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Heute

Die Zeiten, als im Operationssaal die Instrumentierschwester, diese oft eine gestrenge Ordensfrau, die Patientin auf dem Operationstisch und vielleicht noch eine sogenannte Unsterile die einzigen weiblichen Personen waren, sind längst vorbei. Und doch gibt es noch immer Vorbehalte gegen Frauen in der Chirurgie, wie manche Fundstücke zeigen. „Frauen haben in der Chirurgie nichts verloren!“ soll noch 1970 im Wiener Allgemeinen Krankenhaus ein chir­urgischer Ordinarius ausgerufen haben. Hier fügt sich folgende Szenerie ein: Auf einem großen Gruppenfoto aller Professoren der Wiener Medizinischen Fakultät von 1975 sind 80 Personen abgelichtet, darunter nur drei Frauen, und von denen sind die Professorinnen Erna Lesky (1911–1986), Kinderärztin und Medizinhistorikerin, und Astrid Kafka-Lützow (*1937), die Physiologin, zu identifizieren, also keine Chirurgin [108].

Oder an eine Assistentin gerichtet: „Oh, Sie sind jung und hübsch und könnten sich einen Zahnarzt angeln … Was wollen Sie dann noch Chirurgin werden?“ Auch war manches Mal zu hören „Was will die Puppe hier?“, wenn sich eine Frau in der Chirurgie bewarb. Für die Kolleginnen oft eine Gratwanderung zwischen Himmel und Hölle <QI11>. Das verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass noch in den 1950er und 1960er Jahren die Frauen in der Bundesrepublik Deutschland die Erlaubnis des Ehemanns einholen mussten, wenn sie beispielsweise die Fahrerlaubnis erwerben oder gar berufstätig sein wollten. Das war der sogenannte Gehorsamsparagraph (§ 1354 BGB)! Erst 1977 beendete eine Gesetzesnovelle diese „Hausfrauenehe“ und Frauen konnten ohne Einwilligung des Mannes ein Bankkonto eröffnen oder eine Arbeitsstelle antreten. Im anderen deutschen Staat, der DDR, bedurfte es dessen nicht. Seit 1950 waren die Frauen de facto und de jure gleichberechtigt, wobei Anspruch und Wirklichkeit nicht immer übereinstimmten [52].


Karikatur von Marie Marcks

Noch 1961 stellte der damalige Rektor der Medizinischen Akademie Erfurt die damals ernst gemeinte Frage: „Man sollte überlegen, ob man nicht mehr Männer als Frauen zum Medizinstudium zulassen sollte“.6 Der Anteil von Frauen in der Chirurgie lag um 1964 in der DDR unter zehn Prozent.

Ein kurzer Blick ins Fotoarchiv zeigt auf einem Schnappschuss von 1956 die Mitarbeiter der Chirurgischen Akademie-Klinik Erfurt unter Professor Egbert Schwarz (1890–1966). Unter 19 Chirurgen befinden sich immerhin drei Assistenzärztinnen, deren Namen und Werdegang allerdings nicht bekannt sind [114]. Da wir gerade in Thüringen sind: In der Gründungsgeschichte der Thüringischen Gesellschaft für Chirurgie wird 1947 als Gründungsmitglied „Frau Dr. Hellwig“ aus Jena genannt, es handelt sich um Dr. med. habil. Ingeborg Hellwig, Schülerin und Oberärztin von Nikolai Guleke (1878–1958)7.


Die ärztlichen Mitarbeiter der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie Erfurt 1956. In der Mitte Klinikchef Prof. Egbert Schwarz, in der letzten Reihe drei Chirurginnen.

In der Basler Chirurgischen Universitätsklinik arbeiteten 1965 bei Professor Rudolf Nissen (1896–1981) 58 Ärzte, jedoch keine einzige Frau! [40]. Auf dem „Klassenfoto“ von Martin Allgöwers (1917–2007) Chirurgischem Departement Basel erkennen wir 1982 eine Frau (S. Demou-Hüni) unter 19 Männern [85]. Die Eintragungen in den Personalfragebögen lauteten in der Rubrik Facharzt immer noch „Chirurg“ statt „Chirurgin“, und zwar in Ost wie in West. In puncto Aufstiegsgrenzen für Frauen in der Chirurgie herrschte deutsche Einheit. In einer Publikation über den Patriarchalismus in der DDR wird eine Hebamme zitiert, die klar ausdrückte, dass die „Frauenförderung“ nur auf dem Papier stehe und es im Krankenhaus eine Verhinderungsstrategie des chirurgischen Chefarztes gäbe, der „gar keine Frau aufkommen lassen“ würde, nur Männer in der Chirurgie akzeptiere und Frauen „rausstänkere“ [23].


Das Klinikteam der Basler Chirurgischen Universitätsklinik unter Prof. Dr. Rudolf Nissen (1896–1981), zweite Reihe, 5. v. re. Eine Frau ist unter den 60 Personen nicht zu entdecken (aus [40]).

Dass sich jedoch die Entwicklung nicht aufhalten ließ, belegen mehrere Einzelbeispiele aus jener Zeit im zweiten Teil dieser Schrift. Von prinzipieller Natur ist die Aussage des Nicht-Chirurgen Prof. Hans Berndt (*1927), von 1982 bis 1992 Direktor der I. Medizinischen Universitätsklinik der Charité, in seinem Geleitwort zur Autobiographie der Infektiologin Prof. Renate Baumgarten (*1938). Darin schreibt Berndt 2004 aus eigener Erfahrung mit einer verehrten Chefärztin8, dass er nie Vorbehalte gegen Frauen in leitender Stellung [hatte], sondern Verständnis für Kolleginnen, die um Anerkennung und Respekt in einer männlich dominierten Hierarchie ringen mussten [6].

In Deutschland übersteigt inzwischen die Zahl der Frauen im Arztberuf die der Männer, im Fach Chirurgie trifft dies noch nicht zu. Im Jahr 2000 waren über 50 Prozent der Medizinstudierenden Frauen, in der Chirurgie waren damals jedoch nur 12 Prozent weiblich, in Österreich etwa zehn Prozent. Rund gerechnet befanden sich 2003 unter 5800 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 395 Frauen, das sind etwa sechs Prozent [5].

