Читать книгу Berlin! Berlin! Robin fährt nach Berlin - Uwe Lange - Страница 8

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KAPITEL 2

Das Gespräch lag nun mehr als drei Jahre zurück, nach der Sommerpause wurde Robin in den zentralen Bereich des Mittelfeldes zurückbeordert, versuchte sich mit der neuen Aufgabe anzufreunden. Von Woche zu Woche fand er sich mit der ungewohnten Position besser zurecht, instinktiv machte er viele Dinge richtig, zumal der Ball, wenn erstmal in seinen Füßen gelandet, nie sein Feind war. In den Freundschaftsspielen bis zum Start der neuen Spielzeit ließ ihn der Trainer stets durchspielen, obwohl in diesen Klassen das ständige Wechseln üblicherweise erlaubt und an der Tagesordnung war. Schon während der ersten Partie hatte Lohr in sich hinein geschmunzelt, als er die Umsetzung seiner Idee auf dem grünen Rasen sah.

„War nicht so schlecht“, lobte er Robin, als der nach dem 4:1-Sieg mit ihm vom Feld lief. Gleich drei Tore hatte der Mittelfeld-Neuling mit klugen Pässen vorbereitet, als er das Passspiel des Gegners früh störte und sofort den Gegenstoß einleitete, dabei die Lücken der Abwehr erkannte und nutzte.

„Naja, ein Tor habe ich nicht geschossen, wäre cool gewesen!“, wusste der Gelobte nicht so wirklich mit der positiven Kritik umzugehen.

„Das wird auch noch kommen, die Torgefährlichkeit, die dich auszeichnet, wirst du ja deswegen nicht verlieren“, ließ Lohr keinen Zweifel an der baldigen Fortsetzung des Konzepts erkennen.

Ihm war während der Partie auch die Abwehrstärke des Jungen bewusst geworden, der viele brenzlige Situationen rechtzeitig erkannte und die aufkommenden Brände mit gekonntem Einsatz löschte. Robins gutes Tackling war auffällig, mit einem Foulspiel musste er sich ganz selten helfen, meistens war er mit der Fußspitze vor seinem Gegenüber am Ball, obwohl der über mehr Geschwindigkeit in der Bewegung verfügte.

Für Robins Entscheidung, es weiterhin im Mittelfeld zu versuchen, spielte auch die Meinung seines Großvaters eine gewichtige Rolle. Der saß bei fast jedem Heimspiel seines Enkels auf einer Bank, die auf dem kleinen Hügel nahe der Eckfahne positioniert war und einen guten Blick auf das Spielfeld bot. Dort hielt sich der Opa bis zum Abpfiff auf, bis Robin auf dem Weg zum Duschen kurz bei ihm vorbeischaute, um ihn noch zu verabschieden.

„Gut gemacht, mein Großer, so stark habe ich dich noch nie gesehen“, fiel das Lob des ansonsten eher ruhigen Seniors recht üppig aus. Robin war sichtlich überrascht, denn sein Opa war oft auch sein schärfster Kritiker. Ohne ihn zu verletzen, nannte er die positiven Dinge aber auch Fehlleistungen unverblümt beim Namen, was sein durchaus selbstkritischer Enkel dann zumeist nur bejahen konnte.

„Echt jetzt, meinst du wirklich?“, antwortete der Junior etwas verblüfft dem Großvater, der selbst einst ein großartiger Sportler gewesen sein musste, wie ihm sein Vater oft erzählte. Eine schwere Beinverletzung beim Handball hatte die hoffnungsvolle Karriere des Auswahlspielers jäh und viel zu früh beendet, ihn nun zum interessierten Zuschauer aller Sportarten gemacht. „Echt jetzt, ohne Wenn und Aber“, ließ der Opa keinen Zweifel an der Aussage aufkommen, was fast einem kleinen Ritterschlag glich.

