Читать книгу Berlin! Berlin! Robin fährt nach Berlin - Uwe Lange - Страница 7

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KAPITEL 1

Einige Jahre früher…

„Robin, wo bleibst du, komm endlich runter, wir müssen los, ansonsten sind wir zu spät!“, rief Jessica laut in den ersten Stock, wo sich die Kinderzimmer der beiden Geschwister befanden.

„Ja, ja, bloß kein Stress, ich komme ja schon“, tönte es aus dem Zimmer am Ende des kurzen Ganges zurück, wo es sich Robin schon vor Jahren gemütlich gemacht hatte, als sich die Eltern ein Reihenhaus am Stadtrand kauften. Jedes der Kinder hatte damals sein eigenes kleines Reich bekommen.

„Du und Stress…“, brummelte Jessica vor sich hin, die ihr Bruderherz mehr als gut kannte und wusste, dass er von derlei Symptomen gänzlich befreit war.

In der größten Hektik des Tages bewahrte ihr drei Jahre jüngerer Bruder die Ruhe, ließ sich durch nichts aus dem seelischen Gleichgewicht bringen. Eine Eigenschaft, die die angehende Abiturientin liebend gerne besessen hätte, wie sich Jessica in stillen Momenten eingestand, ihren oft phlegmatisch wirkenden Bruder darum ein wenig beneidend.

Sie selbst erwarb schon sofort mit 18 Jahren den Führerschein, nachdem die Eltern keinen erkennbaren Interessenkonflikt zum bevorstehenden Abitur für die überragende Schülerin sahen. Nun durfte sie hin und wieder den kleinen Flitzer der Sommers nutzen, der ansonsten im Carport der Familie vorwiegend der Mutter zur Verfügung stand. Heute stand die Ausarbeitung eines Referats auf der Tagesordnung, das Jessica gemeinsam mit ihrer besten Freundin Stefanie halten sollte. Steffi wohnte in direkter Nähe zu Robins Sportplatz, so dass sich die Mitnahme zum Trainingsgelände der Sportgemeinde anbot. Endlich kam er die Treppe herunter, fast bedächtig und ohne jedes Zeichen der Eile: „Was eine Hektik heute wieder, ein alter Mann ist doch kein ICE“, ließ Robin die wartende Schwester wissen, sein Blick wies fast so etwas wie gespielte Empörung auf.

„Du und ICE…jede Bimmelbahn hat mehr Tempo als du, dir kann man beim Laufen die Schuhe besohlen“, konnte sich Jessica einen Konter nicht verkneifen. „Ich muss dich nicht zum Training mitnehmen, kannst ja laufen oder das Fahrrad nehmen, ich will pünktlich bei Steffi sein.“

„Mannomann, ihr Weiber müsst andauernd so hektisch sein, dabei sagt Papa immer, dass er die meiste Zeit seines Lebens mit dem Warten auf die Frauen verbracht habe“, zitierte der 16-jährige seinen Dad, der gerne seine Lebensweisheiten mit der Familie teilte, anstatt die ins 3-Euro-Phrasenschein zu werfen. Schnell warf sich Robin die Trainingsjacke seines Clubs über, die Geschwister schickten ihrer Mutter ins Wohnzimmer ein hastiges „Tschüss!“, schlossen die Haustür und verschwanden in die Einfahrt, wo der Polo geparkt war.

Zehn Minuten später fuhren sie an der Seite des Fußballplatzes vor, wo sich schon einige Jungs versammelt hatten, die alle sichtbar in Robins Alter waren.

„Thanks Schwesterherz fürs Mitnehmen, gut gemacht, Einparken üben wir beim nächsten Mal“, konnte sich der freche kleinere Bruder einen Kommentar nicht verkneifen, nachdem er meinte, eine vermeintliche Schwachstelle bei Jessicas Fahrkünsten ausgemacht zu haben.

Die schnaufte sichtlich verächtlich, um dann prompt die Retourkutsche zu fahren: „Erst drei Haare am Sack, aber eine große Klappe…“, rief Jessica ihrem Bruder hinterher, der aber schon längst bei den Mitspielern gelandet war und dort lautstark begrüßt wurde. Während Jessica den Polo wendete, um zu ihrer Freundin zu fahren, fiel das ´Hallo´ mit den Jungs eher unsportlich aus: „Hast du schon Mathe gemacht, ich habe da überhaupt keinen Plan?“, wollte Verteidiger Erkan von seinem Kapitän wissen.