Der Übertritt ins 21. Jahrhundert scheint eine Zäsur im Geschlechterverhältnis unter den Chirurgen und eine Veränderung in der Wahrnehmung dieses Problems zu bedeuten. Unter der Präsidentschaft von Professor Klaus Schönleben wird 2001 die Frauenfrage in der Chirurgie Thema auf dem 118. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Namhafte Fachvertreterinnen bringen hier historische Aspekte, Entwicklungstendenzen und Erfolgsaussichten in die Öffentlichkeit [41].

Ende 2013 sind etwa 18 Prozent der in einem chirurgischen Fach, also auch in der Orthopädie, Unfall- und Herz-Thorax-Chirurgie arbeitenden Ärzte Frauen. Die steigende Anzahl von Frauen in der Chirurgie geht einher mit der Entwicklung der sogenannten neuen Medien, in denen angehende und ausgebildete Chirurginnen Plattformen und Diskussionsforen für ihre Anliegen finden. Da wird gebloggt und gepostet, was das Zeug hält. Da meldet sich zum Beispiel die Chirurgin Heather Lodge aus North Carolina, zum Thema operierender Ärztinnen, Familie und Mutterglück, und schreibt neben vielem Positiven auch: „Das alte Stereotyp eines Chir­urgen ist ein allwissender arroganter Mann, der sehr gut funktioniert, aber oft herzlos ist, nicht nur mit Kollegen, sondern auch mit Patienten …!“ <QI13>. Man hört schon den lauten Einspruch der Herren Kollegen, aber irgendwie scheint das in Jahrhunderten verfestigte Bild von der „nicht zur Chirurgie geborenen“ Frau noch virulent zu sein. Das schreckt jedoch die Ärztinnen schon lange nicht mehr.

Als die damals 46-jährige Professorin Doris Henne-Bruns 2001 von Kiel auf das chirurgische Ordinariat an der Universität Ulm berufen wurde, kam dies einer Sensation gleich. Die Schülerin von Hans-Wilhelm Schreiber (1924–2004) in Hamburg war die erste Frau auf einem chirurgischen Lehrstuhl in Deutschland. Das hätten sich die Altvorderen wohl kaum träumen lassen! Und zudem: Frau Henne-Bruns hat Mann und Kind! Als Nachfolgerin von Christian Herfarth (1933–2014), der 1973–1981 erster Chirurgie-Ordinarius der 1967 neugegründeten Universität Ulm war, und ab 1982 dann Hans-Günter Beger (*1936) kam sie in dem Jahr ins Ulmer Amt, als Begers Lehrer Emil S. Bücherl (1919–2001) verstarb. Es waren ihr allerdings schon einige „schneidige“ Frauen auf Lehrstühlen operativer Fächer in Deutschland vorausgegangen wie Elisabeth Schmöger (1920–1994) für Augenheilkunde und Rosemarie Albrecht (1915–2008) für HNO, beide 1955 auf Ordinariate an der Medizinischen Akademie Erfurt (gegr. 1954, geschl. 1993) sowie Ga­briele Schackert (*1953) und Anna-Elisabeth Trappe (*1939) 1993 bzw. 1995 für Neurochirurgie in Dresden und München.


Doris Henne-Bruns wurde 2001 erste chirurgische Ordinaria Deutschlands

Als erste Ordinaria für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an einer deutschen Universität und als moderne Frau ging Doris Henne-Bruns von Anfang an offen mit den Problemen um, die sich noch heute mit dem „Einbruch in die Männerdomäne Chirurgie“ ergeben. Sie habe Karriere gemacht, sagte sie einmal, „obwohl sie eine Frau ist“ und „Frauen müssen noch immer den Spagat zwischen Beruf und Familie leisten“ <QI14>. Dem SPIEGEL öffnete sie die Türen zu ihrem Operationssaal und legte – im übertragenen Sinne – den Finger in so manche Wunde, stellte zum Beispiel die Frage, ob die Chirurgie denn ein Altherrenklub bleiben solle, oder zitierte Macho-Sprüche ihrer männlichen Kollegen bei Bewerbungsgesprächen wie „Ach, Sie sind jung, Sie sind hübsch, kriegen Sie doch weitere Kinder!“. Und sie habe als Frau bei chirurgischen Abendessen auch schon mal am „Katzentisch“ bei den Chirurgen-Gattinnen und Witwen gesessen statt an der „Herrentafel“. Wie ungewohnt für manchen männlichen Patienten die Situation in den Operationssälen war, zeigte die erstaunte Frage angesichts des überwiegend weiblichen Personals: „Operieren hier die Schwestern?“ Oder es sagt ein männlicher Patient: „Mein Chir­urg ist eine junge Frau, was nun?!“ Frauen als Operateurinnen lagen offenbar jenseits der Vorstellungskraft des Fragestellers, an den Tisch trat jedoch Frau Prof. Henne-Bruns und musste erst einmal dafür sorgen, dass sie von dem Kranken „für voll“ genommen wurde <QI15>. Auf dem Chirurgenkongress 2001 beschäftigte sich Prof. Henne-Bruns mit dem Thema „Erfolg? Eine Begriffsbestimmung aus weiblicher Sicht!“ und kam zu der Schlussfolgerung: „Ein radikales Umdenken in der Chirurgie ist nötig, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein“.

