Читать книгу Berlin! Berlin! Robin fährt nach Berlin - Uwe Lange - Страница 9

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KAPITEL 3

Der erste Schultag nach den Sommerferien begann wie erwartet mit dem großen ´Hallo´. Die Schüler hatten ihre Freunde oft über die kompletten sechs Wochen nicht gesehen, die Wiedersehensfreude startete mit vielen Umarmungen und tollen Geschichten rund um den Urlaub.

Robin und seine Schwester Jessica verbrachten mit ihren Eltern eine tolle Zeit in Spanien und genossen den auch entgegen aller Prognosen. Als im Frühjahr das Thema ´Urlaub´ diskutiert wurde, verspürten die beiden Geschwister eigentlich wenig Lust, mit ´den Alten´ die drei Wochen zu verbringen, zumal es genügend Alternativen für Ferien mit Klassenkameraden oder Altersgenossen aus dem Verein gab.

„Absolut uncool“, sei dies, waren sich Bruder und Schwester ausnahmsweise einmal einig, man sei „doch kein Baby mehr und auf den Schutz der Eltern angewiesen“, tat Jessica fast lautstark ihrem Unmut als die Ältere kund, holte ihren jüngeren Bruder aber mit ins Boot.

Wie immer suchte ihr Vater die Diskussion, konfrontierte sie sachlich mit Fragen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen: „Wie wollt ihr denn euren Urlaub finanzieren?“, lautete die erste Frage des Erzeugers, während seine Frau gespannt auf die Antwort der Sprösslinge wartete.

„Ich dachte, wir bekommen den Anteil als Zuschuss, den ihr für uns ausgeben würdet, wenn wir mitfahren“, schlug Jessica sofort einen pragmatischen Lösungsansatz vor.

„O.k., das verstehe ich“, konnte der Vater der Idee folgen, verwies aber sofort auf die weitergehende Problematik in der Kette: „Wir haben ein Ferienhaus, dass uns einen Betrag X kostet, ob wir da nun mit zwei oder vier Personen antanzen. Wir fahren mit meinem Firmenwagen, der mich außer dem geldwerten Vorteil für die Steuer nichts kostet, ich muss nur das Benzin für die Strecke bezahlen. Dem Auto ist es egal, ob dort im Fond zwei oder vier Leutchen Platz nehmen. Für die Verpflegung vor Ort ist das natürlich anders, da muss ich anders kalkulieren, da kann ich euch je ein Viertel der möglichen Aufwendungen zugutekommen lassen.“

„Wieviel ist das denn realistisch in Euro?“, meinte Robin die Chance erkannt zu haben, ging direkt zum nächsten Angriff über, sein Umschaltspiel klappte auch außerhalb des Fußballfeldes. Nun brachte sich auch die Mutter in das Gespräch ein, rechnete den Geschwistern die Kosten vor, die im Vorjahr beim Trip gen Italien für die Familie pro Woche angefallen waren.

„Was? Das ist alles?“, schreckte Jessica auf, „da bekomme ich ja nicht mal die Flugkosten für die Sprachreise mit der Gemeinde nach England zusammen“, wollte die angehende und strebsame Abiturientin doch ihre Kenntnisse für den Leistungskurs Englisch sogar in den Ferien optimieren.

„Ihr habt halt auch beide in letzter Zeit wenig ansparen können. Robin, weil er sich lieber auf den Sportplätzen dieser Welt herumtreibt als zu jobben, du Jessica, weil verständlicherweise die Geldverdienerei im Abi-Jahr nicht die alleroberste Priorität genießt“, zeigte der Vater durchaus Verständnis auf das kleine Loch in der Kasse seines Nachwuchses.

„Ich frage einfach die Omas und Opas, die spendieren uns ja jedes Mal einen Beitrag für unsere Ferien“, gab Robin die Hoffnung auf eine Zeit ohne die Eltern nicht auf.

„Macht das bloß, rechnet da mal nach, schlaft ein paar Nächte drüber und lasst uns eure Entscheidung wissen. Aber eins ist klar: Mama und ich freuen uns, wenn ihr erneut mit uns kommt!“, beendete der Vater die abendliche Diskussion, ließ die Kids mit Hausaufgaben in Sachen Urlaub zurück.

