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Vater Lindgreens Geburtstag

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Als die Beiden schließlich auf dem Bauernhof ankamen, gab ein freudiges Wiedersehen und zur Begrüßung einen selbstgebrannten Obstschnaps, der natürlich hochprozentig, tüchtig einheizte. Nun ging es zur Gratulation. Mutter Annegret hatte eine große Torte gebacken, die mit neunundvierzig Kerzen bestückt war, so viel an Jahren hatte Vaters Lars bereits in seinem Leben zurückgelegt. Verwandte und Bekannte waren gekommen, sogar ein Mann mit einem Akkordeon, der kräftig Stimmung machte. Die beiden jungen Männer hatten lange überlegt, was man dem klugen und belesenen Mann Lars Lindgreen schenken sollte. Es sollte etwas sein, was nur er persönlich brauchte und was ihm Freude bereiten könnte. Durch diverse Nebenjobs hatten sie etwas Geld zusammen bekommen und eine schöne Ausgabe eines neuen Lexikons in mehreren Bänden gekauft. „Ihr solltet euch doch wegen mir nicht in solche Unkosten stürzen“ ermahnte sie Vater Lars, aber man sah ihm an, dass er sich sehr über das Geschenk freute. Die Räume des Hauses waren festlich erleuchtet. Alfred und Harald wurden den Verwandten und Freunden vorgestellt, was bei der weitläufigen Verwandtschaft einige Zeit in Anspruch nahm. Lars Lindgren hatte Mühe sich durch das Geläut eines kleinen Glöckchens Gehör zu verschaffen und hielt eine kleine Dankesrede auf all die schönen Geschenke. „Ich freue mich, dass so viele meiner Einladung gefolgt sind und danke für die besonders liebevolle Vorbereitung durch Annegret“. Aus seinen Worten klang eine tiefe Liebe und Dankbarkeit, die er für seine Frau empfand, die ihm auch in schweren Zeiten als verlässliche Partnerin zur Seite stand. „Bei der Gelegenheit stellte ich für alle noch einmal ganz speziell meine beiden Freunde Alfred und Harald aus Deutschland vor, die mir im Sommer sehr geholfen haben und nun in Uppsala studierten. Das vergangene Jahr ist für unsere Wirtschaft sehr gut gelaufen und so können wir auch am Ende des Jahres diesen Erfolg feiern“. Während seiner Ansprache hatte sich Mutter Annegret zu ihm gesellt, sich liebevoll an den Redner geschmiegt zum Ende seiner Worte noch hinzufügte: „Es ist ja nicht schwer diesem wundervollen Mann zur Seite zu stehen, da wir in vielen Dingen von der Grundeinstellung übereinstimmen. Ich danke Gott, dass er mir diesen Brummbär geschickt hat, wenn er auch manchmal wenig redet, aber wir verstehen uns auch so, ohne viele Worte“. Damit gab sie das reichhaltige Büfett frei und der gemütliche Teil des Abends konnte beginnen. Jeder nahm sich die Speisen und Getränke, auf welche er gerade Appetit hatte, von einer langen Tafel. Alfred und Harald hielten sich an dem reichhaltigen Angebot erlesener Fischsorten fest. Von den Gästen wurden sie mit Fragen bestürmt, wie es wohl an der Uni in diesen Tagen so laufen würde und immer wieder wurden sie befragt nach ihrer Meinung zur derzeitigen politischen Situation im Deutschen Reich. Besonders Alfred beeilte sich immer wieder zu erklären mit welchen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda die Menschen in seiner Heimat irregeführt werden. Hier im Ausland und mit der gegebenen Distanz sahen die Dinge völlig anders aus, als zu Hause. Ein lautes Klatschen von Mutter Annegret unterbrach jäh die Gespräche. „Meine lieben Gäste“, rief sie im energischen Tonfall und mit