Читать книгу Tote Models nerven nur - Vera Nentwich - Страница 5

Оглавление

Grefrather Starmodel wird zur Furie

Das bekannte Model Judith Schöller beehrte heute überraschend ihren Heimatort Grefrath. Im Schlepptau hatte sie Jago Diaz Fernández, Sohn aus reichem argentinischen Hause. Angeblich, so schreibt die Regenbogenpresse, möchte sie ihren Verlobten den Eltern vorstellen. Doch von trautem Liebesglück kann erst einmal keine Rede sein. Denn zuerst lief Judith Schöller durch ihren beschaulichen Heimatort und präsentierte sich arrogant gegenüber ihren früheren Nachbarn und Freunden. Es kam sogar zu einer von ihr provozierten Schlägerei, in deren Verlauf das Model zu Boden ging und schließlich mit dem Krankenwagen ins nächstgelegene Krankenhaus musste. Auch ihr angeblicher Verlobter zeigte sein wahres Gesicht und griff die Berichterstatterin tätlich an. Da scheint sich ein besonderes Paar gefunden zu haben.

Meine Fotos hatten den Artikel treffend ergänzt und so verbreitete er sich rasend schnell im Netz. Eine Tatsache, die mich jetzt in einem sehr schlechten Licht dastehen lässt.

Ich frage mich, ob es wirklich Zufall war, dass dies alles ausgerechnet am zwanzigsten Todestag meiner Eltern stattgefunden hat. Oder war das ein Zeichen? Irgendein schräges Signal des Schicksals. Wenn ja, dann verstehe ich die Botschaft nicht. Vielleicht war es die Strafe dafür, dass ich beinahe vergessen hätte, zum Grab meiner Eltern zu fahren. Ich lebe bei meiner Oma, seit meine Eltern vor nun mehr zwanzig Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Oma hat mich damals aufgenommen, denn sie ist meine einzige Verwandte. Mein Vater war Vollwaise und meine Mutter ein Einzelkind. Opa ist auch kurz darauf gestorben und seit der Zeit haben wir nur uns. Eine Gänsehaut kriecht an mir hoch. Nicht, weil vor mir Judith leblos daliegt, sondern weil ich daran denke, dass ich fast das Datum vergessen hätte. Fünfter August 2014. Es ist jetzt noch, als ob ich einen Felsblock verschluckt hätte, der in meinem Magen hin und herrollt und sämtliche Eingeweide mit sich reißt. Ein Schmerz, der mich schreien lässt und nie aufzuhören scheint. Zuerst die Prügelei mit Judith und dann drohte ich, den Todestag meiner Eltern zu vergessen. Was für ein verdammter Tag. Als ich nach Hause gekommen war und mir bewusst wurde, was ich vergessen hatte, war ich hektisch zu Oma gerannt.

»Oma, Oma, weißt du, welches Datum heute ist?« Oma sah mich fragend an.

»Es ist ihr Todestag! Wie konnte ich das vergessen?«

»Ach Kengk«, sagte meine Oma nur.

»Ich muss zu ihnen«, schrie ich und rannte hinaus, schnappte mein Fahrrad und radelte los. Am Feldchen hinunter, durch die Rosenstraße und quer über den Markt. Die Menschen vor mir stoben auseinander. Einige schimpften oder zeigten mir den Finger. Das war mir egal. Ich hatte noch nie einen Todestag meiner Eltern vergessen und auch am zwanzigsten würde ich zu ihrem Grab fahren. Ich radelte, so schnell ich konnte, die Wankumer Straße hoch, bog beim Supermarkt ab und gab in der Schaphauser Straße nochmal richtig Gas. Hinter dem Beerdigungsinstitut ging es in den Seiteneingang zum Friedhof. Ich stieg vom Fahrrad und schob es den Rest des Weges, bis ich am Grab meiner Eltern stand.

