Читать книгу Gleichheit oder Freiheit? - Von Kuehnelt-Leddihn Erik - Страница 6

Vorwort

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Das Wahre war schon längst erfunden,

Hat edle Geisterschaft verbunden:

das alte Wahre – faß’ es an!

Goethe.

Dieser Band beinhaltet wesentlich einen Teil meines 1952 in England, in den Vereinigten Staaten und 1953 deutsch erschienenen Werkes Freiheit oder Gleichheit? Andere Auswahlen erschienen in Spanien und Italien. Ungefähr die Hälfte dieses Buches enthält Aufsätze mit derselben Thematik, die für den Leser schwer greifbar sind. Zu einer Ausgabe dieser Schriften habe ich mich auch schon deswegen entschlossen, weil meine neueste große Studie, Die falsch gestellten Weichen. Der rote Faden 1789–1984 (H. Böhlau: Wien–Köln 1985), unsere Probleme eher historisch behandelt und dieser Ergänzung dringend bedarf. Zwar haben sich die Zeiten geändert, aber in den unmittelbaren Nachkriegsjahren erlebten wir im Herzen Europas wieder einmal ein Wunder der Dressur: die vor dem Ersten Weltkrieg noch der Monarchie sich verbunden fühlenden Völker unterwarfen sich unter dem Eindruck ihrer Niederlage widerstandslos der Ideologie der Siegermächte. Man praktizierte nach 1918 die Demokratie, doch wie Plato vorausgesagt hatte, verwandelte sich diese nach frühem Bankrott in eine blutrünstige, auf kriegerische Abenteuer erpichte Tyrannis. In Rußland wickelte sich dieser Prozeß sogar in acht Monaten ab.

Nach dem Zweiten Weltkrieg restaurierte man die schon in den Zwanzigerjahren gescheiterte parlamentarische Demokratie, und wiederum war man Zeuge einer geradezu rührenden Sinnesänderung. Wer erinnert sich da nicht an die verzückten Volksmassen bei uns in der Zeitspanne 1914–1945? (In Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, China, Iran war es auch nicht anders.) Bei uns aber kam es vor, daß in einer Familie der Großonkel den Kaiser, der Großvater die Erste Republik, der Onkel den Ständestaat und der Vater den »Führer« verraten hatte. Schwüre wurden am laufenden Band geleistet und gebrochen, Überzeugungen – nicht nur aus Opportunität, sondern oft in echtem Sinneswandel – wie die Hemden gewechselt.

Treue ist schließlich eine »feudale« Tugend, die man in einem demokratischen Zeitalter, das auf ewigem Wechsel und bei Wahlen auf wilden Überredungsorgien beruht, schon aus ideologischen Gründen nicht erwarten darf. (Wo käme man denn hin, wenn eine Wahl wie die andere ausfallen würde? Zur Abspenstigmachung werden jedesmal Millionen hinausgeworfen.) Geschwätzigkeit ohne Wissen und Erfahrung ist in unserer Epoche ebenso an der Tagesordnung wie die verschiedenen »Angleichungen« (früher »Gleichschaltungen« genannt), so daß der »moderne Mensch«, ein ebenso frecher wie von furchtbaren Ängsten geplagter Wicht, ein Papamäleon genannt werden könnte – eine Mischung von Papagei und Chamäleon.

Man kann sich also auch leicht vorstellen, daß meine Freiheit oder Gleichheit? es hier in den Besiegtenländern nicht leicht hatte. Das Herz trug man damals (wie zumal auch heute) in dem dafür geeigneten Kleidungsstück, also in der Hose. Der brave Rezensent des Buches bei einer führenden christlichen Wochenschrift hatte die Besprechung fünfmal zu schreiben, bis sie vor dem gestrengen Auge seines Chefs Gnade fand. Man durfte ja nicht den allergeringsten Verdacht hegen, daß da irgendeine These von den Herausgebern nur im Entferntesten geteilt wurde. In einer deutschen Großstadt mit geistiger Schlüsselstellung kamen die drei führenden Tageszeitungen – die schwarze, die blaue und die der Besatzungsmacht gehörige – einhellig zum Beschluß, das Buch ganz einfach mit Schweigen zu übergehen. Vielleicht hat sich das gebessert. Man täusche sich aber nicht, denn wir leben immer noch (bis auf weiteres) in der »Nachkriegszeit«, denn Demokratien bereiten sich nicht nur auf Kriege schlecht vor, sie haben auch ein einzigartiges Talent, es zu keinem wahren Frieden zu bringen.

