Читать книгу Der Venezianische Löwe - Volker Jochim - Страница 11
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Als Marek am nächsten Morgen aufwachte und den Arm nach Silvana ausstreckte, griff er ins Leere. Das Bett neben ihm war verwaist. Er richte sich auf und sah auf seine Armbanduhr.
„Verdammt“, entfuhr es ihm, „schon gleich halb elf.“
Er schob die Beine über die Bettkante und streckte seine schmerzenden Knochen. Sei einem Jahr hatte er den Vorsatz sich irgendwie wieder sportlich zu betätigen, doch bisher ist es nur bei dem Vorhaben geblieben.
„Es kommt halt immer etwas dazwischen“, sagte er sich, „und als Pensionär hat man auch nicht soviel Zeit wie die Leute meinen.“
Stöhnend erhob er sich und schlurfte in die Küche. Auf dem Tisch lag eine Nachricht von Silvana. Sie musste schon früh in die Redaktion und wollte ihn nicht aufwecken.
Er füllte Caffè und Wasser in die Caffettiera und stellte sie auf den Herd. Dann schlurfte er zurück ins Schlafzimmer, um seine Zigaretten zu suchen. In diesem Moment hörte er sein Handy klingeln. Zuerst war er etwas orientierungslos bis ihm einfiel, dass er das Telefon in seiner Jackentasche hatte und die Jacke im Flur an der Garderobe hing.
„Pronto!“
„Buon giorno, Roberto“, meldete sich Brigadiere Ghetti mit erregter Stimme, „es gibt Neuigkeiten.“
Sofort war Marek hellwach.
„Nun rede schon. Machs nicht so spannend.“
„Ich war gestern Abend noch in Triest und habe mit den Kollegen dort das Zimmer von Zorzi untersucht. Dabei haben wir Zeitungen gefunden, aus denen Buchstaben und Wörter ausgeschnitten waren.“
„Das hört sich ja an wie in einem schlechten Krimi“, unterbrach ihn Marek.
„Kommt noch besser. Wir haben seinen Computer mitgenommen und ihn überprüfen lassen. Rate mal, was darauf gespeichert war.“
„Keine Ahnung. Erzähl‘ schon.“
„Fotos.“
„Was für Fotos? Nackte Mädchen? Fußball? Oder was?“
„Nichts von alledem. Die Fotos zeigen unseren Freund Nardi vor einem Haus in Triest.“
„Wieso fotografiert er seinen Chef oder ehemaligen Chef wie der in Triest herumlatscht … oh verdammt, mein Caffè kocht über … bleib dran.“
Marek rannte in die Küche und nahm die Caffettiera vom Herd.
„Nochmal gut gegangen. Also was ist an den Fotos so besonders?“
„Das Gebäude, vor dem er fotografiert wurde und das er auch betreten hat, ist ein Nobeletablissement.“
Marek pfiff leise durch die Zähne.
„Hört sich nach Erpressung an, oder? Kleine Rache für den Rauswurf.“
„Sieht ganz danach aus. Seine Mutter hat angegeben, dass ihr Sohn am Montag vergangener Woche, nachdem er von seiner täglichen Stellensuche zurückkam, am Abend noch einmal zur Post wollte. Er hatte einen größeren Umschlag dabei. Sie nahm an, dass es sich um eine Bewerbung gehandelt hatte. Daraufhin haben wir noch einmal die Sachen des Toten untersucht und fanden auf seinem Handy die gleichen Fotos wie auf seinem Computer.“
„Sehr gut Michele. Sieht aus als wäre Nardi ihm zufällig über den Weg gelaufen und als er sah, welches Gebäude sein ehemaliger Chef betrat, wollte er die Gelegenheit für eine kleine Erpressung nutzen. Ich bin gespannt was unser Freund dazu sagt. Kannst du mich einsammeln? Ich bin in fünfzehn Minuten am Corso Ecke Strada Traghete.“
„Gut, bis gleich. Ciao.“
Marek trank seinen mittlerweile lauwarm gewordenen Caffè aus, nahm eine kurze Dusche, zog sich an und marschierte los. Unterwegs fiel ihm ein, dass er seine Frühstückszigarette vergessen hatte. Die musste dann wohl noch etwas warten. In diesem Moment war er richtig stolz auf sich, dass er die Packung stecken lassen konnte, ohne gleich Entzugserscheinungen zu bekommen. Er behauptete ja immer von sich Genussraucher zu sein und von Genuss könnte keine Rede sein wenn er sich jetzt eine ansteckte, während er zu seinem Treffpunkt hastete.
