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Marco Nardi verließ etwa eine Stunde später wieder das Gebäude, sah sich um, zündete sich eine Zigarette an und wandte sich in Richtung Via Giosuè Carducci. Er war halbwegs zufrieden mit dem Ergebnis seiner Unterredung und entsprechend zufrieden war auch sein Gesichtsausdruck. Heute war Montag. Die nächste Lieferung wurde ihm für Mittwoch zugesagt. Da hatte er noch Zeit, alles für den Transport nach Deutschland zu organisieren.

Ein paar Minuten später betrat er das Caffè San Marco in der Via Cesare Battisti. Hier wollte er in gediegener Jugendstilatmosphäre bei einem Caffè noch etwas entspannen, bevor er den Heimweg antrat.

Er angelte sich den Corriere della Sera vom Zeitungsständer und setzte sich im hinteren Teil des großen Raums an einen kleinen Tisch mit Marmorplatte.

Er schlug die Zeitung auf und überflog die Schlagzeilen. Die schlechte Wirtschaftslage war das beherrschende Thema und in verschiedenen Interviews gaben Politiker unterschiedlichster Couleur in den immer gleichen Sprechblasen zum Besten, wie sie der Lage Herr werden wollten. Waren sie dann gewählt, blieb sowieso alles beim Alten.

„Glücklicherweise sind meine Geschäfte unabhängig von Rezessionen und der allgemeinen Wirtschaftslage“, dachte Nardi.

Auf der nächsten Seite erregte ein anderer Artikel seine Aufmerksamkeit.

Großer Schlag gegen die Drogenmafia in Genua, lautete die Schlagzeile.

„Die sind auch nicht mehr, was sie mal waren.“

Nachdem er seinen Caffè ausgetrunken hatte, faltete er die Zeitung zusammen, legte einen Schein auf den Tisch und ging nach draußen. Dort steckte er sich erst einmal eine Zigarette an, die er gerne zum Caffè geraucht hätte. Aber das war ja leider nicht mehr möglich. Man sollte diese ganzen EU Bürokraten zum Teufel jagen und die Politiker in Rom gleich mit.

Langsam schlenderte er zu seinem Wagen und fuhr zurück nach Eraclea. Dort wollte er in seinem Restaurant noch kurz nach dem Rechten sehen und dann nach Hause zu Lydia fahren. Selten genug hatte er die Möglichkeit, so früh nach Hause zu kommen.

***

Nardi hatte seine Frau vor etwa fünf Jahren in seiner Diskothek kennengelernt.

Er stand damals neben dem Tisch des Discjockeys und sah der tanzenden Menge zu, als eine schlanke, fast weißblonde Schönheit langsam, fast wie in Trance, aus der Masse heraus und auf ihn zu tanzte.

Er war damals wie hypnotisiert und konnte nicht einmal ausweichen, als sie gegen ihn stieß. Dabei kippte er ihr den Inhalt seines Cocktailglases über das T-Shirt, unter dem sich, von der Nässe begünstigt, ihre Brustwarzen begannen abzuzeichnen.

Unfähig etwas zu tun starrte er sie an, doch statt zu schimpfen, oder sich zu beschweren, legte sie nur den Kopf auf die Seite und lächelte ihn an.

Noch an diesem Abend nahm er sie mit zu sich nach Hause, er lebte damals noch in einer kleinen Eigentumswohnung in Jesolo, und ein halbes Jahr später fand die Hochzeit statt. Seither ging es geschäftlich nur noch steil bergauf. Mittlerweile gehörte er zu den reichsten Männern der gesamten Region. Lydia hatte ihm Glück gebracht.

***

Zur gleichen Zeit verließ Alfredo Zorzi die Wohnung seiner Mutter. Er wollte unbedingt noch einen Briefumschlag zur Post bringen. Die hatte zwar mittlerweile schon geschlossen, aber glücklicherweise hatte seine Mutter immer einen Vorrat an Briefmarken in der Schublade des Küchentischs. Er hätte den Brief auch an der nächsten Ecke einwerfen können, doch war er sich nicht sicher, ob der Kasten überhaupt in der nächsten Zeit geleert werden würde. An die angegebenen Leerungszeiten hielt sich hier sowieso niemand. Auf dem Postamt war das etwas anderes, da wurde garantiert dreimal täglich geleert und sein Brief war wichtig, duldete keine Verzögerung. Zu viel hing für ihn davon ab. Vielleicht sogar seine ganze Zukunft.

