Читать книгу Heartbeat - Valea Summer - Страница 11
ОглавлениеFünf
Du schreibst nicht mit?« Lynn zog ihren Block aus der Tasche, als wir in unserer ersten Vorlesung saßen, und legte ihn mit einem neonpinken Stift aufs Pult.
»Ich habe die Erlaubnis vom Prof, die Vorlesung aufzuzeichnen«, erklärte ich, während ich durch das Fachbuch blätterte.
»Das ist unfair«, schmollte Lynn. »Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen? Es ist so schon schwer, mitzuhalten.«
Um sie aufzumuntern, machte ich ihr einen Vorschlag.
»Was hältst du davon, wenn wir in Zukunft zusammen lernen, dann kannst du meine Aufzeichnung für deine Notizen nutzen.«
»Calla, du bist Weltklasse!« Mit einem Lächeln, das von einem Ohr bis zum anderen reichte, fiel sie mir um den Hals. »Nie wieder mitschreiben. Du hast was gut bei mir.«
Ich lachte.
»Du kannst mir bei Gelegenheit ja einen Karamelllatte ausgeben. Ich habe gehört, die sind hier besonders lecker.«
»Ich würde dir 100 Latte ausgeben, wenn ich dafür nicht mehr mit schmerzender Hand aus der Vorlesung muss.« Lynn hatte den Kopf auf ihre Hand gestützt und begann Kringel auf ihren Block zu kritzeln.
Sie wusste gar nicht, wie gut ich das nachvollziehen konnte. Instinktiv strich ich über meinen rechten Arm. Ich war niemand, der aufhörte zu kämpfen, wenn es schwierig wurde. Als die Ärzte mir jedoch mitgeteilt hatten, dass sie nichts mehr tun konnten, hatte ich aufgeben müssen. Durch eine OP konnten sie meinen Arm zwar retten, aber einige Nerven waren dabei schwer beschädigt worden. Es bestand noch immer die Hoffnung, dass sich die Nerven wieder regenerierten. Ich musste es nur selbst wollen und weiter regelmäßig zu den Behandlungen erscheinen. Ich konnte den Arm zwar bewegen, aber das Taubheitsgefühl blieb. Es war nicht beständig, sondern kam und ging. Die Behandlungen hatten nichts gebracht. Der erwünschte Effekt war ausgeblieben.
Die Ärzte konnten nichts machen, weil es eine psychische Ursache gab, die die Nerven daran hinderten zu genesen. Solange ich nicht mit dem Unfall abschloss, würde sich keine Besserung einstellen. Also hatte ich angefangen, damit zu leben, denn mit dem Unfall abzuschließen, bedeutete, sich damit auseinanderzusetzen. Das konnte ich nicht. Noch nicht.
***
Die Pause zwischen den Vorlesungen verbrachte ich auf dem großen Campus. Ich hatte mir unter einem der riesigen Bäume, die langsam ihre Blätter verloren, eine freie Bank gesucht und holte mein Handy aus der Tasche. Um abzuschalten und einen freien Kopf für den nächsten Kurs zu bekommen, stöpselte ich die kleinen Kopfhörer in die Ohren und schaltete die Playlist an. Mit geschlossenen Augen lauschte ich der rockigen Musik, die ich nur dann hörte, wenn ich an nichts denken wollte.
Warum konnte ich es nicht? Warum konnte ich ihn nicht vergessen? Eine Woche war seit unserem Zusammenstoß vergangen und seither hatte ich ihn nicht wieder gesehen. Als wäre er vom Erdboden verschwunden. Ich wollte die Gedanken, die ständig um ihn kreisten, ignorieren, aber ich war dazu nicht fähig.
Deshalb versuchte ich, mich aufs Studium zu konzentrieren. Ich verbrachte jede freie Minute in der Bibliothek oder mit Dana und traf mich mit Lynn auf dem Footballfeld. Liam blieb allerdings hartnäckig in meinem Kopf. Seufzend öffnete ich die Augen. Ich war langsam echt genervt von mir selbst. Warum musste man immerzu an das denken, an das man gerade nicht denken wollte? Ihn zu ignorieren, half ganz und gar nicht.
Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr, die meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Liam stand bei ein paar Jungs und wollte einen Pappbecher in den Mülleimer werfen. Vergeblich. Er prallte am Rand ab und fiel auf die Steine. Seine Freunde fingen über seinen kläglichen Wurf an zu lachen, während er kopfschüttelnd den Becher aufhob und im Korb entsorgte.