Am nächsten Morgen hatten sowohl Jessica als auch Robin ihren Freunden in der Schule von der ´entsetzlichen Vorstellung´ erzählt, schon wieder mit den Eltern in den Urlaub fahren zu müssen. Wenig überraschend war es denen nicht viel besser ergangen und nachdem sie die Kostenfrage stellten, waren auch sie in ein kleines Loch gefallen. Robins Kumpel Stefan hatte sich dann auch ´förmlich durchgerungen´, es erneut mit den älteren Herrschaften zu versuchen, zumal das Urlaubsziel sehr attraktiv war: Ein Ferienclub in Spanien, direkt am Meer, mit Essen und Trinken rund um die Uhr und einem sensationellen Animationsprogramm. Auch Jessica hatte dieselbe Story zu hören bekommen, denn ihre Freundin und Mitabiturientin Alexandra war Stefans ältere Schwester. In der zweiten großen Pause gab es deshalb eine Art konspiratives Treffen der Vier in einer Ecke des Schulhofes. Dort wurde beschlossen, den Sommer-Eltern einen gemeinsamen Urlaub der beiden Familien schmackhaft zu machen, zumal sich beide Elternpaare schon lange kannten und des Öfteren abends privat zu einem Gläschen Wein trafen.

Gesagt, getan, noch am selben Abend tagte die Familienkonferenz und kam nach kurzer Zeit zu dem Entschluss, die Idee zu verwirklichen. Einziges mögliches Problem: Die Verfügbarkeit der beliebten Anlage, da die andere Familie ja schon vor einigen Wochen dort gebucht hatte und das Angebot an freien Bungalows bereits ziemlich reduziert war. Glück im Unglück: Robins Patentante Gaby arbeitete in einem Reisebüro, unterhielt exzellente Kontakte in die Touristik-Branche und nutzte die gerne für „mein Lieblingspatenkind, zumal der Club wohl nach dir benannt wurde, lieber Robin“, schmunzelte die eifrige Lady bei ihren Aktivitäten. Sie besorgte sogar noch günstige Flüge nach Granada, so dass die stressige Autofahrt entfiel und die gesamte Reise jetzt nur noch sechzehn Tage statt der geplanten drei Wochen dauerte. Was alle nicht weiter tragisch fanden, zumal das Budget dadurch in den ursprünglich geplanten Dimensionen blieb, der teure Flug so ausgeglichen wurde.

Der Club entpuppte sich als ein El Dorado für Wassersportler, die Sportmöglichkeiten waren einzigartig, das Essen rund um die Uhr allererste Sahne und das Abendprogramm vom Feinsten. Sogar eine Diskothek gab es dort, die auch für die jüngeren Gäste zugänglich war, so dass Robin und Stefan stets bis 24 Uhr dort aufschlagen durften, während Jessica und Alexandra immer erst um diese Zeit den Abend für ihre Zwecke zu nutzen begannen. Die Eltern sahen sie kaum, obwohl sie einen wunderschönen gemeinsamen Bungalow am Meer hatten, Mama und Papa das große Schlafzimmer oben belegten, während die Kids die beiden kleineren Räume im Erdgeschoss zu ihrem Reich machten, obwohl sie die Zimmer eher selten sahen.

„Ich würde mich freuen, wenn wir uns wenigstens einmal am Tage treffen würden, dann etwas gemeinsam essen. Ansonsten macht ihr euer Ding, während die Mama und ich unseren Interessen nachgehen“, war die Ansage des Vaters gewesen, der die gemeinsamen Tage offen und ohne jegliche Kontrollfunktion gestalten wollte.

Das klappte auch vorzüglich, nachdem sich alle auf das Abendessen gegen 19 Uhr geeinigt hatten, sie sich bis dahin praktisch aus dem Wege gingen. Die Eltern waren dann eher die frühen Vögel, während Jessica und Robin den späten Wurm fingen, zumeist erst um die Mittagszeit gesichtet wurden. Eher zufällig traf man sich dann an der Poolbar bei den Getränken, nickte sich freundlich zu, um dann mit den anderen Clubteilnehmern zum nächsten Event aufzubrechen.

