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Berlin-Karlshorst, Sowjetische Militäradministration | 06.05 h

Ein Plauderstündchen beim Marschall. In aller Herrgottsfrühe. Das hatte sich Juri Andrejewitsch Kuragin, Major des MGB, schon immer gewünscht.

»Raus mit der Sprache, Kuragin – was führt Sie zu mir?«, gab sich Wassili Danilowitsch Sokolowski,

51-jähriger Sowjetmarschall und Oberkommandierender in Deutschland, betont jovial und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

Kuragin, knapp 20 Jahre jünger, sportlich, mit dunklem Teint und Oberlippenbart, tat sich mit einer Antwort schwer. »Schwer zu sagen, Wassili Danilowitsch«, druckste er herum. »Aber ich dachte mir, Sie sollten über das, was hier so vor sich geht, auf alle Fälle Bescheid …«

»Setzen Sie sich, mein Junge.« Sokolowski sortierte ein paar Akten, verschränkte die Hände und ließ sich in seinen gepolsterten Lehnsessel sinken. »Tee?«, fügte er mit Blick auf den Samowar hinzu, einzige Zierde in dem ansonsten schmucklosen Büro.

»Vielen Dank, Wassili Danilowitsch, aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich lieber erst mein Anliegen vorbringen«, antwortete der MGB-Offizier mit Blick auf das Stalin-Porträt, unter dem sein Vorgesetzter thronte. »Um Ihre kostbare Zeit nicht über Gebühr zu strapazieren.«

»Dann schießen Sie mal los, Kuragin«, forderte ihn Sokolowski auf, dessen goldene, mit einem fünfzackigen Stern verzierten Schulterklappen ihre Wirkung gewöhnlich nicht verfehlten. »Was führt Sie zu mir?«

»Eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit.«

»Und die wäre?«

»Uniformen, Wassili Danilowitsch. Circa ein Dutzend Uniformen aus den Beständen der Sowjetarmee.«

»Uniformen?«, flachste Sokolowski und kratzte sich mit dem Zeigefinger an der Nasenwurzel. »Wusste gar nicht, dass sich das MGB für die neueste Mode interessiert.«

»Bei allem schuldigen Respekt, Wassili Danilowitsch: Mir ist leider nicht zum Scherzen zumute.«

»Sondern?«

Kuragin rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Genosse Oberkommandierender: Laut Informationen des dafür zuständigen Unteroffiziers in Wünsdorf ist aus der dortigen Kleiderkammer rund ein Dutzend Uniformen entwendet worden. Wann genau, konnte er mir nicht sagen. Und auch nicht, von wem.«

Sokolowski seufzte gequält. »Und deswegen wollten Sie mich sprechen, Kuragin? Wegen einem Dutzend geklauter Uniformen? Kommen Sie schon, Major. Sie wissen doch selbst, wie es unseren Jungs da draußen geht. Um an Wodka, Machorka oder eine Stange Camel zu kommen, würden die doch das Allerheiligste ihrer Freundin verhökern. Kein Wunder, dass der Schwarzhandel blüht. Unter uns, Kuragin – ich kann’s ihnen nicht verdenken.«

»Ich auch nicht. Bei den paar lausigen Kopeken Sold.«

Sokolowski gab ein ungehaltenes Räuspern von sich. »Wo liegt dann das Problem?«

»Das Problem, Wassili Danilowitsch«, fügte Kuragin mit ernster Miene hinzu, »besteht darin, dass außer der Kleiderkammer anscheinend auch noch das Waffendepot dezimiert worden ist.«

Sokolowski schnellte nach vorn. »Dezimiert?«, stieß er entgeistert hervor.

»Ganz recht«, erwiderte Kuragin, runzelte die Stirn und fuhr durch das dichte schwarze Haar, dem er den Spitznamen der Kaukasier zu verdanken hatte. »Unter anderem auch …«

»Ein Dutzend Kalaschnikows?« Die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, war Sokolowski plötzlich ganz Ohr.

