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Kapitel 1

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August 2019

Deutschland, Ludwigsburg, Marktplatz


Zwei Kirchen – eine größere, die evangelische, und eine kleinere, die katholische – ragen einander gegenüber und schauen schweigend auf das Treiben am Fuß ihrer Mauern. Ein Treiben, das im Vergleich zu anderen Tagen, wenn hier der Wochenmarkt oder ein Konzert stattfindet, heute nicht sehr lebhaft ist.

Ein paar Kinder rennen den Tauben nach; müdegejagt, sehen einige Vögel, einträchtig aufgereiht auf dem Sims eines Hauses, von oben zu.

Auf dem Platz halten Leute, sich in den Schatten der mächtigen Kirchenmauern bergend, Rast auf Stühlen. Die Stadt hat vorausschauend Sorge getragen, dass die Stühle nicht etwa festgeschraubt sind – so können die Einwohner sie, dem Lauf der Sonne folgend, ins Schattige rücken.

Andere haben sich in den kleinen Cafés und Restaurants niedergelassen, die um den ganzen weiten Platz herum verteilt sind, und schlürfen gemächlich leichte alkoholische Getränke – den hellgelb-klaren «Hugo» mit Minzeblättern oder den rötlichen Aperol mit Eiswürfeln. Sie essen eine Pizza oder löffeln ein Eis, in leisem Gespräch.

Viele, so ist zu spüren, genießen die letzten warmen Tage des Sommers.

Für mich ist es schon mehr der Herbst – allmählich sickert er von überall her ein. Er ist in der warmen Luft. Ist in dem gelben Blatt, das da von irgendwoher angeflattert kommt. Auf den dunkler gewordenen Blättchen der Pflanzen in den riesigen Töpfen rund um den Marktbrunnen in der Mitte des Platzes.

Meine Mädchen und ich überqueren den Platz in der Hoffnung, ein freies Tischchen draußen vor unserem Lieblingscafé zu finden, dessen italienischer Name, «Baci», auf Deutsch, Kuss' bedeutet. Wir haben Glück; die Mädchen machen sich’s auf dem Lederbänkle bequem, das dicht vor den hohen Fenstern des Cafés steht; ich auf einem Stuhl. Das niedrige Tischchen reicht mir gerade bis zu den Knien.

Diesen Platz vor den Café-Fenstern liebe ich noch mehr, wenn ich ohne die Kinder komme. Er bietet Schutz: hinter dir die Fensterscheibe, vor dir die Säulen der Arkaden. Dabei siehst du alle, die an den Tischchen sitzen. Mit den Mädchen setze ich mich lieber an die gewöhnlichen etwas höheren runden Tische, aus Sorge, dass ihnen an den niedrigen Tischchen das Eis auf die Knie kleckert.

Es sind sehr viele Besucher da, doch die Kellnerinnen lassen es sich nicht nehmen, uns als alten Bekannten freundlich zuzunicken, während sie sich flink von Tisch zu Tisch bewegen. Eine von ihnen, die Besitzerin selbst, Angelina, ist eine schöne Italienerin mittleren Alters. Dunkelhaarig, stets geschmackvoll gekleidet, bedient sie die Gäste gemeinsam mit ihren Angestellten. Im Sonnenlicht glitzert der Schmuck, der, kundig gewählt, ihre Kleidung ergänzt.

Ich gebe rasch unsere Bestellung auf, ohne dafür in die Karte zu gucken. Weil ich für gewöhnlich, bei schönem Wetter im Sommer, immer das gleiche bestelle: kalten Kaffee mit Eiswürfeln, Vanilleeis und Sahne. Hier heißt das «Eiskaffee», ist aber was ganz anderes als der, Eiskaffee' in Moskau. Dort ist das eine Kugel Vanilleeis, die man in heißen Kaffee legt – du kannst da zusehen, wie diese Kugel deinen schwarzen heißen Kaffee allmählich in warmen Kaffee mit Milch verwandelt.

Lustigerweise bereiten die Italiener – ihnen gehören hierzulande in aller Regel die Eisdielen – diese Art kalten Eiskaffee nur in Deutschland; in Italien selbst ist dieses Getränk praktisch nirgendwo anzutreffen.

Meine ältere Tochter bestellt sich eine Eisschokolade: kalter Kakao mit Eiswürfeln, Vanilleeis und ohne Sahne. Mit Sahne findet sie das Getränk zu fett und sattmachend.

Die Jüngere bittet, ob sie eine Erwachsenen-Portion «Spaghetti-Eis» bekommen darf: Vanilleeis, durch ein Gerät in Nudelform gepresst, übergossen mit einer Erdbeersoße. Das Ganze sieht aus wie ein Teller Spaghetti mit Tomatensoße.

Unbemerkt von der Jüngeren wechsle ich einen Blick mit ihrer Schwester Katharina: uns ist klar, dass sie das nicht alles schaffen wird und jemand diese Portion wird aufessen müssen – was uns nicht lieb ist.

Die Jüngere zu überreden versuchen, eine Kinder-Portion mit einem «Überraschungs-Ei» zu nehmen, möchte ich aber auch nicht, aus Furcht, durch einen Disput die entspannte mediterrane Stimmung und die Atmosphäre, von der die Luft erfüllt ist, zu zerstören.

In dem Wissen, dass ein Teil der Portion auf dem Teller bleiben wird, erlaube ich ihr, die Bestellung zu machen. Bestellen, das mag sie gerne selber; sie tippt dann mit ihrem Fingerchen auf die Karte und heftet den Blick auf die freundlich lächelnde Kellnerin.

Ciao, bella.

Aus meinem Rucksack krame ich einen Kugelschreiber und einen langen Quittungszettel aus dem Supermarkt hervor; und mit fliegendem Stift notiere ich die Zeilen eines Gedichts, die mir im Kopf kreisen.

Dann, während ich meinen Eiscafé trinke, versuche ich, das Entstandene ein wenig in Form zu bringen.

Der Herbst

Mit durchsichtigem Flügel, fein und zart

Hat er, mit zärtlichem Seufzer,

Alles gestreift

Und goldenen Puder verstreut.

Hat Gras, Bäume, Blätter bestäubt

Und den Feldern einen Luftkuss gesandt.

Den Sonnenstrahl vergaß er in der azurblauen Spinnwebe

Und ist allmählich Sieger geblieben.

Aus dem Himmel tönt der Abschiedsruf

Derer, die sich kampflos ergeben haben.

Ich lese es meiner Tochter Katharina vor.

«Wie schön das klingt!» sagt sie.

Meine Stadt auf Яussisch

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