Beim Bogenschießen bekam Robin plötzlich einen Schubs von hinten, sein Vater hatte sich auch in die Schlange der Wartenden eingereiht, um sein Glück auf ungewohntem Terrain zu probieren.

„Bist du nicht etwas zu alt für Cowboy und Indianer?“, konnte Robin sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen, den sein stets schlagfertiger Vater sofort zu kontern wusste:

„Man nannte mich früher Winnetou, mein Sohn“, ließ er keinen Zweifel an den bald notwendigen Fähigkeiten um Pfeil und Bogen aufkommen. Nach einer guten Stunde wurden die Schießergebnisse ermittelt und jeder Teilnehmer erhielt eine Urkunde zur Erinnerung.

„Platz fünf geht an Robin Sommer, Applaus bitte!“, ließ der Animateur die Zuschauer wissen. „Und den vierten belegt Udo Sommer, mit nur fünf Punkten mehr als der Sohnemann, erneut Applaus für den Oldie“, wurde die Preisverleihung fast zum Familienfestival.

„Mach dir nichts draus, ich habe schon geschossen, da bist du noch mit der Trommel um den Weihnachtsbaum gerannt“, raunte der Gewinner von Rang vier seinem Sohn im Vorbeilaufen schnell zu. „Und: Hier brauchst du eine ruhige Hand und keinen ruhigen Fuß“, lachte der einstige Indianerhäuptling seinen Minitou aus.

Die sechzehn Tage vergingen wie im Fluge und insgeheim mussten sich die Geschwister eingestehen, einen der schönsten Urlaube verbracht zu haben, die lange Leine der Eltern war vorbildlich und praktisch nie zu spüren. Das teilten sie auch so euphorisch ihren Klassenkameraden und Freunden am ersten Schultag mit, zumal Alexandra und Stefan es ebenso sahen, die gemeinsame Zeit total genossen zu haben.

„Ihr vier seht ja alle voll krass aus, seid ja schwarz wie ein…“, unterbrach Karsten sich mitten im Satz selbst, „…ne, darf man ja jetzt so nicht mehr sagen!“ In Zeiten der ´political correctness´ wollte er auch sprachlich ein Vorbild sein, selbst das Zigeunerschnitzel, das er so gerne aß, bestellte er nun als Paprikaschnitzel, obwohl er die ursprüngliche Form nie despektierlich meinte.

Die meisten Jungs aus dem Team waren jedoch an anderen Dingen wie dem Wetter interessiert, die Frage nach den hübschen spanischen Mädels ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten. Robin konnte sich überhaupt nicht erinnern, in dem deutsch geprägten Club eine Spanierin gesehen zu haben, wenn dann die Damen aus dem Servicebereich oder an den Event-Abenden auf der Bühne.

„Da war eine Einzige, die dir gefallen hätte, eine Flamenco-Tänzerin. Die bewegte sich wie eine Göttin, wog aber geschätzte drei Tonnen, also exakt deine Kragenweite“, gab es die prompte Rückantwort an seinen Sitznachbarn Erkan, der aus den Ferien in der türkischen Heimat mit einigen Kilos mehr auf den Rippen zurückgekommen war.

Bevor der einen Fluch in Richtung Robin ausstoßen konnte, klingelte die Schulglocke zum Start des Unterrichtes und die Schüler beeilten sich ihre Klassenzimmer zu erreichen, nahmen auf den Sitzen Platz, die sie auch am Ende des letzten Schuljahres innehatten. Die Mädels und Jungs der neuen 10c saßen kaum, als ihr Klassenlehrer Müller-Herrmann den Raum mit energischen Schritten betrat. In seinem Schlepptau befand sich ein großer blonder Junge, der eine kleine Tasche trug, sich interessiert im Raum umblickte, die zu ihm aufsehenden Schüler einen nach dem anderen musterte.

