Читать книгу IM REICH DER SCHAFE - Ursula Özdemir - Страница 6

Teewasser aufsetzen

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Es ist ein linder Mittsommertag. Kein Lüftchen bewegt sich. Selbst der Süd-West-Wind hängt faul herum und rührt sich nicht. Nur drüben von der Wasserstelle her hallen die Schläge einer Wäschekeule und lassen die Dorfgassen im Wiederhall erbeben. Ich sitze vor dem Haus auf der Veranda und schaue gedankenverloren Nachbars Hühnern zu, die auf unserem Hof wieder Mal ihr Futterglück suchen. Dabei lausche ich den unablässigen Schlägen der Wäschekeule, die erbarmungslos auf eingeseifte Wäschestücke drischt.


Ein Traktor tuckert auf den Hof. Vom Anhänger steigt eine kunterbunte Schar quirliger Gäste herunter. Sie kommen aus dem benachbarten Dorf Samankaya. Es liegt jenseits der Weideflächen unseres Dorfes, gleich hinter der Salzschlucht. Dort hinter der Salzschlucht klettern die dicht bewohnten Erdhütten aus der Talsohle die Bergrücken hinauf, stapeln sich mit ihren Flachdächern dicht gedrängt übereinander und beleben das nach Südosten geöffnete Trichtertal gleich einem Freilichttheater. Aus diesem Hüttenstapel heraus sind nun Großtanten, Cousins, Schwiegerschwäger, Kind und Kegel und sonstige Reiselustige, die auf Hänger und Traktor Platz fanden, quer über Felder, über die weiß verkrusteten Schollen der Salzschlucht, über holpriges Felsgestein und durch wilde Wassergräben bis auf unseren Hof gerollt. Nun kommen sie über die fünf Eingangsstufen auf die Veranda unseres Hauses, streifen vor der Haustür ihre Schuhe in Reih und Glied ab und ergießen sich gleich aufkochendem Wasser ins Innere des Hauses. Die Nachricht über die Gäste aus Samankaya verbreitet sich im Dorf wie ein Lauffeuer zu beiden Seiten des Baches. Prompt setzt eine Invasion von ortsansässigen Verwandten, Nachbarn und Neugierigen ein. Die Veranda füllt sich mit Schuhen, Überschuhen und Gummilatschen. Fein säuberlich aufgereiht stehen sie vor der Haustür. Jeder weitere Besucher kann jetzt beim Abstellen seiner Globetrotter mit einem Blick erfassen, daß in den vier Räumen dieses Hauses auf jedem Sitzkissen mindestens zwei Gäste thronen. Ich schlüpfe aus dem Begrüßungstrubel in die Küche, um für die Gäste Teewasser aufzusetzen.

Der Wasservorrat in der Küche ist fast aufgebraucht. Ich schiebe den Vorhang des Küchenregals beiseite und greife zwei massive, innen mit Zink ausgewischte Kupferkessel aus dem Regal. Mit diesen Behältnissen, deren Öffnung weiter ist als die eines Wassereimers, nur ganz so tief sind sie nicht, - mit diesen Behältnissen also, eins in der rechten Hand hinter mir, eins in der linken Hand vor mir, bahne ich mir einen Weg von der Küche durch den überfüllten Innenraum des Hauses – eine Art Atrium - in den Korridor und von dort auf die Veranda, nehme mit einem perfekten Kreuzschritt die Latschenparade und falle dann lockeren Fußes die fünf Steinstufen von der Veranda hinab. Auf dem Hof steht wie ein Gast, der vor der Tür bleiben mußte, rot bis rostig der Traktor. Ungerührt erträgt er die Dorfkinder auf seiner Motorhaube, am Lenkrand, hinter sich auf dem Hänger, unter dem Hänger.