„Haben wir denn was in Mathe auf?“, kam sofort die Replik zur Frage des Freundes, der mit Robin gemeinsam das örtliche Gymnasium besuchte.

„Logo, der Müller-Herrmann hat uns doch noch die Aufgaben 1-3 aufgegeben, wo warst du da wieder mit deinen Gedanken?“, schüttelte Erkan ungläubig sein dunkles Haupt, hinter den langen Locken verschwand für Sekunden das Gesicht des Freundes.

„Na gut Alter, dann eben nach dem Training. Muss nochmal gucken, rufe dich an, falls ich die Lösung finde!“, zog Robin ein kurzes Zwischenfazit zum Thema, wohlwissend dass es dank seiner Schwester immer eine Antwort zu den diversen schulischen Themen gab.

„Eure Sorgen möchte ich haben“, sagte da Eddi, der Torhüter des Teams, „was bin ich froh, dass ich aus der Anstalt raus bin.“

Eddi hatte die Schule im Sommer beendet, eine Lehre zum Schreiner begonnen, was seinem handwerklichen Geschick besonders entgegenkam. Er kam aus einfachsten sozialen Verhältnissen, seine Eltern hatte man nur einmal bei einem Vereinsfest auf dem Sportplatz gesehen, Robin stufte danach den Vater als Trinker ein, die Mutter bedachte er mit einem Ausdruck, den selbst er für nicht hoffähig erachtete und runterschluckte.

Eddi, den alle nur ´Manu´ nannten, da sein großes Vorbild der Torwart des FC Bayern München Neuer war, hatte von der Erbmasse seiner Erzeuger wenig mitbekommen, entpuppte sich stets als dufter Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte und der immer für andere da war.

Dazu war er noch ein glänzender Torhüter, hatte Hände groß wie Pfannen, konnte an einem guten Tag ein Spiel alleine entscheiden.

„Mach bloß die Zigarette vor dem Training aus, Manu, wenn dich der Coach sieht, bist du raus für das Spiel am Wochenende“, ermahnte Robin seinen Goalie, wohlwissend um die Konsequenz seines Trainers in gewissen Situationen.

Ihren Übungsleiter kannten die meisten der Jungs von Kindheitsbeinen an, er löste seinerzeit den ersten Trainer der Jungs ab, den es aus beruflichen Gründen an einen anderen Standort gezogen hatte. Als Vater eines spielenden Jungen gab der sich stets große Mühe die Kleinen zu begeistern, was ihm auch gelang, zumal das Team Talent zeigte, erste Erfolge feierte.

Doch der viel betrauerte Weggang des Trainers ebnete dem Club die Chance, für seine talentierten Spieler einen neuen Coach zu suchen. „Der noch mehr aus dem Kader machen kann, da er selbst schon in höheren Gefilden gegen das Leder getreten hat“, wie der Jugendleiter des Vereins Tim Hofmann den fragenden Eltern beim Sprechtag erklärt hatte.

Mit Bernd Lohr stellte sich den Verantwortlichen ein Mann vor, der es bis in die Dritte Liga geschafft hatte, durch eine Verletzung am Kreuzband aber um höhere Aufgaben gebracht wurde.

Das frühe und unerwartete Ende seiner Karriere wusste Lohr jedoch zu nutzen, indem er

die notwendigen Trainerscheine in Angriff nahm:

„Ich brauche den Duft des Rasens, ich brauche diesen Sport, ich brauche den Fußball“, erklärte er dazu seiner Gattin Jutta, die eigentlich hoffte, ihren Mann an den Wochenenden wieder mehr für die Familie zu gewinnen.

Er machte schnell die wichtigsten Scheine, mit dem B-Schein als Lehrgangsbester in Grünberg war seine Karriere und die Rückkehr in den Profibereich eigentlich vorprogrammiert.