„Moin ihr Helden! Da bin ich aber froh, dass ihr alle nach den langen Wochen der Ferien euer Klassenzimmer wiedergefunden habt. Bei manchen von euch habe ich ansonsten oft den Eindruck, dass man den nach einem Wochenende neu anlernen muss, wenn es um gewisse Dinge des Unterrichts geht“, grinste er seine ihm Schutzbefohlenen an, die mit einem Lacher seinen Ausführungen gefolgt waren. „Bevor wir mit dem Unterricht loslegen, darf ich euch einen neuen Mitschüler vorstellen, der mit seiner Familie nach Hessen gezogen ist. Das ist der Nils… aber stell dich doch bitte selbst vor, bist ja alt genug!“, reichte der Studienrat für Mathematik und Sport den Stab der Vorstellung direkt an den großen Blonden weiter.

„Mache ich gerne“, antwortete der Neue sofort, zeigte keinen Moment der Zögerlichkeit, was Robin zu der Vermutung veranlasste, dass Nils sicherlich nicht an Defiziten des Selbstbewusstseins litt. „Also mein Name ist Nils Lindgren, ich komme aus Göteborg, der zweitgrößten Stadt in Schweden. Mein Vater ist Schwede, meine Mutter kommt ursprünglich aus Hamburg, ich bin also zweisprachig aufgewachsen sowie auf eine deutsche Schule gegangen“, erklärte Nils mit dem zweiten Satz bereits die Ursprünge seiner einwandfreien Sprachkenntnisse. „Ach ja, und ich bin - wie sicherlich die meisten von euch - auch 16 Jahre.“

„Alter Schwede!“, war es Robin prompt herausgerutscht, der sich an ein Lieblingszitat seines Vaters erinnerte, der dies gerne verwendete, wenn ihm irgendetwas positiv aufgefallen war und er dann seine Hochachtung damit ausdrücken wollte. Nun hatte er die Lacher auf seiner Seite, auch Müller-Herrmann und Nils grinsten sofort und warfen in Richtung Robin einen wohlwollenden Blick für das gelungene Wortspiel.

„Nils, setz dich bitte zu Alex da vorne rechts in die dritte Reihe damit wir mit dem neuen Stundenplan anfangen können. Ich darf dir auch im Namen der Klasse eine gute Zeit mit und bei uns wünschen, viel Erfolg in der 10c!“, beendete ´EmmHa´, wie ihn seine Schüler mit der Abkürzung seines Doppelnamens im Stillen nur nannten, die Vorstellung des Schweden.

Während der seinen Platz neben dem Klassensprecher einnahm, zeigten die neuen Klassenkameraden mit einem aufmunternden Klopfen auf die Tische Nils ihre Zustimmung zu den netten Worten des Lehrers. Alex begrüßte seinen neuen Sitznachbarn mit einem Nicken des Kopfes, was der prompt erwiderte, dann seine Tasche auspackte.

Seit drei Jahren war Alex der Klassensprecher und er machte den Job großartig. Er kümmerte sich fast rührend um die Belange der Gruppe und jedes Einzelnen ohne selbst im Vordergrund zu stehen. Die beiden Wiederwahlen verliefen ohne Gegenstimme, was schon dessen Beliebtheit widerspiegelte. Sein Vater war zudem der Bürgermeister des Ortes, von Hause aus Jurist und Berufspolitiker, was Alex einst mit den Worten „ansonsten ist er aber ganz in Ordnung“ kommentierte. Das gute Vater-Sohn-Verhältnis bekam auch der Klassenverbund im positiven Sinne zu spüren. Alex Dad verfügte über herausragende Kontakte, kannte ´Gottunddie-Welt´, besorgte oft für die Gruppe noch Tickets für ausverkaufte Sportveranstaltungen oder Konzerte in der nahen Kreisstadt.

Alex galt als rühriger ´Kümmerer´, war dazu noch ein guter Schüler, so dass er auch bei den Lehrern einen Stein im Brett hatte, dort auch immer Gehör fand, wenn er sich sachlich und wortgewandt für die Belange seiner 25 Jungs und Mädels einsetzte. So war die Entscheidung des Klassenlehrers ihm Nils zunächst als Sitznachbar zuzuordnen, mehr als sinnvoll, um damit dem Neuen die Integration und den Start etwas zu erleichtern.

Nils stand dann auch im Mittelpunkt der ersten Pause, als sich zu Alex noch Robin und Erkan hinzugesellten, die neugierig auf weitere Infos zum Neuen hofften.

„Weshalb seid ihr jetzt nach Deutschland gekommen?“, war dann auch die erste Frage die Erkan an den Blonden stellte.

