Читать книгу Lebensgeister - Valerie Travaglini - Страница 7

Duft nach Patchouli

Оглавление

Die schwüle Luft, die ihr ins Gesicht schlug, war geschwängert von bleiernen Gerüchen nach Diesel der Gepäckstransporter und Bremsklötzen. Ja! Sie war unverkennbar im Süden! Sie verabschiedete sich etwas verlegen von ihrem Reisegefährten. Er gab ihr links und rechts ein Küsschen auf die Wangen, wie das so üblich war. Die Berührung mit seiner Wange tat ihr wohl! Sie war unerwartet weich und roch nach Patchouli. Ja. Er war jung und hatte große Ziele! Plötzlich spürte sie ihre Einsamkeit fast körperlich! Sie begann ihren Nacken hinauf zu kriechen, kroch ihren Gedärmen entlang, auf ihrem Herz machte sich ein seltsamer Druck bemerkbar. Ihr wurde plötzlich kalt.

„Wie heißt du eigentlich?“, frage er und holte sie zurück auf den Bahnhof und damit wieder in die Gegenwart, was dazu führte, dass ihr Zustand sich wieder normalisierte.

„Hannah“, stieß sie hervor, „und du?“ Er schien sich über die Frage zu amüsieren.

„Pedro“, gab er zurück und begann, in einem Seitenfach seines Rucksacks nach einem Kugelschreiber zu wühlen. Auf seine fast leere Zigarettenschachtel schrieb er seine Telefonnummer, gab sie ihr mit den Worten:

„Wenn du mal was brauchst, ruf mich an! Wenn ich grad in der Nähe bin, komm ich vorbei!“ Überrascht starrte sie ihn an. So einfach war das!

Er verließ das Bahnhofsgelände zielstrebig und fröhlich wie ein Mann, der wusste, was er wollte.

Bevor er ihrem Blickfeld entschwand, hob er noch einmal den Arm zum Gruß und schenkte ihr ein unwiderstehliches Lächeln.

Verwirrt und orientierungslos blieb sie stehen und versuchte, eine Hinweistafel zu erspähen, auf der ersichtlich war, wann der nächste Zug nach Neapel ging. Noch nie hatte sie so einen unübersichtlichen Bahnhof gesehen. Es gab unzählige Ausgänge, Aufgänge, Unterführungen. Es gab einen Ost-, einen West-, einen Süd - und einen Nordteil, wo die Züge in alle erdenklichen Richtungen abfuhren. Sie begann zu schwitzen und suchte verzweifelt mit den Augen die Anzeigentafeln ab, fand aber keinen Zug mehr, der um diese Zeit noch nach Neapel fuhr. Ihrer war schon weg und sie stellte mit Entsetzen fest, dass der nächste erst am nächsten Morgen um sechs Uhr fuhr. Was sollte sie nun tun? Sollte sie die halbe Nacht hier auf diesem Monster-Bahnhof verbringen? An zwielichtigen Gestalten mangelte es nicht. Überall, wo sie hinschaute, lungerten Typen herum, mit denen sie lieber nichts zu tun haben wollte. Eine alte Frau saß, von ihren abgewetzten Nylonsäcken umgeben, in denen sie ihre Habseligkeiten beisammen hielten, schmutzig und barfuss am Boden, mit dem Rücken an die kühle Mauer gelehnt, und starrte mit leerem, wässrigem Blick vor sich hin. Hannah krampfte sich der Magen zusammen. Aber an den Anblick von armen Menschen musste sie sich offensichtlich gewöhnen, denn als sie die Augen über die Bahnsteige schweifen ließ, stellte sie fest, dass das Elend hier zuhause war. Überall schliefen sie auf den Bänken, die Weinflasche neben sich abgestellt. Vor manchen lag ein treuer Hund zusammengekauert am Boden, um das Herrchen oder Frauchen zu bewachen. Die Böden waren übersät mit Zigarettenstummeln. Nervös zündete auch sie sich eine an und zog gierig daran.