Doris Henne-Bruns war be­reits über ein Jahrzehnt im Amt, als 2013 Prof. Christiane Bruns (*1965) nach Magdeburg und 2014 mit Prof. Ines Gockel (*1969) zum dritten Mal in Deutschland eine Frau auf ein chirurgisches Ordinariat berufen wurde und das auf den traditionsreichen Lehrstuhl in Leipzig, den u. a. Thiersch, Trendelenburg, Payr und Uebermuth innehatten. Das war immer noch gewöhnungsbedürftig, auch wenn man sich inzwischen an zunehmend mehr Chirurginnen gewöhnt hatte. Ines Gockel war ungefähr im selben Alter wie Doris Henne-Bruns, als diese damals in Ulm die Chefposition antrat, und wie diese vertritt sie die Viszeral- und Transplantationschirurgie und zusätzlich die Thorax- und Gefäßchirurgie. Ines Gockel kam aus Mainz von Prof. Theodor Junginger und hat die Welt gesehen: Montréal, Vancouver, Pittsburgh, letzteres 2009 mit einem Reisestipendium der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie <QI16>. Christiane Bruns verließ nach gut drei Jahren Magdeburg schon wieder und wechselte auf den Kölner Lehrstuhl.

Der nächste Paukenschlag in der chirurgischen Community Deutschlands folgte ein Jahr nach dem Amtsantritt von Ines Gockel. Es war die Wahl der Dresdner Neurochirurgin Prof. Gabriele Schackert9 zur Präsidentin der 133. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie die vom 26. bis 29. April 2016 in Berlin stattfand. Ob da jemand von der 1872er Gründungsmitgliedern im Grabe rotierte? Prof. Schackert gab „ihrem“ Kongress das Motto „Chirurgie im Spannungsfeld von Technik, Ethik und Ökonomie“. Im Jahr ihrer Wahl zur Präsidentin musste sie nun eine „Herrenrede“ statt der obligaten Damenrede halten. Anwesende erinnern sich, dass sie das mit spitzer Zunge, humorvoll und mit Charme getan habe [2]. Prof. Schackert kam aus der Heidelberger Schule von Stefan Kunze (*1938), hatte zwei Jahre in Houston/Texas gearbeitet, sich 1990 habilitiert und war 1993 auf den Lehrstuhl für Neurochirurgie an die Medizinische Fakultät „Carl Gustav Carus“ der TU Dresden berufen worden. Die Hauptarbeitsgebiete ihrer Klinik sind Hirntumoren, Stereotaxie und Kinderneurochirurgie, in jüngerer Zeit auch die molekulargenetische Forschung und Therapie [19]. DIE ZEIT titelte „eine Frau für schwere Fälle“, was ihrem Ruf entspricht. Aus dem etwa zwanzigköpfigen Klinikteam heißt es „Was sie sagt ist Gesetz!“ Gabriele Schackert hat außerdem das fertiggebracht, was viele angesichts einer solchen Karriere für ein Kunststück halten: Sie ist verheiratet und hat zwei (inzwischen erwachsene) Kinder.10

Auch im Bereich der experimentellen Chirurgie haben Frauen entscheidende Positionen erreicht, so etwa die Chirurgin Prof. Brigitte Vollmar, die seit 2002 Direktorin des Rudolf-Zenker-Instituts für Experimentelle Chir­urgie an der Universitätsmedizin Rostock ist. Seit 2015 ist sie auch Lehrstuhlinhaberin (W3-Professur für Experimentelle Chirurgie) an der Universität Rostock. 2011 wurde sie in den überschaubaren Kreis der weiblichen Leopoldina-Mitglieder aufgenommen. In Leipzig wird der Bereich innerhalb der Chirurgischen Klinik als Arbeitsgruppe von Prof. Dr. rer. nat. Gabriela Aust geleitet und die Chirurgin Prof. Dr. med. Heike Allgayer leitet seit 2004 die Experimentelle Chirurgie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg.

Viele Frauen haben sich nach einer chirurgischen Grundausbildung für ein anderes operatives Spezialfach entschieden. In den Gründerjahren der Emanzipation war es fast immer der geburtshilflich-gynäkologische Bereich. Heute sind es alle artverwandten Spezialdisziplinen. In der Neurochirurgie befanden sich 2001 unter insgesamt 690 ordentlichen Mitgliedern der Fachgesellschaft 40 Frauen. Zwei jahrgangsmäßig ältere Fachvertreterinnen seien hier aufgrund einiger Besonderheiten hervorgehoben. Da ist einmal Prof. Jutta Krüger (*1941) mit ihrem recht abwechslungsreichen Lebenslauf, der seinen Höhepunkt als Ober- und Chefärztin an der von Werner Usbeck (1920–2007) begründeten Neurochirurgischen Akademie-Klinik in Erfurt fand. Als sich 1989/90 bedingungslos in den Dienst des Neuaufbaus stellende „Westärztin“ hat sie den Kampf um den Erhalt der Medizinischen Hochschule miterlebt, mitgestaltet und in einer aufschlussreichen Dokumentation festgehalten [69].

Die Wienerin Margareta Klinger (*1943) brachte schon einen medizinischen Doktortitel aus Kanada mit und hat dann noch eine zweite Promotion in Deutschland abgeschlossen. Sie ist Schülerin von Prof. Wolfgang Schiefer (1919–1980) in Erlangen und war die erste Frau in Deutschland, die sich in Deutschland für Neurochirurgie habilitiert hat. Noch im Ruhestand war Prof. Klinger als Patientenfürsprecherin des Universitätsklinikums Erlangen aktiv. 2005 wurde sie, die verheiratet ist und drei Söhne zur Welt gebracht hat, zum Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie ernannt. Von der jüngeren Generation, geboren in den 1960er und 1970er Jahren, tritt eine stattliche Reihe von Neurochirurginnen auf den Plan, allesamt Professorinnen: Kirsten Schmieder in Bochum, Cornelia Czedich in Saarbrücken, Raphaela Verheggen in Bad Pyrmont, Patra Charalampaki als Oberärztin in Köln-Merheim, Juliane Behnke-Mursch in Bad Berka, Uta Schick in Münster, Ilonka Kreitschmann-Andermahr in Essen, Ulrike Blömer niedergelassen in Damme/Niedersachsen. – Ursula Schüwer war Chefärztin einer Rehaklinik in Pulsnitz/Sachsen und Aeilke Brenner leitete über 25 Jahre die Neurochirurgie am Werner-Forßmann-Krankenhaus in Eberswalde [10].