»Entschuldigt, dass ich so spät komme«, keuchte ich. Das Grab sah schön aus. Ich stellte mein Fahrrad ab und betrachtete den Grabstein aus braunem Marmor. Günther Hagen stand dort. Und Marion Hagen. Gestorben am 5. August 1994. Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag. Es war ein Freitag. Meine Eltern wollten zum Kegeln, wie jeden ersten Freitag im Monat. Ich durfte dann bei Oma schlafen und freute mich schon darauf. Bei Oma schlafen bedeutete, so lange Fernsehen gucken, wie ich wollte und nur ungesunde Sachen essen. Ich liebte es. Dann kam der nächste Morgen. Als ich in die Küche kam, saß dort ein Polizist und Oma sah sehr verweint aus. Sie nahm mich gleich in den Arm und ich wusste, es musste etwas Schreckliches geschehen sein. Dann sagte sie, dass meine Eltern nicht mehr wiederkommen würden, weil sie einen Autounfall hatten. Meine Eltern und das Ehepaar Wolters waren dabei ums Leben gekommen.

Bei dem Gedanken an meine Eltern laufen mir gleich die Tränen meine Wangen hinunter. Ich wische sie mit meinem Ärmel ab. »Ach Mama. Ach Papa.« Wie oft habe ich schon überlegt, was in meinem Leben anders gelaufen wäre, wenn ich meine Eltern nicht verloren hätte. Meine Oma ist wirklich toll und immer für mich da, aber so manches Mal habe ich mir einen Vater gewünscht.

Mein Vater war mein Held. Sportlich. Er sah super aus. Meine Freundinnen waren immer total neidisch. Er war Ingenieur und arbeitete in Düsseldorf an wichtigen Projekten. Als dann im Dorf erzählt wurde, er hätte den Unfall verursacht, weil er betrunken gefahren sein sollte, brach eine Welt für mich zusammen. Das konnte nicht sein. Oma sagte immer, ich sollte nicht auf das Geschwätz der Leute hören. Vater würde nie betrunken Auto fahren. Aber die Leute hörten nicht auf, dies zu behaupten. Dann fing auch noch Judith damit an. Wir waren damals unzertrennlich. Beste Freundinnen. Aber als auch sie behauptete, mein Vater sei an allem schuld gewesen, war es damit vorbei.Ich muss kurz dem Reflex widerstehen, ihrem leblosen Körper einen Tritt zu verpassen. »Ach Papa, ach Mama, ich vermisse euch so.«

Vielleicht sollte ich mich doch etwas mehr mit den aktuellen Problemen befassen. Schließlich stehe ich neben einer Leiche. Noch dazu der Leiche einer Person, bei der jeder davon ausgeht, dass ich sie umgebracht habe. Ich sollte also etwas tun. Nur was? Ich könnte Jochen anrufen. Er ist Polizist und weiß sicher, was zu tun ist. Schließlich sitze ich ja wegen ihm in diesem Schlamassel. Hätte er nicht von mir verlangt, mich bei Judith zu entschuldigen, wäre alles in bester Ordnung. Entschuldigen? Wegen ein paar Fotos bei Facebook und eines Blogartikels? So ein Kinkerlitzchen. Ich schreibe ja schließlich nicht für den Stern. Aber Betty hatte mich ja auch gewarnt.

Nach dem Besuch am Grab meiner Eltern war mir nach einem netten Gespräch gewesen. Und zu Abend hatte ich auch noch nicht gegessen. Das schrie nach einem Abstecher zu Betty. Lag ja praktisch auf dem Weg.

Richtung Brunsgarten musste ich unweigerlich über die Weststraße. Die Schöllers wohnen auf der Weststraße und ich erblickte den Aston Martin des Spaniers schon von weitem. Meine Neugier ließ mich anhalten, das Fahrrad abstellen und zum Haus der Schöllers schleichen. Verrückt – als ob sie mich hätten sehen können. Ich schüttelte gerade über mich selbst den Kopf und wollte wieder aufs Fahrrad steigen, als sich am Haus der Schöllers etwas tat. Der Spanier stürmte heraus und hinter ihm Judith. Sie schien wieder fit zu sein. Und alle dachten, ich hätte sie krankenhausreif geschlagen. Das musste ich korrigieren und kramte mein Handy aus der Tasche. Die beiden stritten heftig. Er schrie etwas auf Spanisch und sie schrie zurück.

