Читать книгу Chirurginnen - Volker Klimpel - Страница 5
ОглавлениеDie „Verdrossenheit, sich mit Geschichte zu befassen, ist weitverbreitet, und die Meinung, es lohne sich nicht, die Zeit aufzuwenden, um sich Erkenntnisse der Vergangenheit anzueignen, wird kräftig kolportiert“ (Bruno Mariacher [3], S. 3–4). Hier soll nun, dies konterkarierend, versucht werden, einen ganz speziellen Teil der Kultur- und Menschheitsgeschichte sichtbar zu machen: Die Kunst und Wissenschaft der Chirurgie, ausgeübt von Frauen. Während es über den langen und dornenreichen Weg der Frauenemanzipation im Allgemeinen eine Fülle von Literatur gibt, trifft dies auf das Spezialgebiet der sogenannten weiblichen Chirurgie nicht zu. Ein zeitgenössischer Arzt und Publizist hat es mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Die Folianten der Chirurgiegeschichte künden überwiegend von männlichem Wirken, nur vereinzelt treten Frauen ins Rampenlicht. Und wenn sie Außerordentliches leisteten, fanden sie nur selten Chronisten, die von ihrer Tätigkeit in gebührendem Maße kündeten“ [36]. Man nehme eine Vielzahl medizinischer Lexika, Enzyklopädien oder Handbücher zur Hand und suche nach Chirurginnen – vergeblich [25, 27, 28, 43, 56, 92, 111, 120 u. v. a.]. Allenfalls stößt man auf Hildegard von Bingen, Justine Siegmundin, Dorothea Erxleben, Regina Siebold, Rahel Hirsch, Lydia Rabinowitsch-Kempner oder die Curies, alles nachgewiesenermaßen keine Chirurginnen. So ist es schon nicht mehr erstaunlich, sondern eher typisch, wenn man selbst die eben Genannten in einem ansonsten tiefschürfenden Werk vermisst: Kein Sterbenswörtchen über Frauen in der Medizin in der breitangelegten zweibändigen „Geschichte der Medizin“ des schweizerdeutschen Medizinhistorikers Charles Lichtenthaeler (1915–1993)! [79]. Und in der viel benutzten, aber dringend nach einer Überarbeitung heischenden zweiten Auflage von Hans Killians „Meister der Chirurgie“ findet man unter den knapp 200 Namen des Personenregisters nur zwei Frauen: Ursula Schmidt-Tintemann (s. u.) und Ilse Teubl, ehemalige Oberärztin des Departments Bluttransfusion und Serologie an der Chirurgischen Universitätsklinik Graz (S. 473–492 [56]). In dem aktuellen Wikipedia-Artikel über „Berühmte Chirurgen“ werden 42 Männer vorgestellt und keine einzige Frau! <QI2>
Dorothea Erxleben nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie die erste promovierte Ärztin in Deutschland war und schon 1742 in ihrer Dissertation mit dem Titel „Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten. Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nötig und nützlich es sei, dass dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleissige“ die hier zur Debatte stehende Problematik umriss. Erxleben damals: „Ich beschloss daher ernstlich, mich durch nichts vom Studium abhalten zu lassen und zu versuchen, wie weit ich in der Arzneygelahrtheit es bringen könnte. Zwar wusste ich wohl, dass es an solchen nicht fehle, die das Studieren des Frauenzimmers nicht nur tadeln, sondern auch auf eine recht niederträchtige und Gelehrten schlecht anstehende Weise durchziehen … ihr Gewäsche wird mich niemals verleiten, mir mein Studium gereuen zu lassen“. Es finden sich einige Ärztinnen unter den Erfinderinnen und Nobelpreisträgerinnen, aber Chirurginnen? Fehlanzeige! [31, 115]. Etwas ergiebiger sind da die US-Amerikaner Albert S. Lyons und Joseph Petrucelli mit ihrer 1980 ins Deutsche übersetzten „Geschichte der Medizin im Spiegel der Kunst“ [81] sowie der Chirurg und Medizinhistoriker Ira M. Rutkow in seinem großangelegten Werk „Surgery. An illustrated history“, das 1993 bei Mosby in St. Louis erschienen ist <QI3>.
Ganz anders heute. In der seit dem Jahre 2000 im Kaden Verlag Heidelberg, in dem auch dieses Buch herauskommt, erscheinenden Chirurgischen Allgemeinen Zeitung (CHAZ) sind in der Rubrik „Personalia“ weit über 100 Chirurginnen, vorwiegend in Führungspositionen, erwähnt, und diese Zahl nimmt ständig zu. In der gleichnamigen Rubrik der BDC-DGCH-Mitgliederzeitschrift Passion Chirurgie sind fast monatlich Chirurginnen zu finden. Nun ist es aber nicht so, dass man annehmen könnte, Frauen in der Chirurgie seien etwas ganz Neues. Schon der große Altvordere Abulkasim meinte um 1000 n. Chr., dass sich Frauen, die an Blasen- und Harnsteinen litten, vorzugsweise an weibliche Chirurgen wenden sollten. Damit war der Arzt aus Cordoba mitnichten der Erste und schon lange nicht der Einzige, der diese Forderung vertrat. Dem Leser soll etwas von dem Pioniergeist und der Kraft nahegebracht werden, mit dem die Frauen in Vergangenheit und Gegenwart ihr Ziel verfolgt haben, es in der operativen Krankenbehandlung den Männern gleichzutun. Im Überwinden von Widerständen haben sie es mit ihren männlichen Kollegen nicht nur aufgenommen, sondern diese in vielen Fällen sogar übertroffen. Immer in der Minderheit, geben die Chirurginnen, die hier pars pro toto stehen, Beispiele für die mühevolle und an Auseinandersetzungen reiche, letztlich erfolgreiche Durchsetzung ihres Berufsbildes (S. 9–12 [60]).
Der Verfasser ist in seiner chirurgischen Vergangenheit selbst einigen Chirurginnen begegnet, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben, sowohl in der sogenannten großen klinischen Chirurgie einschließlich der aufkommenden Spezialgebiete als auch im ambulanten Sektor. Überall haben sie „ihren Mann“ gestanden und Tag und Nacht Beachtliches geleistet, manche auch noch Zeit für wissenschaftliche Arbeit gefunden, unabhängig davon, ob sie Familie und Kinder hatten oder nicht. Und mehrheitlich war – in den 1960er bis 1980er Jahren in der DDR – im Klinik- und Poliklinikbereich keine Form irgendeiner Diskriminierung spürbar, jedenfalls nicht im Arbeitsbereich des Autors. Das mag längst nicht überall so gewesen sein; einige Protagonistinnen wissen Gegenteiliges zu berichten, bis in die Gegenwart hinein. Wenn schon keine Frau, keine Chirurgin, dieses Buch schreibt, so kommen sie im Kapitel Heute mehrfach zu Wort.