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Hagel und Hunde

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Heute war tagsüber schon den neunten Tag hintereinander der Strom weg. Bereits morgens nach dem Aufstehen sind die Stromleitungen tot. Erst abends gegen 19 Uhr ruckt geräuschvoll der Kühlschrank, das Telefon macht düdlüdl-düt - und der Strom ist wieder da. Um diese Zeit ist es hier in den Bergen schon dunkel. Man kann endlich wieder das Licht einschalten. Heute aber nicht so. Diesmal blieben auch nachts die Stromleitungen tot. Die Stimmen der Jugendlichen vor der Moschee sind längst verklungen. Mitternacht ist vorbei. Noch immer ist das ganze Dorf ohne Strom. Auch das Minarett ist tonlos und dunkel.

Ich sitze bei offenem Fenster und Kerzenschein am Küchentisch. Um mich herum Stille. Kein Ticken, kein Knarren, kein Lüftchen. Auch drüben am Bach der Frosch quakt heute nicht. Nicht Mal das Surren einer Fliege ist zu hören. Entweder die Fliegen schlafen, oder sie wurden erschlagen. Nur der Sternenhimmel funkelt hoch oben über den Dächern. Eine kühle Brise weht plötzlich zum Fenster herein, aber auch sie ist ganz lautlos und ebbt gleich wieder ab.

Heute Nachmittag schauten über die Baumwipfel am Dorfrand bedrohlich schwarze Wolken, schwarze Wolken mit gefährlich weißem Schimmer. Das waren Hagelwolken. Fünf Minuten später knatterte mit voller Wucht dichter Hagel in unser Dorf, als wolle er alle Hütten zusammenschlagen. Er trommelte auf die Dächer und an die Fenster der Hütten, ließ im Innersten die Befürchtung aufsteigen, man sitze in einem zerbrechlichen Knäckebrot-Haus. Es war am hellichten Tag urplötzlich stockdunkel, und über die Berge rumpelte Donnergrollen. Wenig später mengte sich ein Gewitter in den Hagelsturm und krachte mit Blitzen und Donnergetöse ins Dorf. Der Hagel scheint das Wassersystem des Dorfes aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben. In der Regel fließt hier bei Wasserknappheit zwischen 6 und 9 Uhr morgens in den Wohnhäusern Wasser aus der Leitung, dann wieder nachmittags ab etwa 16.30 Uhr bis maximal 20 Uhr. Heute kam erst um 21 Uhr Wasser aus der Leitung, sicher, weil der Dorfwächter bei dem schlechten Wetter nicht aus dem Dorf hinaus auf den Berg zum Wasserdepot waten wollte, wo der Wasserzufluß für die Wohnhäuser des Dorfes zu öffnen ist. Und die Quelle mit dem Trinkwasser neben dem Haus war zu allem Übel auch noch versiegt bzw. irgendwo verstopft. Ebenso die Trinkwasserquelle weiter unten im Dorf.

Nach dem turbulenten Wetter des Nachmittags ist es im Dorf ruhig geworden. Die Jugendlichen vor der Moschee haben längst die Glut ihrer Zigaretten ausgetreten und sich auf den Weg nach Hause gemacht. Jetzt kommt auf einmal Leben in die Stille. Auf irgendeinem Hof in der Nähe hat ein Hund angeschlagen und zerreißt die Stille der Sternennacht. Weiter entfernt antwortet ein anderer Hund. Ein heiseres Gebell in weinerlich hoher Tonlage mengt sich ein, als wolle der Hund sagen: „Das war heute wieder Mal ein beschissener Tag!“ Das Gebell pflanzt sich über die Gehöfte weiter fort ins Randgebiet des Dorfes und ebbt nach etwa 30 Minuten wieder ab. Es geht in die zweite Morgenstunde. Wasser scheint heute die ganze Nacht aus der Leitung zu fließen. Eigentlich hatte ich am Abend ja Kuchen backen wollen, aber ohne Strom bewegt sich kein Mixgerät, dreht sich kein Rührfix. Mal sehen, was der Strom heute am Tage sagen wird. Spätestens, wenn über den Lautsprecher des Minaretts wieder der Gebetsruf erschallt, weiß ich, daß sich auch mein Mixer wieder drehen wird.
























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