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Kapitel 4

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Herbst 2005

Deutschland, Ludwigsburg, Volkshochschule


Die fünfzigjährige Frau Kraft, meine Lehrerin – ich nenne sie Frau Ljuba – ist vor vielen Jahren, nachdem sie zu Beginn der achtziger Jahre die zehnklassige Schule noch in der Sowjetunion absolviert hatte, aus Russland emigriert. Genauer gesagt: abgehauen – doch davon später…

Sie studierte in Köln Germanistik, und ihrem Russisch hört man einen angenehm klingenden deutschen Akzent an. In ihrer Jugend, so ist es wahrzunehmen, muss sie sehr hübsch gewesen sein. Lange blonde Haare, die in welligen Locken herabfallen, ohne sie dabei jedoch, wie so viele langhaarige Frauen ihres Alters, in eine betagte Wassernixe zu verwandeln. Ebenmäßige Gesichtszüge, gute Figur. Sie ist immer noch eine Schönheit, und während des Unterrichts erlaubt sie sich, mit einem sympathischen jungen Italiener zu kokettieren. Man merkt, dass es ihr mit uns ein bisschen langweilig ist; schließlich hält sie diesen Sprachkurs schon seit zehn Jahren.

Ihre Wohnung liegt ganz nahebei, keine hundert Meter von dem Gebäude entfernt, wo die Kurse stattfinden.

Erst in vorgerücktem Alter hat Ljuba geheiratet. Das Paar erwarb ein Haus in einem modernen Carree in nächster Nähe ihres Arbeitsplatzes. Unweit des Stadtzentrums; sündhaft hohe Bodenpreise. Für den Grundstückseigner ist es billig, für den Käufer der Immobilie teuer. Und wenn du dich, dicht an dicht lebend, mit deinen Nachbarn nicht gut verstehst, oder diese sich nicht mit dir, dann hast du’s als Hausbesitzer schlimm getroffen. Die Nachbarn können dir ja sogar beim Essen zugucken, wenn du in deinem sechs Quadratmeter kleinen Garten sitzt.

Des Familienlebens hat Ljuba sich nicht lange erfreuen können. Nach ein paar Jahren ging die Ehe auseinander. Die freiheitsliebende Schönheit konnte das ständige Murren und Nörgeln ihres Ehemannes nicht mehr ertragen.

«So ein Häuschen war mein Traum gewesen», erinnert sie sich später. «Und Träume, so seltsam das ist, gehen manchmal in Erfüllung.»

Anfangs hatte Ralf gar nicht heiraten wollen, und auch Ljuba hatte es nicht vorgehabt; doch dann war sie schwanger geworden.

Manchmal in der Pause kommt Ljubas Tochter zu uns herübergelaufen, ein Mädchen von dreizehn. Russisch kann sie ein bisschen verstehen, sprechen jedoch nicht.

Was mich betrifft…

Seit Herbst 2004 bin ich in Deutschland. Meine Tochter Katharina ist drei Monate alt. Ich besuche einen abendlichen Deutschkurs der Volkshochschule. Es ist meine zweite oder dritte Niveaustufe.

Die vorigen Kurse habe ich als Schwangere besucht; und als recht fleißige Schülerin, die am Ende auf die Fragen «Wie heißt du? Woher kommst du?» antworten konnte. Und die panische Angst hatte, in eine der kleinen Boutiquen einzutreten, wo sofort die Verkäuferin auf dich zustürzt und fragt: «Kann ich Ihnen helfen?»

Ehrlich gesagt bin ich dieses Mal keine so gute Schülerin; die Tochter nimmt meine ganze Zeit in Anspruch. Bisweilen lass ich den Kurs ausfallen; mein Mann kommt oft später von der Arbeit heim. Die Hausaufgaben mach ich flüchtig nebenher.

Als sie hört, dass ich Grundschullehrerin bin, sagt Ljuba: «Es bräuchte eine russische Schule hier am Ort. Vor ein paar Jahren hat die Stadt zahlreiche Übersiedler aufgenommen: Juden und Russlanddeutsche. Viele Familien wollen, dass ihre Kinder Russisch lesen und schreiben können. Wie wär’s, wenn wir an die russische Botschaft in Berlin schreiben – vielleicht würden die uns unterstützen?»

Frau Ljuba entwirft einen entsprechenden Brief. Ich passe ihn an den geltenden Stil formeller Korrespondenz im Russischen an. Das Schreiben senden wir nach Berlin an die Botschaft der Russländischen Föderation in Deutschland.

Eines Tages klingelt bei mir daheim das Telefon. Ein Mitarbeiter der Botschaft erklärt mir in höflichem Ton, dass die Gelder für Projekte aller Art bereits sämtlich verplant seien. Aus der Unbestimmtheit seiner Worte ist herauszuhören, dass der russische Staat kein Interesse daran hat, eine Schule in diesem abwegigen kleinen Ludwigsburg zu unterstützen.

Frau Ljuba ist traurig. Eigenständig solch eine Schule aufzuziehen, daran ist bei dem geringen Einkommen als Lehrerin und dem, was sie als Alleinerziehende von ihrem Mann bekommt, nicht zu denken.

Und wir unsererseits leben in zwei getrennten Wohnungen.

Meine Stadt auf Яussisch

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