***
Als sie kurz darauf vor der Trattoria hielten, machte der Laden einen verlassenen Eindruck. Kein einziges Fahrzeug war auf dem Parkplatz zu sehen. Die Eingangstüre war verschlossen und innen war ein Schild angebracht, auf dem in großen Lettern chiuso stand.
Ghetti wandte sich schon ab zu gehen, doch Marek erinnerte sich an ihren letzten Besuch, als er Nardis Wagen vor dem Hintereingang stehen sah. So war es auch diesmal. Als sie um das Gebäude herumgingen, sahen sie die schwarze Limousine Nardis hinter einem alten Fiat geparkt.
Die Hintertür war nicht verschlossen und so ging Marek zielstrebig, gefolgt von einem etwas verunsichert wirkenden Brigadiere Ghetti, direkt zu Nardis Büro. Diesmal hielt er sich nicht mit Höflichkeiten auf sondern öffnete die Türe mit einem Ruck und betrat das Büro. Der Überraschungseffekt war auf seiner Seite, denn Nardi sah ihn nur mit großen Augen ungläubig an, unfähig ein Wort zu sagen.
„Buon giorno, signor Nardi. Sie scheinen überrascht uns zu sehen.“
Nardi, der sich mittlerweile etwas gefangen hatte, versuchte sogleich wieder Dominanz auszuüben.
„Was soll dieser Auftritt? Was fällt Ihnen ein, so hier hereinzuplatzen? Ich hoffe Sie haben eine gute Erklärung, andernfalls werde ich …“
Weiter kam er nicht.
„Ich hoffe, dass Sie eine gute Erklärung haben, warum Sie uns belogen, oder zumindest etwas Wichtiges verschwiegen haben, Signor Nardi“, unterbrach ihn Marek und nahm unaufgefordert auf einem der beiden Besucherstühle platz.
„Was fällt Ihnen ein, so mit mir zu reden?“, begehrte Nardi auf. „Ich werde mich beschweren. Ich habe einflussreiche Freunde.“
Marek setzte ein unverschämtes Grinsen auf.
„So, dann bin ich mal gespannt, was Ihre einflussreichen Freunde dazu sagen.“
Dabei legte er ihm ein Foto vor die Nase, das ihn beim Betreten des ominösen Gebäudes in Triest zeigte, und es hatte die erhoffte Wirkung. Nardi war sofort alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und er ließ sich schwer atmend zurück in seinen Sessel fallen.
„Woher haben Sie das?“
„Wir spielen das Spiel einmal anders herum. Was haben Sie uns verschwiegen? Und diesmal bitte die Wahrheit, wir haben noch mehr davon.“
Um seine Aussage zu unterstreichen, ließ sich Marek von Ghetti die anderen Fotos geben und wedelte damit vor Nardis Nase. Der hatte sich nach vorne gebeugt, die Arme auf die Schreibtischplatte gestützt und die Stirn auf die gefalteten Hände gelegt.
„Na schön, ich habe ihnen etwas verschwiegen. Ich wurde erpresst.“
„Von wem? Und warum haben Sie uns nichts davon gesagt?“
Nardi war wieder gefasst. Er sah Marek direkt an.
„Weil ich es nicht durfte. Verstehen Sie denn nicht? Er hatte gedroht meine Frau zu informieren, dass ich in diesem Etablissement war, falls ich nicht zahle oder die Polizei hinzuziehen würde. Ich denke Sie wissen bereits, dass es sich um ein solches Haus handelt und ich möchte Sie bitten, diese Information vertraulich zu behandeln. Ich liebe meine Frau und will sie nicht verlieren.“
„Das ist wieder einmal typisch“, dachte Marek, „ich liebe meine Frau, deshalb darf sie nicht wissen, dass ich im Puff war.“ Das hatte er schon so oft gehört.
„Erzählen Sie weiter. Wann genau wurden Sie erpresst? Wie hat sich alles abgespielt? Wie viel haben Sie gezahlt?“, bohrte er weiter.
