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1. Kapitel

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Alles hat mit Laura angefangen.

Kennengelernt hatte ich sie vor genau zwei Monaten und drei Tagen in einem Tanzlokal in Oberstaufen. Es war Ende August, und es regnete leicht. Das Lokal war voll. Aber einen Stehplatz an der Theke fand ich immer. Ich bestellte bei Kitty, die fast jeden Abend hinter der Theke stand, ein Pils und sah mich um. Auf der Tanzfläche waren in erster Linie Kurgäste. Aber auch ein paar Einheimische konnte ich entdecken. Ich hielt mich mit dem Tanzen ziemlich zurück. Oft trank ich nur ein oder zwei Biere, sah den Tanzenden zu und ging wieder. Ich holte nur Frauen zum Tanz, die mir gut gefielen. Das kam nicht allzu oft vor. Meistens blieb es dann bei dem einen Tanz. Manchmal auch zwei. Nur selten wurde etwas mehr daraus. Als Leiter der Vermögensberatung einer ortsansässigen Bank konnte ich mir keinen schlechten Ruf leisten. Dass ich noch nicht verheiratet war, wurde gerade noch akzeptiert. Mit dem Ruf eines Gigolos wäre ich meinen guten Job sicher schnell losgeworden.

Zwei Wochen zuvor war Regina Jellinek mit ein paar Frauen aus ihrer Sportgruppe ins Lokal gekommen. Mit ihr, der Frau meines Kollegen Bernd Jellinek, tanzte ich sofort. Damals wusste ich schon von Bernds lukrativen, aber nicht gerade sauberen Geschäften. Regina wäre sicher eine hübsche Frau, wenn sie etwas Fröhlichkeit ausstrahlen würde. Sie wirkte jedoch immer ernst, ja, fast traurig. Auch während des Tanzes war es mir nicht gelungen, sie zum Lachen zu bringen. Lediglich zu einem leichten Schmunzeln hatten sich ihre Lippen verzogen. Dafür wurde dann auf einmal der Druck ihrer Hand, die während der drei Tanzrunden in meiner lag, fester. Und sie kam jetzt auch näher. Das hielt bis zum Ende der Tanzrunde an.

Über ihren Mann erfuhr ich von ihr nicht mehr, als ich ohnehin schon wusste. Dass er viel unterwegs ist, vertraute sie mir an. Aber es hatte sich nicht so angehört, als ob sie das sehr belasten würde. Auch war mir nicht klar, ob sie wusste, warum ihr Mann öfter mal für fast zwei Tage unterwegs war. Als ich sie zu ihrem Platz zurückbrachte, sagte sie, ohne mich anzusehen: „Danke, das war sehr schön.“

Ich war ein wenig überrascht, ließ mir aber nichts anmerken. Ich bedankte mich artig und ging wieder an meinen Platz an der Theke.

An diesem Abend hatte ich mit dem ersten Rundblick festgestellt, dass für mich keine infrage kommt. Aber dann sah ich sie. Ich stand so, dass ich ihr in die Augen sehen konnte.

Meine Mutter hatte oft zu mir gesagt: „Wenn du sie siehst, wirst du glauben, vom Blitz getroffen worden zu sein.“ Sie meinte damit die große Liebe. Die Liebe auf den ersten Blick.

Sie hatte es erlebt. Sie glaubte vom Blitz getroffen worden zu sein, als sie den Mann sah. Er war groß und stattlich, hatte schwarzes, volles Haar und braune Augen. Das war Mitte der siebziger Jahre gewesen. Meine Mutter war gerade zwei Jahre mit meinem Vater verheiratet und mit mir schwanger gewesen.

Damals hatte man sich nicht einfach scheiden lassen, weil man die große Liebe getroffen hatte. Schon gar nicht, wenn man schwanger war. Hätte sie jedoch gewusst, was sie mit meinem Vater jahrelang durchmachen musste, hätte sie es vermutlich doch getan.

Meine Mutter hatte kein Verhältnis mit diesem Mann gehabt. Sie hatten sich nur eine Weile unterhalten, und der Mann hatte sie ein paar Mal geküsst. Dann hatten sie sich getrennt und nie wieder gesehen.