„Und Sie wollen wirklich unsere Jugend übernehmen?“, zeigte sich Jugendleiter Hofmann sichtlich überrascht, als der Mann mit den prima Referenzen ihm gegenübersaß. „Sie sind doch überqualifiziert!“

„Das sehe ich etwas anders, denn für mich ist es wichtiger, dass Kinder eine gute Ausbildung haben, dementsprechend sollten die besten Trainer im Nachwuchsbereich tätig sein. In einer Bundesliga-Mannschaft können alle kicken. Da geht es mehr darum, die Herren Millionäre bei Laune zu halten, die zu bespaßen, sie auf dem Erfolgsweg als Motivator zu begleiten.“

Hofmann erstaunten diese Worte des Dreißigjährigen, die offene Art des ex-Profis imponierte ihm. Das Gesagte wirkte glaubwürdig, denn der Mann im saloppen Poloshirt vermittelte einen durchweg authentischen Eindruck. „Ihnen ist schon klar, dass wir kein Riesenhonorar werden zahlen können, ein Engagement im Seniorenbereich sicherlich lukrativer ist?“, legte der Jugendleiter von selbst einen Finger in eine mögliche offene Wunde.

„Das ist mir bewusst, aber ich möchte auch etwas zurückgeben was mir in den jungen Jahren widerfahren ist, als ich in etwa so alt war wie die Jungs heute. Ich kam nie auf dumme Gedanken, nach den Hausaufgaben ging es direkt auf den Bolzplatz mit den Kumpels, bis es dunkel wurde. Mein Vereinstrainer war ein ehemaliger Nationalspieler, der uns mit väterlicher Härte und Fürsorge die Grundlagen des Fußballs vermittelte. Ich habe mich nie für Zigaretten, Alkohol oder gar Drogen interessiert, denn das wäre der K.o. für das nächste Spiel gewesen, auf dass ich mich wie die anderen die ganze Woche über freute.“

Diese Worte hatte Robin nun im Ohr, als er ´Manu´ bat, seine angezündete Kippe zu löschen, damit der rauchende Torhüter nicht erwischt und bestraft würde.

Denn bei seiner Vorstellung als neuer Trainer für das Team trug Lohr den versammelten Jungs ebenfalls den letzten Satz seiner Bewerbung vor, erklärte ihnen schon damals unmissverständlich seine Philosophie.

Die ersten Jahre war das natürlich auch kein Problem für die lauschenden Knirpse, aber mit dem Stimmbruch und der Pubertät kam auch das Interesse an den vermeintlich schönen Dingen des Lebens und da waren fast unvermeidlich das Rauchen, ein gutes Bier oder die Mädels ein Thema.

Die Spieler hatten sich aber intern darauf geeinigt, dass man sich zumindest an den Trainings- und Spieltagen auf das Notwendigste beschränken wolle, um die gemeinsamen Ziele nicht zu gefährden. Die Definition des Notwendigsten war dann aber bei den jungen Akteuren eher unterschiedlich, denn während Eddi eine letzte Kippe vor dem Training als Motivation sah, war es für Robin klar, dies nur - wenn überhaupt - auf den Partys zu tun, zu denen oft geladen wurde.

„Ich habe ja als Kapitän auch eine gewisse Vorbildfunktion“, erklärte er seinem grinsenden Vater auf dessen Nachfrage, zumal der selbst ein überzeugter Nichtraucher war.

Dad Sommer verbat aber seinen beiden Großen nie, über die in seinen Augen ´unsinnigen Dinge´ wie Zigaretten oder Alkohol selbst zu entscheiden, damit Erfahrungen zu sammeln. „Die müssen das selbst merken, und Heimlichtuerei und das übliche Versteckspiel mag ich überhaupt nicht“, musste er seiner Frau die gelebte Strategie erklären, als die ob der ´langen Leine´ etwas verständnislos den Kopf schüttelte.

Eddi blickte seinen Spielführer kurz an, drückte die Kippe dann am Straßenrand aus, entsorgte sie im dort positionierten Abfallbehälter. „Hast ja recht, du kleiner Moralapostel, bin schon fertig für heute, schwöre“, hob der Torwart die rechte Hand und mit ihr drei Finger, grinste aber etwas zu frech in Richtung des Mahnenden. Dessen zuckende Augenbraune drückte erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des letzten Satzes aus.

„Auf, wir gehen jetzt rein, der Coach ist bestimmt wie immer schon längst da, wird in der Kabine auf uns warten“, gab Robin fast im Befehlston die nächste Anweisung, während die Mitspieler wie eine Herde Schafe hinterher trotteten.