Mitten im emsigen Kletterkrabbel entdecke ich alle jüngeren Kinder von Hassan, der von allen Dorfbewohnern Wachtmeister Hassan genannt wird, weil seinen wachsamen Augen nichts entgeht. Und das ist gut so, immerhin nennt er 15 Kinder sein eigen, und da sollte er die Übersicht behalten. Der älteste Sohn von seiner ersten Frau ist inzwischen selbst Familienvater. Er lebt und arbeitet seit Jahren - wie Dutzende Männer aus diesem Dorf - in Frankreich. Gut zehn Monate im Jahr lassen sich diese Männer in einem französischen Bergdorf von der Arbeit fesseln, aber in den Sommermonaten setzt für fünf Wochen ihr Exodus zu den Strohwitwen und Kindern am heimischen Herd ein. Doch lange ehe Hassan’s Sohn nach Frankreich auszog, um das Glück zu finden, starb Wachtmeister Hassan plötzlich die Frau weg. Da stand damals der urwüchsige Bauer, von den Haarwurzeln bis in die Fußzehen Pascha, allein mit seiner gebieterischen Anspruchshaltung, die auf einmal in Irritation verpuffte. Er rappelte sich auf und beschloß, nie wieder in eine solch fatale Situation zu geraten und nahm sich gleich zwei Frauen, eine nach dem Gesetz, eine nach der Tradition. Gesetz und Tradition in der Türkei – eine zweigleisige Realität, zumindest beim Thema Ehe. Als in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Vater der Türkischen Republik, Atatürk, seinem Volk den europäischen Herrenhut als staatliche Doktrin verordnete, worauf die Fez-Fans am Bosporus teils im Schock lagen, teils auf die Barrikaden gingen, erließ er auch das Gesetz zur Einehe. Dieses Gesetz ist heutzutage in anatolischen Köpfen bewußt, denn die Standesämter in den Städten lassen die Registrierung nur einer Ehefrau zu; aber die Furchen der Tradition in den gleichen Köpfen lassen sich dadurch nicht auslöschen – die Tradition lebt gleich einem fruchtbaren Acker in Bauernrüben fort, lebt mit dem Glauben an den Koran, der dem Mann maximal vier Frauen zugesteht, sofern er sie ernähren kann.


Hassan nahm sich also zwei Frauen. Er konnte zwei Frauen ernähren. Er hatte zu der Zeit nämlich den einzigen Laden im Dorf. Eigentlich ist es kein richtiger Laden, sondern ein Wohnraum in seiner Hütte am Berghang, in dem er Waren vorhält: Kartoffeln, Melonen, Äpfel, Tomaten, Rosinen, Olivenöl, Streichhölzer, Zigaretten, Johannisbrot, Kernseife und Bonbon-Wurst, eine Zähne brechende Süßigkeit in Wurstform. Er handelt mit Vieh und Getreide. In seinem Stall hinter der Hütte stehen Milchkühe, gackern Hühner und gurgeln Truthähne. Vier Kilo Weizen von seinem Acker tauscht er z. B. gegen ein Kilo Rosinen. Fährt ein Lastwagen mit Lebensmitteln auf den Moschee-Platz des Dorfes, so kauft er vom Wagen herunter Waren ein und läßt sie von Kindern den Hang hinauf in seine Hütte tragen. Bauern können bei ihm ohne Geld einkaufen, er nimmt unter anderem Schafwolle in Zahlung, die er abwiegt und später gegen Geld in der Stadt verkauft.


Nun nimmt er drall und schlitzohrig ein Sitzkissen in einem der Gästezimmer ein, quillt über seine prallen Schenkel, wie immer ein Bein ausgestreckt, das andere untergeschlagen, und zerquetscht mit seinem Rücken die Kissen an der Wand. Seine beiden Frauen, deren Gesichter durch Haushalt, nicht endende Fruchtbarkeit, Feld- und Stallarbeit um zwanzig Jahre vorgealtert sind, glucken Seite an Seite in einem Gästezimmer nebenan, einem Empfangsraum für das weibliche Geschlecht. Bald werden sie wieder singen. Man braucht sie nur darum zu bitten, und schon heulen sie ihren weitgezogenen Singsang durch die Zähne, weitgezogen wie die Berge Anatoliens.


Die Teegläser werden für die vielen Gäste nicht reichen. Also Bewirtung in mehreren Phasen ist angesagt. Erst wird den Herren Tee serviert. Nach dem zwischenzeitlichen Abwasch werden dann die Frauen mit neu aufgebrühtem Tee bewirtet. Das ist die korrekte orientalische Reihenfolge für das Tee-Ritual bei Gläsermangel.