Auch die Zahl habilitierter Orthopädinnen, Unfallchirurginnen und Urologinnen wächst ständig. Zu nennen sind hier – willkürlich herausgegriffen – Renée Lampe, Orthopädie TU München, Margit Fisch, Kinderurologie Hamburg-Eppendorf (erste Ordinaria dieses Fachgebietes!), Daniela Schultz-Lampel, Urologie am Schwarzwald-Baar-Klinikum, Ricarda M. Bauer, Urologie der LMU München, Ruth Kirschner-Hermanns, Urologie Bonn, Dorothea Weckermann, Urologie Augsburg, Andrea Meurer, Orthopädie Frankfurt am Main (2017 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie), Bettina Westhoff, Orthopädie Düsseldorf, Viola Bullmann, Orthopädie Köln, Angela Olinger in Salzgitter und dann in Plau am See (sie war die erste habilitierte Unfallchirurgin in Westdeutschland), Julia Seifert, Unfallchirurgie Greifswald (lange Jahre Vizepräsidentin des BDC). Seit September 2020 ist Tina Histing Ärztliche Direktorin und Direktorin der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an der BG Klinik Tübingen und zugleich Lehrstuhlinhaberin für Unfallchirurgie an der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als erste Unfallchirurgin.

Einen besonderen Platz unter den Spezialistinnen nehmen die Kinder­chirurginnen und die Plastischen Chirurginnen ein, weil sie diese Disziplinen, offenbar ihrer Neigung und Geschicklichkeit folgend, schon sehr frühzeitig vorangetrieben und bedeutende Persönlichkeiten in ihren Reihen haben. Einige der nicht mehr lebenden Vorkämpferinnen werden im zweiten Teil ausführlich gewürdigt. An dieser Stelle blicken wir nun auf die emeritierten oder noch aktiven Kolleginnen/Professorinnen: Felicitas Eckoldt-Wolke, Kinder­chirurgie Jena, Helga Roth, Kinderchirurgie Heidelberg (erste Professorin dieses Spezialgebietes in Deutschland), Karin Rothe, Kinderchirurgie Charité Berlin, Sylvia Glüer, Kinderchirurgie Hameln/Hildesheim, Mariana Santos, Kinderchirurgie Düsseldorf, Barbara Ludwikowski, Kinderchirurgie Hannover, Monika Krause, Kinderchirurgie Trier, Heidrun Gitter, Kinderchirurgie Bremen (seit 2012 auch Präsidentin der LÄK Bremen).


Hildegunde Piza-Katzer

Von den Vertreterinnen der Plastischen-, Wieder-herstellenden- und Handchirurgie verdienen vor allem die Professorinnen Hildegunde Piza-Katzer in Wien und Innsbruck sowie Christine Radtke in Wien, die Magdeburger Professorin Gertrud Pohl, die Geldmacher-Schülerin Prof. Margita Flügel, früher Erlangen, dann Hannover, Prof. Jutta Liebau in Münster, dann Düsseldorf und Prof. Marianne Schrader in Lübeck, die ehemalige Chefärztin Dr. Mechthild Weiße-Lögering in Pirna/Sachsen u. a. erwähnt zu werden. Von Prof. Pohl liegt dem Verfasser ein eindrucksvoller autobiographischer Abriss vor, der ein recht ungewöhnliches Leben offenbart. Als Landarbeiterkind Gertrud Anneliese Jahnke am 31. Januar 1935 in Terpen, Kreis Mohrungen, geboren, verlor sie mit sechs Jahren den Vater im Krieg, wurde 1947 aus Ostpreußen ausgewiesen und fand in der Altmark eine neue Heimat. 1953 konnte sie an der Winkelmann-Oberschule in Seehausen das Abitur ablegen und von 1953 bis 1958 in Greifswald und Magdeburg Medizin studieren. Von 1960 bis 1964 absolvierte sie – inzwischen promoviert und verheiratet – die chirurgische Ausbildung an der Medizinischen Akademie in Magdeburg bei Prof. Werner Lembcke (1909–1989). Mit Sondergenehmigung erhielt sie einen postgradualen Studienplatz für Plastische und Wiederherstellende Chir­urgie in Brünn (Brno) (V. Kubáček) und Prag (V. Karfík). Danach erhielt G. Pohl nach ihren Angaben die erste Facharztanerkennung auf diesem Gebiet in der DDR. Eine erste große Bewährungsprobe hatte sie 1967 bei der Versorgung Schwerstbrandverletzter nach dem Zugunglück von Langenweddingen zu bestehen. 1969 erhält sie nach intensiven Bemühungen eine eigene Abteilung an der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Akademie Magdeburg. Mutter eines Sohnes und einer Tochter, habilitierte G. Pohl 1976 (damals Promotion B genannt), führte die Sektion Plastische und Wiederherstellende Chirurgie innerhalb der DDR-Chirurgengesellschaft (1972–1990), nahm an nationalen und internationalen Kongressen teil und wurde 1989 a. o. Professorin. Von 1993 bis 2002 arbeitete sie in eigener Niederlassung. Rückblickend meinte die mehrfach Ausgezeichnete, dass es „in dieser Zeit in der Chirurgie allgemein noch gewisse Voreingenommenheiten ärztlichen Mitarbeiterinnen gegenüber und den Spezialisierungsbestrebungen gab, die von namhaften Chirurgen abgelehnt wurden oder unerwünscht waren“ [96].

Wenden wir uns wieder der Allgemein- und Viszeralchirurgie zu. Aus der immer größer werdenden Schar weiblicher Chirurgen heben sich Namen von Rang ab. So gilt zum Beispiel unsere Aufmerksamkeit Dr. Ingrid Hassel­blatt-Diedrich (*1940), die einerseits als Schülerin des Chirurgen Günther Vetter (1920–2014) am Bürgerhospital Frankfurt am Main als Oberärztin und dann im Krankenhaus Frankfurt-Sachsenhausen als Chefärztin und andererseits im Hartmannbund und in der Hessischen Landesärztekammer Karriere machte [55]. Ihre Kollegin Dr. Ursula Stüwe (*1947) wurde 2004 ebenfalls Präsidentin der Landesärztekammer Hessen. Sie hatte sich als gelernte Krankenschwester auf dem zweiten Bildungsweg die Hochschulreife erworben, Medizin studiert, war Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie geworden und arbeitete von 1979 bis 2010 als Oberärztin und Controllerin an den Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden. Überregional bekannt geworden ist U. Stüwe als Expeditionsärztin der „Polarstern“ in der Antarktis <QI17>.

