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2.Der Gleichheitswahn

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Wenn wir uns nun den Prophezeiungen über die Gegenwart zuwenden, müssen wir uns zuvörderst einmal daran erinnern, daß mit allen gesellschaftlich-politischen Problemen gewisse, sich stets wiederholende psychologische Faktoren unzertrennlich verbunden sind. Einer von diesen ist die Einwirkung von zwei äußerst starken, sich widerstreitenden Trieben auf den Menschen: des identitären Herdentriebs und der »romantischen« Liebe zur Vielfalt. Während der erstgenannte Trieb gewissermaßen zur tierischen Natur des Menschen gehört, ist der letzte rein-menschlich und auf der lediglich animalischen Ebene nicht vorhanden37. Leider kann es aber nicht bestritten werden, daß unsere moderne Zivilisation, besonders im Gegensatz zur Kultur, den Herdenbetrieb über alle Maßen begünstigt. Demokratie, die Massenproduktion, der Militarismus, der (ethnische) Nationalismus, der Rassenwahn und alle Bestrebungen nach »Vereinfachung« arbeiten automatisch für ein größeres Einerlei (identity), für eine gesteigerte Einförmigkeit, Gleichförmigkeit und Gleichheit. Dieses Verhängnisses war sich John Stuart Mill wohl bewußt, und es war gerade dieser erbarmungslose Prozeß der Nivellierung, Ausmerzung und Assimilierung, von dem er sich die gefährlichste Bedrohung der Freiheit erwartete. Nachdem er in seinem Essay On Liberty die verschiedenen Ursachen für diese Allgemeintendenz aufgezählt und erörtert hatte, zeigte er seine Unabhängigkeit von dem othodoxen Utilitarismus J. Benthams und auch seines Vaters, indem er erklärte, daß diese Entwicklung selbst auf Kosten materieller Opfer bekämpft werden müsse. Und dann setzte er hinzu:

»The demand that all other people shall resemble ourselves grows by what it feeds on. If real resistance waits till life is reduced nearly to one uniform type, all deviations from that type will come to be considered impious, immoral, even monstrous and contrary to nature. Mankind speedily become unable to conceive diversity, when they have been for some time unaccustomed to see it.«38

Dieser Gleichförmigkeitswahn war schon hundert Jahre früher von Montesquieu verurteilt worden. Dieser erklärte:

»Il y a de certaines idées d’uniformité qui saisissent quelquefois les grands esprits (car elles ont touché Charlemagne), mais ils frappent infailliblement les petits.«39

Benjamin Constant, der dem achtzehnten sowohl als dem neunzehnten Jahrhundert angehört hatte, erkannte die lähmenden Eigenschaften der Einförmigkeitsmanie. Er schrieb:

»La variété c’est l’organisation; l’uniformité c’est du mécanisme. La variété c’est la vie; l’uniformité c’est la mort.«40

Es war der Uniformismus, der auch der Französischen Revolution, in der die Demokratie am totalitärsten in Erscheinung getreten war, seinen prägnanten Charakter verliehen hatte. Constant, der das napoleonische Nachspiel nicht weniger als die Revolution selbst zum Gegenstand seiner Betrachtung gewählt hatte, schrieb im Jahre 1814:

»Il est assez remarquable que l’uniformité n’ait jamais rencontré plus de faveur que dans une révolution faite au nom des droits et de la liberté des hommes. L’esprit systématique s’est d’abord extasié sur la symétrie. L’amour du pouvoir a bientôt dévouvert quel avantage immense cette symétrie lui procurait. Tandis que le patriotisme n’existe qu’un vif attachement aux intérêts, aux mœurs, aux coutumes de localité, nos soit-disant patriotes ont déclaré la guerre à toutes ces choses. Ils ont tari cette source naturel du patriotisme, et l’ont voulu remplacer par une passion factive envers un être abstrait, une idée générale, dépouillé de tout ce qui frappe l’imagination et de tout ce qui parle à la mémoire. Pour bâtir l’édifice, ils commençaient par broyer et réduire en poudre les matériaux qu’ils devaient employer. Peu s’en est fallu qu’ils ne désignassent par des chiffres les cités et les provinces, comme ils désignaient par des chiffres les légions et les corps d’armée, tant ils semblaient craindre qu’une idée morale ne pût se rattacher à ce qu’ils instituaient!