einem Lächeln, wir räumen jetzt das große Zimmer, jeder nimmt sich einen Stuhl und dann darf getanzt werden“. Erst jetzt bemerkte man eine kleine Truppe von Musikern, die eigens zu Ehren des heutigen Tages aufspielen sollten. Harald, der sich aus den politischen Gesprächen heraus gehalten hatte, um unangenehmen Fragen aus den Weg zu gehen, hatte sich gerade mit einer jungen Nichte der Lindgreens unterhalten, die aus Stockholm angereist war. Offensichtlich gefiel ihr der junge Mann und sie machte auch keinerlei Hehl aus ihrer Sympathie. Sie hatte sich gleich nach der Ankunft der beiden Studenten als Karin vorgestellt. Karin hatte seit zwei Jahren die Lehre beendet und arbeitete im elterlichen Frisiersalon in Stockholm. Ihre geschmackvolle sehr modische Kleidung und ihr gepflegtes Äußere waren den beiden Ankömmlingen sofort aufgefallen. Mit langen blonden Haaren, blauen Augen, einem schön geschnittenen Mund und einer verführerisch guten Figur war sie sich ihrer Wirkung auf Männer wohl bewusst. Karin fragte Harald betont schüchtern, ob er sie wohl zum Tanz auffordern würde, doch der junge Mann lehnte dankend ab: „Ich kann nicht tanzen“, log er „da müssen sie sich schon einen richtigen Tänzer suchen, mein Freund Alfred kann gut tanzen“. Doch so schnell war die junge Dame nicht zu überzeugen. „Kommen sie her, ich will ihnen die Tanzschritte beibringen“, mit diesen Worten zog sie Harald auf die Tanzfläche. Zum Glück verkündete die Kapelle kurz darauf einen Sondertanz für das Geburtstagskind mit einer Dame seiner Wahl. Vater Lars sah sich in der Runde um, denn Mutter Annegret war derweil in der Küche beschäftigt. Er rief laut nach seiner Frau: „Annegret, wir sollen jetzt eine Ehrenrunde tanzen“. Mutter Annegret kam herein geeilt, band sich die Schürze ab, so dass das schöne rote Kleid richtig zur Geltung kam. Sie zog sich die guten roten Schuhe mit den hohen Absätzen an und wirbelte wie verzaubert in den Armen von Vater Lars durch den Raum. Das waren die Momente, in denen sie vor Glück die ganze Welt umarmen konnte. Sie lächelte zufrieden und ihre Augen bekamen den schimmernden Glanz einer liebenden Frau. „Tanzt bitte alle weiter“, bat sie die Anwesenden, als die Kapelle das Musikstück beendet hatte. Karin ließ nicht locker: „Nun sind wir wieder dran“ meinte sie und ehe sich Harald versah, war er schon wieder auf der Tanzfläche. Manche Dinge brauchen eben seine Zeit und Harald gab sich nicht die notwendige Mühe, um den Tanzschritten seiner Partnerin zu folgen. Er spürte wie unangenehm es war, sich einer schönen Frau als Tollpatsch zu geben. Alfred, dem Karin wegen der ungelenken Schritte Haralds leid tat, kam zur rechten Zeit zu Hilfe und klatschte neben dem stolpernden Paar in die Hände, das war das allgemein übliche Zeichen zum Wechsel des Tanzpartners. Harald fühlte sich erlöst, doch er ärgerte sich zugleich, man sollte sich nicht so verstellen. Mutter Annegret, die Haralds Schmach miterlebt hatte, bemühte sich, mit tröstenden Worten die Situation zu überspielen. „Na du Meistertänzer“ wollte sie ihn frotzeln, „das klappt wohl noch nicht so recht? Ich werde dir mal einen interessanten Mann vorstellen“. Mit diesen Worten hakte sich die zierliche Frau bei Harald ein und zog ihn in den Wintergarten, wo sich einige Männer zum Rauchen niedergelassen hatten. „Olaf“, sprach sie einen Herrn mittleren Alters an, „ich möchte dir mal Harald vorstellen. Harald ist ein