In der Kabine gab es wie immer ein großes ´Hallo´, ein halbes Dutzend anderer Jungs war schon längst da, einige von ihnen bereits teilweise umgezogen, andere fingen nach der ausgiebigen Begrüßung damit an. Seit einiger Zeit begrüßten sich die Spieler per Handschlag oder klatschten sich zumindest ab, nachdem der Trainer dies mit der Begründung „Ihr seid ja jetzt schon fast erwachsen“, einführte. Die meisten der Jungs fanden das cool, bei einigen schwoll der Brustkorb förmlich, andere wiederum fanden es hingegen albern, als Kompromiss wurde ein Abklatschen daraus.

Als Robin seinen Freund Patrick begrüßte, der in der Grundschule noch sein Sitznachbar gewesen war, jetzt aber auf der Realschule der Mittleren Reife entgegen fieberte, fiel ihm bei der Begrüßung die erste Begegnung mit ihrem neuen Trainer ein, nachdem der die Zusage zur Übernahme des Teams gab: „Mein Name ist Bernd Lohr, ich werde ab heute euer Trainer sein und freue mich riesig mit euch Fußballspielen zu dürfen. Mein Ziel ist es, unheimlich viel Spaß zu haben, damit ihr euch auf jedes Training und Spiel freut. Natürlich macht Gewinnen mehr Spaß, dafür werden wir viel trainieren. Ich wünsche mir eine Mannschaft, die nicht nur auf dem Sportplatz als Team auftritt, sondern auch abseits des Rasens. Wenn ihr Fragen habt, stellt sie, es gibt für mich keine dummen Fragen, ich versuche jede gut und ehrlich zu beantworten, also traut euch!“, sagte der Neue mit einem Lächeln im Gesicht, dass die Kids sofort sympathisch fanden.

„Ach ja, ihr könnt mich Bernd oder Herr Lohr, Coach oder Trainer nennen, ob nun im Sie oder dem Du, das ist mir echt egal. Ich erwarte dies aber immer in einem stets respektvollen Ton, mir fällt sofort auf, sollte das einmal anders sein. Ich bin über 20 Jahre älter als ihr, vergesst das bitte nicht, dann werden wir eine großartige Zeit miteinander verbringen“.

Diese klaren Worte hatten Robin damals unheimlich beeindruckt, er hatte sich dann für die Ansprache „Trainer“ entschieden, die Du-Form rutschte ihm oft heraus, zumal die Beziehung zu seinem Förderer oftmals väterliche Züge annahm.

„Hallo ihr Granaten, alle fit, habt ihr Bock auf Kicken oder wollen wir lieber Laufen gehen?“, kam Lohr um die Ecke gebogen, stellte die mehr als rhetorische Frage.

„Ne, oder?“, ließ Sven als Erster seine dezente Abneigung gegenüber den alternativen Plänen seines Trainers wissen.

„Svenne, mein Liebling“, kam Erkan aus dem Hintergrund zu Worte, “auf welchem Kabel parkst du gerade, der Coach will uns doch nur veräppeln. Heute ist doch Abschlusstraining, da stehen immer taktische Übungen und ein Spiel im Mittelpunkt“, lachte der Vorstopper seinen Kameraden aus.

„Echt jetzt? Na, dann ist ja gut“, atmete Sven sichtlich erleichtert durch, der nicht gerade zu den Laufwundern im Kader gehörte, aber mit einer feinen Technik glänzte.

Erkan hingegen war schnell, ein knallharter Innenverteidiger, der immer ein paar Kilo zu viel mit sich herumschleppte, da er seine türkischen Wurzeln und deren gute Küche nie verleugnen konnte. Besonders die Süßspeisen seiner Mutter liebte er, sie kochte weiterhin grandios nach den heimatlichen Rezepten.

Die Firats lebten in der dritten Generation in Deutschland, hatten den Spagat zwischen mitgebrachter Kultur und deutschen Gewohnheiten schnell gefunden, die drei Kinder der Familie sprachen alle akzentfrei Deutsch und besuchten höhere Schulen. Erkans älterer Bruder studierte Jura an der Uni, ein Ziel, das auch Erkan verfolgte und dessen Erreichen ihm jeder zutraute.

Er war einer der fünf Jungs, die vom ersten Tag an im Team waren, seitdem die Jugendleitung eine Bambini-Mannschaft ins Leben gerufen hatte. Die meisten der zunächst acht Minikicker fanden über eine Anzeige des Clubs im Lokalblättchen den Weg an die Sportanlage am Wald. Sie waren zumeist zwischen vier und fünf Jahre jung, aber für jeden von ihnen war der Ball das Tollste, was es zu bewegen galt. Jetzt sollte der erste Schritt folgen: Die Übungen unter einem richtigen Trainer, mit ihm und Gleichgesinnten gleich zweimal in der Woche eine Stunde zu verbringen.