Bei mir war es nicht so, als ich Laura zum ersten Mal sah. Sie saß mit zwei Männern an einem Tisch am Fenster. Die Männer tranken Bier und unterhielten sich. Laura hatte eine Cola vor sich stehen. Mit ihr redeten die Männer nicht.

Der Mann zu ihrer Rechten hatte ungefähr meine Figur. Er war gut einen Meter achtzig groß, hatte ein schmales Gesicht und dunkles schon leicht ergrautes Haar. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er trug Jeans und ein schwarzblaues Sweatshirt. Auf mich machte er einen ziemlich ungepflegten Eindruck. Irgendwie hatte er etwas Animalisches an sich. Er redete viel und gestenreich, und wenn er nicht redete, trank er. Er schien imponieren zu wollen. Nicht der Frau, sondern dem anderen Mann gegenüber. Ich stufte ihn als Prolet und Macho ein.

Der andere Mann stand Klassen über ihm. Obwohl er ständig transpirierte, wirkte er gepflegter. Er war etwas kleiner, als der andere, dafür war er dicker. Ganz der Typ für eine Schroth Kur. Ein schon leicht ergrauter Haarkranz zierte seinen blanken, runden Schädel. Er trug eine dunkle Hose, weißes Hemd und eine dezent gemusterte Krawatte. Er hatte ein rundes Gesicht, schmale Lippen und eine kleine Nase. Ich hätte ihn in die Kategorie „gemütlicher Dicker“ eingestuft, wenn nicht der verschlagene Blick gewesen wäre. Er trank weniger, als sein Gegenüber, dafür rauchte er mehr. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er zu Jellineks Kunden gehörte. Ich hatte den Eindruck, als würde der Mann sich langweilen.

Laura schien sich ebenfalls zu langweilen – bis sich unsere Blicke trafen. Ich spürte keinen Blitz, der in mich fuhr. Aber ich war mir sicher, dass ich sie schon lange vorher kannte. Dass ich sie schon liebte, als ich anfing, an Mädchen zu denken. Ihr schien es nicht anders zu ergehen. Ich konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. Sie hielt meinem Blick lange stand.

Hinterher konnte ich nicht mehr sagen, wie lange ich ihr in die Augen gesehen hatte. Mir war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Vermutlich war es aber höchstens eine Minute gewesen. Schließlich hatte Laura als Erste die Augen niedergeschlagen. Sie spielte einen Moment mit ihrem Cola-Glas. Gleich darauf hob sie wieder den Kopf und unsere Blicke trafen sich erneut. Ich versuchte ein Lächeln. Es schien angekommen zu sein, denn sie lächelte zurück. Das Spielchen wiederholte sich.

Laura warf einen prüfenden Blick auf die beiden Männer an ihrer Seite. Die beiden kümmerten sich nicht um sie.

Ich sah kurz zur Tanzfläche. Sie war voll. Jochen, der Alleinunterhalter, spielte „Dich erkenn ich mit verbundenen Augen“. Es war das Kurschattenlied.

Jochen kannte seine Gäste. Auch wenn es immer wieder neue Gäste waren, sie waren trotzdem alle gleich. Kaum ein Pärchen gehörte zueinander. Die meisten hatten sich hier kennengelernt. Vielleicht sogar erst an diesem Abend. Das gehörte zur Schroth Kur. Wenn schon kaum was zu essen, dann wenigstens ein bisschen Vergnügen. Jochen sang das Lied mit Inbrunst und mit halb geschlossenen Augen. Er hatte eine angenehme Stimme, auch wenn er nicht immer den Ton traf.

Das Lied lud zum Tanzen ein.

Ich sah zu Laura hinüber. Sie schien meine Absicht erkannt zu haben und sagte etwas zu dem Mann an ihrer rechten Seite. Der nickte nur und unterstrich seine offensichtliche Zustimmung mit einer großzügigen Geste. Laura stand auf und ging zur Toilette. Ich wartete etwa eine halbe Minute, dann folgte er ihr.

Sie stand im Gang vor den Toiletten und suchte etwas in ihrer Handtasche. Ich trat neben sie. In diesem Augenblick schaute sie auf.

