Читать книгу Heartbeat - Valea Summer - Страница 8
ОглавлениеZwei
Laut dröhnte Lady Gaga aus den kleinen Boxen meines Laptops, als ich am nächsten Morgen meine Koffer ausräumte. Ich liebte diese Frau. Jedes Mal, wenn ich sie hörte, bewegte sich mein Körper von selbst, sodass ich nun tanzend die Kleidung im Schrank verstaute. Ich konnte von Glück reden, meinen eigenen Kleiderschrank zu besitzen, auch wenn er nicht sehr groß war und nur ein Teil meiner Kleidung hineinpasste.
Es gab aber noch zusätzlichen Stauraum durch die Schubladen unter meinem Bett, welches sich gegenüber von Danas befand. Im Großen und Ganzen konnte ich zufrieden mit meinem Zimmer sein. Es hätte mich wesentlich schlechter treffen können. In einer Sardinendose zu wohnen, zum Beispiel, eingequetscht zwischen Bett und Schreibtisch, in der man kaum noch Luft zum Atmen hatte.
Mit dem nächsten Kleidungsstück, das ich aus dem pinkfarbenen Koffer holte, begann der nächste Song. Obwohl ich absolut unmusikalisch war, konnte ich es nicht lassen, meine Lieblingslieder mitzusingen. Leider waren die schiefen Töne alles andere als Balsam für die Ohren meiner Mitmenschen. Das störte mich jedoch wenig. Es ging mir gut, wenn ich Musik hörte. Die Welt um mich herum verschwand aus meinem Blickfeld und mit ihr die nervigen Gedanken. Während ich weiter meine Koffer auspackte und die Songs lauthals mitsang, wäre mir beinahe das Klingeln meines Laptops entgangen. So schnell wie möglich versuchte ich, zum Bett zu gelangen. Dabei musste ich den am Boden verstreuten Gegenständen ausweichen, weshalb ich nur hüpfend durchs Zimmer gelangte.
Ich hatte es gerade zum Bett geschafft, als das blöde Ding aufhörte zu klingeln. Wie sich herausstellte, hatte ich gerade einen Videoanruf von meiner Mutter verpasst. Fluchend, wie immer auf Französisch, ließ ich mich auf die Tagesdecke fallen. Ich machte die Musik aus und klickte auf den Anrufbutton.
»Guten Morgen, mein Schatz«, begrüßte sie mich mit strahlendem Lächeln, das kleine Grübchen um ihre Mundwinkel hervorrief. Wie immer waren ihre Lippen perfekt dunkelrot geschminkt, was ihre weißen Zähne hervorhob.
Sofort erwiderte ich ihr Lächeln. Wie konnte ich es auch nicht? Sie war immerhin meine Mutter und hatte in den vergangenen Jahren einiges durchmachen müssen. Ich machte mir immer noch Vorwürfe, dass ich meinen Eltern so viele Sorgen bereitet hatte, statt ihnen ein paar mehr der glücklichen Erinnerungen zu schenken. Genau wie ich bemühten sie sich nun, nach vorn zu schauen. Das Lächeln, das sie mir jeden Morgen schenkten, war der Anfang gewesen. Ich wusste, sie liebten mich und würden mir nie Vorwürfe machen. Schließlich war es nicht meine Schuld gewesen, was damals geschah.
»Schätzchen, du siehst müde aus.« Die Stimme meiner Mutter holte mich aus den trüben Gedanken. »Hast du nicht gut geschlafen?«
Ich schüttelte sachte den Kopf, um sie zu beruhigen.
»Ich habe geschlafen wie ein Stein. Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut, Mom.«
»Hast du denn auch was Schönes geträumt?«, fragte mein Vater, dessen Stimme ich außerhalb des Bildschirms vernehmen konnte. »Denk daran: Alles, was du in der ersten Nacht träumst, wird wahr.«
»Was treibt Dad schon wieder, dass er nicht im Bild ist?«
»Ach, du kennst doch deinen Vater. Er hat bis spät in die Nacht gearbeitet und braucht jetzt seine tägliche Dosis Koffein.«
Kurz wandte sie das Gesicht vom Bildschirm ab und schenkte meinem Vater ein liebevolles Lächeln. Es veranlasste ihn dazu, zu meiner Mutter zu kommen und ihr einen Kuss aufs Haar zu drücken. Mir wurde jedes Mal richtig warm ums Herz, wenn ich meine Eltern auf diese Weise sah. Nach so vielen Jahren Ehe und zwei erwachsenen Kindern waren sie immer noch unzertrennlich und verliebt wie am ersten Tag. Insgeheim wünschte ich mir ebenfalls eine solche Zukunft. Mit einem Mann, der mich bedingungslos liebte, so lange, bis ich von der Erde verschwand.