„Mein Vater ist Direktor des größten schwedischen Autoherstellers, soll nun in Deutschland den Markt für die neuen Produkte bereiten“, erklärte Nils seinen Mitschülern die neue Situation.

„Cool“, meinte Robin, „wir haben einen SUV von denen, das ist echt ein krasses Geschoss“, konnte er seine Begeisterung für deren Autos nicht verbergen, “dann kriegen meine Eltern beim nächsten Kauf sicherlich einen Rabatt von deinem Vater!“

„Dad macht zwar mehr in Nutzfahrzeuge, da die auch große LKW herstellen, aber wenn es soweit ist, lege ich ein gutes Wort für euch ein“, kommentierte Nils lachend die Begeisterung seines neuen Spezis.

„Ist das nicht doof für dich, so ein Umzug in ein anderes Land, dort wieder neue Leute, die Kultur, die sich oftmals ändert?“, kam Alex mit kleineren Bedenken.

„Nö, eigentlich nicht. Das ist jetzt - so glaube ich - unser dritter Umzug mit der Familie seit meiner Geburt in Hamburg. Ich lerne immer wieder neue Menschen und deren Lebensart kennen, das ist total spannend und eher ein Stress für meine Mutter, die die Umzüge ja auch zu organisieren hat, stets Kisten und Kartons im Keller vorhält“, lachte Nils bei dem Gedanken an seine oft schimpfende Mutter, wenn die erneut am Packen war, die Sachen ihrer beiden Männer verstauen musste.

Wiederum unterbrach die Klingel die erste Diskussion mit dem Neuen, der aber mit seinem unbekümmerten Auftritt gleich bei allen einige Sympathiepunkte sammelte.

„Coole Socke, der passt zu uns“, raunte Erkan auf der Treppe noch schnell Robin zu, „und jetzt Latein, ne, oder?“, einen langen Seufzer hinterherschickte.

Beim Abendessen erzählte Robin seiner Familie die Geschichte des neuen Mitschülers, was sofort seine Schwester Jessica auf den Plan rief:

„Lindgren? Wie die Astrid Lindgren, die Autorin von Pippi Langstrumpf?“, stellte sie sofort einen Bezug zu ihrer Lieblings-Schriftstellerin aus Kindheitstagen her. Robin sah zwar nicht die unbedingte Notwendigkeit zur Klärung des nicht vorhandenen Problems, versprach aber einmal in der Familiengeschichte der Lindgrens nachzufassen.

„Blamiere uns aber bloß nicht mit deinem Nichtwissen über Pippi“, verpasste die weibliche Leseratte ihrem Bruder noch einen Seitenhieb, der eher zum Sportteil der Zeitungen griff als zu den vielen Büchern im Haushalt der Sommers.

„Keine Panik, das ist doch die mit dem komischen Gaul“, bewies Robin zumindest im Ansatz seine Kenntnisse in Sachen Literatur, wollte das Gespräch dann aber nicht weiter vertiefen, da ihm klar war, wer dann als Sieger den Tisch verlassen würde.

„Komischer Gaul, komischer Gaul“, brummelte Jessica vor sich hin, während sie den Tisch mit den anderen Mitgliedern der Familie abräumte, „Kleiner Onkel heißt der…“

Am folgenden Mittwoch standen die ersten Sportstunden auf dem neuen Stundenplan, direkt nach der zweiten großen Pause war man auf die nahe Sportanlage gewechselt, die sich in unmittelbarer Nähe der Schule befand. Mit dem „schönen Wetter“ hatte ´EmmHa´ seine Entscheidung für den kleinen Ausflug begründet, während sich die Klasse in die Sportklamotten warf, um einen der letzten Sommertage zu genießen. Der beliebte Sportlehrer hatte zu Beginn Leichtathletik aufs Programm gesetzt, was bei seinen Schülern wegen der Vielfalt eigentlich immer gut ankam. Nach einigen Aufwärmübungen, die gerade die Fußballer der Klasse eher müde belächelten, standen diverse Sprintübungen auf dem Programm. Fünf Läufe über die 50 m Distanz hatte ´EmmHa´ vorgesehen, jeweils acht Schüler bildeten eine Laufgruppe. Zu Robin und Erkan gesellten sich noch Alex, Nils und vier weitere Läufer, gingen in die Hocke und warteten auf den verbalen Startschuss ihres Lehrers.