Auch für die endokrine resp. Schilddrüsenchirurgie wurden ab etwa 2005 spezielle Abteilungen unter Führung von Chirurginnen gebildet. Beflügelt wurde diese Entwicklung vor allem durch Dr. Ursula Engel aus Hamburg, die zunächst ab den Achtzigern im damaligen AK Hamburg-Harburg bei Prof. Volker Bay und ab Mitte der Neunziger am AK Hamburg-Altona bei Prof. Wolfgang Teichmann für diesen Bereich zuständig war. Heute sind solche Einheiten u. a. mit den Namen Dotzenrath, Heidemann, Schwarz, Rayes und Weber in Verbindung zu setzen.

Jahrgang 1972, verheiratet, ein Kind – das trifft auf Prof. Katja Schlosser zu, Chefärztin der Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie bei Agaplesion in Gießen. Sie hat in ihrer Laufbahn durchaus Einiges zur Feminisierung der Chirurgie beigetragen und sich dazu nicht nur einmal öffentlich geäußert. Den Unkenrufen „Verträgt sich nicht mit einer Familie“, „Mach das bloß nicht, das ist nichts für eine Frau“, „Das wirst du bereuen“ zum Trotz hat sie sich beharrlich der Chirurgie gewidmet, hat sich an einer männerdominierten Chirurgischen Universitätsklinik emporgearbeitet und mit „extrem guter Organisation“ Beruf und Privatleben unter einen Hut gebracht <QI18>.

An „führenden Frauen“ in der (deutschen) Chirurgie mangelt es nicht mehr. So sind seit kurzem Dr. Sabine Presser und Anja Regel Chefärztinnen der Chir­urgie an den Krankenhäusern in Suhl bzw. Eisenach und Saalfeld geworden. In diese Reihe gehört auch die Chefärztin der Klinik für Adipositas­chirurgie in Gera, Prof. Christine Stroh (*1969). Dr. Felicitas Zimmermann war von 2009 bis 2020 Chefärztin der Klinik für Gefäßchirurgie am Stadtkrankenhaus Dresden-Friedrichstadt. Die in der Charité in Berlin und am ehemaligen Hamburger AK Altona ausgebildete Dr. Beate Herbig, Tochter des bekannten Dirigenten Günter Herbig, ist Chefärztin der ersten deutschen Adipositas­-Klinik an der Schön Klinik in Hamburg-Eilbek. Beate Herbig ist im Übrigen zusammen mit ihrer thoraxchirurgischen Kollegin Dr. Gunda Leschber aus Berlin die einzige Frau im 60 Köpfe umfassenden wissenschaftlichen Beirat der Chirurgenzeitung CHAZ.

Für Aufsehen in den Medien sorgte 2015 die Wiener Professorin für Chirurgie Adelheid End (*1958), die sich gemobbt fühlte und ihren Arbeitgeber, das AKH Wien, und die Republik Österreich verklagte. Die „Thoraxchir­urgin aus Leidenschaft“ fühlte sich aus dem Operationsprogramm „eliminiert“. Wie so oft stand Aussage gegen Aussage. Die Chirurgin gewann zwar einige Prozesse, wird aber im Personalverzeichnis der Universität nicht mehr gelistet <QI19>. Zu den außergewöhnlichen Chirurginnen zählt auch Prof. Natascha Nüssler (*1966), die 2012 zur Ersten Vorsitzenden des „Konvents der leitenden Krankenhaus­chirurgen“ gewählt wurde. Frau Nüssler leitet die Abteilungen für Allgemein- und Viszeralchirurgie an den Münchner Krankenhäusern Harlaching und Neuperlach <QI20>. Sie ist Mutter von drei Kindern! Ihre Devise: „Frauen müssen lernen, im Wettbewerb zu bestehen. Dazu brauchen sie Selbstbewusstsein. Bescheidenheit bringt einen nicht weit“. Als sie 2004 Zwillinge bekam, merkte sie, „dass ich an der Charité beruflich nicht mehr weiterkommen würde. Die Vorstellung, dass auch eine Frau im akademischen Umfeld mehr als Oberärztin werden kann, passte nicht in die gedankliche Welt meines Chefs!“ <QI21>.

Oder nehmen wir Vera Kühne (*1968), die in Bischberg/Oberfranken lebt und international als „Notärztin aus Leidenschaft“ und Schiffsärztin tätig ist. Sie ist Chirurgin, Rettungsärztin und Tropenmedizinerin, Oberfeldärztin der Reserve und mit einem Bundeswehroffizier verheiratet [72].

Die Gründungsdekanin der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg, Prof. Martina Kadmon (*1960) ist Chirurgin. Sie erwarb 2008 in Bern den Master of Medical Education, habilitierte 2010 in Heidelberg für Chirurgie und war von 2014 bis 2017 Studiendekanin an der Fakultät für Medizin und Gesundheitswesen der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Ihr Amt als Gründungsdekanin in Augsburg trat sie im Mai 2017 an <QI22>. Martina Kadmon ist verheiratet und hat eine Tochter, den Operationssaal sieht sie nunmehr selten.