»Also, Töchterchen, hast du schon jemanden kennengelernt? Vielleicht unseren Schwiegersohn?«, wollte mein Vater mit einem breiten Grinsen wissen.
»Nein, den nicht. Es sei denn, er entscheidet sich dafür, doch noch auf Frauen zu stehen«, erwiderte ich und spielte mit den Kopfhörern, die neben mir auf dem Bett lagen.
»Das heißt, du hast schon ein paar Leute kennengelernt? Deine Mitbewohnerin auch? Wie ist sie so? Kommt ihr gut miteinander aus?«, fragte meine Mutter, ohne Luft zu holen.
So und nicht anders kannte ich sie. Sie war neugierig und wollte immer alles wissen. Da hatte sie es bei mir nie leicht gehabt, als ich noch auf der High School war. Ich hatte ihr nie erzählt, was mich beschäftigte. Stattdessen hatte ich sie nach Strich und Faden belogen, damit sie sich keine Sorgen machen musste. So etwas hatten sie nicht verdient. Keiner von beiden.
Neugierig funkelten mich ihre Augen an, die darauf aus waren, jedes noch so unwichtige Detail zu erfahren. Schmunzelnd, weil ich es schon von ihr kannte, warf ich einen Blick zu meinem Vater. Jener erwiderte mit einem leichten Nicken meine stumme Frage. Meine Mutter würde erst Ruhe geben, wenn ich ihr alles haargenau erzählt hatte. Also berichtete ich ihr, wie ich Colin kennengelernt hatte, dass er in einer Band spielte und auf Männer stand, wie auch, dass er mir beim Tragen der Kartons geholfen hatte.
»Das klingt nach einem sehr netten jungen Mann«, stellte mein Vater lächelnd fest.
Ich liebte sein Lächeln und vermisste es jetzt schon. Immer wenn ich traurig war, hatte mein Vater mich aufmuntern können. Dafür musste er nicht einmal viel tun. Seine Grübchen und die kleinen Falten um die Augen reichten dafür normalerweise aus.
»Und du bist dir auch ganz sicher, dass er auf Männer steht?« Die Neugierde in der Stimme meiner Mutter war dabei nicht zu überhören.
»Definitiv. Er hat es mir selbst gesagt.«
Seufzend lehnte sich meine Mutter zurück, woraufhin mein Vater ihr sanft über die Schultern strich.
»Schatz, Calla ist doch noch am Anfang ihres Lebens. Sie wird dir schon noch einen Enkel schenken.«
»Na, das will ich auch hoffen! Bei Daniel ist ja bereits Hopfen und Malz verloren. Der hat nur seine Arbeit im Kopf.«
Es war meiner Mutter anzusehen, dass sie sich von Daniel einen Enkel wünschte. Aber das würde in naher Zukunft wohl nicht der Fall sein. Daniel liebte seine Arbeit heiß und innig. Da blieb keine Zeit für eine Beziehung. Allerdings wusste ich auch, dass er das gar nicht wollte. Er hatte sich dafür entschieden, nach Südfrankreich zu gehen, um ein großer Wissenschaftler zu werden. Das Wichtigste war in meinen Augen, dass er glücklich damit wurde. Und das war er mit seiner Entscheidung. Das allein sollte doch Grund genug sein, meine Eltern glücklich zu machen.
Meine Mutter hegte jedoch den Traum von einer großen Familie, da sie selbst keine Geschwister und ihre Eltern schon früh verloren hatte. Jetzt blieb natürlich alles an mir hängen. Ich wusste aber, dass meine Mutter nachsichtig bleiben würde. Dass sie es verstand, wenn ich vorerst mein wiedergewonnenes Leben in allen Zügen genießen wollte. Mein Vater hatte Recht, ich war noch jung. Kinder würde ich immer noch kriegen können, wenn mir der Richtige über den Weg lief. Im Moment stand das aber ganz hinten auf meiner Liste von Dingen, die ich tun wollte.