Als er vor dem Postamt stand, sah er sich vorsichtig nach allen Seiten um, aus Angst jemand könnte ihn beobachten. Aber wer sollte das tun? Außer ihm wusste ja niemand, was sich in diesem Umschlag befand, und was kann dabei verdächtig sein, einen Brief auf dem Postamt einzuwerfen?

„Jetzt nur ganz ruhig bleiben“, dachte er und steckte den Umschlag entschlossen in den Schlitz des Briefkastens.

Letzte Leerung um achtzehn Uhr. Der Brief könnte spätestens übermorgen seinen Adressaten erreichen. Dann würde man weitersehen.

***

Nardi fuhr auf den Parkplatz seiner Trattoria und betrat das Lokal durch den Hintereingang. Er hatte jetzt keine Lust auf Konversation mit seinen Gästen.

Gerade noch sah er Gustavo im Lagerraum verschwinden und ging ihm nach. Gustavo Bossi war nicht nur Geschäftsführer der Trattoria mit absoluter Handlungsfreiheit, sondern auch Nardis engster Vertrauter. Er schloss die Türe hinter sich, denn was er mit Bossi zu besprechen hatte, war für niemandes Ohren bestimmt.

Fünfzehn Minuten später war Nardi bereits wieder unterwegs. Er musste Lydia noch vom Ergebnis der Unterredung mit den Lieferanten in Triest berichten, die er durch die Vermittlung ihrer Brüder in Dubrovnik kennengelernt hatte. Daraus hatte sich eine bis dato erfolgreiche und mehr als einträgliche Geschäftsverbindung ergeben. In letzter Zeit hatte die Zuverlässigkeit etwas gelitten, deshalb musste er heute selbst mit seinen Partnern einmal Klartext reden. Mit Erfolg, wie er meinte.

Wie von Zauberhand öffnete sich das Tor zur Garageneinfahrt, noch bevor Nardi mit seinem schwarzen Mercedes sein Haus erreicht hatte. Langsam und fast geräuschlos rollte die schwere Limousine in die Garage und ebenso geräuschlos schloss sich wieder das Tor.

Nardi betrat durch eine Seitentür die große Wohnküche seines Hauses.

„Ciao bella.“

Seine Frau kam mit zwei gefüllten Gläsern auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Ciao Marco. Einen Prosecco?“

„Danke.“

Nardi nahm das Glas und ging voraus ins Wohnzimmer, wo er sich auf einen Sessel warf und die Krawatte lockerte.

„Wie ist es gelaufen?“, wollte sie wissen und setzte sich ihm gegenüber auf die Couch. Dabei zog sie die Beine an und sah ihm erwartungsvoll in die Augen.

Nardi nahm einen Schluck.

„ Diesmal noch gut.“

„Du hast hoffentlich die Mädchen in Ruhe gelassen?“, fragte sie gespielt eifersüchtig und grinste ihn an.

„Ich habe mir die Lokalität nicht ausgesucht. Ich hoffe nur, dass mich niemand gesehen hat der mich kennt.“

„Ich habe Slaven auch schon gesagt, dass dies ein sehr ungünstiger Platz für das Büro ist. Er sieht sich nach etwas Neuem um. Wenn da eine Razzia stattfindet, ist er dran.“

„Du musst mal mit deinem Vater reden. So geht das nicht weiter. Nochmal solche Schwierigkeiten und die Deutschen springen ab. Dann kann ich wieder die Buchhaltung in der Trattoria machen.“

„Hatte ich auch vor, nur so schlimm wie du tust, ist es doch auch wieder nicht.“

„Du kennst doch die Deutschen. Wenn da nicht alles planmäßig und pünktlich abläuft, drehen die durch.“

„Das meinte ich auch nicht. Du hast doch noch drei weitere gutgehende Firmen. Du wirst also nicht als Buchhalter enden, mein Schatz. Aber wie wäre es jetzt mit Essen? Hast du Hunger?“

„Wie ein Wolf. Was hast du denn gezaubert?“

„Als primo gibt es prosciutto di Parma auf Melone, danach crostini confegato …“

„… und zum Nachtisch?“, fiel er ihr ins Wort und nahm das Funkeln in ihren Augen wahr.

„… und zum Nachtisch …“

Der Venezianische Löwe

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