Le despotisme, qui a remplacé la démagogie, et qui s’est constitué légataire du fruit de tous ses travaux, a persisté très habilement dans la route tracée. Les deux extrêmes se sont trouvés d’accord sur ce point, parce qu’au fond, dans les deux extrêmes, il y avait volonté de tyrannie. Les intérêts et les souvenirs qui naissent des habitudes locales contiennent un germe de résistance que l’autorité ne souffre qu’à regret, et qu’elle s’empresse de déraciner. Elle a meilleur marché des individus; elle roule sur eux sans efforts son poids énorme comme sur du sable.

Aujourd’hui l’admiration pour l’uniformité, admiration réelle dans quelques esprits bornés, affectée par beaucoup d’esprits serviles, est reçue comme un dogme religieux par une foule d’échos assidus de toute opinion favorisée.«41

Dieser Genfer Aristokrat, der in dieser Schrift die Demokratie mit démagogie und die Militärdiktatur Bonapartes mit despotisme bezeichnete, sah von seinem Exil in Hannover aus sehr klar, wie das Prinzip der Gleichförmigkeit von der Tyrannis weit über die Grenzen Frankreichs vorgeschoben wurde:

»Les conquérants de nos jours, peuples ou princes, veulent que leur empire ne présente qu’une surface unie, sur laquelle l’œil superbe du pouvoir se promène, sans rencontrer aucune inégalité qui le blesse ou borne sa vue. Le même code, les mêmes mesures, les mêmes règlements et, si l’on peut y parvenir, graduellement la même langue, voilà ce qu’on proclame la perfection de toute organisation sociale…

Sur tout le reste le grand mot d’aujourd’hui c’est l’uniformité.«42

Constant war durch die damaligen Umstände gezwungen, die Mächte der Zerstörung und Versklavung zu beschreiben, ohne sie beim Namen zu nennen. Donoso Cortés, der der nächsten Generation angehörte43, griff diesen Wahn, der sich unaufhörlich steigerte44, mit noch schärferen Worten an. Konstantin Leontjew, der geniale russische Reisende und Kritiker, war sich auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohl bewußt, daß die »uniformistischen« Ideen der Französischen Revolution auf der ganzen Linie im Vormarsch waren; diese hatten, so bemerkte Leontjew, nicht nur die Struktur der beiden napoleonischen Kaiserreiche zutiefst beeinflußt, sondern bestimmten nun auch den Charakter des neuen deutschen Kaisertums:

»Das einheitliche Volkstum [wörtl.: die reine Rasse], Zentralisierung, Gleichmacherei, eine Konstitution (so stark aber, daß kein genialer Mann einen Staatsstreich wagen würde), staatliche Unterstützung für Industrie und Handel, und im Widerspruch zu allem Vorhergehenden – eine Stärkung und Einigung aller (wahrhaft) anarchischen Elemente; schließlich Militarismus. Punkt für Punkt das kaiserliche Frankreich! Die Nuancen [der Unterschiede] sind von einem höheren und weiteren Gesichtspunkt aus – der uns ja vorschwebt – derartig unwesentlich, daß es gar nicht der Mühe wert ist, diese auch nur eines Gedankens zu würdigen.

