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François Villon

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geb. 1431

Aus dem großen Testament

Mich reut, daß ich in jungen Tagen

Gescheut hab jede ernste Pflicht,

Das Alter naht, wer kann es sagen,

Wie bald dies wilde Herz schon bricht.

Zu Fuß enteilt die Zeit ja nicht,

Sie sitzt zu Rosse! ach, mein Glück

War immer leicht nur von Gewicht,

Mir ärmsten blieb auch nichts zurück.


Die Jahre sind dahin gegangen,

Nichts ernstes habe ich erstrebt,

Mit Schrecken seh ich und mit Bangen,

Ich bin nicht reif, bin nur verlebt.

Eh’ noch mein Sein ins Nichts entschwebt,

Hat mich der letzte Freund vergessen,

Kein Herz, das um mich zagt und bebt …!

Ich habe nie ein Glück besessen.


Nie hab ich schweres Geld gezahlt

Für Leckerbissen und für Wein,

Bei Frauen nie damit geprahlt,

Davon ist mein Gewissen rein.

Wer dies nicht glaubt, der läßt es sein,

Mag seinen Glauben er genießen!

Wirft einer deshalb einen Stein,

Wird er von sich auf andere schließen.


Geliebt hab ich natürlich auch

Und liebte gerne noch viel mehr,

Doch volles Herz und leerer Bauch,

Die helfen dabei nicht zu sehr.

Wer Sorgen hat, trägt alles schwer,

Der weiß nicht viel von Feiertagen,

Mein Magen war ja meistens leer,

Musik macht nur ein voller Magen.


Hätt ich bekämpft die wilde Sucht

Und was gelernt in jungen Jahren,

Mich fromm befleißigt guter Zucht,

Ich würde heute besser fahren.

Doch böse Buben, wie wir waren,

Die schwänzen, wenn’s zur Schule geht!

Jetzt kann ich mir die Worte sparen,

Die Reue kommt ja stets zu spät.


Geschrieben steht – nur habe ich

Gedeutet es nach meinem Sinn —

„Mein Sohn, freu’ in der Jugend dich!“

Ja, davon hatte ich Gewinn.

Nun ist die Jugend längst dahin!

Was weiter folgt, schien mir nicht wichtig,

„Die Jugend“, heißt es dann darin,

„Und ihre Freuden, die sind nichtig.“


„Die Tage sind mir voller Hast

Enteilt“, kann ich mit Hiob sagen,

„Schnell wie am Webstuhl ohne Rast

Das Schifflein gleitet“. Darf ich klagen?

Wer Hoffen nicht mehr kennt noch Zagen,

Erschrickt nicht, wenn das Ende droht,

Mich wird kein Mißgeschick mehr schlagen,

Denn alles schwindet mit dem Tod.


Wo sind sie hin, die Burschen all’,

Mit denen einst ich mich ergötzt,

Die hoch des freien Wortes Schall,

Noch höher kühne Tat geschätzt?

Die meisten sind zu Tod gehetzt,

Gott, der die Sünder nicht verläßt,

Schenk ihnen ewige Ruhe jetzt

Und schirme gnädiglich den Rest.


Gar mancher hat es weit gebracht

Und kann auf stolzem Rosse reiten,

Gar mancher bettelt nackt und lacht,

Brot sieht er höchstens mal vom weiten.

Noch andere traten klug beizeiten

Ins Kloster ein und beten brav,

Ich seh sie in Sandalen schreiten,

Wie es nun grade jeden traf.


Die großen Herren können lachen,

Sie haben immer gute Zeit,

Gott braucht sich Sorgen nicht zu machen

Um dieser Leute Fröhlichkeit.

Dem Armen, der vor Hunger schreit

Wie ich, o Herr, erweis dich gnädig,

Im Kloster kennen sie kein Leid,

Die Mönche sind der Sorgen ledig.


