Читать книгу Lebendige Seelsorge 3/2021 - Verlag Echter - Страница 8
MYTHOS 3: SPENDEN KÖNNEN KIRCHENSTEUERN ERSETZEN
ОглавлениеOhne Kirchensteuern müssten andere Formen der Kirchenfinanzierung erschlossen oder ausgebaut werden. Angesichts des projizierten Mitglieder- und Kirchensteuerrückgangs wird in beiden Kirchen betont, wie bedeutsam es ist, neue Finanzquellen zu erschließen. Dabei sind neben Vermögenserträgen insbesondere Spenden zu nennen.
Ein spendenbasiertes Finanzierungssystem nach angelsächsischem Modell sorgt – so die Erfahrungsberichte auf der örtlichen Ebene – für eine institutionalisierte und systematische Mitgliederorientierung und kann auch pastoralen Fortschritt initiieren. Dagegen besteht bei der Kirchensteuer die Gefahr, dass die Verantwortlichen sich auf diese gesicherte Einnahmequelle verlassen, sich quasi darauf ausruhen und dadurch den Blick für die gegenwärtigen und künftigen Bedürfnisse der Mitglieder und pastoralen Bedarfe vor Ort verlieren. Viele Diözesen und Landeskirchen investieren seit Jahren in Fundraising, also die professionelle Bündelung von Aktivitäten, um Menschen für die gemeinsame Verwirklichung eines Vorhabens zu begeistern und dafür Mittel einzuwerben. Das kann die Bestandspflege oder Renovierung der ortsbildprägenden Kirche genauso sein wie die Finanzierung von Stellenanteilen Mitarbeitender in Bereichen, für die ansonsten keine Mittel zur Verfügung stehen würden. Hier sind Kreativität und Entrepreneurship der Haupt- und Ehrenamtlichen gefragt. Pointiert ausgedrückt: Während Kirchensteuern die Kirchen saturieren, würde eine spendenfinanzierte Kirche zu Mitgliederorientierung und Innovation nötigen.
Was zunächst attraktiv klingt, birgt die Gefahr der Unterfinanzierung. Denn es kann infrage gestellt werden, ob es realistisch ist, durch Spenden das aktuelle Kirchensteueraufkommen im Umfang von 12 Milliarden Euro ersetzen oder zumindest annähernd ausgleichen zu können. Das gesamte Spendenaufkommen in Deutschland lag nach Erhebung des Marktforschungsinstituts GfK in den Jahren 2015 bis 2020 zwischen 5,1 und 5,5 Milliarden Euro. Ein Wegfall der Kirchensteuer würde zunächst einmal ein Volumen von 12 Milliarden Euro freisetzen. Angenommen die Hälfte dieser frei gewordenen Mittel würden gespendet werden, dann würde sich das Spendenaufkommen in Deutschland verdoppeln. Vom nicht gespendeten Teil des Kirchensteueraufkommens würde der Staat – wie bereits ausgeführt – durch Wegfall des Sonderausgabenabzugs profitieren. Wie hoch der Anteil der beiden großen christlichen Kirchen an diesem neu zu verteilenden Spendenaufkommen wäre, kann nur spekuliert werden. Zweierlei kann jedoch mit Sicherheit angenommen werden: Die zur Verfügung stehenden Einnahmen wären geringer als im jetzigen Kirchensteuersystem und die Spenden würden vermutlich stärker an die Gemeinden vor Ort fließen. Vor allem darf nicht übersehen werden, dass die Kirchen mit zahlreichen bereits seit Jahrzehnten professionell spendensammelnden Organisationen in Konkurrenz treten müssten. Das würde im Übrigen auch für eine Mandatssteuer gelten, wie sie beispielsweise in Italien von der gesamten steuerzahlenden Bevölkerung erhoben wird.
Zumindest dem Kritikpunkt der mangelnden Mitgliederorientierung und Innovationskraft des bisherigen Kirchensteuersystems könnte entgegengewirkt werden. Die Verteilung der Kirchensteuern – zumindest der Anteil für die örtliche Ebene – erfolgt derzeit über Zuweisungen in der Regel nach Mitgliederzahl, Gebäudebestand und ähnlichen wenig beeinflussbaren Kennzahlen. Die Zahl der Taufen, Trauungen oder Bestattungen oder gar der Saldo aus Kircheneintritten und -austritten spielt bislang keine Rolle. Um Mitgliederorientierung und Innovationskraft zu fördern, könnte zumindest ein Teil der zu verteilenden Kirchensteuermittel an Entwicklungen gekoppelt werden, die grundsätzlich beeinflussbar sind. Selbstverständlich müssten dabei die absoluten Zahlen in Relation gesetzt werden; zum Beispiel die Zahl der Taufen zur Zahl der Geburten (Taufquote) oder Bestattungen zu Todesfällen von Kirchenmitgliedern (Bestattungsquote). Gleiches gilt auch für die Ein- und Austrittsquote, also das Verhältnis von Ein- und Austritten, die zur Anzahl der Kirchenmitglieder – eventuell sogar getrennt nach Altersgruppen und Geschlecht – ins Verhältnis gesetzt werden. Die Beobachtung dieser Größen hilft zu identifizieren, wo sich einzelne Kirchengemeinden günstiger entwickeln als die im jeweiligen Dekanat oder im Vergleich zu anderen Stadt- oder Landgemeinden. Wenn zumindest ein Teil der Kirchensteuermittel in diesem Sinne anreizorientiert verteilt würde, könnten positive Entwicklungen durch zusätzliche Zuweisungen verstärkt werden. Dabei könnte auch an die Förderung ehrenamtlichen Engagements gedacht werden; unabhängig davon, wie dies in Umfang und Qualität nachzuweisen wäre. Das würde auch Kirchengemeinden helfen, die bislang wenig oder keine zusätzlichen Zuweisungen erhalten haben: Sobald eine positive Entwicklung angegangen wird, also zusätzlich Zeit investiert wird, könnten mehr Mittel generiert werden. Getreu dem Motto: Kirchengemeinden, die mehr Zeit und Ressourcen investieren, haben einen höheren Aufwand, und der soll sich auch lohnen!