begabter Maler, er weiß es nur noch nicht. Unterhalte dich mal mit dem jungen Mann“. Sagte es und entschwebte wieder in die Küche, um dort weitere Anweisungen geben zu können. Der Angesprochene stand auf und drückte Harald herzlich die Hand. Olaf war der Bruder von Mutter Annegret und betrieb einen Kunsthandel in Stockholm. „Ich habe schon von ihren Fähigkeiten gehört“, begann Olaf, „Annegret hat mir wärmstens empfohlen, mit ihnen ein paar Worte zu wechseln. Warten sie, ich hole gleich mal Papier und einen Stift. Ich möchte sie bitten, Karin aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Ist das ein Problem für sie, oder haben sie das Mädchen zu kurz gesehen?“. Harald war überrascht, welche Kreise seine kleinen Arbeiten gezogen hatten, denn während eines früheren Besuches, hier auf dem Hof, hatte er Mutter Annegret und Vater Lars gemalt. Papier und ein Bleistift wurde geholt. Während er mit Olaf plauderte, hatte die Musik den Tanz beendet und Karin kam heran geschwebt. „Unterhaltet ihr euch gut?“ wollte sie wissen. „Alfred ist übrigens ein brillanter Tänzer, im Gegensatz zu Ihnen“. Nach dieser niederschmetternden Bemerkung war sie auch schon wieder entschwunden, vermutlich um Alfred für den nächsten Tanz zu gewinnen. „Trösten sie sich, warf Olaf ein, „ich kann auch nicht tanzen, zum Leidwesen meiner Frau. Aber ich bin trotzdem ebenso viel Wert, wie die Gockel, die sich mit den Weibern auf dem Tanzboden herumdrücken“. Es sollte wie ein Trost auf Harald wirken, war aber keiner. Inzwischen war alles Notwendige herbeigeschafft, was Harald für seine Zeichnung brauchte. Er ging an die kleine Staffelei, überlegte noch mal ganz kurz und begann aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Er zeichnete die Konturen scharf, wobei er mit unterschiedlichen Strichstärken Vorder- und Hintergrund plastisch unterschied. Nach einigen Minuten war sein Entwurf fertig. Alle Anwesenden im Wintergarten staunten nicht schlecht, wie Harald mit geübten Händen, aus dem Gedächtnis, das Gesicht der stolzen jungen Frau nahezu mit fotografischer Genauigkeit zu Papier brachte. Olaf ließ nach dem Vater Karins rufen, um das Bild zu beurteilen. Dieser erschrak: „Ist das meine Tochter?“. Tatsächlich hatte Harald ihr schon recht tief in die Seele geblickt und ihren Hochmut gekonnt zum Ausdruck gebracht. Weitere Gäste gesellten sich zu der Gruppe, alle wollten das Bild sehen. Schließlich kamen auch Alfred und Karin mit dazu. Alfred erkannte sofort die Brisanz der Situation. Harald hatte in gekonnter Manier Karins Gesichtszüge heraus gearbeitet, doch Karin konnte das Bild als Beleidigung verstehen. Er hatte ihr, zunächst unbedacht, die Verkleidung ihrer geschliffenen Worte vom Gesicht gerissen. Einen Augenblick herrschte totenstille im Raum, plötzlich begann Karin zu schreien: „Wenn ihr diesen Mann nicht sofort wegschickt, werde ich gehen. Und das meine ich so ernst wie ich es sage“. Vater Lars, der den Tumult bemerkt hatte, wollte sogleich schlichten. Er bat die Kapelle einen Tusch zu spielen, doch niemand folgte diesem Zeichen. Olaf erhob sich und sprach mit lauter Stimme ein Machtwort: „Hier wird niemand weggeschickt und es gibt auch überhaupt gar keinen Grund beleidigt zu sein. Dieser junge Mann ist ein Genie. Er hat mit Karin nur ein paar Worte gewechselt, nur Minuten mit ihr verbracht. Diese Zeichnung sagt viel mehr aus, als man in ein oder zwei Sätzen sagen kann, ich