„Auf die Plätze - fertig - und los!“, hörte Robin in gebückter Stellung den Satz, hatte den Kopf oben und startete als er das entscheidende Wort vernahm. Ein paar Sekunden später waren sie im Ziel, um sich ungläubig umzuschauen. Normalerweise waren diese Sprints eine klare Sache für den laufstarken Erkan, der sich nicht einmal voll verausgaben musste, um als Erster nach 50 m anzukommen. Doch dort stand schon Nils, der wie der Blitz losgerannt war und mit einem klaren Vorsprung vor seinen Verfolgern ankam.

„Hast du heute keine Lust?“, frotzelte Robin sogleich seinen Kumpel Erkan. „War der Urlaub in Istanbul doch zu anstrengend in Punkto Mahlzeiten?“, setzte der frech grinsend noch einen drauf.

„Habe mich etwas geschont, muss mich ja erst warmlaufen, die Muskulatur erwärmen für die ganz großen Taten“, war Erkan nicht auf den Mund gefallen, sein Ehrgeiz nun sichtbar geweckt.

Aber auch die nächsten Läufe endeten identisch, obwohl keiner der Jungs den Eindruck machte, sich in Zurückhaltung zu üben. Der Zieleinlauf endete immer mit dem klaren Vorsprung von Nils, dahinter Erkan, dem Robin mit Abstand folgte. Für Robin nichts Ungewöhnliches, da er nie als Sprinter gegolten, die letzten Jahre aber durch intensives Training mit Coach Lohr seine Schnelligkeit deutlich verbessert hatte.

„Die ersten zehn Meter sind im Spiel entscheidend“, begründete Lohr die speziellen und immer wiederkehrenden Übungen über die Kurzdistanz für seinen Kapitän. Über 50 Meter oder länger war Robin gegen solche Sprinter wie Erkan oder nun Nils chancenlos, besaß deswegen aber keine großen Komplexe.

Erkan, der als Dauersieger der Klasse galt, war fast angefressen nach den fünf Läufen, die allesamt an den Schweden gingen. „Robin, du hast wohl recht, werde mich mit dem Essen etwas einschränken müssen, um wieder in Form zu kommen“, nahm Erkan nun die flapsige Begründung seines Freundes als wirklichen Anlass für seine Laufleistungen gerne in Anspruch.

„Der Nils ist wirklich flott unterwegs“, belauschte der Lehrer das Gespräch der beiden Fußballer, während er sich zu Robin gesellte, „das hat mit Erkans Gewicht nichts zu tun, der Neue bringt enormen Speed mit!“

Nach der Hälfte der Doppelstunde im Freien hatte der Lehrer zu Ballspielen gebeten, seine Schüler in zwei Gruppen eingeteilt. Gruppe A sollte auf dem Basketballfeld versuchen, ab und zu den Korb zu treffen, während die B-Gruppe auf das Handballfeld wechselte, um dort auf die kleinen Tore zu kicken. Um die Fußballer scharrten sich genau ein Dutzend Schüler, darunter auch vier Mädels, die es nicht scheuten, in der eigentlichen Männerdomäne ihren Mann, nein Frau, zu stehen. Robin und Erkan als die besten Fußballer sollten sich zwei Teams auswählen, Fuß auf Fuß gingen sie aufeinander zu, bis Erkan seinem Rivalen auf den großen Zeh trat, Robin somit mit der Auswahl beginnen durfte.

„Ich nehme den Nils für meine Mannschaft“, ließ der sich nicht lange bitten, holte den Neuen an seine Seite. Eigentlich war die Wahl mehr als kleiner Seitenhieb gegen Erkan gedacht, der bei den Laufeinheiten ein ums andere Mal den Kürzeren gegen den flinken Schweden zog. Nils freute sich jedoch über das vermeintliche Vertrauen, war doch ein Neuling eher immer am Ende der Auserkorenen zu finden. Nachdem auch Erkan seine Auswahl traf, blies Robin zur nächsten Runde: „Die Su kommt zu mir ins Team“, wählte er eine zierliche Blondine mit Sommersprossen aus.