Mitten in unserem Gespräch ging die Zimmertür auf und Dana kam hereingeschneit. Fragend schaute ich sie an, da sie eigentlich schon längst unterwegs zu ihrer Campusführung sein wollte.
»Sorry, ich wollte nicht stören«, entschuldigte sie sich. »Ich bin auch gleich wieder weg. Hab nur was vergessen.«
»Schatz, ist das deine Mitbewohnerin?«, schaltete sich sogleich meine Mutter in das Gespräch ein. Wie schon vorhin kam mir ihre Neugierde in die Quere.
»Telefonierst du mit deiner Mom?«, wollte Dana wissen, während sie sich nebenbei über ihr Bett lehnte und sich ein Buch aus dem Regal schnappte.
»Ja. Du weißt doch: Allgemeiner Kontrollanruf«, scherzte ich.
»Werde nicht frech, Kleines«, kam es aus den Lautsprechern meines Notebooks von meinem Vater.
Er versuchte immer wieder, streng rüberzukommen, was am Ende doch nicht so ernst klang. Kurzerhand kam Dana zu mir herüber und winkte in die Kamera, um meinen Eltern ›Hallo‹ zu sagen.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. und Mrs. Devereux. Ich werde schon auf Ihre Tochter aufpassen, machen Sie sich also keine Sorgen.«
Statt meine Mutter antwortete mein Vater:
»Das ist sehr nett von dir. Danke ...«
Hilfesuchend, weil Dana ihren Namen nicht genannt hatte, sah mein Vater mich an.
»Dana«, sprach ich ihren Namen lautlos aus und half ihm damit auf die Sprünge.
»Danke sehr, Dana«, meldete sich nun auch meine Mutter zu Wort. »Vielleicht möchtest du uns in den Semesterferien mal mit Calla zusammen besuchen kommen.«
»Das ist sehr nett von Ihnen. Ich werde über das Angebot nachdenken. Sie entschuldigen mich, ich muss leider los.«
Ehe meine Eltern sich verabschieden konnten, war Dana aus ihrem Blickfeld verschwunden. An der Tür blieb sie kurz stehen.
»Wir sehen uns dann später.«
»Sie scheint ein nettes Mädchen zu sein. Allerdings trägt sie mir ein wenig zu viel Schwarz«, äußerte sich meine Mutter zu Danas Kleidungsstil.
»Na ja, sie gehört einer Sekte an und treibt sich nachts auf Friedhöfen herum. Da sind schwarze Klamotten so üblich«, eröffnete ich ihr so locker wie möglich.
Während meinem Vater der sarkastische Ton nicht entgangen war, hatte meine Mutter nur einen Blick des Entsetzens für mich übrig. Nachdem sich allerdings die Grübchen um die Mundwinkel meines Vaters bemerkbar machten, konnte ich nicht länger an mich halten und prustete los.
»Entschuldige, Mom, aber man kann dich zu leicht auf den Arm nehmen«, brachte ich gerade so zwischen zwei Lachern hervor.
Gespielt beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust.
»Also wirklich! Das hast du eindeutig von deinem Vater. Der hat auch immer seine Späßchen mit mir gemacht«, schimpfte sie in einem weniger ernsten Ton. Ihr Blick wurde aber umgehend liebevoller. »Jedoch freut es mich – uns – zu sehen, dass du dich gut eingelebt hast und dich mit deiner Mitbewohnerin verstehst.«
Ich nickte.
»Ich denke, ich werde hier eine ganz tolle Zeit haben. Allerdings muss ich auch gleich los. Ich wollte mich noch ein wenig umsehen, bevor nächste Woche keine Zeit mehr dafür bleibt.«
»Hast du heute noch keinen Unterricht?« Mein Vater wirkte verwundert.
»Nein«, antwortete ich mit einem Kopfschütteln, »der geht nächste Woche erst los. In den nächsten Tagen geben sie die Einführungskurse.«
»Dann wünschen wir dir ganz viel Spaß und melde dich zwischendurch«, verdeutlichte meine Mutter, damit ich es auch ja nicht vergaß.
