Читать книгу Schattensprung - Victoria Benner - Страница 10
7.
ОглавлениеWährend für Tom Donoghue sein neues, altes Leben mit Reisen quer um die Welt von Premiere zu Premiere, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land weiterging, ging auch das Leben der zwei Frauen unverändert weiter, die ihm ab und zu in stillen Momenten manchmal Kopfzerbrechen bescherten.
Für Sania Besassys lief das Leben ebenfalls in den alten Bahnen weiter. Sania rieb sich Tag für Tag auf, um das Geld für ihre Versicherungen und die Miete aufbringen zu können. Während sie von dem Rest ihrer Familie nur zu hören bekam, dass sie doch nicht ewig in drei Jobs gleichzeitig arbeiten könne. Vor allem, wenn es nicht genug Gehalt brachte.
Sanias Bruder Gian scherzte immer wieder gern, sie sollte zusehen sich, statt noch einer weiteren Geldquelle, lieber einen solventen Gatten zuzulegen. Der könne sie dann versorgen und seine kleine Schwester könnte sich tagein, tagaus um den geliebten Neffen und noch ihre eigenen Kinder kümmern.
Gian war der Meinung, auf die Art und Weise seien alle zufrieden.
Das Sanias Traumleben ganz anders aussah, dass interessierte in der Familie niemanden.
„Ich möchte nur von den Artikeln leben können“, erklärte Sania Charlotte, die ihre bockige Tochter gerade verbissen daran zu hindern versuchte die Wohnzimmerwände mit Ketchup vollzuschmieren.
„Wer träumt nicht davon?“, gab Charlotte zurück. „Sania, du weißt dein Bruder ist ein totaler Macho. Warum hörst du ihm überhaupt noch zu?“, fragte sie, nachdem sie es vollbracht hatte, Tochter und Ketchup zu trennen. „Und ich sagte: NEIN!“, fuhr sie Regan an.
Sania sah zu, wie ihre Freundin versuchte ihr Kind zu händeln und fragte: „Hast du dir dein Leben mal so vorgestellt?“
Charlotte gab einen erstickten Laut von sich er alles hätten sein können. Wut, Enttäuschung und Entrüstung. „Sania, über das Thema willst du nicht mit mir reden“, sagte sie.
„Warum nicht?“, plärrte Regan dazwischen. „Weil“, lautete die kategorische Antwort ihrer Mutter, „Dafür bist du viel zu klein, es geht dich nichts an. Iss das Zeug da auf!“ Danach warf Charlotte Sania einen strengen Blick zu. „Keiner kriegt was er will, aber alle was sie verdienen“, sagte Charlotte, „Das weiß doch jeder.“
Sania wollte sich nicht damit abfinden.
„Hast du nie versucht dein Leben umzukrempeln?“, fragte Sania. „Ich mag meinen Beruf. Es reicht nur noch nicht zum Leben. Eine Festanstellung ist aber nicht drin, sagt Frederick. Er kann es sich im Moment einfach nicht leisten.“
„Ne Festanstellung? Ist das alles, was du willst?“, fragte ihre Freundin.
Als Sania nickte, sagte sie „Gott, bist du bescheiden. Ich würde schon mehr von meiner guten Fee fordern, so ich eine hätte.“
Sania, für die Charlotte alles hatte, was sie sich wünschen konnte, sah sie fragend an. Was könnte Charlotte sich noch wollen? Sie hatte genug Geld, um ruhig und ohne Probleme zu leben. Sie war abgesichert durch einen großzügigen Exmann, der in seine Frau und in seine Tochter blind vernarrt war. Warum die Ehe nicht mehr bestand, wussten nur die Götter. Warum Charlotte immer noch in der kleinen Ortschaft festsaß und noch nicht in Paris, London oder Berlin war, war nur ihrer Tochter zuzuschreiben, die trotz ihres Namens fest mit dem Ort verbunden war, so dass man sie „mit den Füßen zuerst raustragen“ müsste, wollte man Regan von dem Ort trennen.
„Was würdest du dir wünschen, wenn du könntest?“, fragte Sania.
Charlotte überlegte kurz. „Weiß nicht. Ein anderes Leben?“, meinte sie mürrisch.
„Ein anderes Leben?“, wiederholte Sania ungläubig.
„Ja, na was weiß ich denn?“, sagte Charlotte genervt und fing an die Teller einzusammeln. „Hast du nie Träume gehabt? Wolltest du nie was erreichen? Wovon hast du geträumt, als du klein warst?“
Sania dachte nach.
Natürlich hatte sie auch ihre Träume. Teilweise hatte sie sich diese auch schon erfüllt. Ihr Auto zum Beispiel, dass sie sich vor zwei Jahren gekauft hatte. Oder die Reise nach England vor ein paar Jahren. Oder ihr Studium, welches sie gegen den Willen ihrer Familie durchgezogen hatte.
All das waren Wünsche, die sie sich selbst ermöglicht hatte. Und nun war sie ihr eigener Chef, wenn man das so sehen wollte.
Das nächste Ziel was Sania jetzt noch hatte, war die Festanstellung als Journalistin, um endlich ein stetiges Einkommen zu haben.