„Ich wollte Sie gerade zum Tanz auffordern“, sagte ich.

„Das lassen Sie lieber bleiben“, erwiderte sie. „Mein Mann mag das nicht. Er mag nicht tanzen und er mag es erst recht nicht, wenn ich mit fremden Männern tanze.“

„Er ist wohl sehr eifersüchtig.“

Sie gab mir darauf keine Antwort und sah mich nur an.

„Wie wäre es mit einer Runde durch den Kurpark“, versuchte ich es erneut.

Sie lächelte. „Es regnet.“

„Ah ja, es regnet.“ Ich lächelte ebenfalls. „Sind Sie zur Kur hier?“ Ich verbesserte mich sofort. „Ach nein, Sie sind ja mit Ihrem Mann da.“

„Mein Mann würde mich nie alleine zur Kur lassen ... Wir besuchen einen Freund meines Mannes, der hier zur Kur ist.“

„Der Mann zu Ihrer Rechten ist ihr Mann, der andere ist der Kurgast“, riet ich.

Sie sah überrascht hoch. „Sie sind ein guter Beobachter.“

„Das gehört zu meinen Hobbys. Allerdings war es nicht schwer. Sie sagten etwas zu dem Mann rechts, bevor Sie aufgestanden sind.“

„Ich sagte ihm, dass ich zur Toilette gehe.“

„Und jetzt müssen Sie nicht. Ich übrigens auch nicht“, fügte ich hastig lachend hinzu.

„Und jetzt stehen wir hier draußen.“

„Ihr Mann wäre wohl ziemlich sauer, wenn er uns hier so stehen sehen würde.“

„Da besteht im Moment keine Gefahr“, erklärte sie. „Er wollte mich schon eine Weile loswerden. Ich denke, er will etwas mit dem anderen besprechen, das mich nichts angeht.“

„Er ist also kein Freund.“

„Mein Mann sagt, er ist ein Freund. Ich kenne ihn nicht. Ich bin nur dabei, weil ich meinen Mann fahren musste. Er darf nicht. Man hat ihm den Führerschein abgenommen.“

„Wegen Trunkenheit am Steuer, vermute ich.“

„Stimmt“, antwortete sie.

„Wir könnten eine Weile auf die Terrasse rausgehen“, schlug ich vor. „Sie ist überdacht und beleuchtet.“

„Gut, aber ich kann nicht lange bleiben.“

„Wenn Sie glauben, dass es Zeit ist zurückzugehen, dann sagen Sie es.“

Ich führte sie über die Außentreppe zur Terrasse. Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen, doch es tropfte noch von den Bäumen. Es war mit ihr alles so selbstverständlich, so vertraut. Es war tatsächlich so, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen.

Und dann standen wir dort, und ich brachte plötzlich keinen Ton heraus. Es fiel mir nichts ein, was ich jetzt hätte sagen können. Das war völlig neu für mich. Ich ertappte mich dabei, dass ich ganz selbstverständlich den Arm um sie legen wollte. Aber ich konnte mich gerade noch zurückhalten. Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Nicht bei ihr.

„Jetzt sollte ich eigentlich irgendetwas sagen“, hörte ich mich dann doch sprechen.

„Man muss nicht immer reden.“

„Aber um sich näher kennenzulernen, ist es doch sehr hilfreich“, sagte ich. „Es erleichtert das Kennenlernen.“

Sie lachte laut auf. Es war ein glockenhelles, sympathisches Lachen. „Das ist gut“, erwiderte sie noch lachend. „Das ist wirklich gut. Es erleichtert das Kennenlernen ...“

Das Eis war gebrochen. Ihr Lachen wirkte ansteckend. Ich lachte mit, und mir war so wohl zumute wie noch nie zuvor in meinem Leben. Wir redeten über den Regen, die Kur und das Allgäu. Wir lachten über dieselben Dinge und wir hassten dieselben Sachen. Wie selbstverständlich ging ich auf das Du über, und sie tat es ebenso.

Ich hatte in meinem Leben viele Frauen kennengelernt. Hier beim Lämmerwirt und auch anderswo, die meisten allerdings hier. Aber noch nie hatte ich eine Frau getroffen, mit der ich mich auf Anhieb auch nur annähernd so gut verstand.

