an dieser Stelle vor Vergnügen auf die Schenkel und sagt zu dem fremden Viehhändler, sein Esel sei mindestens genauso gewitzt, er werde ihn lebend wiederfinden. Es werde ihm jedoch schwerfallen, seinen Esel mit der Herde zu verkaufen. Den Hund aber werde er mit der Herde verkaufen. Ohne Herde brauche er ihn ja nicht mehr.

Der fremde Viehhändler ist weder am Hütehund noch am Esel interessiert. Ihn interessieren nur Murat’s Schafe Es wird beinhart um den Preis der Schafe gefeilscht. Der Viehhändler aus der Stadt gibt für ein Schaf nicht mehr als 180 YTL, Murat gibt seine Schafe nicht unter einem Preis von 230 YTL her. Zwei Sturköpfe haben sich gefunden. Es kommt zu keiner Einigung. Kurz nach 15 Uhr bricht Murat zu einer zweiten Tagesweidung mit seinen Schafen auf. Der Viehhändler macht sich auf den Weg zu anderen Herdenbesitzern der Region.

Tags darauf hat Murat seinen Esel wiedergefunden. Oben in den Bergen hat er ihn wiedergefunden. Der Schlawiner ist wohl gerade brünstig und war deshalb ausgebüchst. Jetzt ist Murat wieder von Weitem hoch zu Esel inmitten seiner Schafherde zu sehen. Einen Monat später hat er seine 500 Schafe zum Preis von 210 YTL pro Schaf verkauft.


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