»Es ist meine Familie!«, konnte ich verstehen, als ich auf den Auslöser der Handykamera drückte. Es blitzte. Mist, wieso blitzte dieses blöde Ding. Es war doch noch gar nicht dunkel. Judith und Jago sahen erschrocken in meine Richtung. Hastig steckte ich mein Handy ein, stieg aufs Fahrrad und trat so kräftig in die Pedale, wie ich nur konnte. Jago kam auf mich zugerannt, konnte mich aber nicht mehr erreichen. Ich streckte ihnen als Abschiedsgruß den Mittelfinger entgegen. Sollten sie sich nur aufregen. Das Foto würde der Hit bei Facebook. Von wegen Traumpaar.

»Ach Biene.« Auch Betty seufzte. Ich hatte ihr nur meinen Schnappschuss gezeigt. Sie trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch und hängte es an einen Haken. Wie immer trug sie Jeans und ein langes Shirt, das ihre ausladenden Hüften etwas schmälerte. Früher haben wir sie immer gehänselt und behauptet, dass sie auf dem Fahrrad zwei Rückleuchten benötige, für jede Pobacke eine – wegen Überbreite. Ihrem Selbstbewusstsein hatte dies aber nicht geschadet. Im Gegenteil, sie ist Muttertier durch und durch. Ihre braunen Haare sind meistens mit einem einfachen Gummi zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden. Der wackelte neckisch, als sie sich wieder mir zuwandte und mir ihren besorgten Blick zuwarf.

»Guck nicht so! Ich sage dir, bei denen ist irgendetwas im Busch.«

»Ja, ja.« Betty schob mich aus der Küche in Richtung ihres Handarbeitszimmers. Sie macht gar keine Handarbeiten. Dieses Zimmer ist viel mehr ihr Rückzugsort, wenn selbst ihr als geborenem Muttertier die Familie mal zu viel wird. Und das kommt öfter vor, als man es vermuten würde. Sie schubste mich auf die gemütliche Couch, die den kleinen Raum dominiert. »Trinkst du einen Prosecco mit?«

»Hmm.« Während sie den Sekt holte, schnitt ich den entscheidenden Ausschnitt aus dem Foto und postete das Ergebnis bei Facebook. Betty kam mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück, die sie auf das kleine Tischchen neben der Couch stellte. Dann begann sie, an dem Verschluss der Flasche zu pulen.

»Wie geht es dir heute?«

»Gut.«

Sie schenkte Sekt ein und hielt mir eines der Gläser hin. Dann setzte sie sich neben mich. Wortlos prosteten wir uns zu.

»Warst du auf dem Friedhof?«

»Hmm.« Was sollte ich ihr sagen? Dass ich nach zwanzig Jahren meine Eltern immer noch vermisste? Dass ich ständig darüber nachdachte, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte dieser Unfall nicht alles verändert? Dass ich dann vielleicht nicht mehr in Grefrath säße und mich nicht jeden Tag in einer Steuerberatungskanzlei langweilte? Schließlich hatte ich mal Träume, aber die sind damals mitgestorben. Sollte ich ihr das alles sagen? Wozu? Wahrscheinlich wusste sie es schon und würde nur Dinge sagen, wie »Biene, nach zwanzig Jahren musst du dein Leben leben.« Aber welches Leben ist mein Leben? Schließlich hatte das Leben, das für mich bestimmt war, damals abrupt geendet.

Bilder von Maya und Sven stehen auf dem Sideboard. Wie alt waren sie da? Vielleicht fünf oder sechs, schätze ich. Das Hochzeitsfoto von Betty und Georg prangt daneben. Bettys Plan war Realität geworden. Seit ich denken kann, hat sie davon gesprochen, dass sie heiraten wollte. Dann sollten es zwei Kinder sein und die Familie in einem Eigenheim mit Vorgarten leben. So ist es gekommen. Ich war ihre Trauzeugin. Damals war ich gerade mal wieder mit Jochen zusammen und er hat mich natürlich begleitet. Betty prostete mir wieder zu.