Diese alles andere als vollständige Aufzählung macht den rasanten Wandel der Rolle der Frau in der Chirurgie deutlich; es ließen sich unschwer weitere Namen hinzufügen. All die Genannten und Ungenannten halten mit ihren Innenansichten aus dem Berufsleben nicht hinter dem Berg. 2007 veröffentlichte die Autorin Klara Ostmüller ihr Aufsehen erregendes Buch „Äskulaps zerbrochener Stab. Weg zur Chirurgin“. Dieses Buch ist auch von Doris Henne-Bruns (s. o.) rezensiert worden.11 Es handelt sich um eine Abrechnung im Thomas Bernhardschen Sinne, geschrieben von einer Chirurgin, die sich unter schwierigen Außenbedingungen von der Krankenschwester zur Fachärztin für Chirurgie und Orthopädie-Unfallchirurgie qualifizierte, sich aber am Ende dem chirurgischen Klinikbetrieb nicht mehr gewachsen fühlte – und das waren keine fachlichen Gründe. Klara Ostmüller ist ein Pseudonym, hinter dem sich die Chirurgin und Orthopädin Dr. Miriam Rusznak verbirgt. Im Laufe ihrer Tätigkeit haben sie zahlreiche Halbgötter in Weiß, Kassenfunktionäre und Politiker derart abgeschreckt, dass die Chirurgin ihr Heil in Auslandseinsätzen suchte. Mit mehreren Zusatzqualifikationen ausgestattet, arbeitete Rusznak u. a. als Traumaexpertin bei der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“. Ihrem Enthüllungsbuch ließ sie 2008 die Schrift „Zu den Missständen in deutschen Krankenhäusern“ folgen. Sie betreibt eine orthopädisch-unfallchirurgische Praxis in der HafenCity von Hamburg.

Wie Miriam Rusznak engagiert sich auch die Chirurgin Inga Osmers (*1973) bei „Ärzte ohne Grenzen“. Sie ist an der Unfallklinik des Klinikum „Benjamin Franklin“ der FU Berlin und an der University of Alabama in den USA ausgebildet worden und hat an zahlreichen Hilfseinsätzen in Krisenregionen teilgenommen.

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass sich eine größere Anzahl von Chirurginnen in der DDR nach ihrem Facharztabschluss aufgrund der geregelten Arbeitszeiten der ambulanten Chirurgie in den staatlichen Polikliniken zugewandt hat. Hier haben sie fast die Hälfte der poliklinisch tätigen Chirurgen ausgemacht und bei allen Aufgaben, so auch in den Bereitschaftsdiensten, „ihren Mann gestanden“. Diese Chirurginnen haben viel zur Entwicklung des ambulanten Operierens beigetragen und sind auch als Chefärztinnen bzw. Abteilungsleiterinnen eingesetzt worden.

Eine der Protagonistinnen der poliklinischen Chirurgie war die noch heute in Rostock als praktische Ärztin arbeitende Chirurgin Dr. Monika Michelsen, Ehefrau des Chirurgen und Ärztlichen Direktors des neuerbauten Südstadt-Krankenhauses in Rostock, Prof. Ernst-Gustav Michelsen (1917–1994). Sie hatte in der dortigen Klinik­ambulanz die besten Bedingungen für die sich in der Entwicklung befindliche poliklinische Chirurgie.12 An der Hochschulpoliklinik der Medizinischen Akademie „Carl Gustav Carus“ Dresden wurde die Abteilung für Chirurgie unter Prof. Hans-Georg Knoch (1931–2010) zu einem Zentrum der poliklinischen Chirurgie. Knoch war langjähriger Vorsitzender der Sektion Poliklinische Chirurgie, über Jahrzehnte waren die chirurgischen Oberärztinnen Dr. Eva Kamenz und Dr. Renate Schaps enge Mitarbeiterinnen. Der ambulanten Chirurgie und ihrem Beliebtheitsgrad (oder eben nicht) gerade unter jüngeren Chirurginnen wird auch in jüngerer Zeit immer wieder einmal Aufmerksamkeit gewidmet.13

Chirurginnen in den Medien sind heute eine alltägliche Erscheinung. Es wird viel kommuniziert. In einem Blog unter der Überschrift „Lehrjahre einer Schneiderin – Schneiden, Nähen, Knüpfen“ schildert eine junge Chirurgin, die sich selbst als „Chirurgenwelpe“ bezeichnet, auf erhellende Weise ihre Befindlichkeiten während und nach der chirurgischen Ausbildung <QI23>. In anderen Blogs heißt es humorig: „Werde Änderungsschneiderin“ oder „Nur Mut! Kein Durchschnittsjob: Chirurgin“ <QI24>. Mit „XX Die Zeitschrift für Frauen in der Medizin“ gab es ein Spezialforum. Die Schlagzeilen sind heute freilich andere als vor Jahrzehnten. Die Frage, ob Frauen Chirurginnen werden können, sollen, dürfen, ist längst im positiven Sinne entschieden. Dass die Chirurgie „weiblicher“ geworden ist, ist ein Gemeinplatz. „In absehbarer Zeit werden wir deutlich mehr Chirurginnen als Chirurgen haben“, sagte 2014 Prof. Matthias Anthuber (*1959) auf dem Chirurgenkongress <QI25>. Stand 2000 waren allerdings erst 14 Prozent aller praktizierenden Chirurgen Frauen, 2017 dann immerhin schon 18 Prozent. Etwa 30 Prozent werden von den Frauen angestrebt, denn die Devise lautet „Frauen an die Front, sie sind fleißiger, bluttrockener und zarter“ [119].


Der Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) veranstaltet Seminare wie „Chirurginnen auf dem Weg nach oben“, und für das Problem „Operieren in der Schwangerschaft“ existiert das Netzwerk OPIDS. Auch die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie startete 2015 auf Initiative der Chirurginnen Dr. Maya Niethard und Dr. Stefanie Donner die Aktion „Operieren in der Schwangerschaft“; nebenbei bemerkt konnten die beiden Damen auf eigene Erfahrungen mit dem Operieren in der Schwangerschaft verweisen <QI26>. Dürfen Frauen nun in der Schwangerschaft operieren? Ja, sie dürfen, wie in zahlreichen Studien und Statements nachgewiesen werden konnte [49]. Eine Ausgabe des ärztlichen Verlautbarungsorgans in der Heimat des Autors macht den „Mutterschutz im stationären Gesundheitswesen“ zu einem Hauptthema des Heftes [107]. Eine Kernaussage lautet: „Schwangere Ärztinnen sollen mit entscheiden“. Solche und ähnliche Berichte erreichen auch die Tagespresse. Dr. Frauke Fritze-Büttner (*1974), als chirurgische Oberärztin in nichtselbständiger Stellung in Berlin Lichtenberg Mitglied des Vorstandes des BDC, operierte nach eigenen Angaben bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat. Zwei Basler Chirurginnen stellen fest: „Chirurgin und Mutter – das geht!“ [34].