„Ich geh dann mal duschen, wir sehen uns ja morgen beim Mittagessen. Grüß mir die Oma!“, beendete der schwitzende Mittelfeldspieler das Gespräch, drückte seinen Großvater kurz an sich und verschwand in der Kabine, wo Robin schon von seinen Mitspielern erwartet wurde.

Nach dieser gelungenen Premiere beließ es Lohr auch in den nächsten Begegnungen bei der geänderten Grundaufstellung. Robin versuchte sein Spiel zu verbessern, was ihm auch zusehends von Match zu Match gelang. Lohr gefiel die gewachsene Stabilität im Abwehrverbund, ohne dass sein Angriff dadurch schwächer geworden war. Das Spielsystem des Teams zeigte eine neue Flexibilität, war von den Gegnern schwerer auszurechnen, was sich auch in weiteren positiven Ergebnissen ausdrückte.

Am dritten Spieltag gab es ein weiteres Debüt für das Team von Lohr, denn Mitte der zweiten Halbzeit gab es Elfmeter für die Truppe in Blau. Ihr Mittelstürmer kam im Strafraum zu Fall, nachdem der Verteidiger ihm unsanft in die Parade gefahren war. Genauso schnell wie der Unparteiische auf den Punkt deutete, hatte der Trainer den Schützen für den Strafstoß auserkoren:

„Robin, dein Job!“, lautete die kurze und knackige Arbeitsanweisung für den Mittelfeldmotor. Bis dahin war die Benennung des Schützen eher willkürlich gewesen, der Trainer ließ sich von seinen Spieltags-Eindrücken leiten, handelte dabei stets nach seinem Bauchgefühl, ohne bereits auf einen Schützen festgelegt zu sein.

Robin war kurz überrascht über die Aufforderung, nahm sich dann aber kommentarlos die Lederkugel und legte sie in aller Ruhe auf den ominösen Punkt. Ein paar Schritte ging es zurück, erst einmal tief Luft geholt, ein erneuter Blick auf den Ball, die Locke aus der Stirn geblasen und nach einem kurzen trippelnden Anlauf trat Robin gegen das Leder. Knapp neben dem rechten Pfosten schlug der Ball, den er mit der Innenseite präzise und wuchtig getreten hatte, zum 2:1 für seine Farben ein. Der Torhüter der Gäste schüttelte resignierend den Kopf, er besaß nicht den Hauch einer Chance, obwohl er sich für die richtige Ecke entschieden hatte.

Während seine Jungs Robin zum Torerfolg gratulierten, strahlte der über alle Ohren, schließlich war es sein erster Saisontreffer seit einer gefühlten Ewigkeit. Den knappen Vorsprung verteidigten die Blauen bis zum Schlusspfiff gegen das Team, das ihnen noch im Vorjahr zwei klare Niederlagen beschert hatte.

„War das als eine Art Dankeschön gedacht, weil ich jetzt im Mittelfeld spiele?“, war Robins erste Frage an seinen Trainer in der Kabine.

„Nö, so sentimental bin ich, zumal bei einem engen und unentschiedenen Spielstand, dann doch nicht“, ließ Lohr seinen Torschützen wissen. „Mir war nur klar, dass du den heute reinmachst.“

„Echt jetzt? Ich war mir selbst nicht so ganz sicher, hatte aber auch kaum Zeit zum Nachdenken“, war der etwas verblüfft über den Vertrauensbeweis.

„Weshalb? Du weißt doch wo das Tor steht, hast genug Selbstvertrauen und vor allem eine Bierruhe, auch wenn du nur Cola trinkst!“, lachte der Trainer seinen etwas mit Selbstzweifeln behafteten Vollstrecker an. „Und damit du dich nun etwas besser auf solche Situationen vorbereiten kannst: Du bleibst ab sofort der Elfer-Schütze Nummer Eins bei uns. Das gilt auch dann, wenn du mal einen in den Himmel jagst“, beendete Lohr den Ansatz einer Diskussion im Keim.