»Inklusive der etwa gleichen Anzahl an Tokarews, Modell SWT-40. Und jede Menge Pistolen vom Typ TT-33. Plus eine Kiste Sprengstoff. Bajonette und Handgranaten nicht zu vergessen.« Kuragin gab ein verlegenes Räuspern von sich. »Und dann noch eine nagelneue 2M-3.«

»Wie bitte – eine 2M-3?«

»Sie haben richtig gehört, Genosse Oberkommandierender.«

»Ganz schöner Flurschaden«, brummte Sokolowski vergrätzt. »Und wie erklären Sie sich das?«

Kuragin entfernte eine Staubfaser von seiner Uniform und zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen, Wassili Danilowitsch«, antwortete er. »Wie Sie bereits sagten: Es gibt Subjekte in unserer Armee, die würden für eine Stange Camel alles tun. Wenn es sein muss, sogar ihre Freundin auf den …«

»Ärgerlich ist die Sache allemal«, fiel Sokolowski dem MGB-Major rasch ins Wort. »Um nicht zu sagen suspekt. Fragt sich nur, wie derlei Saboteuren beziehungsweise kriminellen und antisowjetischen Elementen das Handwerk gelegt werden kann.«

Im Begriff, eine Antwort zu geben, wurde Kuragins Absicht durch das Läuten des Telefons durchkreuzt.

»Sokolowski – was gibt’s?« Im Büro an der Zwieseler Straße 4, Teil eines ehemaligen Offizierskasinos der Wehrmacht, kehrte schlagartig Ruhe ein. An der Miene, die der Sowjetmarschall machte, war zu erkennen, dass es sich um etwas Wichtiges handelte. Etwas, womit er nicht im Traum gerechnet hatte. Je mehr sich Sokolowskis Miene verfinsterte, umso tiefer wurden Kuragins Sorgenfalten, und der Geruch nach Bohnerwachs, Kautabak und Tee, der dem Büro anhaftete, begann dem MGB-Offizier auf den Magen zu schlagen.

»Nachrichtensperre, absolute Geheimhaltung und erhöhte Alarmbereitschaft – was denn sonst?«, bellte Sokolowski schließlich ins Telefon. »Das gibt’s doch nicht, dass vier Angehörige der Sowjetarmee einfach so verschwinden. Desertiert? Womöglich. Und wenn, werden wir es herauskriegen. Beziehungsweise das MGB. Wehe, die Amerikaner stecken dahinter, dann ist aber was los. Luftbrücke – wenn ich das Wort nur höre! Spätestens, wenn der Winter kommt, können die doch einpacken. Bilden sich ein, sie könnten uns Paroli bieten. Da haben die sich aber getäuscht. Und zwar gewaltig.« Sokolowski schäumte vor Wut. »Was? Na klar – Ausgehverbot für sämtliche Einheiten in und um Berlin. Weitere Befehle? Keine Sorge, Hauptmann, das werde ich Sie rechtzeitig wissen lassen. Ja, ja, schon gut. In Ordnung. Daswidanja.«5

»Schlechte Nachrichten?«

Sokolowski ließ einen Fluch vom Stapel, der mit zum Derbsten gehörte, was Kuragin in den vergangenen Jahren zu Ohren gekommen war, schüttelte den Kopf und starrte sekundenlang ins Leere. »Das werden Sie nicht glauben, Kuragin«, brach der Sowjetmarschall schließlich das Schweigen, krebsrot im Gesicht. »Ich frage mich, wie so etwas überhaupt möglich ist.«

»Was denn, Genosse Oberkommandierender?«

Sokolowski verkniff sich einen neuerlichen Fluch, griff nach dem Telefonhörer und erwiderte: »Sieht so aus, als bekämen Sie allerhand zu tun, mein Junge.« Und fügte beim Wählen hinzu: »So, und jetzt lassen Sie mich mal kurz allein, Herr Major. Wenn Stalin mich zur Schnecke macht, braucht das keiner mitzukriegen.«

5 dt.: auf Wiedersehen

Odessa-Komplott

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