Das war nun ein paar Jahre her, heute trafen sich die inzwischen jugendlichen Kicker mindestens dreimal pro Woche, in der Vorbereitung nach der Sommerpause sogar ein viertes Mal an einem Tag des Wochenendes.

„Kick mir mal die Pille rüber“, sagte dann auch Erkan zu Robin, mit dem er die Aufwärmübungen bestritt, die immer zwei Akteure gemeinsam machten. Der Ball stand stets im Mittelpunkt der Übungen, was der Trainer von Anfang an durchzog, selbst wenn die Einheiten der Fitness und Ausdauer dienten. So wurde im Prinzip auch schon Kondition gebolzt, nur eben unter dem Deckmäntelchen des Ballspiels.

„Hast du die kleine Blonde da draußen gesehen, die zu uns rüber schaut?“, spielte Robin fragend den Ball mit der Innenseite seinem alten Kumpel zu, ohne dabei zwei Mädchen am Spielfeldrand aus den Augen zu lassen. Die beiden Teenies waren seit einigen Wochen fast immer bei den Trainingseinheiten anwesend, saßen zumeist kichernd auf der Bank, die an den Spieltagen die Gäste belegten.

„Ich finde ihre Freundin eher krasser, die hat so was…“, ließ die Antwort von Erkan nicht lange auf sich warten.

„Weiß, was du meinst, Alter, die ist schon ganz gut gebaut, hat schon einen recht ordentlichen…!“

„…und falls die Herren Jungstars sich wieder auf die wichtigen Dinge des Trainings beschränken würden, wäre es mir eine große Freude“, unterbrach Robin die Stimme seines Coaches, der ihren Blicken schon geraume Zeit schmunzelnd gefolgt war, sich an seine Tage der Pubertät erinnert fühlte.

„Mannomann, hier ist ja null erlaubt“, flüsterte Robin seinem Kumpel zu, der gerade die Augen niederschlug, sich ebenso ertappt fühlte.

„Wir passen uns jetzt in der Bewegung die Bälle zu, wechseln dabei aber die Position, tauschen mit dem jeweiligen Mitspieler die Seite“, kam die nächste Anweisung von Lohr präzise wie immer, holte er seine Schützlinge wieder in den fußballerischen Alltag ab.

90 Minuten dauerten die Einheiten im Schnitt, sie waren stets abwechslungsreich und nie monoton, oft baute der Trainer eine Überraschung für seine jungen Kicker ein. Lohr hatte sich während seiner Trainerausbildung auch bei anderen Sportarten umgeschaut, deren Abläufe studiert und speziell aus den Bereichen Handball und Basketball einiges übernommen. Die Übungen modifizierte er dann für den Fußball, ihm ging es besonders darum, seine Spieler mit ungewohnten und neuen Situationen zu konfrontieren, um dann deren Lösungsansätze und den Umgang damit zu sehen.

Das war seinen Kids zwar nicht in dieser Form bewusst, die hatten einfach nur ihren Spaß mit dem daraus entstehenden Chaos, das sich nach einiger Zeit in Wohlgefallen und mit vielen Lachern auflöste. Lohr erkannte an den gestellten Aufgaben und Spielsituationen die Möglichkeiten und Fähigkeiten seiner Zöglinge, wollte einen Aufschluss erhalten, welche Position für den einzelnen Jungen die optimalste sei.

Zwei Monate hatte er dafür sogar bei einem Bundesligisten des American Football hospitiert, jeder deren Einheiten an der Seite des Headcoaches beigewohnt.

„Ich finde für jeden meiner Spieler eine Position, wo der seine Stärken ausspielen kann und ihm nicht andauernd seine Schwächen vorgeführt werden“, erklärte der Deutsch-Amerikaner dem interessierten Football-Laien, der an der Aussage aber sogleich viel Gefallen fand. „Wäre doch absurd, einen 135-kg Mann als Läufer und Passempfänger zu nutzen, wo ihm nach kurzer erfolgloser Zeit der Spaß am Ei genommen wird“, führte der seine Strategie weiter aus. „Der kann aber in der Defensive einen tollen Job machen, wo es auf Kraft, Spielverständnis und Ausdauer ankommt.“

Lohr verstand nach diesem Ausflug in die Welt des ellipsenförmigen Eis dessen Philosophie besser, übernahm die auch für sich. Er versuchte danach noch mehr an den Stärken des Einzelnen zu arbeiten, dabei kleine Erfolgserlebnisse herzustellen.