Dem Leser möchte ich aber hier auch gleich zwei Dinge gestehen: ich bin ein Erzfeind aller Kollektivismen, mögen diese rot oder braun sein: seit 1789 gingen wir alle einen Irrweg, der trotz seiner Windungen und gelegentlichen Kehrtwendungen uns schließlich in einen Abgrund führt. Die Französische, die Russische und die Deutsche Revolution sind Kreuzwegstationen auf dieser leidvollen Wanderschaft. Ich stehe auf der Rechten, lehne aber das Etikett »konservativ« bewußt ab, weil darin keine konkrete Aussage steckt. (Bewahren? Gut! Aber doch wohl nicht alles?) Sicherlich aber bin ich ein Liberaler, also ein »Freiheitlicher«, der einer Tradition angehört, die von de Tocqueville und Montalembert bis zu Müller-Armack und Röpke reicht. In der Form einer echt gemischten Staatsform ist mein Ideal der freiheitliche Rechtsstaat, der aber gerade durch die Demokratie mit ihrer Herrschaft bloßer Ziffern nicht zu verwirklichen ist, auch nicht von der liberalen Demokratie, die an ihrer inneren Antithese von Gleichheit und Freiheit scheitern muß. Wenn Parlamente mit Mehrheitsbeschluß Ungeborene zu Nichtmenschen erklären können, hat alle Rechtssicherheit ein Ende genommen. Morgen könnten es zum Beispiel Achtzigjährige sein, die wie einst »Andersrassige« als »ungewolltes Leben« zum Freiwild werden. Auf dem krummen Weg der letzten 200 Jahre über Höhen und Tiefen hatten wir wahrscheinlich am Ende der Kaiserreiche noch ein Optimum an Freiheit und Sicherheit gehabt, wenn auch als Folge einer noch relativ jungen Technologie einen im Vergleich zu heute niedrigen Lebensstandard, der allerdings in der sozialistischen Welt wenig Fortschritt gezeigt hat. (Darum bin ich als Freund der Arbeiterschaft und Feind der halbgebildeten »Intellektuellen« ein Gegner des Sozialismus.) Doch bloßen Restaurationen soll hier nicht das Wort geredet werden. Es gilt Ordnungen zu schaffen, die an Ewigkeitsnormen organisch anknüpfen. Das Kopieren und Sentimentalisieren sollen wir in diesem wissenschaftlichen Zeitalter anderen überlassen.

Und hier kommt mein anderes Geständnis. In mehr als dreißig Jahren können Ansichten und Einsichten eines Autors nicht restlos unverändert bleiben. Zumindestens erleiden sie Akzentverschiebungen. Mit den Weltreisen begann ich erst im Jahre 1957. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, mein Lutherbild heute nicht ganz dasselbe wie im Jahre 1952–3. Dieser Reformator war keineswegs ein Vorläufer der Französischen Revolution, auch war sein Judenhaß (von den Nationalsozialisten weidlich ausgenützt) kein Rassismus, sondern rein religiöser Natur. Seine Auflehnung gegen Rom war ein Stück »konservativer Revolution«, ist es doch auch bezeichnend, daß es heute in den katholischen Ländern der Alten Welt keine einzige Partei gibt, die sich »konservativ« nennt. Die katholische Kirche ist ebensowenig formverharrend wie ein lebender Baum, der zwar nie wandert, aber stets wächst und neue Früchte trägt. Kein Christ kann glauben, daß durch »Konstruktionen« das Paradies auf Erden utopisch erbaut werden kann. Die Linke hat die biblische Mahnung des Turms von Babel nie verstanden. Auch sie wurde schließlich Opfer einer großen Sprachverwirrung.

Viel verdanke ich meinem langen Aufenthalt und 35 Besuchen in den Vereinigten Staaten, die – als aristokratische Republik geschaffen – das große Unglück hatten, im zweiten Viertel des vorigen Jahrhunderts zum Bannerträger einer völlig unamerikanischen, französischen Ideologie zu werden. Das Resultat waren wahre »Kreuzzüge«, um diese fremde politische Doktrin unter großen Opfern naiv weltweit zu verbreiten. Auf lange Sicht war dies nach einigen Augenblickserfolgen vergebliche Mühe. Katastrophen waren die Folgen. Auch für die Vereinigten Staaten selbst.

Einige der brillantesten Kritiker der Demokratie kamen deshalb gerade aus den Vereinigten Staaten und auch – wie zu erwarten – aus der Schweiz. Diese helvetischen Denker wußten genau, daß ihre lokalen Ideale auf andere Länder unübertragbar waren. Ihrem Angedenken widme ich auch dieses Buch. Das Vereinigte Königreich, die Union und die Schweiz waren tragischerweise auf dem weiten Erdenrund politische Irrlichter, die Völker mit ganz anderen Wellenlängen zu ihrem Verderben bezauberten und in den Bann zogen. Von Bolivien über Berlin bis zur Beringstraße endeten diese unheiligen Experimente stets mit der Tyrannis. Doch muß man es auch den Schweizern lassen, daß sie, anders als die Briten und Amerikaner, ihre Nachahmer nie ermuntert oder gar gedrängt hatten. Und dafür soll man ihnen herzlich dankbar sein.

Gleichheit oder Freiheit?

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