„Was soll das? Ich habe Ihnen alles gesagt, was Sie wissen wollten und mehr geht Sie nichts an. Die Sache ist vorbei. Ich habe gezahlt und basta.“
Marek beugte sich gefährlich nahe zu Nardi hinüber und Ghetti hielt die Luft an. Er kannte seinen Freund mittlerweile so gut, um zu wissen, dass er jeden Moment Nardi am Kragen über den Schreibtisch ziehen würde.
„Signor Nardi“, hörte er Marek erstaunlich ruhig und leise sagen, „wir ermitteln in einem Mordfall und ich glaube nicht, dass Sie jetzt in der Situation sind, irgendwelche Forderungen zu stellen, denn Sie stecken bis zum Hals mit in der Scheiße. Habe ich mich klar ausgedrückt? Beantworten Sie nun unsere Fragen oder möchten Sie uns lieber begleiten? Wir würden selbstverständlich Ihre Frau von Ihrem Verbleib unterrichten.“
„Sie Schwein“, zischte Nardi.
Die Fassade schien einen Sprung bekommen zu haben und Marek nahm es zufrieden und freundlich lächelnd zur Kenntnis.
„Was für ein Mord? Was hat das mit mir zu tun?“
„Wir stellen die Fragen und Sie antworten“, ließ sich der Brigadiere vernehmen, „der Commissario hatte Sie etwas gefragt.“
Nardi sah seine beiden Besucher an und lehnte sich dann in seinem Sessel zurück.
„Na schön. Letzte Woche war ich in Triest in diesem … diesem Haus …“
„Wann genau?“, unterbrach ihn Marek.
„Am Montag. Woher haben Sie überhaupt diese Fotos?“
„Weiter …“
„Am Mittwoch fand ich dann einen Umschlag in meinem Briefkasten mit diesen Fotos und einem Schreiben …“
„Wie sah der Brief aus und was stand darin?“
„Die Buchstaben waren aus einer Zeitung ausgeschnitten. Wie in diesen Fernsehkrimis. Ich sollte einhunderttausend Euro in einem Beutel am Wasserwerk in der Nähe von Brian deponieren und keine Polizei einschalten, sonst würden die Fotos an meine Frau gehen.“
„Wann und wie sollte die Übergabe stattfinden?“
„Am Samstag um zweiundzwanzig Uhr sollte ich das Geld in eine Rinne neben dem Zufahrtsweg legen und gleich wieder verschwinden.“
„Und was haben Sie gemacht?“
„Na das, was er wollte. Ich war pünktlich da, habe das Geld in die Rinne gelegt und bin gleich wieder losgefahren.“
„Woher wissen Sie, dass es ein Mann war?“
„Wie? Ich verstehe nicht …“
„Sie sagten … was er wollte …“
„Ich weiß es natürlich nicht. Man sagt das halt so.“
Marek hatte sich ebenfalls auf seinem Stuhl zurückgelehnt und fixierte sein Gegenüber.
„Ah, man sagt das so. Na gut, und was haben Sie dann gemacht? Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?“
„Ich bin nach Hause gefahren und aufgefallen ist mir nichts. Könnte ich nun endlich erfahren, was diese Geschichte mit Ihrem Mordfall zu tun hat?“
Nardi wirkte jetzt ziemlich ungehalten und hatte offenbar seine alte Überheblichkeit wieder erlangt. Doch Marek blieb unbeeindruckt. Zu viele solcher Charaktere hatte er während seines Berufslebens schon verhört und weich gekocht. Manche früher und manche erst später, aber irgendwann waren sie alle reif. Und der hier hatte Dreck am Stecken, auch wenn er den Mann von Welt spielte. Das roch er förmlich.
„Als wir gestern hier waren, hatten wir Sie nach einem Alfredo Zorzi gefragt, den Sie zuerst nicht gekannt haben wollten. Diese hübschen Fotos hier haben wir bei diesem Zorzi, Ihrem ehemaligen Koch gefunden. Ebenso die Zeitungen, aus denen die Nachricht an Sie herausgeschnitten wurde. Damit dürfte ziemlich sicher sein, dass er der Erpresser war. Und nun ist er tot und liegt im Kühlhaus und Sie stecken bis zum Hals mit in dem Schlamassel.“
Für einen kurzen Moment nahm Marek eine leichte Unsicherheit bei Nardi wahr, doch dann war er wieder gewohnt souverän.