Ein weiteres aktuelles Thema ist, ausgelöst durch einen Artikel im British Medical Journal von 2017, „Haben Chirurginnen weniger Komplikationen als männliche Kollegen?“ Gemeint sind natürlich die intra- und postoperativen. Die schon mehrfach erwähnte Doris Henne-Bruns hat diese Arbeit 2018 in der CHAZ kommentiert und kommt zu einem interessanten Schluss: „Es gibt mit Sicherheit Unterschiede im operativen Geschick zwischen Individuen – dass diese am Geschlecht festzumachen sind, ist zu bezweifeln“ [44]. Die Klinik für Allgemeine Chirurgie am Universitätsklinikum Lübeck hat 2011 ein Projekt zur Förderung von Frauen und frauenfreundlichen Strukturen in der Chir­urgie ins Leben gerufen, FamSurg (für Family and Surgery) genannt, das von der EU gefördert wird. Prof. Nada Rayes (*1964), endokrine Chirurgin am Universitätsklinikum Leipzig, hat 2017 den „FamSurg-Preis“ – 2013 gestiftet durch Frau Dr. Sybill Storz von der Firma Karl Storz Tuttlingen und im Mai 2013 erstmalig verliehen –, für „vorbildhaften und den weiblichen Nachwuchs motivierenden Karriereverlauf von Chirurginnen“ erhalten. Prof. Rayes selbst ist zweifache Mutter und hat, wie auch die anderen Preisträgerinnen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachhaltig bewiesen.14


Der 2018 amtierende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, Prof. Jörg Fuchs (*1963) von der Tübinger Kinderchirurgie, hat in seiner „Damenrede“ 15 ein Jahr zuvor den Frauen in der Chirurgie auf besondere Art seine Reverenz erwiesen, indem er sie in ihren Eigenschaften mit der Jungfrau von Orleans16 vergleicht: Enthusiastisch, hartnäckig, unbeirrbar im Glauben an ihre Sache. Charmant meinte Fuchs, die Chirurgen der Gegenwart seien in ihrer vermeintlichen Domäne wieder zu Minnesängern geworden, und widmete den Chirurginnen eine kleine Ode des Walther von der Vogelweide [33]. Womit freilich noch nicht alles gut ist und nicht überall eitel Sonnenschein in der Chirurgie zwischen Frauen und Männern herrscht. … Nehmen wir nur die Mammutkongresse der 1872 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Da ist jetzt freilich viel junge Weiblichkeit unter den Teilnehmern zu bemerken, in der „oberen Etage“ sieht es aber ein wenig anders aus. Das schwergewichtige 495 Seiten starke Tagungsprogramm zum 135. Kongress der DGCH aus dem Jahr 2018 weist unter der Rubrik „Verzeichnis Vorsitzende und Referenten“ 1445 Namen auf, darunter 305 Chirurginnen (<5 %). Echte „Chefinnen im Ring“, d. h. Tagungsvorsitzende und Workshop-Leiterinnen, sind davon 33. In den Vorständen der DGCH und den ihr angeschlossenen Fachgesellschaften finden sich fünf Frauen, erste Senatorin ist Prof. Schackert aus Dresden. Dennoch: Kindergeplapper und Kindertrubel auf den Fluren eines Chirurgenkongresses! Im „KidsClub Chirurgie“ wird der allerjüngste Nachwuchs, Kinder im Alter von 12 Monaten bis zehn Jahren, von geschulten Kräften zwischen 8 und 18 Uhr betreut. Abgegeben werden die Kleinen von chirurgischen Muttis oder Babysittern – chirurgische Vatis wurden nicht gesichtet.


Beim Blick über die Grenzen ist festzustellen, dass Frauen in der Chirurgie ebenfalls ein Thema sind. Die britische Tageszeitung The Guardian veröffentlicht z. B. die Geschichte einer Medizinerin unter der Überschrift „Ich bin eine Frau und ein Chirurg [sic] – warum ist das immer noch schockierend?“.17 Eine andere britische Studie erregte Aufsehen, in der postuliert wurde, es sei weniger wahrscheinlich, innerhalb eines Monats in der Chirurgie zu sterben, wenn der Chirurg eine Frau ist. Überhaupt hätten Forscher herausgefunden, dass Frauen bessere Chirurgen sind als Männer.18 Und manche Kollegin wird mit den Worten zitiert „Die Chirurgie hat einen Mann aus mir gemacht“, was selbstredend nicht anatomisch gemeint ist.

Auch in Frankreich ist das Thema relevant. Hier trägt das bemerkenswerte, 2012 in Rennes erschienene Buch von Emmanuelle Zolesio mit dem Titel „Weibliche Chirurgen? Frauen in einem Männerberuf“ zur Diskussion bei <QI27>. Frau Zolesio ist Soziologin und hat lange über die „chirurgische Sozialisation und sexuelle Disposition von [Abdominal-]Chirurginnen“ geforscht.

Ein weiterer Blick über die deutsch-französische Grenze führt uns zu Prof. Francine Leca (*1938), die „Frau der Herzen“ und Grande Dame der Kinderherzchirurgie in Frankreich. Ausgebildet bei dem Herzchirurgen Prof. Jean Mathey, blickt sie auf eine 34-jährige Karriere am berühmten Hôpital Necker in Paris zurück und wurde 2006 emeritiert. In dieser Zeit hat sie über 6000 Kinder und Jugendliche am Herzen operiert. Selbst Mutter zweier Kinder und Großmutter von fünf Enkeln, ist Prof. Leca weltweit bekannt geworden als Förderin der Organisation „Enfants du Monde“ und ihre Hilfe für Kinder der Dritten Welt. Sie ist u. a. Offizier(in) und Ritter(in) der Französischen Ehrenlegion <QI28>.


