Читать книгу BGB-Schuldrecht Besonderer Teil, eBook - Volker Emmerich - Страница 78

1. Begriff, Anwendungsbereich

Оглавление

1

In den §§ 474 bis 479 enthält das BGB seit 2002 zusätzlich zu den allgemeinen Vorschriften der §§ 433 ff noch besondere Vorschriften über den sog. Verbrauchsgüterkauf, mit denen aufgrund der Vorgaben der beiden schon wiederholt erwähnten Richtlinien von 1999 und 2019 ein zusätzlicher Verbraucherschutz noch über die §§ 434 ff hinaus bezweckt wird. Verbrauchsgüterkäufe sind gemäß § 474 Abs. 1 Verträge, durch die ein Verbraucher (§ 13) von einem Unternehmer iS. des § 14 (u. Rn 2) eine Ware kauft, wobei unter einer Ware nach § 241a Abs. 1 eine bewegliche Sache zu verstehen ist, die nicht aufgrund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft wird. Keine Rolle spielt, ob es sich um eine neue oder gebrauchte Sache handelt oder ob der Vertrag neben der Lieferung einer beweglichen Sache zusätzlich die Erbringung einer Dienstleistung durch den Unternehmer zum Gegenstand hat (§ 474 Abs. 1 S. 2). Gedacht ist dabei in erster Linie an Verträge, in denen sich der Unternehmer zusätzlich zur Montage, Installation oder Anpassung der gelieferten Sache verpflichtet.[1] Die Folge ist, dass durch derartige zusätzliche Dienstleistungen, selbst wenn ihnen ein besonderes Gewicht zukommt, der Vertrag nicht etwa dem Regime des Kaufrechts entzogen wird, sodass sich insbesondere auch die Haftung des Verkäufers für Mängel der Dienstleistungen nach Kaufrecht (und nicht wie sonst bei Dienstleistungen nach allgemeinem Schuldrecht) richtet – mit der weiteren Konsequenz, dass hier bei Mängeln der Dienstleistungen sogar eine Minderung in Betracht kommt (§ 437 Nr. 2).[2]

1a

Für den Verbrauchsgüterkauf gelten im Interesse eines verstärkten Verbraucherschutzes ergänzend die §§ 475-479, die 2021 durch die Einfügung der neuen Vorschriften der § 475b–475e für Kaufverträge über Waren mit digitalen Elementen eine wesentliche Erweiterung erfahren haben (u Rn 10a ff). Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs der §§ 475 ff ergibt sich aus dem Umgehungsverbot des § 476 Abs. 4 (Rn 3 ff), während auf der anderen Seite durch § 475 Abs. 2 S. 2 in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung iS des § 312g Abs. 2 Nr. 10 abgeschlossene Kaufverträge über gebrauchte Waren vom Anwendungsbereich der Schutzvorschriften der §§ 475 bis 479 wieder ausgenommen sind, sofern der Verbraucher an der Versteigerung persönlich teilnehmen kann, so dass er die Möglichkeit hat, die Sache selbst zu begutachten. Voraussetzung ist jedoch, dass der Verbraucher zuvor klar und umfassend über diese (für ihn riskante) Ausnahme informiert wurde. Die Ausnahme gilt auch für die Versteigerung wertvoller gebrauchter Sachen sowie für die Versteigerung von Tieren wie z. B. Pferden.[3] Versteigerungen im Internet stehen nicht gleich. Ob eine Sache neu oder gebraucht ist, beurteilt sich allein nach objektiven Kriterien; entscheidend ist maW, ob sie zuvor schon einmal bestimmungsgemäß verwandt wurde[4]. Weitere Ausnahmen gelten für öffentliche Versteigerungen im Rahmen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aufgrund des § 806 ZPO und des § 283 AO. Überhaupt keine Anwendung finden die §§ 474 ff schließlich auf Kaufverträge über Grundstücke und Rechte, auf Kaufverträge zwischen Unternehmen sowie auf solche Verträge, an denen der Verbraucher als Verkäufer beteiligt ist. Ist streitig, ob ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt, so trägt die Beweislast der Käufer[5].