bin begeistert. Junger Mann, ich weiß nicht welche Pläne sie haben, aber sie gehören nach Stockholm in die Königliche Kunstakademie. Sie gehören sicher einmal zu den ganz Großen“. So viel Anerkennung hatte sich Harald bei einer so hingeworfenen Arbeit nicht träumen lassen. Doch dass er den Stolz Karins verletzt hatte, tat ihm nun leid. „Augenblick mal, das geht auch anders“. Mit diesen Worten nahm er ein neues Blatt Papier um einen treuherzigen Engel mit dem Gesicht Karins zu zeichnen. Die gesamte Gesellschaft sah zu, wie das Bild wuchs. In wenigen Minuten hatte er das Gesicht mit sanften und gütigen Zügen gezeichnet. Als er das Ergebnis herum zeigte, klatschten alle Anwesenden Beifall. Selbst Karin gefiel sich wieder. „ War das die Rache für meine Ungeduld beim Tanz“? Wollte sie wissen, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ging, ohne die Antwort abzuwarten, aus dem Raum. Der Schock saß tief, den ihr dieser junge Mann zugefügt hatte, doch sie fühlte sich trotz dieser Schmach zu ihm hingezogen. Was war da schon dieser Alfred dagegen. Obwohl er gut tanzen konnte, war er in ihren Gesprächen unsicher und blass geblieben. „Ihm fehlt einfach noch das richtige Profil oder er ist ein trockener Techniker“, so dachte sie bei sich. Mutter Annegret zeigte einige Bilder herum die Harald an den Feierabenden in den Sommermonaten gemalt hatte, insbesondere das Bild mit dem aufgeblasenen Truthahn, dem man seinen Balzgesang förmlich ansah. Olaf war begeistert. „Sie müssen uns unbedingt in Stockholm besuchen“, lud er Harald ein und ihr junger Freund, wie heißt er noch gleich, Alfred, ist auch mit eingeladen. Für die mitgebrachten Kinder der Gäste war es inzwischen Zeit zu Bett zu gehen. Als verabredetes Zeichen spielte die Kapelle ein Gute- Nacht Lied, dann marschierten die Jüngsten in ihre Quartiere. Die Mütter verschwanden damit für einige Zeit, somit trat vorübergehend eine relative Ruhe ein. Für Mutter Annegret war es die Gelegenheit, in der Küche die vorbereiteten Desserts und Süßspeisen zu komplettieren. Als sich dann alle Erwachsenen wieder im Esszimmer eingefunden hatten, wurde das Naschwerk hereingebracht. Es duftete köstlich nach Vanille und Zimt, nach Südfrüchten. Weintrauben, Äpfel und süße Birnen lagen auf der Tafel. Alfred und Harald fühlten sich in ihre Kindheit versetzt, wenn in Berlin, in den Wochen vor Weihnachten, die ersten Pfefferkuchen, Kekse und Leckereien in den Geschäften auslagen und auf dem Alexanderplatz der große Christbaum aufgestellt wurde, den man für gewöhnlich aus dem Bayrischen Wald oder aus Thüringen angeliefert hatte. Harald setzte sich absichtlich neben Karin und fragte sie schüchtern, ob sie ihm immer noch böse wäre. Karin gab sich zwar untröstlich, doch die allgemeine Anerkennung, die dieser hergelaufene Deutsche heute Abend erfahren hatte, war ihr unheimlich. „Wo haben sie so gut malen gelernt“, wollte sie wissen. Er berichtete, dass sein Vater in Berlin einen kleinen Laden für Künstlerbedarf hatte und selbst auch nicht ganz unbegabt war. Bei diesen Worten erfasste Harald eine tiefe Trauer, weil er wieder an das Schicksal seines Vaters erinnert wurde. „Was haben Sie“ wollte Karin wissen, doch er scheute sich, dieser fremden Frau die Schicksalsschläge seiner Familie offen zu legen. Er erzählte ihr stattdessen von seinem Heimweh und von den ungewohnt strengen und langen Wintern hier im Norden Europas. Harald war