Noch dreimal sollte es in dieser Spielzeit zu einer Strafstoßsituation zugunsten des Teams um Robin kommen, der jedes Mal eiskalt nach demselben Muster vollstreckte. Immer mit der Innenseite, immer knapp neben dem Pfosten, immer wuchtig kurz und flach über der Grasnarbe.

Die Jungs spielten eine gute Saison, rückten näher an die Spitzenteams heran, auch wenn es immer wieder kleinere Rückschläge gab, da ihnen noch eine gewisse Konstanz fehlte. Nur einen Punkt hinter dem Vizemeister bogen sie auf die Zielgerade ein, obwohl sie der jüngere Jahrgang waren. Die meisten Teams in ihrer Gruppe waren ein Jahr älter und traten damit auch körperlicher auf. Robin fand inzwischen Gefallen an der neuen Herausforderung: Das Mehr an Aufgaben und der häufigere Ballbesitz beseitigten seine anfängliche Skepsis, zumal der Erfolg des Teams auch seinen Spaß noch einmal erhöhte.

Die kommenden beiden Spielzeiten verliefen ähnlich, das Team von Coach Lohr war immer in der Spitzengruppe zu finden, schlechter als Rang drei war man nie in der Tabelle. Zum ganz großen Sprung an die Spitze fehlte der Mannschaft jedoch die Ausgeglichenheit im Kader. Einige Akteure verließen dann auch noch das Team, wendeten sich anderen Sportarten zu oder entdeckten neue Interessen für sich, die das Zeitfenster für Fußball zu sehr einschränkten.

Robin bedauerte besonders den Abgang seines Kumpels Karsten, der auch eins der Kids der ersten Stunde war, sich aber nun mehr dem Tennissport zu widmen gedachte. Karsten war ein Allround-Talent, in jeder Sportart stand er seinen Mann, ob nun Basketball, Leichtathletik oder Schwimmen auf dem Programm standen. Er sah auch auf allen Positionen im Fußball gut aus, war für seinen Coach somit fast unersetzlich. Selbst im Tor machte er eine gute Figur, als sich Goalie Eddi einmal während einer Partie verletzte und danach nicht weitermachen konnte. „Gib mir deine Handschuhe, das rocken wir schon“, hatte Karsten zu Eddi gesagt, nicht lange gezögert und war ins Tor gegangen, um dort eine einwandfreie Leistung zu bringen. Er rettete mit Glück und Geschick, vor allem aber ohne Gegentor, den knappen Vorsprung über die Zeit.

Dass Karsten für sich die richtige Entscheidung getroffen hatte, sollte sich Jahre später zeigen, als er in seiner Altersklasse sogar Hessenmeister wurde. Wenn es ging, kam er jedoch zu den Matches seiner Freunde, half oft am Spielfeldrand mit Tipps, guten Worten und kühlen Getränken.

Bei einigen Jungs war die Pubertät eingetreten, was sich nicht nur im Stimmbruch, einem dezenten Bartwuchs oder den ersten Muskeln andeutete. Auch Robin machte im Wachstum einen mächtigen Sprung, was seine Mutter abends dem Vater mit einem kleinen Seufzer der Verzweiflung mitteilte:

„Ich kann alle vier Wochen neue Hosen für Robin kaufen, dem kannst du beim Wachsen förmlich zuschauen“, begründete sie die gestiegenen Ausgaben der letzten Zeit kopfschüttelnd. Aus dem kleinen, schmalen Robin war binnen kurzer Zeit ein richtiger Brocken geworden, die einst so dünnen Beinchen waren jetzt muskulös und kräftig. „Du hast ja auch Stelzen wie ein Storch die Krampfadern“, hatte ihm einst sein ehemaliger Trainer von den Bambinis bei einer Schussübung lachend zugerufen, als ein Schussversuch aus gut 20 Metern mangels Kraft und Wucht aus den Beinen kurz vor dem Kasten einfach liegen blieb.

Robin selbst spürte die Veränderungen massiv, alles was ihm lange so leichtgefallen war, entpuppte sich plötzlich von heute auf morgen als echte Aufgabe. Sein Passspiel war ungenauer geworden, das Timing zudem schlechter, viele seiner gut gemeinten Standards verpufften, obwohl die Ansätze zu erkennen waren.