„Dann ist doch alles klar, meine Herren. Der wollte sich für seine Entlassung, die übrigens absolut berechtigt war, an mir rächen und hat mich erpresst. Dann haben Sie ja auch sicher mein Geld gefunden. Wann kann ich damit rechnen, es wieder zu bekommen?“
„Es interessiert Sie nicht, wie der junge Mann ums Leben kam?“
„Ehrlich gesagt nicht wirklich. Sie werden es mir wahrscheinlich ohnehin noch sagen. Hauptsache ich bekomme mein Geld wieder. Diese Summe bedeutet auch für mich sehr viel. Außerdem, wie auch Sie vielleicht bemerkt haben dürften, bin ich hier das Opfer.“
„Tja, ich fürchte daraus wird nichts.“
Nardi sah ihn verblüfft an.
„Wie? Ich verstehe nicht …“
„Offensichtlich hat jemand dem Erpresser das Genick gebrochen und das Geld mitgenommen, falls es überhaupt welches gab. Sie waren das nicht zufällig?“
Nardi sprang aus seinem Sessel auf und funkelte Marek wütend an.
„Was erlauben Sie sich. Gehen Sie nicht zu weit. Ich …“
„Ich weiß, Sie haben einflussreiche Freunde“, unterbrach ihn Marek und stand auf. „Wir sehen uns bestimmt wieder. Arrivederci.“
***
„Was hältst du von dem?“, fragte Marek den Brigadiere, als sie wieder auf dem Weg zurück nach Caorle waren.
„Glatt wie ein Aal. Könnte uns Schwierigkeiten machen.“
„Ich verwette eine Monatspension, dass der uns nicht alles erzählt hat. Der hat bestimmt keine reine Weste. Spielt uns noch das arme Opfer vor. Solche Typen kenne ich zur Genüge.“
***
Marek ließ sich an der Piazza Papa Giovanni absetzen und schlenderte von da aus gemütlich zum Caffè Roma. Dort bestellte er bei Luca einen Cappuccino, setzte sich damit draußen auf die Piazza und steckte sich eine Zigarette an.
So richtig schlau wurde er noch nicht aus diesem Nardi und wenn er es richtig sah, eigentlich auch nicht aus diesem ganzen Fall. Zu viele Unbekannte auf der Rechnung. Er musste unbedingt mehr über ihn erfahren. Marek holte sein Handy aus der Tasche und rief Silvana in der Redaktion an.
„Ciao cara. Das war nicht nett von dir heute Morgen.“
„Ich wollte dich nicht wecken. Du hast so süß ausgesehen im Schlaf.“
„Ach so, nur im Schlaf?“
„Stupido. Wolltest du dich nur bei mir beschweren, oder gibt es noch einen anderen Grund für deinen plötzlichen Anruf?“
„Ich wollte nur deine Stimme hören. Aber wo du schon mal dran bist, könntest du was über diesen Nardi in Erfahrung bringen?“
„Dachte ich es mir doch. Was willst du wissen?“
„Alles, was du herausbekommen kannst. Mit was verdient er sein Geld? War er schon einmal in irgendetwas verwickelt? Was ist mit seiner Frau? Halt das ganze Programm.“
„Na gut. Treffen wir uns heute Abend wieder zum Essen?“
„Alles, was du willst. Um acht Uhr?“
„Etwas später, aber du kannst ja schon einen Platz warmhalten. Ciao.“
***
„Besonders viel habe ich nicht“, begann Silvana, als sie sich zu Marek an den Tisch gesetzt hatte. „Der Typ ist abgeschottet wie ein Politiker. Scheint eigentlich ein integerer Geschäftsmann zu sein, und ein sehr reicher noch dazu …“
„Was heißt scheint?“
„… wenn ich nicht in Erfahrung gebracht hätte, dass die Polizei in Triest ihn schon einmal unter die Lupe genommen hat.“
Marek stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
„Weißt du auch weshalb?“
„Das konnte ich leider nicht herausfinden, aber das schafft ihr Superbullen ja bestimmt auch ohne mich“, meinte Silvana mit einem verschmitzten Lächeln.
Marek hatte die kleine Spitze wohlweislich überhört.
„Trotzdem danke, principessa. Du hast etwas gut bei mir.“
„Der gleiche Deal wie beim letzten Mal?“
„Va bene! Du bekommst natürlich alles exklusiv, aber ich kann zensieren.“
„Einverstanden. Und jetzt lass uns essen.“