ein guter Erzähler, der seine Berichte sorgfältig aufzog, so dass der Zuhörer immer in Spannung gehalten wurde. So hatte er Karin fasziniert, mit seiner Ausstrahlung und seinem Talent, die Dinge immer im positiven Licht zu sehen, „Dieser Harald ist doch ein Kerl, den man bei der größten Boshaftigkeit nicht lange böse sein konnte“, dachte Karin bei sich. Doch eins wollte sie unbedingt von ihm wissen: “Bin ich denn wirklich solch ein Scheusal, wie sie auf dem ersten Bild gezeichnet haben“? „Nein“, wollte sich Harald zuerst herausreden, „aber ich hatte schon den Eindruck, dass sie sehr von sich überzeugt sind und sicher sind sie eine sehr selbstbewusste junge Frau“. „Betrachten sie das als Fehler“? bohrte sie weiter, „ihr Männer wollt doch alle nur eine Frau, die euch willig und ohne Widerspruch jeden Wunsch von den Augen abliest, um ihn im nächsten Augenblick zu erfüllen. Am liebsten ein immer bereites Betthäschen“. Alfred hatte zwischenzeitlich mit den Söhnen des Hauses, Thoralf und Söhren gesprochen: „Wollen wir uns nicht vor Weihnachten in Uppsala treffen“. Beide Söhne waren immer nur kurz in der Universitätsstadt, denn wenn Vater Lars dort zu tun hatte, waren sie schon mal mitgefahren, hatten aber bislang nichts richtig Aufregendes an dieser Stadt gefunden. Nun, da sie langsam flügge wurden, hatten sie durch Alfred und Harald erfahren, dass es hier eine Unmenge hübscher Mädchen gab, die sich hier als Studenten aufhielten und in den Bars und Tanzlokalen förmlich darauf warteten kennen gelernt zu werden. Durch die konzentrierte Ballung junger Leute war an jedem Wochenende etwas los. Das Angebot reichte von Tanzabenden über Theaterbesuche, Konzertveranstaltungen, Vorträge bis zur unkomplizierten Möglichkeit einfach mit jemandem zu reden. Damit war der Plan zum Besuch abgesteckt. Pünktlich um Mitternacht ging die Geburtstagsgesellschaft geschlossen ins Freie, um sich den herrlichen Sternenhimmel und das Feuerwerk zu Ehren von Vater Lars anzusehen. Karin schmiegte sich eng an Haralds Brust, denn die Nacht war klar und bitterkalt. Sie fühlte sich geborgen in der Nähe dieses klugen und begabten Mannes. Während die Böllerschüsse die Gegend erhellten, fragte sie ihren Beschützer: „Wollen wir immer beim „Sie“ bleiben oder hätten sie etwas dagegen, wenn wir „Du“ sagen“? Harald umfasste sie zärtlich, „haben wir uns nicht schon lange nach diesem Augenblick gesehnt“ dachte er bei sich, doch er sprach es nicht aus, weil er sich der Folgen nicht so sicher war. Nachdem alle Raketen verschossen waren, das bengalische Feuer erloschen, knallte Mutter Annegret noch einmal, nun mit Sektkorken und jeder bekam ein gefülltes Glas in die Hand. Alle stießen zum Ausklang dieses schönen Festes an. Das Feuerwerk hatte an einer Stelle den Schnee schmelzen lassen und ein Stück Wiese freigelegt. Der geschmolzene Schnee war augenblicklich zu einer kleinen Eisscholle gefroren. Die nun müde gewordenen Gäste verabschiedeten sich bei den Gastgebern und gingen zu Bett. Alfred und Harald teilten sich mit Thoralf und Söhren das Kinderzimmer und hatten sich noch bis spät in der Nacht vieles zu erzählen. Dieser Abend sollte für alle Beteiligten lange im Gedächtnis bleiben. Söhren hatte vorgeschlagen, am nächsten Tag auf die Eisbahn zu gehen und so wurde beschlossen etwas früher aufzustehen um die herrliche Morgenluft zu genießen. Mutter Annegret fand den Vorschlag gut, zumal sie, zusammen