Читать книгу Helen Sterling und das Geheimnis der Lady Jane Grey - Victoria Lancaster - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеMit geröteten Augen starrte Helen in das Feuer ihres Kamins. Titania musste ihn angezündet haben, als sie sich leer geweint hatte und in einen traumlosen Schlaf fiel. Sie spürte die Wärme des Feuers ihr gegenüber. Das Holz knackte, während sich die Feuerzungen gierig über das Brennmaterial hermachten. Titania stieß die Tür zum Wohnzimmer mit einem Bein auf, in den Händen hielt sie ein Tablett.
»Eine schöne Tasse heiße Schokolade wird dir guttun. Ich habe auch extra Sahne für dich mit drauf getan.« Bei Titanias schelmischem Grinsen musste Helen müde lächeln. Sie richtete sich mühselig von der Couch auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass Sherlock zu ihren Füßen lag und die Nähe genoss. Seine großen bernsteinfarbenen Augen schauten sie vorwurfsvoll an, als sie endlich aufrecht saß. Beleidigt sprang er auf den Boden und suchte sich einen Platz in der Nähe des Kamins. Im Lichte des Feuers konnte man zig Schattierungen seines grauen Fells erkennen. Verträumt schaute sie ihm zu, wie er sich seine Pfoten putzte. Erst als ihre Freundin die Tassen mit der Schokolade auf den Tisch stellte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
Schweigend saßen die Freundinnen nebeneinander und nippten an ihrem Getränk.
»Sag mal, die Schokolade schmeckt aber ganz schön streng. Was hast du denn da rein gemacht?«
»Darüber darf ich nicht sprechen. Das ist ein altes Familienrezept.«
»Raus mit der Sprache, wie viel Prozent?«
»Du bist ein Spießer. 40 %, da steckt schließlich ein ordentlicher Schuss Cognac drin. Heiße Schokolade mit Cognac, das macht warm und bringt dich auf andere Gedanken. Zumindest sagt das immer mein Vater.«
»Hat dein Vater auch gesagt, dass es eher Cognac mit einem Schuss heißer Schokolade ist?«
»Er ist halt äußerst großzügig, in allen Belangen.« Titania grinste breit und nahm einen weiteren kräftigen Schluck aus der Tasse.
Helen erhob sich von der Couch. »Sorry, ich muss mal für kleine Stadtführerinnen.« Sie ging auf den Flur und hielt auf das Badezimmer am Ende zu. Sie merkte, wie der Cognac ihr allmählich Schwierigkeiten beim koordinierten Gehen bereitete. Als sie die Tür hinter sich schloss wunderte sie sich, wie ihre Freundin so viel vertragen konnte. Auf diese Frage hin, pflegte Titania ihr stets zu antworten, dass sie eine Art genetische Mutation habe. Selbst wenn Helen stockbetrunken im Pub mit wildfremden Männern tanzte, suchte Titania nach Nachschub und kicherte höchstens angeheitert, während sie wild mit jemanden flirtete.
Als sie das Badezimmer wieder verließ, sah sie, wie der Kater auf seinem Kratzbaum im Flur springen wollte. Jedoch peilte er sein Ziel falsch an und sprang nicht weit genug. Es wirkte, als würde er ziellos in die Luft springen, nur um dann unbeholfen auf dem Boden aufzukommen. Er schüttelte sich kurz nach diesem missglückten Sprung und schaute seinen Kratzbaum verdattert an. In seiner Welt muss die Schuld wohl am Kratzbaum liegen, dachte sich Helen, während sich Sherlock beleidigt in die erste Etage verzog. Joshua war der Meinung, die Menschheit würde den Katzen zu viel Intelligenz unterstellen. In Wahrheit wären sie seiner Ansicht nach eher minderbemittelt. Er konnte es nicht ausstehen, wenn der Britisch-Kurzhaar-Kater auf seinen Klamotten schlief, und alles mit Katzenhaaren hinterließ. Von dem Kater und seiner Abneigung gegen Katzen erzählte Joshua beim zweiten Treffen. Sie fragte ihn, warum er denn einen Kater besäße, wenn er ihn doch nicht mochte. Ihr Bruder hüllte sich in Schweigen und sagte erst auf ihr Drängen, dass er jemanden versprochen hätte, auf dieses Tier aufzupassen. Helen gefiel der Gedanke, dass ihr Bruder ein Mann war, der sein Wort stets hielt. In diesem Moment fielen ihr wieder die Worte von Owen ein, die ihr Bruder mutmaßlich hinterlassen haben sollte. Suche an dem Ort, den ich am meisten hasse, hallte es in ihrem Kopf. So weit sie wusste, hasste er diese Katze und frühes Aufstehen. Unschlüssig, ob sie über sich selbst lachen oder ärgern sollte, stand sie im Flur. Sie ging im Kopf mehrere Szenarien durch. Joshua, der seinen Wecker aufschraubt, um darin etwas zu verstecken. Joshua, der etwas in der Katzentoilette vergräbt. Sie musste bei diesen absurden Gedanken schmunzeln.