Das war jetzt keine wirkliche Überraschung, denn die junge Lady konnte richtig gut kicken, bewies das über all die Jahre. Susanna war die Schwester von Jessicas Klassenkamerad Georg, man hatte schon im Kindergarten miteinander gebolzt, da das Mädel immer mehr auf das runde Leder als auf Puppen stand. In den frühen Jahren trainierte und spielte sie noch gemeinsam mit den Jungs, ihre technischen Fähigkeiten waren erstaunlich, wurden nur noch von ihrer Unerschrockenheit im Zweikampf getoppt. Als sie einmal mit Robin unabsichtlich zusammengerasselt war und zu Boden ging, half der ihr sofort auf, entschuldigte sich umgehend bei dem halben Hemd und entschied auf Freistoß für das andere Team, obwohl absolut kein Foulspiel vorlag.

„Alles gut, nix passiert, alle wichtigen Teile noch vorhanden“, erhob sich Susanna, den Staub abwischend, sofort wieder um noch lächelnd hinzuzufügen: „Aufstehen, Krönchen richten und weitermachen!“

Robin bewunderte ihre Einstellung, denn die 25 kg mehr, die er auf die Waage brachte, verursachten im Normalfall bestimmt einen Wirkungstreffer. Oft ärgerte er sich bei den TV-Übertragungen über die Profis, die nach einem harmlosen Rempler in Schulterhöhe einfach schreiend zusammenbrachen, sich minutenlang am Boden wälzten und dabei das Gesicht hielten, obwohl dort überhaupt kein Kontakt mit dem Gegner in der Aktion stattfand. Su war im letzten Jahr zu einem reinen Damen-Team gewechselt, dessen Erste Mannschaft in der Bundesliga spielte und schon mehrfach Deutscher Meister wurde. Robin war sich sicher, die flinke Stürmerin eines Tages auch dort erfolgreich spielen zu sehen, heute tat sie dies zunächst für seine kleine Auswahl. Inzwischen waren beide Mannschaften komplett, je sechs Spieler auf beiden Seiten, der Letzte sollte immer der Torhüter sein, durfte dann im Kasten die Hände zur Hilfe und Klärung nehmen.

Robin ging zu Nils und fragte ihn, ob der mit ihm in der Abwehr spielen wolle oder eine andere Position bevorzuge. „Nö, alles gut, lass die Ladies mal rennen“, gefiel dem die Idee, Su und Nadine für sich laufen zu lassen.

Erkan wählte den Anstoß, stellte sein Team auf ein 2-2-2-System ein, übernahm selbst die strategische Rolle im Mittelfeld. Sein Pass auf den Rechtsaußen war gelungen, lautstark forderte er die Rückgabe des Leders ein, das er auch prompt erhielt. Zwei, drei Schritte, dann war er mit seinem guten Antritt vor dem Tor, holte aus, um den Ball ins Tor zu bugsieren. Da war inzwischen Robin als letzter Mann gelandet, wartete auf den Abschluss seines Freundes. Tacklings und Grätschen hatte man sich verboten, denn der Boden war aus Asphalt und nicht für solche unnötigen Eskapaden geeignet. Plötzlich tauchte jedoch Nils wie ein Phantom aus dem Nichts auf, spitzelte Erkan ohne jeglichen Körperkontakt den Ball vom Fuß, spielte diesen Robin butterweich zurück, um sich sofort wieder freizulaufen. Selbst Robin war verblüfft über das soeben Erlebte, während Erkan fast hilfesuchend auf seinen rechten Fuß schielte, wo sich soeben noch der Ball befunden hatte. Robin setzte nun Su ein, die sich mit einer schnellen Rückwärtsbewegung löste, die Kugel dann stoppte, um sie millimetergenau auf Nils zu passen. Der täuschte ein Dribbling an, spielte dann aber das Leder erneut zu Robin, der mitgelaufen war und nun über alle Zeit der Welt verfügte. Nils war direkt durchgestartet, was Robin sofort sah, er einen Zuckerpass auf die linke Seite spielte. Der erreichte den Schweden im vollen Lauf, der noch in der Bewegung abzog, der Ball kurz darauf im rechten Winkel des Tores einschlug.