mit dem Personal, den Haushalt wieder herrichten musste, damit bei den Lindgreens wieder die Normalität einkehren konnte.Vater Lars bekam die angenehme Aufgabe alle Geschenke zu sichten, damit der große Geburtstagstisch für den allgemeinen Gebrauch frei gemacht werden konnte. Die angereisten Verwandten verabschiedeten sich einer nach dem anderen und zum Mittag hatten alle Möbel wieder ihren angestammten Platz und im Haus kehrte wieder Ruhe ein. Karin hatte sich ausgebeten etwas länger zu bleiben, damit sie noch etwas mit Harald zusammen sein konnte. So rannte sie hinter den bereits aufgebrochenen jungen Männern hinterher, bis sie keuchend und schnaufend die Eisbahn erreichte. Die vier jungen Männer hatten sich inzwischen Schlittschuhe angeschnallt und waren in der Menge der Anwesenden verschwunden. Die Suche gestaltete sich schwierig, da jetzt im Winter alle Leute dunkle Kleidung trugen. Sie wurde ja nicht erwartet. So irrte sie durch die Reihen, in der Hoffnung, wenigstens einen der vier zu erkennen. Doch wie vom Blitz getroffen blieb sie stehen. Was sie sah, konnte sie nicht glauben. Harald stand neben Alfred und war gerade im Begriff ein junges Mädchen zu begrüßen und sie drückten sich sogar Wange an Wange. „Das ist zu viel... „Dieser Weiberheld“ schnaufte sie. „Wer weiß, wie vielen Mädchen dieser Draufgänger mit der sanften Stimme noch den Kopf verdreht hat“, und rannte weinend zurück zu den Lindgreens“. „Was ist denn passiert?“ wollte Mutter Annegret wissen. „Dieser Schuft“ schrie es aus ihr heraus und dicke Tränen rannen über ihr Gesicht. Als Vater Lars das Schluchzen hörte, kam auch er herbei. „Habe ich etwas verpasst“ wollte er wissen. Da berichtete Karin den beiden, was vorgefallen war. „Und sie hatte sich heute bei Ihrer Toilette besonders viel Mühe gegeben diesem Unhold zu gefallen“, schluchzte sie. Lars und Annegret tauschten bedeutungsvolle Blicke, „Da hat wohl heute Nacht bei jemandem der Blitz eingeschlagen“ meinte Vater Lars mit einem spöttischen Lächeln. „Du bist gemein“ konterte Mutter Annegret, „das Stadium der Verliebtheit kann eine ganz schwere Krankheit sein, wenn man enttäuscht wird. Setz dich hin und warte ab, ich wette du hast die Situation missverstanden“, riet ihr Mutter Annegret. „Sieh mal, ich bin so etwas wie seine Ersatzmutter, zu mir hat er eine Menge Vertrauen. Er ist ein guter Junge und ich erfahre, wenn es ihm gut geht und ich spüre, wenn es ihm schlecht geht. Wenn er hier ein Mädchen hätte, würde ich es mindestens noch am gleichen Tage nach dem Kennerlernen erfahren“. „So?“, fragte die enttäuschte junge Frau skeptisch und schnaubte herzhaft in ihr Taschentuch „und warum war er gestern mir gegenüber so abweisend?“. Nun fühlte sich Vater Lars gefordert: „Das sah mir aber während des Feuerwerkes überhaupt nicht wie abweisend aus. Ihr wart euch doch verdächtig nahe gekommen. Das hätte bald für deine Eltern zum Einschreiten gereicht. Nur mein Veto hat sie davor abgehalten dir heute früh eine Szene zu machen, schließlich bist du doch in Stockholm verlobt und das hast du Harald sicher nicht gesagt“. „ Dann hätte er mich vielleicht überhaupt nicht beachtet“, begann sie wieder zu weinen. „Aber du musst nun langsam wissen, was du willst und wen du willst. Du kannst dir nicht einfach ein Herz nehmen und ein anderes wegwerfen, wie ein altes Möbelstück, so geht das nicht“. Mutter Annegret hielt ihr mit barsch fordernder Stimme