Ich lasse den beturnten Traktor hinter mir und trete aus dem Hoftor. Die Henkel der Kupferkessel quietschen bei jedem Schritt in ihren Aufhängungen. Oberhalb der Dorfstraße befindet sich auf einer kleinen Anhöhe die Wasserstelle für die im Umkreis lebenden Familien. Dort ragt aus einem fast mannshohen Steinquader ein kinderarmdickes Rohr, aus dem sich klares Quellwasser ergießt und auf den darunter befindlichen Beton klatscht. Von hier fließt das Wasser leicht abwärts in eine Viehtränke, deren Mauern bis hinunter zur Dorfstraße reichen. Beim Füllen der Wassergefäße muß man aufpassen, daß man nicht mit einem Fehltritt von der kleinen Betonfläche rücklings in die Tränke fällt. Der Wasser spendende Steinquader ist oben mit einer flachen Steinplatte abgedeckt. Zu seinen beiden Seiten hockt je ein kniehoher Steinblock. Meine Kupferkessel werde ich nicht so bald füllen können, denn der sprudelnde Quell ist dicht belagert. Über einem der seitlichen Steinblöcke saust eine breite Holzkeule durch die Luft, wuchtet gnadenlos in eingeseifte Wäschestücke. Ein zwölfjähriges Mädchen schwingt die Keule, mal auf eine Strickweste, mal auf ein anderes Kleidungsstück. Die ausreichend verdroschene Wäsche wringt es über dem Erdboden aus und legt sie Stück für Stück oben auf den Rand der Steinplatte. Neben den gewursteten Wäschestücken überragt ein verchromtes Tablett, das mit den größten Kuchenblechen Europas konkurrieren kann, die Steinplatte. Eine Bäuerin stapelt darauf ihre Töpfe und Pfannen, die sie gerade mit Sand ausgescheuert hat. Unablässig rückt sie dabei ihr Kopftuch zurecht, das ihr in der gebückten Anspannung ständig verrutscht. Zum Schluß wäscht sie sich Hände und Gesicht. Darunter spülen Mädchenhände flink die Seife aus soeben ausgewrungenen Wäschestücken aus. Ein anderes Weib mengt seine schwarzen Gummilatschen unter den schon doppelt genutzten Wasserstrahl. Frisch wassergetränkte Wäschestücke werden auf dem Steinblock linkerhand ausgebreitet, auf dieser Art Waschklotz mit Kernseife eingeseift und durchgewalkt. Und wieder kracht die Keule in die Wäsche, kollert mit dröhnendem Echo in die umliegenden Gehöfte. Die Herrinnen des verchromten Riesentabletts und der naß-sauberen Gummilatschen haben die Wasserstelle geräumt. Gegen eine plötzlich aufkommende Brise klettern sie in ihren Pluderhosen gleich farbenfrohen Windbeuteln auf den Berghang hinter der Wasserstelle, hinauf zu ihren Hütten. Ein grünes Samtkleid über scheckiger Pluderhose beugt sich jetzt zum Wasserstrahl. Dieser verschwindet alsbald in einem Tonkrug, füllt ihn bis zum Rand auf. Anschließend wird eine verstaubte Plasteschüssel ausgewaschen und erstrahlt wieder in leuchtendem Rot, eine Plasteschüssel vom Ausmaß eines Autoreifens. Solch große Plasteschüsseln dienen unter anderem als Unterteil der asiatischen Dusche, in das man sich hineinstellt oder –setzt, um sich aus einem gut einen Liter fassenden Henkelpott mit warmem Wasser zu überschütten, das man aus einem Bottich oder einer anderen Plasteschüssel schöpft. Ein Mädchen mit goldenen Armreifen vom Handgelenk bis hinauf zum Ellenbogen verdrängt die Madame in Samt und wäscht einen flachen Strohbesen aus.


Gedankenverloren verfolge ich das spritzige Treiben. Die Sonne prallt licht auf das Gestein des Minaretts, schlüpft warm in sein Gemäuer. Schwarz schiebt sich der Schatten des Minaretts über den Lehmboden des Dorfplatzes unterhalb der belagerten Quelle. Farbig spiegelt sich das Minarett in der Wasserlache neben der Viehtränke, schaut aus der Pfütze zu mir herüber. Unvermittelt habe ich das Bedürfnis, mich umzudrehen, ich fühle eine unerklärliche Kraft in meinem Nacken. Ich drehe mich um und entdecke mich prompt im Visier eines stechenden Augenpaars, das mich aus dem wohl frisch umgepflügten Gesicht einer knorpeligen Schrulla taxiert wie eine Kuh, deren Preis ausgehandelt werden soll. Unvermittelt durchblitzt mich eine Frage. Kann man Blicke spüren? Ich lächle verlegen und werde gefragt:

„Bist du Deutsche?“

Ich bejahe.