2

Die Definition der Begriffe Verbraucher und Unternehmer findet sich in den §§ 13 und 14. Verbraucher sind nach § 13 (nur) natürliche Personen, die den Kaufvertrag zu einem Zweck abschließen, der überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, während als Unternehmer gemäß § 14 Abs. 1 jedes Rechtssubjekt gilt, das bei Abschluss des Vertrages in Ausübung seiner gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Bei natürlichen Personen ist im Zweifel von der Verfolgung privater und nicht von der Verfolgung geschäftliche Zwecke auszugehen, so dass sie grundsätzlich als Verbraucher und nicht als Unternehmer zu behandeln sind[6]. Anders verhält es sich nur, wenn die betreffende Person aus der Sicht des Verkäufers, und zwar nach objektiven Kriterien, – zu Recht oder zu Unrecht – eindeutig als Gewerbetreibender auftritt[7]. Verfolgt der Käufer zugleich private und gewerbliche Zwecke (Paradigma: Anschaffung eines Kraftfahrzeugs für dienstliche und private Zwecke), so kommt es darauf an, welcher Zweck überwiegt. Verbraucher ist danach z. B. der bei einer GmbH angestellte Geschäftsführer,[8] während als Unternehmer sämtliche Gewerbetreibenden und Freiberufler gelten, und zwar ohne Rücksicht auf eine etwaige Gewinnerzielungsabsicht[9]. Dabei ist von der Vermutung des § 344 HGB auszugehen, so dass ein Kaufmann i. Zw. unternehmerisch tätig wird, auch wenn er Geschäfte jenseits seines eigentlichen Handelszweiges tätigt[10].

3

Nach dem Umgehungsverbot des § 476 Abs. 4 sind die verbraucherschützenden Regeln über den Verbrauchsgüterkauf auch anzuwenden, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden. Ein Umgehungsgeschäft liegt vor, wenn die von den Parteien gewählte rechtliche Gestaltung den Zweck hat, die Anwendung des Kaufrechts entgegen dem vom Gesetz beabsichtigten Verbraucherschutz zu beschränken oder auszuschließen[11]. Im Einzelnen geht es dabei um durchaus unterschiedliche Fallgestaltungen. Ein Beispiel ist das sog Agenturgeschäft des Gebrauchtwagenhandels, bei dem der Händler nur als Vertreter des Voreigentümers auftritt, natürlich, um eine eigene Haftung nach den §§ 476 und 434 ff für etwaige Mängel des gebrauchten Fahrzeugs zu vermeiden. Derartige Agenturgeschäfte verstoßen nicht generell, sondern nur dann gegen § 476 Abs. 4, wenn sich unter ihnen in Wirklichkeit nach der vereinbarten Risikoverteilung ein Eigengeschäft des Händlers verbirgt[12]. Nach Meinung des BGH muss sich der Händler dann als Verkäufer behandeln lassen, sodass sich der Käufer bei Mängeln des Fahrzeugs in erster Linie an ihn halten kann[13], richtiger Meinung nach daneben aber auch an seinen Vertragspartner.[14]

4

Vergleichbare Fragen werfen die besonders kritisch zu beurteilenden Strohmanngeschäfte auf, bei denen ein Unternehmer eine Privatperson, z. B. einen Mitarbeiter, als Verkäufer vorschiebt, um selbst der strengen Haftung nach den §§ 434 ff zu entgehen. Die Anwendung des § 476 Abs. 4 hat hier zur Folge, dass es bei der Anwendbarkeit der §§ 434 und 475 ff auf den Vertrag mit dem Strohmann verbleibt (der seinerseits Rückgriff bei dem Unternehmer nehmen kann, §§ 675 Abs. 1 und 667).[15] Als Umgehungsgeschäfte zu behandeln sind ferner Beschaffenheitsvereinbarungen (im Sinne des § 434 Abs. 2 S. 1 Nr 1), durch die die Kaufsache – entgegen ihrem objektiven Verwendungszweck, ihrem Preis und ihrem Zustand – pauschal abgewertet werden soll, etwa durch die Bezeichnung gebrauchter Kraftfahrzeuge als „Bastlerfahrzeuge“ oder „rollender Schrott“, um von vornherein jede Haftung des Verkäufers für etwaige Mängel der verkauften Sache auszuschließen, – sofern solche Abreden überhaupt ernst gemeint sind und nicht lediglich eine unbeachtliche falsa demonstratio darstellen[16]. Zulässig ist dagegen – natürlich – ein Hinweis des Verkäufers auf einzelne, tatsächlich vorhandene konkrete Mängel der Sache (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr 1).[17] Keine Bedenken bestehen unter dem Gesichtspunkt des § 476 Abs. 4 ferner gegen das verbreitete Finanzierungsleasing (s. u. § 8 Rn 15).

BGB-Schuldrecht Besonderer Teil, eBook

Подняться наверх