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Gérard de Nerval

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1808-1855

Herren und Knechte

Wenn jene Herrn, die aus den Mären wohl bekannt,

Mit Stieresnacken und mit erzgeprägten Mienen,

Mit Leibern, die im Boden fest gewurzelt schienen,

Mit grimmig hochgemutem Sinn und harter Hand,


Wenn heute wieder sie auf diese Erde kämen,

Den Erben ihrer stolzen Namen nachzuspähn,

Die winselnd vor den Türen der Minister stehn,

Der Sippe, die schon längst verlernt hat, sich zu schämen,


Dem falschen Volk, an dem die Waden kaum noch echt,

Dann merkten jene Ritter ohne Furcht und Tadel

Sehr bald, daß, dank den Töchtern, ihrem guten Adel

Verdorben ward das Blut von manch gemeinem Knecht.


Phantasie

Es tönt mir eine Weise stets, für die

Ich Mozart, Weber und Rossini schenke,

Wenn ich in ihren Klang das Ohr versenke,

Bezaubert mich die alte Melodie.


Sie singt so müd von Trauer und von Wehe,

Ich fühle mich zweihundert Jahr verjüngt,

Ludwig der Dreizehnte regiert, ich sehe

Den Hügel, hinter dem die Sonne sinkt,


Ein Schloß von Ziegeln, Türme in den Ecken,

Gemalte Fenster und ein Giebeldach,

Darum ein Park mit immergrünen Hecken,

Durch bunte Blumen fließt ein stiller Bach.


Am hohen Fenster sehe ich vom weiten

In alter Tracht die blonde Dame stehn …

Ich kenne sie. Ich habe sie vor Zeiten

In einem andern Leben schon gesehn.


Laß mich!

Laß ab von mir, es ist vergebens,

Du prangst im Lenze deines Lebens,

Mir kehrt er nimmermehr zurück!

Kannst du in meinem Gram nicht lesen,

Daß dieser Stirn, die jung gewesen,

Zu lächeln längst vergaß das Glück?


Wenn durch den Winterfrost, den harten,

Die bunte Blumenpracht im Garten

Gebleicht ist und der Baum entlaubt,

Wer gibt dem toten Blatt die Farben

Zurück, die mit dem Sommer starben,

Den Duft, den ihm der Nord geraubt?


Ach, hätte meines Schicksals Gnade

Mich kreuzen lassen deine Pfade,

Da mir noch solche Gunst getaugt,

Ich hätte trunken vor Entzücken

Dein Lächeln kühn gewagt zu pflücken

Und neue Kraft daraus gesaugt.


Heut leuchtest du mir nur von Ferne,

Du junges Blut, dem hellen Sterne

Vergleichbar, der dem Schiffer winkt,

Dess’ schwanken Kahn die List der Wogen,

Wenn schon der Sturm vorbei gezogen,

Zerbricht und mitleidlos verschlingt.


Laß ab von mir, es ist vergebens,

Du prangst im Lenze deines Lebens,

Mir kehrt er nimmermehr zurück!

Läßt diese Stirn, die jung gewesen,

Läßt dich ihr stiller Gram nicht lesen,

Daß nichts mehr sie erhofft vom Glück?


Goldene Verse

Mensch, freier Denker, wähnst du, daß nur du allein

Gedankenmächtig bist in dieser Welt voll Leben?

Du bist nur Herr der Kraft, die dir zum Lehn gegeben,

Jedoch das All ist frei, dein Witz ist ihm zu klein.


Hab Ehrfurcht! Jedes Tier nennt eigene Kräfte sein,

Der Kelch, der sich erschließt, ahnt einer Seele Beben,

Kein Stein, in dem nicht unbekannte Mächte weben,

Dies alles fühlt und dringt ins Innerste dir ein.


Vermeide Blicke, die aus blinden Fenstern spähen,

An jegliches Atom gebunden ist das Wort,

In deinem Munde darf es Sünde nie begehen.


Oft wohnt ein Gott versteckt an einem niedern Ort,

Das Auge wächst vom Lid bedeckt in heiliger Stille,

Es sproßt aus hartem Fels hervor ein reiner Wille.


Französische Lyrik alter und neuer Zeit in deutschen Versen

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