Eine undefinierbare Angst beschlich sie. Das Gefühl wurde eindeutig von einer Truppe Männern, die definitiv nicht in die Kategorie dieser heimatlosen Kreaturen gehörten, ausgelöst. Sie waren mit engen Jeans, breiten Ledergürteln und weißen, sauber gebügelten Hemden oder blütenweißen, eng anliegenden Shirts bekleidet. Trotz fehlender Sonne die Sonnenbrille immer noch auf der Nase, lehnten sie mit überkreuzten Beinen an der Mauer und schauten anmaßend den Leuten zu, die ausstiegen. Sie sprachen untereinander kein Wort. Sie beobachteten nur ruhig, so wie Schlangen ihren Opfern auflauerten. Als ihr aller Blick bei ihr angelangt war, wurde ihr bewusst, wie sie dastand: Unsicher um sich blickend und für jeden erkennbar, dass sie keine Idee hatte, was sie tun sollte und die Situation keineswegs im Griff hatte. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie nicht so augenscheinlich planlos herumstehen durfte! Aber sie hatte nun mal keinen Plan! Sie zwang sich, in eine andere Richtung zu schauen und widmete sich verzweifelt einem Snack-Automaten. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie sich die Typen ganz ohne Eile in Bewegung setzten. Einen Fuß gemächlich vor den anderen setzend schlenderten sie in ihre Richtung. Sie warf ihre Mähne zurück und mimte die Selbstbewusste, die festen Schrittes einen der Ausgänge anstrebte, in der Hoffnung, dass dies der Richtige war und sie dort ein Taxi vorfinden würde. Während sie sich noch krampfhaft überlegte, wo sie hinfahren sollte, hatten sie sie bereits eingeholt und umkreisten sie wie eine Horde Hyänen ihre Beute. Der Schweiß brach ihr aus, sie saß in der Falle. Sie gab vor, kein Wort von den Obszönitäten zu verstehen, in der wagen Hoffnung, es würde ihnen zu blöd werden. Aber natürlich hatte sie sich verschätzt. Offensichtlich machte ein hilfloses, der Sprache nicht mächtiges Opfer nur noch mehr Spaß! Die Sache fing an, sie richtiggehend zu amüsieren und zu ihrem Entsetzen verstand sie ziemlich einige der Beleidigungen, die nur an Frauen gerichtet werden, die alleine in der Nacht herumstanden. Einer von ihnen packte sie am Arm und wollte sie vom beleuchteten Platz wegziehen. Wie eine Furie riss sie sich los und schleuderte ihnen lautstark alle Schimpfwörter an den Kopf, die ihr in den Sinn kamen und verwendete dabei beide Sprachen. Es gelang ihr, mit ihren Koffern, die sie noch nie so verflucht hatte, zu einem Taxi zu stolpern. Außer Atem und mit rasendem Herzschlag nannte sie dem Taxifahrer wie das Selbstverständlichste der Welt ihr Ziel: „Via Garibaldi“, in der Hoffnung, dass es auch in Bologna wie überall in Italien eine Straße mit dem Namen Garibaldi gab, damit nicht auch noch dieser auf die Idee kam, sie sei eine arme Irre, die nicht einmal wusste, wohin. Sie hatte generell kein Vertrauen in Taxifahrer, da man denen, einmal im Auto sitzend, so hilflos ausgeliefert war wie eine Fliege im Spinnennetz. Er spürte es natürlich intuitiv, denn er kurvte durch das nächtliche Bologna, dass sogar sie, die nicht mit einem allzu guten Orientierungssinn gesegnet war, bemerkte, dass er manche Strecken zweimal zurücklegte. Aber wenigstens ging es ihm nicht darum, ihr persönlich an die Pelle zu rücken, sondern nur darum, so viele Kilometer wie möglich auf seinen Tacho zu bringen. Er knüpfte ihr unglaubliche 50 Euro ab, bevor er sie, höflich die Beifahrertüre öffnend, in die Nacht entließ, nicht ohne ihr noch einen wunderschönen Abend zu wünschen. Sie war so fertig und gleichzeitig erleichtert, den Typen entkommen zu sein, dass sie nicht mehr die Kraft hatte, zu protestieren.

Lebensgeister

Подняться наверх