Ich schüttelte nur den Kopf und verabschiedete mich von den beiden. Natürlich würden sie mir fehlen, aber ich hatte es ihnen schon vor meiner Abreise deutlich gemacht, dass ich mich nicht jeden Tag melden würde. Wenn die Vorlesungen begonnen hatten, würde nicht mehr viel Zeit dafür bleiben. Hätte ich ihnen das Versprechen nicht gegeben, mich am Wochenende einmal kurz zu melden, wären sie wohl gar nicht erst einverstanden gewesen, mich gehen zu lassen.
Seufzend schnappte ich mir meine Tasche und verließ damit das Zimmer. Bereits auf dem Weg aus dem Wohnheim stöpselte ich die Kopfhörer in mein Handy, damit die Welt um mich herum wieder in Musik versank. Den Impuls unterdrückend laut zu singen, ging ich draußen summend den gepflasterten Weg entlang. Zu beiden Seiten wurde er von hohen Bäumen gesäumt, die bereits ihr rotes Kleid angelegt hatten. Ich liebte den Herbst mit all seinen Facetten. Von dem einen auf den anderen Moment konnte er mystisch und geheimnisvoll sein und dann war er mit all seinen Farben wie das schönste Bild eines Malers. Heute war einer dieser Tage, an denen alles leuchtete und in ein warmes Rotgold getaucht war. Am liebsten hätte ich die Einführungskurse geschwänzt, mich auf eine Bank gesetzt und die wohltuenden Strahlen der Sonne genossen. Ich war jedoch nicht hier, um zu faulenzen, sondern um zu studieren.
Ich hatte mir ein hohes Ziel gesteckt, das ich seit meinem 14. Lebensjahr verfolgte. Allerdings hatte ich dafür einiges tun müssen. Deshalb war ich auch manchmal kurz davor gewesen, aufzugeben. Doch dann rief ich mir die Worte meines Bruders in Erinnerung.
Wenn du fällst, dann steh auf. Schau nicht zurück, sondern auf das, was vor dir liegt.
Und genau das tat ich. Ich behielt immer im Blick, was ich erreichen wollte. Und würde man mir noch so große Steine in den Weg legen, ich würde sie überwinden.
Ich setzte den Weg fort und suchte in meiner Tasche nach der Broschüre, auf der die Gebäude abgebildet waren. Natürlich hätte ich es viel bequemer haben können, wenn ich eine Führung mitgemacht hätte, aber ich wollte den Campus lieber auf eigene Faust erkunden. Zumal mir die Wege so besser im Gedächtnis bleiben würden. Die Gebäude auf dem Campus waren dem Wohnheim sehr ähnlich. Auch sie hatte man aus rotem Ziegel erbaut und die Eingänge zierten riesige Säulen, die das Vordach stützten.
Das Ganze erinnerte mich ein wenig an die römischen Tempel mit ihren weißen Säulen aus Marmor, die aus längst vergessenen Zeiten stammten. Als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, war ich wie erschlagen von den mächtigen Obelisken gewesen, die über zwei Stockwerke reichten. Das Hauptgebäude, in dem sich die Verwaltung befand, stach dabei besonders heraus. Ähnlich war es auch bei der Bibliothek, die ich mir noch immer nicht von innen angesehen hatte.
Es würde sich mir bald schon eine Möglichkeit bieten, die Bibliothek zu besuchen. Zum Beispiel, wenn ich zum ersten Mal in meinen Hausarbeiten erstickte. Zunächst musste ich das Gebäude finden, in dem meine Vorlesungen gehalten wurden. Den Blick auf den Lageplan gerichtet, ging ich langsam über den Campus. Immer wieder sah ich auf, nur um festzustellen, dass ich ganz woanders gelandet war. Frustriert, weil ich schon seit zwanzig Minuten das Gebäude F suchte, fluchte ich leise vor mich hin.
»Irgendwo hier muss es doch sein«, murmelte ich, während ich die Treppe hochging und die Karte auf die Seite drehte.
Das half leider auch nichts, um daraus schlau zu werden. Ich war zu vertieft in den Plan, weshalb ich nicht wirklich auf den Weg achtete. Die Stufen vor mir hatte ich zwar im Blick, aber nicht die Person, die ganz plötzlich vor mir auftauchte. Mit dem Kopf zuerst machte ich Bekanntschaft mit etwas mir Undefinierbarem. Völlig perplex, was mir da in den Weg gehüpft war, sah ich auf, direkt in die verdutzte Miene meines Gegenübers.