»Okay Owen King, ich gebe dir diese eine alberne Chance«, sagte sie laut zu sich und hielt auf den Kratzbaum zu, der ungefähr zwei Meter von ihr entfernt stand. Es war ein riesiges Teil mit Körbchen und Höhlen, der locker für fünf Katzen gereicht hätte. Da nichts in den Körbchen lag, abgesehen von grauen Katzenhaaren, fasste sie in die erste Höhle. Sofort konnte ihre Hand etwas Weiches ertasten. Mit angehaltenem Atem zog sie es hinaus. Sie konnte kaum glauben, was sie da in den Händen hielt. Endlich fand sie eine längst verloren geglaubte Socke wieder. Das musste sie unbedingt Titania erzählen. Gedankenverloren griff sie in die zweite Höhle und da war wieder was. Wieder konnte sie etwas fühlen. Sie überlegte kurz, was ihr dieser schelmische Kater noch gestohlen haben könnte. Vorsichtig zog sie diesen harten und kühlen Gegenstand hinaus. Es sah aus wie eine Kugel, eine goldene, glänzende Kugel. Helen schaute über ihre rechte Schulter, um sicherzustellen, dass sich Titania keinen schlechten Scherz erlaubt hat. Diese goldene Kugel hatte wie eine Äquatorlinie einen millimeterdünnen Spalt. Zeichen, die sie nicht zuordnen konnte, waren scheinbar wahllos verteilt auf diesem Gegenstand. Helen vermutete, dass es sich um einen antiken, aber wertvollen Gegenstand handeln musste. Sie trug diese Kugel mit beiden Händen in das Wohnzimmer, wo ihre Freundin wartete. Sie hielt es derart vorsichtig, als trüge sie eine empfindliche Bombe.
»Titania, schau mal. Du wirst nie glauben, wo ich dieses Teil gefunden habe.«
»Ach du heilige … wo hast du die her?«, fragte ihre Freundin mit geweiteten Augen.
»Das lag in Sherlocks Kratzbaum. Ich hab nur kurz nachgesehen, weil ich an Owen denken musste. Albern, ich weiß. Ich kann das historisch noch nicht einmal einordnen. Guck, man kann sogar daran drehen …« Helen drehte vorsichtig die beiden Kugelhälften in entgegengesetzte Richtung.
»Helen, nein! Das halte ich für keine gute Idee!!« Ihre Freundin wedelte mit den Armen.
Doch es war zu spät. Der schmale Spalt der Kugel öffnete sich und Helen ließ die Kugel vor Schreck zu Boden fallen. Bedächtig kullerte sie in Richtung Kamin. Helen und Titania hielten beide für einen Moment den Atem an, nicht wissend, was kommen könnte. Das Feuer verlieh der Kugel einen wunderschönen Schein. Gerade als Helen sich aus ihrer Starre befreien wollte, war ein leises Klingen zu hören. Wie bei einer Spieluhr kamen nun ganze Töne heraus. Sie formten sich zu einer Melodie, die die Frauen bislang noch nie gehört hatten. Sie war langsam und in einer Tonlage, die man als hoch, aber als angenehm bezeichnen konnte. Diese überaus schöne und rhythmische Musik wurde immer lauter und drang immer weiter in das Unterbewusstseins Helens vor. Sie konnte sich kaum mehr konzentrieren. Fast wie hypnotisiert stand sie da, apathisch wie eine Maus vor der Schlange. Ihre Freundin Titania redete auf sie ein, aber sie konnte es nicht hören. Zu laut und zu fesselnd war die Musik. Immer lauter wiederholte sich die Melodie und Helen konnte bis auf die Kugel, gehüllt in einen weiß-grauen Schleier, nichts mehr erkennen. Sie leuchtete immer heller im Schein des Feuers und die Symbole strahlten heller als alles, was sie bislang gesehen hat. Eine Art blaues Licht kam aus dem Spalt hervor, aus dem sich eine Flamme formte. Diese eisblaue Flamme schoss pfeilartig auf Helen zu. Züngelnd wand sich das Licht um ihr rechtes Handgelenk. Sie fühlte sich überwältigt und bemerkte nicht einmal den brennenden Schmerz. Die Lautstärke stieg immer weiter an und gerade, als sie unerträglich wurde, stoppte die Musik abrupt inmitten der Melodie. Gleichzeitig sackte Helen bewusstlos zu Boden. Erst jetzt konnte sich auch Titania wieder bewegen. Sie rannte zu ihrer Freundin und legte zwei Finger an ihren Hals. Erleichtert schnaubte sie durch die Nase, als sie Helens Puls fühlen konnte. Sie stellte sich hinter sie und griff mit beiden Armen unter Helens Achseln. Sie zog ihre ohnmächtige Freundin zwei Meter zur Couch und versuchte, sie darauf zu ziehen. Keuchend konnte sie den Oberkörper darauf ablegen. Sie merkte, wie sie zu schwitzen begann. Beherzt packte sie erst das rechte Bein und hievte es auf die Couch. Mit dem Linken verfuhr sie genau so. Titania bog nach getaner Arbeit den Rücken durch und ein Knacken ließ sie schmerzlich daran erinnern, dass auch sie nicht jünger wurde. Von dem nebenstehenden Ohrensessel nahm sie eine dicke karierte Wolldecke und deckte vorsichtig Helen damit zu. Sie legte noch zwei Scheite Holz in dem Kamin nach und nahm auf dem Sessel Platz. Galant legte sie die Beine ausgestreckt auf den vor ihr stehenden Hocker und versuchte, sich zu entspannen.
»Was hast du nur getan, Liebes?«, fragte sie, wohlwissend, dass sie keine Antwort erhielt. Titania schloss die Augen und fiel schnell in einen unruhigen Schlaf.