Sie lieben wohlbestellten Tisch

Und trinken gerne guten Wein

Zum Braten, Kuchen und zum Fisch,

Stets muß er frisch vom Zapfen sein.

Die Arbeit macht den Brüdern Pein,

Der Tag soll sorgenfrei verfließen,

Doch schenken sie sich selber ein,

Dess’ lassen sie sich nicht verdrießen.


Des Urteils harr ich in Geduld,

Mein Fall ist einfach, klar und schlicht,

Vergebung hoff ich meiner Schuld,

Was andere taten, richt ich nicht.

Ein Sünder bin ich und ein Wicht,

Gelobt seist du, o Jesuchrist,

Du führst mich ein zum ewigen Licht!

Doch was ich schrieb, bleibt, wie es ist.


Jetzt lassen wir die Kirche ruhn

Und reden mal von andern Dingen,

Man hat nicht gern damit zu tun,

Vergnügen kann es auch nicht bringen.

Die Menschen, die mit Sorgen ringen,

Gebrauchen Worte leicht, die kränken,

Und wenn sie schon den Mund bezwingen,

Verhindert nichts sie, hart zu denken.


Wir, die von armen Leuten stammen,

Wir können nur von Not erzählen,

Mein Vater brachte nichts zusammen,

Und auch sein Vater mußt sich quälen.

Es tat an allem stets uns fehlen,

Und auf den Gräbern meiner Ahnen

– Der Herr erbarm sich ihrer Seelen —

Erblickt man weder Helm noch Fahnen.


Ließ mir der Hunger keine Ruh,

Hat oft mein armes Herz gesagt:

Weshalb, o Menschlein, jammerst du?

Verachte, was dich quält und plagt!

Jacques Coeur1 hat alle überragt

An Reichtum und litt niemals Not,

Wenn auch dein Los dir nicht behagt,

So lebst du doch, und er ist tot.


Jacques Coeur hat alle überragt,

Ein Herr …! jetzt ein erloschnes Licht.

Es gilt von ihm, was David sagt:

„Ich suchte ihn und fand ihn nicht.“

Im übrigen hat mein Gedicht

Für eine Predigt keinen Raum,

Ich leiste gern darauf Verzicht,

Nur Pfaffen schlagen solchen Schaum.


Nie habe ich, sagt’s allen Leuten,

Für einen Engel mich gehalten,

Ich wollte niemals was bedeuten,

Nie konnt ich aus dem vollen schalten.

Still in der Erde, in der kalten,

Ruht längst mein Vater, und Freund Hain

Naht schon dem Mütterlein, dem alten,

Der Sohn wird auch zu finden sein.


Ich habe Toren, habe Weise,

Hab Priester, Laien wohl gekannt,

Hofleute, Bürger, Kinder, Greise,

Geringe, große Herrn im Land,

Und Damen auch im Prachtgewand,

Geschmückt mit Halsgeschmeid und Ring,

Jedwede Art und jeden Stand,

Dem Tode keiner noch entging.


Der Tod fand Paris und Helenen,

Er packt uns unter Qual und Schmerz,

Wenn wir zum letzten Schlaf uns dehnen,

Steigt uns die Galle in das Herz.

Der Atem stockt, im Busen zerrt’s,

Der Schweiß bricht aus, da hilft kein Beten,

O Gott, das Sterben ist kein Scherz,

Kein Bürge kann uns da vertreten.


Der Tod macht alle bleich und gleich,

Das Auge bricht, die Sinne schwinden,

Der Hals schwillt an, das Fleisch wird weich,

Die Bänder wollen nicht mehr binden.

Die Frauen selbst, die zarten, linden,

Ihr süßer, liebenswerter Schoß,

Er wird zu Staub, ein Spiel den Winden,

Denn allen fällt das gleiche Los.


1

Jacques Coeur, Bankier der französischen Krone unter Karl VII. (1422-1461), der reichste Mann seiner Zeit.

Französische Lyrik alter und neuer Zeit in deutschen Versen

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