»Tut mir leid«, murmelte ich und nahm die Kopfhörer aus den Ohren. »Ich ... Ich habe nicht darauf geachtet, wo ich hinlaufe.«
»Das habe ich gemerkt.«
Beim Klang seiner Stimme musste ich unwillkürlich schlucken. Sie hatte etwas derart Kratziges an sich, was mich an ein Reibeisen erinnerte. Es jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Zudem konnte ich nicht den Blick von seinen grauen Augen wenden, die je nach Lichteinfall bläulich schimmerten. Diese Augen. Irgendwie kamen sie mir bekannt vor. Ich war mir nahezu sicher, sie schon einmal gesehen zu haben, konnte mich jedoch nicht erinnern, was bei diesem Blick gar unmöglich schien.
»Mach ein Foto, Prinzessin.«
Seine Stimme, in der etwas Dunkles und Mystisches mitschwang, war plötzlich direkt an meinem Ohr. Gänsehaut breitete sich aus, als sein warmer Atem auf meine empfindliche Haut traf. Was war das für ein Gefühl, das er in mir auslöste? Etwas Derartiges hatte ich noch nie zuvor gespürt, weshalb ich auch nicht damit umzugehen wusste. Ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte.
Das erste Mal, dass ich sprachlos war und keinen frechen Spruch auf den Lippen hatte. Dementsprechend stand ich einfach nur da. Nach gefühlt unendlichen Minuten wandte ich ihm mein Gesicht zu. Mein Blick fiel auf seine gepiercten Lippen, die mich herausfordernd angrinsten.
Er musste meine fragende Miene richtig gedeutet haben, denn er sagte:
»Von einem Foto hast du länger was, das kannst du ebenfalls anstarren.«
Ich hatte den Mund bereits geöffnet, um ihm zu sagen, dass ich ihn nicht anstarrte. Dass er ein Typ war wie jeder andere, doch es kamen einfach keine Worte heraus. Er verunsicherte mich. Etwas, das mir bislang bei noch keinem Mann passiert war. Was hatte dieser Typ an sich, dass ich nicht einmal mehr ein Wort herausbekam? Vor allem, an wen erinnerte er mich?
»Hey, Rockstar! Komm endlich! Deine Groupies sind auch nach den Vorlesungen da!«
Der Typ wandte seinen Kopf in die Richtung, aus der man ihn gerufen hatte. Dabei wehte eine dezente Note seines Rasierwassers zu mir herüber. Moschus. Ich würde diesen Duft überall erkennen. Mein Bruder hatte mich als kleines Mädchen einmal so mit Dads Rasierwasser eingesprüht, dass ich den Geruch tagelang nicht aus der Nase bekommen hatte. Es besaß ebenfalls eine herbe Note und roch nach Moschus. Genau wie der Student vor mir. Allerdings war dieses Aroma nicht ganz so penetrant. Er hatte zudem etwas Frisches an sich, fast schon Zitroniges.
Lächelnd wandte sich der Typ wieder mir zu. Dabei warf er einen Blick auf meine Karte, die ich weiterhin krampfhaft in den Händen hielt.
»Mach das nächste Mal deine hübschen Augen auf, wenn du unterwegs bist.«
»Liam!«, rief der Student oberhalb der Treppe. »Jetzt komm endlich. Wir müssen los!«
»Wir sehen uns, Prinzessin.« Grinsend zwinkerte er mir zu, schulterte seine Umhängetasche und lief mit großen Schritten die Steintreppe zu seinem Kumpel empor.
Liam.
Etwas in meinem Kopf begann zu pochen. Woher kannte ich diesen Namen? Woher kannte ich ihn? Plötzlich jagte ein dumpfer Schmerz durch meinen Kopf. Intuitiv drückte ich die Hände an meine Schläfen, in der Hoffnung, es würde vergehen. Es wurde jedoch schlimmer. Mein Kopf tat höllisch weh. Ich hatte das Gefühl, er würde gleich in tausend Teile zerspringen. Der Schmerz war so unerträglich, dass ich mich nicht länger auf den Beinen halten konnte. Ich sank auf der Treppe zusammen, die Hände noch immer an meine Schläfen gepresst.