Der Sieg der nationalen Rassenpolitik hat so den Deutschen einen Verlust ihrer nationalen Personalität gebracht; Deutschland wurde nach seinen Siegen mehr denn je ›französisiert‹ – in seinem Charakter, seiner Verwaltung, seiner Struktur, seinen Gesetzen; wichtige Aspekte seiner persönlichen, ortsverbundenen Kultur sind auf einmal verschwunden.«45

Jacob Burckhardt, ungefähr zur selben Zeit, kommentierte mit verhaltener Bitterkeit eine Rede des amerikanischen Präsident Grant:

»Das vollständige Programm enthält die neueste Rede Grants, welche einen Staat und eine Sprache als das notwendige Ziel einer rein erwerbenden Welt postuliert.«46

Die Abneigung des großen Baslers gegen die Ausmerzung aller Unterschiedlichkeiten beruhten zum Teil auch auf der Furcht, daß die allgemeine Uniformität revolutionären Bewegungen mit totalitären Zielsetzungen Vorschub leisten würde:

»Eine scheinbar wesentliche Vorbedingung für die Krisen ist das Dasein eines sehr ausgebildeten Verkehrs und die Verbreitung einer bereits ähnlichen Denkweise in anderen Dingen über große Strecken.

Allein, wenn die Stunde da ist und der wahre Stoff, so geht die Ansteckung mit elektrischer Schnelle über Hunderte von Meilen und über Bevölkerungen der verschiedensten Art, die einander sonst kaum kennen. Die Botschaft geht durch die Luft, und in dem einen, worauf es ankommt, verstehen sie sich plötzlich alle, und wäre es auch nur ein dumpfes: ›Es muß anders werden!‹«47

Die innere Verwandtschaft zwischen der Diktatur und der Gleichmacherei, dem Aristoteles48 so wohl bekannt, war auch Walter Bagehot kein Geheimnis geblieben. Dieser geniale Nationalökonom, dessen Interessen das Gebiet der Wirtschaft beträchtlich überschritten, schrieb über das zweite französische Kaiserreich:

»In France, égalité is a political first principle; the whole of Louis Napoleon’s régime depends upon it; remove that feeling, and the whole fabric of the Empire will pass away. We once heard a great French statesman illustrate this. He was giving a dinner to the clergy of his neighbourhood, and was observing that he had no longer the power to help or to hurt them, when an eager curé said, with simple-minded joy: ›Oui, monsieur, maintenant personne ne peut rien, – ni le comte, ni le prolétaire.‹«49

Anscheinend aber hat der Gleichheitsdrang keine festen Grenzen. Der Marquis de Sade, besser bekannt durch seine sexuellen Verirrungen, war einer der originellsten Verteidiger der demokratischen Diktatur; seinen fanatischen und weltanschaulich wohl begründeten Amoralismus verband er mit der Forderung, den Grundsatz der Gleichheit nicht nur auf alle Menchen, sondern sogar auf die Tiere und Pflanzen auszudehnen50. Es ist schade, daß sich noch niemand gefunden hat, der über dieses geistesgeschichtlich so wichtige Ungeheuer eine philosophisch-theologische Abhandlung geschrieben hätte. N. D. Fustel de Coulanges, der liberale Historiker, wußte auch, daß die Tyrannen der Antike die Gleichmacherei für ihre Herrschaft benützten:

»Sauf deux ou trois honorables exceptions, les tyrans que se sont élevés dans toutes les villes grecques au quatrième et au troisième siècle n’ont régné qu’en flattant ce qu’il y avait de plus mauvais dans la foule et en abattant violemment tout ce qui était supérieur par la naissance, la richesse ou le mérite.«51

Dieses Verfahren, das auch Plato aufgefallen war, ist wesenhaft demokratisch – demokratisch im klassischen Sinn des Wortes. Man muß sich hierbei auch erinnern, daß der Ostrazismus im demokratischen Athen blühte und immer gegen Leute großen Formats gerichtet war, also ein Stück Aristophobie darstellte. Dostojewskij hingegen hatte seinen Blick in die Zukunft eher denn in die Vergangenheit gerichtet und sah im Gleichheitswahn die Ursache, nicht das Ergebnis der Tyrannis. Schigaljow, den Linksideologen, beschreibt er mit folgenden Worten in seinem Roman »Die Dämonen«:

»Schigaljow ist ein Genie. Er hat die ›Gleichheit‹ erfunden. Es steht alles so schön in seinem Heft. Bei ihm gibt es auch die Spionage. Er will, daß die Mitglieder der Gesellschaft sich gegenseitig kontrollieren und anzeigen. Jedermann gehört allen und alle gehören jedem einzelnen. Alle sind sie Sklaven und gleich in der Sklaverei. Im Notfall gibt es Denunziation und Mord, aber die Hauptsache bleibt doch die Gleichheit.«52

Dies erinnert auch an Blakes Ausspruch, daß »dasselbe Gesetz für den Löwen und den Ochsen in Unterdrückung ausarten muß«. Für Jacob Burckhardt war ebenfalls die Gleichmacherei ein zerstörendes Element, das seinen verhängnisvollen Zyklus durchlaufen mußte, bis es zum Stillstand kam und somit der Welt eine Gelegenheit gab, ihr Gleichgewicht wiederzufinden:

»Das Ende vom Liede ist: irgendwo wird die menschliche Ungleichheit wieder zu Ehren kommen. Was aber der Staat und Staatsbegriff inzwischen durchmachen werden, wissen die Götter.«53

Auch sah Burckhardt mit unerbittlicher Klarheit, daß der moderne Staat mit seiner parlamentarischen »Vorgeschichte« der Exekutor der gleichmacherischen Mehrheitsherrschaft werden würde. So schrieb Burckhardt in einem Brief:

»Ich kenne aber auch den modernen Staat, dessen rücksichtslose Allmacht sich dabei auf ganz rohe, praktische Weise zeigen wird. Er wird einfach die ungefähre Majorität in der Stimmung der Massen zum Maßstab nehmen und danach die übrigen maßregeln.«54

Diese Schrecken, so deutete der Basler Prophet an, waren durch gewisse Tendenzen in den früheren Formen einer parlamentarischen Demokratie vorausbestimmt. Er sagte:

»Für das Seltene hat freilich die Demokratie keinen Sinn, und wo sie es nicht leugnen und entfernen kann, haßt sie es vom Herzen. Selbst eine Ausgeburt mediokrer Köpfe und ihres Neides, kann sie auch als Werkzeuge nur mediokre Menschen gebrauchen, und die gewöhnlichen Streber geben ihr alle gewünschte Garantie der Mitempfindung. Freilich fährt dann in die Massen untendran ein neuer Geist, daß sie in dunklem Drange wieder das Seltene sucht, aber sie kann dabei erstaunlich schlecht beraten sein und sich auf einen Boulanger kaprizieren.«55

Die terribles simplificateurs, die Burckhardt als kommende Despoten erwartete, waren aber bedeutend gefährlicher und grausamer als M. Déroulèdes melancholischer Held. Und der Umstand, daß der Egalitarismus einer früheren Epoche in das darauffolgende despotische System eingebaut werden würde, war von Burckhardt nie bezweifelt worden. Geistig durchdacht war der Gleichheitswahn freilich nie, denn er fußte auf reinen Gefühlen; so ist die Gleichheit für einen totalitären Demokraten vom Schlage eines Mr. Herbert Read zugegebenermaßen irrational; sie hat für ihn lediglich den Charakter eines »notwendigen Mythus«56. Alexis de Tocqueville aber erkannte die psychologischen Hintergründe der Gleichmacherei. Schrieb er doch:

»Égalité est un mot pris pour envie. Elle signifie au fond du cœur de tout républicain: ›Personne ne sera dans une meilleure situation que moi.‹«57

Aus diesen und anderen Gründen ist es daher nicht wunderzunehmen, daß die modernen Diktatoren mit ihrer »Gleichheit in der Sklaverei« ihre Schreckensherrschaft immer auf das egalitäre System und die Unterstützung der Massen aufgebaut haben, nicht aber auf Eliten oder schon existierende Aristokratien. (Die langsam sich herauskristallisierenden Eliten in den Riesenheeren und den neuen Mammutbürokratien gehören auf ein anderes Blatt.) Auch der deutsche Nationalsozialismus war keine Ausnahme von dieser Regel.

Gleichheit oder Freiheit?

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