„Weiß nicht. Ich hab noch nie wirklich darüber nachgedacht. Ich wollte nur eine eigene Wohnung, einen netten Ehemann, ein oder zwei Kinder und keine finanziellen Sorgen. Nicht so wie bei meinen Eltern, die immer rechen müssen. Vielleicht noch ein oder zwei Reisen in interessante Länder wie Afrika oder Indien.“, antwortete Sania dann, „Aber sonst nichts Aufregendes.“
Charlotte schnaubte: „Standard.“
Sania beachtete diesen Kommentar nicht. „Was wolltest du denn machen?“, gab sie stattdessen zurück.
„Reisen, schön und gut, warum nicht. Aber ich wollte immer nur berühmt werden. Ich wollte die Welt verändern. Was erleben, nicht das Übliche und Kinder und dann ab in die Kiste“, ereiferte sich Charlotte. „Und es sah ja auch gut aus. Ich habe was sehen können von der Welt, aber jetzt, jetzt hänge ich hier fest. Und der Rest meiner Umgebung, der ist so tot.“
Sania sah sie verwirrt an. „Tot?“, fragte sie.
„Ja, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen sollte. All diese Eltern von Regans Freunden! Gott bewahre! Es ist so frustrierend! Ihr Leben ist vorbei, die sind so alt! Sie leben nur noch für ihre Kinder, die sie total vergöttern, als wären es kleine Genies!“ Charlotte holte tief Luft. „Für sie selbst bleibt nichts mehr übrig. Keine Idee, nichts Besonderes, kein Abenteuer mehr. Nur noch der Tod“, sagte sie.
„Etwas hart, meinst du nicht?“, wunderte Sania sich, „Außerdem, wie willst du das wissen? So gut kennst du die doch nun auch nicht. Vielleicht ist genau dieses Leben mit Haus und Kind ihr Traum gewesen.“
„Oh BITTE“ Charlotte rollte die Augen, „Ich habe nur dieses eine Leben. Da will ich doch mehr haben als DAS.“
„Wer weiß“, erwiderte Sania. „Mir würde das Haus von Ritas Mutter locker reichen.“
Charlotte guckte geschockt: „Für so etwas willst du dein Leben wegwerfen? Und dann für ewig dableiben?“
Sania nickte. Was konnte an einem ruhigen Leben mit Haus und Garten falsch sein?
„Wo bleibt das Abenteuer? Der Spaß?“, rief Charlotte.
„Gartenarbeit?“, fragte Sania, die Charlotte nicht mehr folgen konnte.
„Ja, aber irgendwann wirst du tot sein. Und keiner wird sich mehr an dich erinnern.“ Charlotte war richtig in Fahrt. „Sania! Ist es nicht schon ätzend genug, dass wir alt werden, dass wir hässlich werden und Falten kriegen? Es ist furchtbar, dass wir nichts behalten können, von all den schönen Dingen, die wir hier haben. Der Schmuck, die Bücher, die Musik“, Charlotte gestikulierte wild um sich und ließ fast die Teller fallen, „Alles Schall und Rauch.“
Sania wusste nicht, ob sie lachen sollte oder nicht. Charlotte konnte es doch nicht ernst meinen oder doch?
„Der einzige Ausweg daraus besteht darin uns einen Namen zu machen“, schloss Charlotte.
„Ist nicht dein Ernst?“, fragte Sania verblüfft. Als Charlotte nicht antwortete sie hinzu: „Ich glaube du spinnst gerade ein wenig.“
Charlotte drehte sich um und ging in Richtung Küche.
Sania sah Charlottes Tochter an: „Deine Mutter hat eine Midlifecrisis.“ sagte sie zu ihr.
Konnte doch alles nicht wahr sein. Sania war immer klar gewesen, dass sie und Charlotte aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen kamen. Charlotte wurde bemerkt, sobald sie einen Raum betrat. Charlotte war geheimnisvoll und selbstsicher, weltgewandt. Sie wusste Bescheid. Aber, dass daraus solche Gier und so ein Hochmut resultieren würden, das hatte Sania bisher nicht wahrgenommen oder sie hatte es nicht sehen wollen. Bis jetzt war Charlotte lediglich die etwas durchgeknallte, extravagante Freundin gewesen, die von Anderen oft für arrogant oder kalt gehalten wurde. Nur wer sie richtig kannte, der wusste, dass Charlotte viel für ihre Familie und Freunde tun würde.
Die Kälte hatte Sania immer auf Charlottes enorme Beherrschtheit zurückgeführt.
Da Charlotte ahnte, dass ihr Leben nicht dem Standard entsprach, war sie zurückhaltend mit Informationen darüber, um eben nicht arrogant zu erscheinen.
„Kann ich etwas dafür von Eltern und Verwandten quer durch die Welt geschickt worden zu sein? Oder dafür, dass die alle früh verstorben sind und noch steinreich waren?“, hatte Charlotte mal geäußert.
Generell gesehen stimmte das schon überlegte Sania. „So wie ich eben viele Verwandte, aber wenig Vermögen habe, so hat sie eben viel Vermögen, aber wenig Verwandte.“ Schuld daran war Charlotte wohl nicht. „Schließlich hat sie, sie ja nicht umgebracht, oder?“, dachte sich Sania.