»Betrachtest du das Hochzeitsbild?«

»Hmm.« Ich nippte am Sekt.

»Ihr wart auch ein schönes Paar, Jochen und du.«

»Hmm.«

Betty lachte.

»Was ist?«, fragte ich.

»Ich muss gerade daran denken, wie wir dich geschoben haben, dich mit den anderen Frauen nach vorne zu stellen, als es darum ging, den Brautstrauß zu fangen.« Sie grinste. »Ich habe damals auf dich gezielt und du sahst so komisch aus, als du dich vor dem Strauß weggeduckt hast.« Wieder lachte sie auf.

»Ganz toll«, grummelte ich. »Bei der Aktion habe ich der Kellnerin das Tablett aus der Hand geschlagen und das ganze Bier landete bei deinen Eltern auf dem Schoß. Seitdem gucken die mich immer komisch an, wenn ich ihnen begegne.«

»Es wird auch in die Grefrather Annalen eingehen. Sabine Hagen, die erste ledige Frau, die einem herannahenden Brautstrauß hektisch ausweicht.«

»Blöde Kuh.« Ich muss jetzt noch lachen, wenn ich daran denke. Aber irgendetwas hatte mich damals davon abgehalten, den Brautstrauß zu fangen.

»Nun erzähl doch mal. Du hast dich mit Judith geprügelt?«

»Geprügelt hört sich schlimmer an, als es war.«

»Sie soll aber doch mit dem Krankenwagen abgeholt worden sein?«

»Ja schon. Sie hat das natürlich ausgenutzt. Dabei habe ich ihr nur meinen Kaffee an den Kopf geschmissen, weil sie mich beleidigt hat.«

»Beleidigt? Wie denn?«

»Sie kam da vorbei mit ihrem Verlobten, und als sie mich sah, sagte sie ›Ach das ist Biene. Sie ist so etwas wie das Grefrather Landei.‹ Das konnte ich doch nicht auf mir sitzen lassen, oder?«

»Nein, das konntest du natürlich nicht.« Aber die Art, wie Betty ›natürlich‹ betonte, weckt auch jetzt im Rückblick noch in mir den Eindruck, dass sie es eher ironisch meinte. Ihr Blick unterstrich den Eindruck.

»Sie hat genau das gesagt?«

»Wie meinst du das?«

»Na, hat sie genau diese Worte benutzt ›Grefrather Landei‹?«

»Meinst du etwa, ich belüge dich?«

»Nein, natürlich nicht. Aber ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass sie es genauso gesagt hat.«

Ihre Augen drückten Besorgnis aus und ich musste schlucken.

»Na ja, es waren vielleicht nicht exakt ihre Worte. Aber sie hat es so gemeint.«

»Ja, ja.« Sie nippte an ihrem Sekt und ich tat es ihr nach. Betty atmete tief ein.

»Biene, du weißt, ich liebe dich. Du bist meine wichtigste und engste Freundin.«

»Ich weiß. Du meine auch.«

»Okay, dann darf ich dir auch einen wirklich gutgemeinten Rat geben, oder?«

»Aber natürlich.«

»Vergiss endlich Judith. Du stürzt dich noch in dein Unglück mit deiner ständigen Hetzjagd. Es ist jetzt zwanzig Jahre her. Irgendwann muss es doch mal gut sein.«

Ich starrte sie an. Wie meinte sie das? War sie etwa nicht auf meiner Seite?

»Wie kannst du das sagen, als meine beste Freundin?«

»Gerade weil ich deine beste Freundin bin und nur das Beste für dich möchte, sage ich das.«

Da hatte ich das Gefühl, der Boden würde mir unter den Füßen weggerissen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und weggerannt, aber ich konnte nicht. Jetzt weiß ich, wie recht sie hatte.