eine gehörige Standpauke. „Gehe in dein Zimmer und richte dein Gesicht wieder her, wenn er dich so sieht, bekommt er vielleicht einen Schock fürs Leben“, mit diesen Worten schickte sie Karin weg, weil sie an der Eingangstür die Stimmen ihrer Jungen hörte. Mit lautem Getöse und angeregt unterhaltend kamen die vier zur Tür herein und scherzten und lachten. „Na ihr Herumtreiber“, begrüßte sie Mutter Annegret, „was gibt es Neues zu berichten“? Alfred schwärmte zufrieden: „Das Eis ist herrlich, und wir waren überrascht, die Studienkollegin Hilda aus Uppsala hier zu treffen. „Sie sagte, sie würde hier in Falun wohnen und ihr Vater wäre allgemeiner Arzt am Marktplatz. Sie hatte auch ihren Namen gesagt, Thoralf du wusstest ihn vorhin, wie hieß er doch gleich“? „Doktor Andersson heißt er“ erwiderte Thoralf. „Die Tochter soll natürlich auch die medizinische Laufbahn einschlagen. Übrigens ist sie ganz nett, wir haben uns lange unterhalten und wollen uns in Uppsala treffen“, fügte Alfred hinzu. „Außerdem fährt sie morgen im gleichen Bus, wie wir, zurück“. Bei diesen Worten kam Karin die kleine Freitreppe herunter geschritten, sie hatte offenbar alles mitgehört. „Du bist ja noch da, ich denke deine Familie ist schon längst nach Stockholm unterwegs“, strahlte Harald, wie die aufgehende Sonne. „Ich muss gestehen, dass ich Abschiedsszenen nicht ausstehen kann, so war ich froh, als der Vorschlag kam, die Eisbahn aufzusuchen“. Verflogen war Karins Ärger und die Lindgreens hüteten sich, das Thema von vorhin wieder anzusprechen. Am Sonntag packten nun Karin, Harald und Alfred die Koffer und stampften zu Fuß zum Bus. Die letzte Nacht war wieder kalt gewesen und der Schnee knirschte unter den Reifen des herannahenden Busses. Der fuhr die Linie Falun – Stockholm. Bis Enköpping konnten sie gemeinsam fahren, das war etwa zweidrittel der Strecke, dann mussten Hilda Andersson, Alfred und Harald nach Uppsala umsteigen. Der Anschlussbus wartete schon. Als Harald ausstieg, fragte ihn Karin, „Was habt ihr für Weihnachten geplant“? Harald sah Alfred an und beide stimmten überein: „Wir sind bei Lindgreens eingeladen, wo sonst? Aber warum fragst du“? wollte Harald wissen. „Würdest du dich freuen, wenn ich mit hinzukomme“? fragte sie schüchtern. „Na klar, wenn Vater Lars und Mutter Annegret nichts dagegen haben, gerne“. Damit trennten sie sich und bestiegen den Anschlussbus, der sie wieder zur Uni bringen sollte. Hilda Andersson, die den nötigen Abstand zu den Dreien hatte, bemerkte nicht ohne ironischem Unterton: „Was habt ihr denn mit Karin angestellt, die ist aber schwer verknallt“. Harald und Alfred ganz überrascht: „wieso, in wen denn“? „Na ich glaube in Harald. Habt ihr denn nicht das Leuchten in ihren Augen gesehen, als sie sich von Harald verabschiedet hat“? Harald, ganz unschuldsvoll: „Ich habe nichts gemerkt, du etwa“? drehte er sich zu Alfred um. „Ihr seid doof, so etwas merkt man doch. Was seid ihr Männer nur für Wesen, da mag man euch und ihr merkt es nicht einmal“. Alfred und Harald sahen sich beschämt an. „Ich finde euch beide auch sympathisch, aber wenn ihr das nicht merkt, dann ist es auch egal“ schimpfte Hilda weiter. Schließlich waren sie an ihrem Bestimmungsort angekommen. Der Busfahrer gab die Gepäckstücke aus dem Kofferraum heraus, kletterte auf seinen Fahrersitz zurück und fuhr weiter.

Ich bin ein Berliner

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