„Bist du Muslima?“

Ich verneine.

„Frißt du Heu?“

Ich verneine.

„Hast du eine elektrische Melkmaschine mitgebracht?“

Ich verneine.

Sie tippt mir mit dem Zeigefinger auf einen meiner entblößten Unterarme und stellt fest:

„Du bist eine ungläubige Hure. Du läufst mit nackten Armen und nacktem Hals herum. Du trägst kein Kopftuch. Du bist eine Hure.“

Das lasse ich nicht auf mir sitzen. “Das muß ein Irrtum sein“, sage ich. „Nackte Unterarme sind kein Indiz für Hurerei. In Deutschland kann ich splitternackt auf der Straße promenieren, das regt keinen Mann auf. Aber hierzulande braucht ein Weib nur einen Handwurzelknochen zu lüpfen oder sich an der Wade zu kratzen, dann werden männliche Muslime paarungswild. Nicht ich bin eine Hure, sondern Eure Männer und Söhne sind Hurenböcke.”

Das verschlägt der Knorpelschrulla die Sprache. Doch sie fängt sich wieder, stiert durch meine Perlonstrümpfe und staunt:

„Du hast ja keinen Pferdefuß?!“

“Hab‘ ich nicht”, sage ich, “aber ich kenne Teufelsweiber, die haben zwei Pferdefüße, die sie schlau unter Pluderhosen verstecken.”

„Inschallah, inschallah ......“ - entfährt es ihr, und hinter vorgehaltener Hand murmelt sie erboste Flüche. Sie trollt sich zu einem anderen Hutzelweib, das unterhalb der Viehtränke mit einem Stock gerade wild schnatternde Gänse vertreibt. Der Stock fliegt den aufgescheuchten Gänsen hinterher, und die beiden Hutzeln schieben aufgeregt ihre Runzelrüben ineinander und zischeln über die ungläubige Hure aus Deutschland. Eine Frau raunt mir zu, daß ich mich mit diesen alten Weibern nicht unterhalten solle, sie hätten den bösen Blick. Keiner im Dorf würde sie zu Neugeborenen lassen, da sie mit ihrem Blick Kinderseelen verderben würden.


Ob es mit dem bösen Blick wirklich etwas auf sich hat? Immerhin könnte sicher manch ein Lehrer bestätigen, daß ein strenger Blick im passenden Moment bei einem Schüler pädagogische Durchschlagskraft hat: Ein Warngedanke wird aus dem Auge des Lehrers in den Schüler geschossen, und plötzlich ändert der Schüler sein Verhalten infolge eines unausgesprochenen Imperativs. Handelt es sich bei dem bösen Blick vielleicht nicht um Aberglauben, sondern um Erfahrungswissen? Meine Gedanken überschlagen sich. Noch immer schaut das Minarett aus der Wasserlache zu mir herüber.


Die Schlacht um den Wasserstrahl ist abgeebbt. Über ein paar unebene Steine, die aus dem Matsch neben der Viehtränke herausragen, balanciere ich hinauf auf die schmale Betonfläche zwischen Wasserstrahl und Tränke. Ich lasse noch einen Dorfjungen aus der hohlen Hand Wasser trinken, klemme dann meine Rockschöße zwischen die “Hurenknie”, fülle endlich meine Kupferkessel und schwappe dann zurück zum Haus. Auf dem Hof wird noch immer der Traktor beturnt. Ich beschleunige meinen Schritt, auf daß mir nicht ein schmutziges Kleinkind ins mühselig erworbene Teewasser plumpst. In der Küche drehe ich den Hahn der Propangasgalone auf und stelle alsbald zwei randvoll mit Wasser gefüllte Teekessel auf die Gasflammen. Während ich auf ein Tablett Teegläser sortiere, gesellen sich Hassan’s Frauen zu mir in die Küche und gehen mir zur Hand.


Wenn ich in Berlin Tee kochen will, gehe ich ein paar Schritte von der Stube in die Küche, drehe dort den Heißwasserhahn auf und halte den Teekessel darunter. Den vollgelaufenen Teekessel stelle ich dann auf die Herdflamme und warte nur noch, bis der Teekessel pfeift.


















IM REICH DER SCHAFE

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