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Das Hostel am Ende der Welt Die Geschichte von Ivan Kitson

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Wenn ich aus den Fenstern in meinen Garten sehe, sehe ich Bananenstauden, Orangen- und Zitronenbäume. Ich weiß, dass es nicht weit ist zu den Cashewbüschen, zu den Avocados und den Mangobäumen. Ich muss nur den Hang hinuntergehen. Vor der Küche steht ein Kava-Kava. Seine Blätter haben eine heilende Wirkung, sagen die Maoris. Man kann sie zum Beispiel als Tee trinken.

Dieser Ort, das Bioshelter, das ist mein Kaitiaki. Kaitiaki, das heißt, ich bin nicht der Besitzer dieses Stück Lands – obwohl es per Gesetz mir gehört. Ein Maori-Wort sagt manchmal mehr als 1.000 Worte: Das Grundstück gehört mir nicht, ich habe nur das Privileg, hier zu wohnen, darauf aufzupassen, solange ich lebe. Dafür ernährt es mich. Als ich es zum ersten Mal betrat, wusste ich, dass es der Platz ist, an dem ich bleiben möchte. Hier fühle ich mich mit der Erde verbunden.

Es gibt einen Wasserlauf und den Wald, in dem ich wohne. Ich habe kaum etwas verändert, nur ein paar Obst- und Nussbäume hineingepflanzt – so wie es die Stämme im Amazonas tun, so wie ich es bei ihnen gelernt habe. Sie beziehen ihre Nahrung ausschließlich aus den Wäldern.

Hier also ist mein Kaitiaki, hier ist meine Basis – auch wenn man immer Reisender sein wird, hat man erst einmal damit angefangen. Aber meine Partnerin und ich wollten nach unseren Jahren in Südamerika zurück in unsere Heimat, zurück nach Neuseeland – dorthin, wo wir geboren und aufgewachsen sind. Sie war schwanger und das Kind sollte in Sicherheit und den stabilen Verhältnissen der Heimat aufwachsen, nicht in einem von den Militärs besetzten Guatemala oder dem Bolivien der 70er-Jahre. Neben der Sicherheit bot uns unsere Heimat zudem etwas, das wir in Südamerika lieben gelernt hatten: den Regenwald.

Kurzum: Durch die Reise fingen wir an, zu schätzen, was wir in der eigenen Heimat hatten, und wollten im Grunde nur noch eines: Unsere eigene wundervolle Natur beschützen und etwas gegen den Klimawandel tun. Wir hatten so viel Verschmutzung in der Welt gesehen – dreckige Meere, vermüllte Landschaften, wir waren schockiert. Zugleich hatten wir von den Völkern im Amazonas gelernt, welchen Reichtum man genießt, wenn man im Regenwald lebt – sei es in Südamerika oder eben auf unserer Seite der Welt.

Wir hatten so viel Verschmutzung in der Welt gesehen – dreckige Meere, vermüllte Landschaften, wir waren schockiert.


Aufgewachsen in Palmerston North, war ich viele Jahre vor der Reise in den Norden nach Auckland gezogen, um Architekt zu werden. An diese Karriere wollte ich nun anknüpfen, doch die Bewerbungsgespräche liefen schlecht. Die Branche hatte ein Problem damit, dass ich so lange weg gewesen war, und ich wiederum wollte raus in die Natur. Die Vorstellung, die nächsten 40 Jahre in einem Büro zu sitzen, gefiel mir nicht.

Ich fing an, in einer Baumschule auf Waiheke Island zu arbeiten, das liegt vor Auckland. Später kaufte ich auf der kleinen Insel das Stück Land und pflanzte die ersten Bäume, die mich und meine Familie einmal ernähren sollten. Am Rand des Grundstücks stand ein kleines Cottage aus Holz – vier mal fünf Meter, mit einem Wellblechdach. Darin lebten wir, während ich anfing, nach meinen eigenen Plänen das Bioshelter drum herumzubauen, einen Ort, an dem es möglich war, eng mit der Natur zusammenzuleben. Pflanzen würden darauf und darin wachsen, die uns ernähren sollten, Sauerstoff spenden, Schatten, Wärme. Die damalige Architektur weltweit war menschenfeindlich, sie schnitt die Bewohner von der Natur ab. Ich wollte eine Wohnskulptur erschaffen, die sich mit ihr verbindet. In meiner Studienzeit hatte ich an der Universität in Auckland den Künstler Friedensreich Hundertwasser als Gastdozenten gehört. Seine und meine Ideen sind sich sehr ähnlich, wir haben die gleiche Vision davon, wie »Lebensraum« aussehen sollte, und diese setzte ich um.


Die Menschen und die Kultur Lateinamerikas haben Ivan für immer geprägt. Dieses Foto, aufgenommen in La Paz, Bolivien, begleitet ihn seit den 70er-Jahren.

So lebten meine Familie und ich damals in der Hütte, während um uns herum nicht nur der Wald, sondern auch das Haus wuchs. Unser Sohn war gerade erst geboren, und später bekamen wir noch eine Tochter. Ich halte es für richtig, Kinder in diese Welt zu setzen, auch heutzutage. Auf unserem Planeten können noch viel mehr Menschen wohnen, es gibt genügend Platz für alle. Viel wichtiger ist doch, wie wir leben: wie viele Ressourcen, wie viel Platz wir verbrauchen, wie viel Müll wir produzieren, wie viel wir verschwenden. Schauen wir uns nur das große Problem mit Lebensmitteln hier in Neuseeland an: Ein Drittel davon landet im Müll!