Als hätte er bemerkt, dass er beobachtet wurde, hob er den Kopf und ließ seinen Blick über das Gelände schweifen. Noch ehe seine Augen meine trafen, wandte ich das Gesicht ab und starrte in die Baumkrone über mir. In Gedanken zählte ich langsam bis zehn und wandte meinen Kopf langsam erneut nach rechts.
Liam stand mit dem Rücken zu mir, die schwarze Umhängetasche zu seinen Füßen. Ausgelassen unterhielt er sich mit den Jungs, die wohl gerade über einen Scherz lachten. Liam war nicht wiederzuerkennen. Er war nicht mehr mit dem schmächtigen Jungen aus der High School zu vergleichen. Wenn mein Unterbewusstsein mir nicht diese Bilder gezeigt hätte, wäre er mir vermutlich nicht einmal bekannt vorgekommen.
Ob es ihm ähnlich ging? Ob er sich an mich erinnerte? Herrje, warum machte ich mir darüber überhaupt Gedanken? Liam war nur ein Kerl, den ich von der High School kannte. Was hatte ich sonst mit ihm zu tun außer der Abfuhr, die ich ihm an jenem Tag erteilt hatte?
Ja, das war nicht die feine Art von mir gewesen, aber damals musste ich meine Maske aufrechterhalten, sonst wäre ich allein gelassen worden. Ich hatte es gehasst allein zu sein. So sehr, dass ich alles dafür getan hatte, Freunde zu finden. Auch wenn sie sich im Nachhinein als die falschen Freunde herausgestellt hatten.
Wie aus dem Nichts tauchte Colins Gesicht vor meinem auf und versperrte mir so den Blick auf Liam. Erschrocken fuhr ich hoch und nahm die Stöpsel aus den Ohren.
»Musst du mich so erschrecken?«, grummelte ich und steckte das Smartphone in meine Tasche. »Wo kommst du eigentlich plötzlich her?«
Colin fing an zu lachen und setzte sich neben mich, die Hände in seiner grünen Lederjacke. Seine Haare, die er bei unserem ersten Treffen zu einem Iro hochgegelt hatte, hingen ihm heute über die linke Seite.
»Du hast echt Geschmack. Er ist heiß.«
So unauffällig wie möglich warf er einen Blick zu Liam hinüber. Automatisch folgte ich seinem Beispiel und stellte fest, dass er nicht Unrecht hatte. Das würde ich jedoch nicht zugeben.
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Komm schon, Püppi!« Colin schaute mich wissend an. »Du hast ihn doch förmlich mit den Augen ausgezogen.«
»Wie bitte?«, brachte ich empört heraus. »Das ist doch gar nicht wahr! Das hast du dir eingebildet.«
Wieder fing er an zu lachen.
»Dafür, dass es nicht stimmt, regst du dich aber ziemlich auf.«
»Ich rege mich nicht auf.« Schmollend verschränkte ich die Arme vor der Brust.
»Ich nehm‘ dich doch nur hoch, Calla.«
»Wie fies!« Gespielt böse schlug ich ihm mehrmals auf den Oberarm, musste aber selbst darüber lachen, weil es ihm so spielerisch gelungen war, mich zu veralbern. »Du kannst mich doch nicht einfach so auf den Arm nehmen.«
»Immerhin lachst du und ziehst nicht so ein Gesicht wie sieben Tage Regen.« Colin lächelte mich versöhnlich an. »Du hast ihn trotzdem angestarrt.«
Ich seufzte leicht genervt und gab nach.
»Ja, du hast Recht. Ich habe ihn wirklich angestarrt, aber nicht aus dem Grund.«
»Welchen Grund gäbe es denn noch?«, wollte er wissen, ohne mich anzusehen. Er zog dabei eine Schachtel aus seiner Jacke und steckte sich gleich darauf eine Zigarette an.
»Ich kenne ihn von früher«, erzählte ich leise.
Mich daran zu erinnern war nicht leicht, zumal es nicht die beste Erinnerung war. Leider war es auch die Einzige. Ich wüsste zu gern, was da noch mit Liam war. Mein Gefühl sagte mir nämlich, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte.
»Kennst du ihn gut?«
Colin nickte und nahm einen Zug.
»Er ist mein Mitbewohner und Bandkollege. Außerdem hat er ‘nen verdammt heißen Körper. Schade, dass er nicht auf Männer steht.«
»Soso.«
Ich versuchte, mir ein Lachen zu verkneifen, was Colin nicht entging. Dieser Kerl war aufmerksamer, als ich anfangs angenommen hatte.