Wenn ich mich jetzt umdrehe und den alten Aussichtsturm betrachte, sehe ich die Judith von damals vor mir. Hier war immer unser Treffpunkt nach der Schule. Judith ging auf das Gymnasium in Mülhausen und ich auf die Realschule in Süchteln. Nach der Schule trafen wir uns immer am Turm, um uns über die aktuellen Neuigkeiten auszutauschen. Es war der erste Tag nach dem Unfall, an dem ich wieder in die Schule gegangen war. Die ganze Zeit hatte sie sich nicht bei mir gemeldet und ich fühlte mich von der ganzen Welt verlassen. Judith stand da, schmiss ihr langes blondes Haar in einer großen Geste nach hinten und senkte ihren Kopf zu einer Gruppe Mädchen. Als ich auf sie zuging, hörte ich es. »Bienes Vater soll ja betrunken gewesen sein«, sagte sie und die anderen Mädchen schauten mich betroffen an. Ich donnerte ihr eine Ohrfeige ins Gesicht, so fest ich nur konnte und rannte weg.

Es ist eigenartig, dass ich nun zwanzig Jahre danach am gleichen Ort stehe und auf Judiths Leiche sehe. Wenn Jochen wegen des Fotos auf Facebook nur nicht so auf mich eingeredet hätte, stünde ich nun nicht hier und müsste mir klar werden, was ich tun sollte. Dabei war er nur vorbeigekommen, um mir mal wieder zu helfen. So wie er es immer tut.

»Jochen ist da!«, rief Oma hoch. Jochen? Was wollte er denn? Nach einem langweiligen Tag in der Kanzlei hatte ich wirklich keine Lust auf Beziehungsgespräche oder besser Ex-Beziehungsgespräche. Ich schaute über das Treppengeländer.

»Was willst du?«

»Ich muss mit dir sprechen.«

»Schön, dass du uns mal wieder besuchen kommst«, flötete Oma dazwischen.

»Oma!«, versuchte ich, ihre Begeisterung über Jochens Besuch etwas zu zähmen. »Dann komm halt hoch.« Jochen trug zivil. Sein T-Shirt ließ den muskulösen Oberkörper erahnen. Seinen Körper habe ich immer geliebt. Wenn doch in ihm nicht so ein Beamtengeist wohnen würde! Vorsichtig kam er auf mich zu, als ob er Angst hätte, dass ich ihn gleich anfallen würde. Er war wohl gerade wieder beim Friseur gewesen. Seine Haare waren stoppelkurz, wie man es aus den amerikanischen Militärfilmen kennt. Kurz war ich versucht, ihm über den Kopf zu streichen. In meinem Wohnzimmer bot ich ihm einen Sitzplatz und ein alkoholfreies Bier an.

»Also, was ist los?«

»Hast du gestern ein Foto von Judith und ihrem Verlobten ins Internet gestellt?«

»Deswegen bist du hier? Ja, habe ich. Was geht dich das an?«

»Ach Biene.«

»Wenn jetzt noch einer ›Ach, Biene‹ sagt, kriege ich einen Schreikrampf. Was soll das? Ja, ich habe ein Foto von Judith und ihrem Spanier bei Facebook gepostet. Ja und? Soll die Welt doch sehen, welche Show sie abzieht.«

»Sie haben dich angezeigt.« Jochen sagte das sehr ruhig. Er ist ja immer ruhig. Ruhig und überlegt. Das kann einen ganz schön in Rage bringen. Ich lachte laut auf.

»Sie haben mich angezeigt? Warum denn das?«

»Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Du darfst nicht einfach Fotos von Menschen im Internet veröffentlichen, wenn du keine Erlaubnis von ihnen hast.«

»Das ist doch lächerlich. Von denen gibt es Tausende Fotos im Web.«

»Das heißt nichts.«

»Und jetzt? Komme ich ins Gefängnis?« Das war doch ein Witz.

»Biene, das ist kein Kavaliersdelikt. Das ist eine Straftat und kann dir eine Menge Ärger einbringen.«

»Da siehst du mal, mit welcher Giftspritze ich es zu tun habe. Sie will mir doch nur das Leben zur Hölle machen! Wahrscheinlich kann sie sich Nobelanwälte leisten, die mich mit einem Klacks ins nächste Straflager verfrachten lassen können.« Ich hatte mich in Rage geredet.