Bei Robin beobachte er während der fußballfremden Übungen stets, dass der immer zunächst eine kleine Distanz aufbaute, um von dort zu schauen, wie es andere machten oder sich eine Sache entwickelte. Die meisten Jungs stürzten sich dagegen oft in die Sache ohne eine Sekunde des Nachdenkens, mögliche Konsequenzen waren für sie unspannend, das Erlebnis - ob nun mit positivem oder negativem Ausgang - war ihnen viel wichtiger.

Hatte Robin jedoch dieses Stadium des Studierens überwunden, analysierte er die Situation zügig und präsentierte immer eine Lösung, die für das Ganze erfolgversprechend aussah. Lohr stufte dies als nicht erlernbaren Instinkt ein, den es zu beobachten galt.

So versetzte der Trainer in den wöchentlichen Einheiten den gelernten Stürmer des Öfteren ins Mittelfeld, beobachtete dort dessen Entwicklung in der ungewohnten Position.

Robin war, wie fast zu erwarten, nicht sonderlich glücklich mit der Aufgabe. Zumal er als Torjäger mehr im Fokus stand, während er die Arbeit in der Zentrale stets für sich eher als Drecksarbeit definierte. Außerdem vermisste er schnell den häufigen Torjubel um seine Person.

Lohr suchte dann auch bald das Gespräch mit seinem sichtlich frustrierten Jung-Star, um ihm seine Überlegungen näher zu bringen: „Du hast eine Gabe, die nicht jeder hat, du kannst ein Spiel lesen und fast noch wichtiger: Du ziehst deine Schlüsse daraus, ohne jedoch egoistisch zu sein“, eröffnete der Trainer das Gespräch, als beide sich zu einer Cola nach dem Training im Vereinshaus trafen.

„Ich schieße aber viel lieber Tore, das finde ich geiler…“, kam postwendend die Antwort des damals Zwölfjährigen.

„Das kann ich nachvollziehen, ich verstehe dich absolut“, zeigte Lohr sofort Verständnis, „die sollst du auch weiterhin für uns schießen, wenn auch in etwas anderer Funktion!“, machte der Trainer weiterhin Werbung für seine Idee. „Robin, wir wissen beide, dass du zwar nicht der schnellste Spieler im Kader bist, sondern von deinen technischen Fähigkeiten, deinem Willen und deinem Instinkt lebst. Unser System definiert sich aber durch ein schnelles Flügelspiel über die beiden Außen, das Tempo wird von Jahr zu Jahr zunehmend höher. Die besseren Ligen spielen das alle schon so, versuchen über blitzartige Konter im Umschaltspiel die Partien zu entscheiden.“

„Das begreife ich schon, Coach, aber ich trainiere doch so hart, bekomme ich das nicht noch hin?“, wollte Robin nicht so einfach aufgeben, blickte seinen Gegenüber fast hilfesuchend an.

„Wir werden das auch weiterhin trainieren und mit Sicherheit noch verbessern, aber ob wir eine fehlende Grundschnelligkeit komplett wegtrainieren können, da fehlt mir heute der Glaube, da will ich ehrlich sein mit dir“, bezog Lohr klare Position zu seiner Idee, erzählte seinem Spielführer dann die Erlebnisse aus dem Football-Camp.

„Da bin ich bei dir, mein Dad geht mit unserer Familie mindestens einmal pro Saison zu den Footballern ins Stadion, die sind echt cool, obwohl da einige richtig fett sind“, zauberte die Erinnerung an die Besuche in der großen Arena ein Lächeln ins Gesicht des verkappten Spielmachers.

„Lass uns den Versuch mit der Umstellung einfach in der Saisonvorbereitung starten und üben, wir schauen ob es dir dann Spaß macht. Ich bin mir aber ziemlich sicher, da du viel mehr Ballkontakte als in der Spitze haben wirst, du somit viel für den Erfolg des Teams tun kannst“, gab Lohr das Fazit des Gespräches wieder.

Berlin! Berlin! Robin fährt nach Berlin

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