»Glaub mir, Püppi«, während er sprach, stieß er den Rauch wieder aus, »wenn du ihn nackt sehen würdest, wärst du nicht mehr so locker.«
»Ja, schon klar.« Ich grinste ihn breit an und bemühte mich, ein anderes Thema anzuschlagen. »Warum nennst du mich eigentlich ständig Püppi?«
Er hob die Schultern.
»Weil du mich an die Porzellanpuppen meiner Grandma erinnerst.«
»Soll das ein Kompliment oder eine Beleidigung sein?«
»Da ich früher immer mit ihnen gespielt habe, darfst du es als Kompliment auffassen.« Er zwinkerte mir zu.
Seufzend lehnte ich mich zurück, schlug die Beine über einander und wandte meinen Kopf erneut nach rechts. Liam war mittlerweile verschwunden und hinterließ einen leeren Platz. Auch für mich wurde es allmählich Zeit, mich auf den Weg zum nächsten Kurs zu machen.
***
Es kam mir allmählich so vor, als würde man mich in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Ich hatte früher nie über mein Schicksal nachgedacht, geschweige denn daran geglaubt. Für mich war immer klar gewesen, wohin mein Weg mich führen würde. Ich wollte die High School so schnell wie möglich mit einem guten Abschluss verlassen und studieren. Genauso wie es mir mein Bruder vorgemacht hatte.
Durch den Unfall hatte sich jedoch alles verändert. Ich begann an das Schicksal zu glauben. Dass alles aus einem bestimmten Grund passierte. Colin zu treffen, der Liam kannte, dies konnte kein Zufall mehr sein. Es musste einen Grund dafür geben. Ich wusste nur noch nicht, welchen.
Unzufrieden, weil ich zu keinem Schluss gelangte, drehte ich mich auf die Seite. Mein Kissen zwischen die Knie gelegt, schloss ich die Augen. Liam ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Er war sehr viel größer als damals und zudem muskulöser, so wie ich das anhand seines engen Oberteils erkennen konnte. Auch seine Haare waren kürzer, dafür fielen sie ihm noch immer ins Gesicht. Was als typische Emofrisur belächelt wurde, ließ ihn mit den nun etwas kürzeren Haaren verwegen wirken.
Ein sarkastisches Lachen entwich meinen Lippen, während ich an Isabel dachte. Was sie wohl sagen würde, sollte sie Liam wiedersehen? Wahrscheinlich würde sie ihn nicht einmal erkennen, geschweige denn ihm ihre Aufmerksamkeit widmen. Liam hatte etwas Düsteres und Geheimnisvolles an sich, womit Isabel nichts anfangen konnte. Sie bevorzugte die durchtrainierten Sportler, die Kohle hatten und ihr haufenweise Geschenke machten.
Isabel war, was ihr Leben betraf, mehr als oberflächlich. Genauso ging sie auch mit ihren Freunden um. Sie musste immer Leute um sich haben, die nach ihrer Nase tanzten. Alle anderen, die widersprachen oder nicht ihrem Bild gleichkamen, mussten das deutlich spüren. Sie brauchte sich nicht einmal die Hände schmutzig zu machen. Dafür hatte sie ja uns, ihre Freundinnen. Dabei war es ihr egal, wie es ihren so genannten Freundinnen ging. Isabel interessierte sich nur für sich selbst.
Ich hatte sie gehasst und angefangen, mich selbst zu hassen, weil ich keinen Deut besser war, als sie. Anfangs hatte ich ihr die Schuld daran gegeben, dass ich so geworden war. Das war falsch. Ich war selbst schuld daran. Ich hätte mich einfach anders verhalten müssen. Wenn da nicht diese Angst gewesen wäre. Die Angst, wieder der Außenseiter der Schule zu sein, der von allen ausgelacht wurde. So etwas tat weh. Obwohl ich wusste, wie sich ihre Opfer fühlten, hatte ich sie in ihrem Tun unterstützt. Wegen alldem hatte ich Liam verletzt. Es hätte nie passieren dürfen. Doch ich konnte es nicht ungeschehen machen. Was also konnte ich jetzt tun? Eine Entschuldigung war längst überfällig, aber dafür musste ich ihm gegenübertreten. Vielleicht hatte er mich auch längst vergessen. Oder es war ihm egal. Immerhin war es schon ein paar Jahre her.
Frustriert setzte ich mich auf und warf das Kissen auf Danas Bett.
›Verdammt, Mädchen, sei nicht so ein Angsthase und stelle dich dem Problem!‹
Es würde mir keine Ruhe lassen, bis ich es aus der Welt geschafft hatte. Und wenn es ihn nicht interessierte, war es halt so. Zumindest hatte ich es versucht. Das war im Moment alles, was ich tun konnte.