Читать книгу Die Welt ist ein großer Flipper - Velibor Colic - Страница 8

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Die erste Unterrichtsstunde. Wir, etwa fünfzehn Flüchtlinge, Iraker (nur Männer, keine Frauen), ein Oberst einer gestürzten afrikanischen Diktatur, ein paar somalische Familien und ich – die größte Hoffnung der zeitgenössischen jugoslawischen Literatur –, füllen unsere Formulare aus. Ich erledige es, wie ich finde, korrekt: Name, Vorname, Geburtsdatum, -ort.

Bei der Rubrik Ihr Ziel in Frankreich hat unsere Französischlehrerin eine Frage an mich:

»Concours, Wettbewerb, Sie haben hier concours geschrieben, was für einen concours meinen Sie? Das verstehe ich nicht.«

»Ich habe nicht Concours geschrieben, sondern Goncourt.«

»Sieh an, den Prix Goncourt!«, ruft sie erstaunt.

»Ja, den Prix Goncourt.«

»Na dann viel Glück«, seufzt sie. »Aber erst mal sind Sie im Französischen ein absoluter Analphabet.«

Auf diese Weise, mit Spaß und guter Laune beginnen meine Lehrjahre der schönen französischen Sprache.

*

In der folgenden Woche lernen wir einen sehr wichtigen Satz: Wo ist die Post?

»Wo ist die Post?«, sagt unsere Lehrerin und wir, jeder mit seinem Akzent und mit grenzenloser Begeisterung, sprechen nach: Wooo iiist diiie Pooost?

Am nächsten Tag und an den folgenden sind wir immer noch nicht weiter: Wo ist die Post?

Wir lernen auch Verben und die Grammatik. Ich verstehe nichts, aber ich habe es eilig, die richtigen Sätze zu entdecken. Um endlich allein mein langes, surrealistisches, aber narratives, revolutionäres und geistreiches Prosagedicht zu übersetzen, Meine Seele ist ein einsamer Wolf, der die Reifen eurer Luxuskarossen zerbeißt.

»Madame«, bitte ich in meinem schlechten Englisch nach zehn Woistdiepost-Tagen, »gehen wir irgendwann einen Schritt weiter?«

»Wahrscheinlich schon«, sagt sie, »aber jetzt müssen erst mal alle, ich wiederhole, alle unseren kleinen Satz verstehen.«

Kein Zweifel, ich muss einen anderen Weg finden.

Ich gehe in die Stadt, setze mich auf eine Bank.

Und wenn ich mir ein anständiges Mädchen suche, eine richtige französische Freundin?

Um diesen Entschluss zu feiern, kaufe ich mir eine Flasche richtigen Rotwein.

*

Nach meinen Kriterien bin ich ein schöner Mann: ein Meter fünfundneunzig, blond, blaue Augen, halblanges Haar, schlank, talentiert und intelligent. Ich weiß auch, und das schafft einen gewissen Ausgleich, dass ich schlecht angezogen, arm, Französisch-Analphabet, Flüchtling und ohne Papiere bin. Ich brauche also ein unkonventionelles Mädchen, eins von denen, die über materielle Dinge wie Haus, Auto, Ferien, Kino, Ausgehen oder Essen erhaben sind.

An unserem Lohntag (ein paar hundert Francs, die die französischen Behörden uns Asylbewerbern auszahlen) nehme ich den Bus in Richtung Stadtzentrum. Ich verliebe mich so oft, dass es unerträglich wird. Allein schon im Bus: eine Brünette mit sanftem Madonnengesicht, die mir gegenübersitzt, oder die andere, die steht und ihre Lehrbücher für das zweite Studienjahr Jura an sich drückt und deren Brüste im unregelmäßigen Rhythmus der Schlaglöcher ihre Bluse aufreißen, während sie mit verträumtem Gesicht und halb geschlossenen Augen alles wiederholt, was sie seit Beginn des Studienjahres gelernt hat. Oder, kurz vor dem Aussteigen, eine reifere Dame, sehr vornehm in den teuren Stiefeletten, die ihre Waden umschließen und sie den Rücken zu einem vollkommenen und lasziven S beugen lassen.

Als ich in der Bar sitze, schlürfe ich meinen endlosen Espresso. Ich schreibe an meinem Prosagedicht und werfe flüchtige Blicke auf die Welt, die nicht meine ist.

Die Welt ist ein großer Flipper

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