„Deine Motorik hat sich total verändert“, klärte ihn sein Trainer auf, als er den nach einem schwachen Spiel auf seine plötzlichen Defizite ansprach.

„Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich wie spielen soll, die Pässe kommen ja alle im Nirwana an“, war der Junge aus dem Mittelfeld mehr als frustriert mit sich und seinem Körper.

„Habe jetzt in all den Jahren nicht mitgemessen, wie viele Zentimeter du gewachsen bist, aber das müssen doch um die 20 gewesen sein, da bin ich mir sicher, du schaust mir ja aktuell direkt in die Augen!“, beruhigte Lohr seinen Spielführer, der wie ein Häufchen Elend auf der Auswechselbank Platz genommen, den Kopf gesenkt hatte, ihn dabei ständig schüttelte. „Wichtig ist, dass du jetzt mit dir selbst einfach Geduld hast, die aufbringst und dich nicht selbst noch zusätzlich unter Druck setzt. Das kann zwei Wochen oder zwei Monate dauern, den Zeitraum wage ich nicht zu definieren, das ist bei jedem Menschen anders“, versuchte sich der Trainer als Muntermacher mit Optimismus. „Denk mal an die Zeit nach der Sommerpause, wenn ihr alle über Wochen kein Training gehabt habt und dann wieder in den Spielbetrieb einsteigt. Das ist oft gar grausam anzuschauen, dann läuft es aber plötzlich von jetzt auf gleich wieder gut.“

Da gab er dem Coach recht, es war Robin auch schon aufgefallen, dass er und die anderen Jungs nach den Ferien die nötige Feinabstimmung vermissen ließen, obwohl man sich seit Jahren kannte und zusammenspielte. Der Trainer hatte dem interessierten Ursachenforscher Robin dann berichtet, dass Wissenschaftler in einer Studie ermittelt hatten, dass selbst hart trainierende Leistungssportler immer und immer wieder dieselben Übungen wiederholten, um in ihrer Disziplin auf dem obersten Leistungsniveau zu bleiben. „Ich meine, ich hätte von einer Zahl von 12.000 oder 13.000 Wiederholungen gelesen, bis die Prozesse automatisiert sind“, erinnerte sich Lohr grob an die Tage des Studiums und der Lehrgänge.

Robin war ein wenig beruhigt, wenn auch nicht im Bereich der Glückseligkeit angekommen, aber die Mutlosigkeit der letzten Wochen war vorsichtigem Optimismus gewichen. Er selbst erinnerte sich an eigene Beobachtungen, wenn die neue Bundesliga-Saison gestartet wurde und er oft die ersten Spiele als ´übelst´ und ´nicht zum Hingucken´ empfand. ´Auch die Herren Profis haben da wohl so ihre Probleme, müssen erst wieder am Rad drehen, bevor sich das wieder schwungvoll bewegt´, war dann auch die Erkenntnis, die Robin aus der Diskussion mit nach Hause nahm. Den anderen Fußball spielenden Jungs, ob nun auf der eigenen Seite oder beim Gegner, ging es auch nicht viel besser, was nur ein schwacher Trost war.

Für Lohr war es eine schwierige Zeit als Trainer, da er bei so mancher Partie eigentlich vier bis fünf seiner Jungen nach wenigen Minuten aufgrund der Mängel hätte auswechseln können, ja sogar müssen. Doch das wäre gleichbedeutend mit einer Bestrafung seiner Kicker gewesen, denen man nie den Willen absprechen konnte, da nur das Zusammenspiel von Geist und Körper aus besagten Gründen nicht funktionierte. So wertete Lohr den Platz unter den Top drei als Erfolg, wohlwissend dass der schlafende Riese eigentlich nur schlummerte, seine elf Zwerge in absehbarer Zeit wieder im normalen Modus kicken würden.

Berlin! Berlin! Robin fährt nach Berlin

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