Francine Leca

Es finden sich, wenn man nur hartnäckig genug sucht, noch viele andere ausländische Chirurginnen von Ruf. Als eine der bedeutendsten Chirurginnen der Transplantationschirurgie gilt Dr. Nancy L. Ascher. Von 1982 bis 1988 war sie Direktorin des Lebertransplantationsprogramms bei John Najarian an der University of Minnesota in Minneapolis. 1988 wechselte sie an die University of California San Francisco, wo sie ein Lebertransplantationsprogramm aufbaute. 1991 wurde sie Chief of Transplantation, 1993 Vice-chairwoman der Abteilung für Chirurgie und agierte schließlich 1999 bis 2016 als Chairwoman. Eine weitere bemerkenswerte Chirurgin ist die Polin Prof. Maria Siemionow (*1950) mit Staatsexamen 1974 an der Universität Posen (Poznan), die an der Cleveland Clinic in Ohio das Departement für Plastische Chirurgie leitet und 2008 mit ihrem Team die erste Gesichtstransplantation in den USA durchgeführt hat. Dass eine große Anzahl von Chirurginnen der wiederherstellenden und kosmetischen Chirurgie zuneigt und diese hervorragend meistert, wurde bereits erwähnt. So auch MUDr. Véra Satánková in Prag. Die Tschechoslowakei war übrigens das erste Land der Welt, in dem 1932 die Plastische Chirurgie als eigenständige Fachrichtung anerkannt worden ist.

Zum 100. Jubiläum der Schweizerischen Gesellschaft für Chirurgie titelte diese 2013 ihre mediale Präsentation „100 Jahre Schweizer Chirurginnen und Chirurgen. 100 Jahre für die Patienten“ (Hervorhebung vom Verf.).

Nur am Rande: Die US-amerikanische Verfasserin des Roman-Bestsellers „Die Chirurgin“ (2004), Tess Gerritsen (*1953), ist zwar Ärztin, aber keine Chirurgin.

An den Schluss dieses Kapitels sei die russische Ärztin Alla Ilyinichna Levushkina (1927–2020) gestellt, die mit ihren 93 Jahren die älteste aktive Chirurgin ihres Landes, ja vielleicht der ganzen Welt bis zum 23. Januar 2020 gewesen sein dürfte. Als sie vor 69 Jahren zum ersten Mal operierte, saß Stalin noch im Kreml. Wie zu lesen ist, griff die 1,50 m große Frau schon im Großen Vaterländischen Krieg zum Skalpell und operierte bis Ende 2018 noch immer – jeden Tag in Rjasan an der Oka <QI29>.


Alla Ilyinichna Levushkina operierte mit über 90 Jahren noch!

Wie weit es unsere Gesellschaft und in ihr die Chirurginnen (und ihre Förderer) gebracht haben, zeigt das Online-Angebot von T-Shirts mit dem Aufdruck „Die beste Chirurgin aller Zeiten“! Das von der französischen Designerin Malika Favre (*1982) gestaltete Titelbild des US-amerikanischen Magazins The New Yorker vom April 2017 mit dem Titel „Operating Theatre“ zeigt – ausschließlich Frauen! Wie sehr Frauen in der Chirurgie heute ein Thema sind, beweist u. a. ein Erfahrungsbericht einer jungen chirurgischen Assistentin im traditionsreichen Lancet [123].


Das US-Magazin The New Yorker


Dieses T-Shirt gibt es in unterschiedlichen Größen zu erwerben.

Die enormen Fortschritte, welche Frauen im chirurgischen Beruf errungen haben, und der Platz, den sie als Aktive in der chirurgischen Community von heute einnehmen, finden – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen – ihren Ausdruck in einer alphabetisch geordneten Namensliste am Ende dieses Buches.

6 BA-DR3/5334: Vertrauliche Dienstsache. Diskussionsniederschrift zum Tagesordnungspunkt „Beratung des Maßnahmeplans des Staatsekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen zum Politbürobeschluss vom 13.12.1960 zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und zur Förderung der Arbeit der medizinischen Intelligenz“ der Kollegiumssitzung vom 24.1.1961. Beitrag Prof. Dr. Güthert [Harry G., 1912–1989, Pathologe], Rektor der Medizinischen Akademie Erfurt.

7 von 1919 bis 1951 Ordinarius für Chirurgie und Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik Jena. Frau Dr. Hellwig war 1958 als Chirurgin in Riad (Saudi-Arabien) tätig (DGCH, Chirurgenverzeichnis von 1958).

8 Es war dies Dr. Rosa Scheuer-Karpin (1913–2013[!]) in Berlin-Buch.

9 geborene Schmitz, Tochter des Marburger Pharmakologen und Verfassers der „Geschichte der Pharmazie“ Rudolf Schmitz (1918–1992)

10 ZEIT-online (1999) Ausgabe 48

11 Ostmüller K (2008) Äskulaps zerbrochener Stab. Weg zur Chirurgin. Araki, Leipzig

12 In der Gesellschaft für Chirurgie der DDR existierte von 1973 bis 1990 eine „Sektion Poliklinische Chirurgie“.

13 Tagungsprogramm, 135. Kongress der DGCH 2018, S. 372

14 s. CHAZ (2018) 19: Personalia in Heft 2

15 Der Kongresspräsident für 2018/2019 warf die Frage auf, ob diese „Damenreden“ überhaupt noch zeitgemäß seien, um dann seinerseits eine formidable solche zu halten, s. [33]

16 Jeanne d’Arc (1412–1431), französische Nationalheldin

17 The Guardian 6/2016; im Englischen gilt „Surgeon“ für beide Geschlechter.

18 TIME Health v. 10.10.2017

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