»Straflager gibt es bei uns nicht.« Jochen blieb immer noch ruhig. Und er machte mich wahnsinnig.

»Verdammt nochmal, du könntest ruhig auf meiner Seite sein!«

Seine braunen Augen sahen mich an. Sie wirkten irgendwie traurig. Oder war das Mitleid? Ich brauche ganz bestimmt kein Mitleid. Er wollte etwas sagen. Ich wappnete mich schon gegen ein neuerliches »Ach Biene« und schaute mich um, was sich am besten dazu eignen würde, um es ihm an den Kopf zu schmeißen. Ich spürte, wie das Blut in meinen Kopf stieg. Bestimmt hatte ich eine ganz rote Birne. So wie die Comicfiguren, bei denen Feuer aus den Ohren kommt. Ich wollte gerade zerplatzen, da öffnete Jochen vorsichtig seinen Mund. Er sprach sehr leise. Fast bedächtig.

»Du weißt, dass ich dich mag und immer für dich da bin. Ich riskiere hier meinen Job für dich.«

»Wie das?« Das Suchen nach Wurfgeschossen musste warten.

»Ich habe nur durch Zufall von der Anzeige gegen dich erfahren, und wenn ich dir davon erzähle, bevor du es offiziell erfährst, kann ich die Ermittlungen gefährden.«

Wieder sahen mich seine braunen Augen traurig an. Verdammt. Mein Herz pocht jetzt noch, bei der Erinnerung daran. Er hat etwas Verbotenes getan. Ich weiß, wie schwer ihm das gefallen sein muss. Jochen ist die Korrektheit in Person. Er hat das für mich getan. Nur für mich. Seit ich denken kann, hat er mir immer zur Seite gestanden. Schon in der Schule hat er mich verteidigt, wann immer er es für nötig erachtete. Dabei habe ich ihn so manches Mal dafür noch beschimpft, weil ich doch viel lieber selbst gekämpft hätte und mir sicher war, dass ich mich auch hätte durchsetzen können.

Verdammt. Nun wollte ich ihm nichts mehr an den Kopf werfen, so zerknirscht und gleichzeitig besorgt, wie er da vor mir saß. Und süß und eigentlich auch sexy. Ich konnte nicht anders. Ich küsste ihn. Es fühlte sich gut an. Er war erschrocken und schob mich etwas von sich.

»Was soll das?«

»Ich wollte nur danke sagen.« Ich kuschelte mich an ihn. Tief atmete ich seinen Duft ein und genoss die Wärme seines Körpers. Mein Herzschlag beruhigte sich und das Blut, das sich gerade noch stauen und meinen Kopf platzen lassen wollte, verteilte sich nun wieder in meine Adern. Doch er drehte sich etwas von mir weg.

»Biene, lass das!«

»Was denn?« Ich rückte ihm nach, sodass ich meinen Kopf wieder auf seine Schulter legen konnte.

»Das.« Jochen drehte seinen Kopf zu mir.

»Ich werde mich doch wohl mal an die Schulter eines Freundes anlehnen dürfen?«

»Nicht, wenn du dem Freund damit wehtust.«

Erschrocken richtete ich mich auf.

»Tue ich dir weh, wenn ich mich bei dir anlehne?«

»Biene, manchmal kannst du echt ein Arsch sein.« Sein Blick war traurig.

»Ich will dir doch nicht wehtun«, protestierte ich leise.

»Du tust es aber.«

»Tut mir leid.« Beide starrten wir still auf mein Sideboard, unfähig ein Wort zu sagen. Nur das Atmen unterbrach die Stille. Es schien, als ob wir im Gleichklang atmeten. Ich beobachtete, wie sich seine Brust hob und senkte. Wir hatten einen Rhythmus, einen Takt. Er legte vorsichtig seinen Arm um mich. Irgendwann schloss ich die Augen.

Tote Models nerven nur

Подняться наверх