„Ihr seid wohl bekloppt, der hätte mich doch am Kopf treffen können!“, rief ein empörter Erkan über den Platz, nachdem er zur Unterstützung seiner Abwehr zurückgeeilt und ins Tor gegangen war.

„Nein, der sollte genau dorthin, das war geplant“, ließ Nils den schlotternden Aushilfs-Goalie wissen, während Robin am Boden saß und sich vor Lachen krümmte.

Nachdem sich die Situation bis auf Erkans Schimpferei beruhigt hatte, ging Robin zu seinem Torschützen, um den zu befragen: „Unter uns Waffenbrüdern: War das jetzt Absicht oder ein zufälliges Anfängerglück?“

Nils blickte seinen Mitschüler mit einem ehrlichen Blick an und antwortete ohne Zögern:

„Ich spiele seit meinem siebten Lebensjahr Fußball, die letzten Jahre im Nachwuchs vom IFK Göteborg. Unsere Erste spielt in der Allsvenskan, das ist wie die Bundesliga hier in Deutschland.“

„Und das sagst du nicht, erwähnst es mit keiner Silbe?“, war der nie auf den Mund gefallene Robin förmlich baff über die Aussage.

„Mich hat doch bislang keiner danach gefragt, ihr hattet es ja mehr mit den tollen Autos aus Göteborg und deren PS“, antwortete Nils ganz sachlich, wobei schon ein freches Lächeln über sein Gesicht huschte.

Weiter ging es mit dem Anstoß für das andere Team, während Erkan immer noch am Torpfosten lehnte, unverständliche Sachen vor sich hinbrabbelte. Nils, Robin, Su und die anderen drei Spieler zerlegten Erkans Truppe nach allen Regeln der Kunst, die kleine Spielerin genoss die präzisen Pässe der beiden Jungs, machte eine Bude nach der anderen. Die nahmen sich dann etwas zurück, da es ja nur um den Spaß ging und nicht die nächste WM vor der Tür stand. Nach 30 Minuten kam ihr Lehrer von der Basketball-Gruppe zu ihnen, schaute dem fröhlichen Treiben der Rundballer zu.

„Da steht dir echte Konkurrenz ins Haus, Herr Sommer“, sprach er Robin an, den das jedoch überhaupt nicht störte.

„Wow, ist der Junge gut, er könnte genau das Mosaiksteinchen sein, dass unserem Dorfclub seit langer Zeit für ganz oben fehlt“, hatte der ohne Neid geantwortet, der Erfolg des Teams war ihm erhaben über jedes Ego.

Gemeinsam ging es zurück zur Schule, um sich umzuziehen und auf den Weg nach Hause zu machen. Erkan lief einige Schritte hinter Su, Nils und Robin und man hörte immer zwischen den großen Schnaufern kleinere Wortfetzen: „Karriereende“, „besser andere Sportart“ und „miesester Tag des Lebens“ waren die Brocken, die man aufschnappen konnte. Robin war nicht wirklich bange um den Kumpel, der einer der positivsten Charaktere war, die er kannte, immer mit einem Scherz auf den Lippen. Im Team galt er als der Pausenclown, mit stets einem witzigen Spruch auf Lager, keiner konnte einen so aufmuntern wie der jugendliche Fan von Galatasaray Istanbul. In der Umkleide angekommen, war Erkan schon wieder auf seinem normalen Level zu finden, länger als fünf Minuten konnte er nie schlecht drauf sein.

„Den müssen wir für uns gewinnen“, rief er Robin noch zu, bevor er sich aufs Rad schwang, den Arm zum Abschied grüßend hob.

„Wir haben hier im Ort eine nette Fußballtruppe, einen coolen Trainer und immer viel Spaß. Magst du nicht einmal zu einem Training kommen, ich rede mit dem Coach, dass du einfach mal mit üben kannst“, sprach Robin dann auch Nils direkt an.

„Ich denke drüber nach, echt klasse, dass du mich das fragst“, antwortete der Schwede ihm prompt. „Denn nur daheimsitzen und Vokabel lernen, ist ja auch nicht so wirklich prickelnd.“

Berlin! Berlin! Robin fährt nach Berlin

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