Unseren Kindern haben meine Frau und ich versucht beizubringen, im Einklang mit der Natur zu leben – wenn auch nicht so spartanisch wie zu Beginn, als wir nur einen Gaskocher hatten, ein Plumpsklo und zum Duschen in den Schuppen gegangen sind. Unter der Woche arbeitete ich in der Baumschule, in jeder freien Stunde am Haus. Ich hatte kein Geld für Handwerker. Zu Beginn dachte ich, dass ich mehr Hilfe bekommen würde, aber so war es nicht. Also dauerte es fünf Jahre, bis das Bioshelter fertig war.

Unseren Kindern haben meine Frau und ich versucht beizubringen, im Einklang mit der Natur zu leben.

Irgendwann während dieser Jahre bekam meine Partnerin Depressionen. Ich musste mich nun auch um sie kümmern und gleichzeitig die Kinder versorgen. Das waren harte Jahre – die härtesten. Gezweifelt habe ich dennoch nie, und ich verspürte auch nicht den Wunsch, alles hinter mir zu lassen und wieder auf Reisen zu gehen. Aber ich habe mich irgendwann schon gefragt, wann das Haus endlich fertig sein wird.

Mittlerweile leben wir getrennt; schon sehr lange. Nun habe ich auch wieder Zeit und Geld, mir andere Länder anzusehen – nicht mehr für Jahre, so wie damals, nur für Monate, aber immerhin. Die Baumschule gehört mir mittlerweile, mein Sohn führt sie, wenn ich unterwegs bin. Er ist ein wahres Kind des Regenwaldes geworden.


Nicht nur im Amazonasgebiet stehen atemberaubende Bäume. Das erkannte Ivan nach seiner Rückkehr in die neuseeländische Heimat. Seitdem pflanzt er Wälder.

Und das Bioshelter? Nun, manchmal sind an einem Abend alle fünf Kontinente an meinem Esstisch versammelt. Mittlerweile ist das Haus ein Hostel; meine Kinder sind ausgezogen, und es können immerhin 15 Reisende gleichzeitig hier wohnen. Sie bringen mir die Welt nach Hause, wenn ich mal nicht unterwegs bin. Es ist wie eine große Familie mit wechselnden Mitgliedern, manche kommen immer wieder. Umgekehrt besuche ich sie auf meinen Reisen.

Wenn ich daheim bin, arbeite ich bis heute am Haus. Es gibt immer was zu tun. In diesem Jahr habe ich zusätzliche Solarzellen angebracht. Außerdem muss das Dach isoliert werden, und ich möchte im Wintergarten einen Frischwasserpool für Lobster anlegen. Think global, act local. Das habe ich auf den Reisen gelernt. Die Hummer werden ein weiterer Bestandteil meiner Ernährung sein, und ich muss schon heute das Wenigste im Supermarkt kaufen.

Gleichzeitig versuche ich, mit meiner Art zu leben, meine Gäste zu einem nachhaltigeren Lebensstil zu inspirieren – so wie mich damals die Stämme im Amazonas inspiriert haben. Manche meiner Besucher haben noch nie etwas von Mülltrennung gehört, spülen ihr Geschirr unter fließendem Wasser und verbrauchen eimerweise Seife beim Wäschewaschen. Manche sagen mir beim Abschied, dass sie von nun an versuchen wollen, in ihrer Heimat umweltbewusster zu leben. Manche kommen auch, weil sie von meinem Garten und Haus gehört haben und es sich anschauen wollen, bevor sie ihr eigenes Projekt starten.

Gleichzeitig versuche ich, mit meiner Art zu leben, meine Gäste zu einem nachhaltigeren Lebensstil zu inspirieren.

Wie ich die Natur so lieben kann und es mir gleichzeitig erlaube, zu fliegen? Nun, zum einen bin ich zuversichtlich, dass wir eines Tages in Elektroflugzeugen unterwegs sein werden. Außerdem pflanze ich jedes Jahr ehrenamtlich Hunderte von Bäumen.

Ich bin Mitglied einer Umweltgruppe auf Waiheke Island, die jährlich öffentliche Flächen des Landes bewaldet. In den vergangenen Jahrhunderten haben die europäischen Siedler rund 80 Prozent der Bäume in Neuseeland abgeholzt. Auch Waiheke hat nur noch wenige Wälder. Die Regierung hat uns Flächen zur Verfügung gestellt, die wir nun wieder aufforsten können. Das Geld dafür kommt vom Land und aus Spenden. So konnten wir allein in diesem Winter 1.700 Bäume pflanzen.

Aber das ist noch nicht alles. Nicht nur auf Waiheke werden Wälder gepflanzt, sondern im ganzen Land. Zusätzlich hat unsere Regierung eine Milliarde neuer Bäume versprochen. Vor Kurzem waren Wahlen in Neuseeland, und zum ersten Mal war dabei Umweltschutz das größte aller Themen.

Immer mehr junge Menschen reisen, und ich denke, dass Globalisierung auch das bewirken kann: den Gedanken weiterzutragen, dass wir diesen Planeten erhalten müssen. Weil er so atemberaubend schön ist.

Ivan Kitson

heute 71, Neuseeland, Architekt/Betreiber eines Hostels und einer Baumschule

vierjährige Reise durch Südamerika, seitdem immer wieder mehrere Monate weltweit unterwegs

facebook: bioshelter backpackers

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