Plötzlich sagte sie: „Ich muss wieder zurück, bevor er anfängt, mich zu suchen.“

„Ja, klar“, gab ich zurück.

An der Tür hielt ich sie noch einen Moment zurück. „Ich möchte dich wiedersehen.“

„Ich denke, in spätestens zwei Stunden wird mein Mann völlig betrunken sein. Dann bringe ich ihn auf unser Zimmer. Meistens schläft er dann sofort ein.“

„Wo wohnst du?“

„Pension Greiner. Das ist ...“ Sie sah sich um und deutete Richtung Westen. „Irgendwo da drüben ...“

„Ich kenne die Pension. Ich folge dir und warte dann vor dem Haus. Vielleicht fahre ich aber auch schon vorher hin und warte auf dich.“

„Ja.“ Sie ging hinein.

Ich ging um das Haus herum und betrat das Lokal wieder durch den Haupteingang. An der Theke stand jetzt ein Mann mehr. Es war Knochen-Charlie. Er war nicht zu übersehen. Knochen-Charlie war gut einen Meter fünfundneunzig groß, hatte breite Schultern und Hände wie Baggerschaufeln. Er war meistens mit Kniebundhose, grünem oder weißem Hemd und Strickweste bekleidet, hatte einen dunklen Vollbart und trug immer einen Hut. Den Hut nahm er nie ab. Eigentlich hieß er Karl Gumper. Aber das wusste kaum jemand. Alle nannten ihn Knochen-Charlie, weil er Totengräber war.

Ich sah, wie Charlie sich genüsslich mein Bier schmecken ließ und stellte mich neben ihn. „Hey, Charlie, nett, dass du mein Bier bewacht hast.“

„Ach, das ist deins?“

„Steht Peter drauf, Peter Großmann. Hast du das nicht gesehen?“

„Ich habe es mir abgewöhnt, auf Biergläsern zu lesen.“

„Hat es dir geschmeckt?“

Er nahm einen großen Schluck und setzte das Glas mit einem kleinen Rest auf der Theke ab. „Ich habe schon was Besseres getrunken.“

„Wie schön für dich.“ Ich gab Kitty hinter der Theke mein Glas. „Schenk mir ein neues ein.“

Es war sinnlos, mit Charlie darüber zu diskutieren, dass man anderen nicht das Bier wegtrank. Er reagierte einfach nicht, wenn man ihn darauf ansprach. Allerdings machte er es nicht bei jedem. Er trank nur ausgesuchten Personen das Bier weg, nur Leuten, die er mochte. Mich hatte er offensichtlich ins Herz geschlossen.

Es war vor etwa zwei Jahren, als er zum ersten Mal beim Lämmerwirt auftauchte. Wenige Wochen nach seiner Scheidung. Seine Frau hatte sich von ihm getrennt, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, mit einem Totengräber verheiratet zu sein. Er hatte sich damals neben mich an die Theke gestellt und mich zu einem Bier eingeladen. Dann erkundigte er sich bei mir, wie das hier so alles abläuft. Ich sagte ihm, er müsse einfach tanzen können. Charlie nickte, trank sein Bier aus und ging.

Ein paar Wochen später tauchte er wieder auf. Er stellte sich neben mich und sagte: „Ich kann jetzt tanzen.“

„Gut für dich“, sagte ich.

„Kannst du mir eine empfehlen, die nicht zu streng zu einem Anfänger ist?“

Ich konnte. Ich zeigte ihm eine Blondine, Mitte vierzig. Sie war mir aufgefallen, weil sie gut tanzen konnte. Aber sie war nicht mein Typ. Charlie war von ihr begeistert, und sie von ihm. Sie hatte Geduld mit ihm, und ich sah, wie sie ihn führte. Charlie tanzte den ganzen Abend mit ihr.

Seit diesem Abend versuchte er sich als Kurschatten. Mit recht gutem Erfolg, wie ich feststellen konnte. Er kam bei den Frauen an. Sie mochten diesen großen, breitschultrigen, vollbärtigen Mann, der immer im Trachtenlook erschien. Manchmal, im Sommer, sogar mit Lederhose. Und nie ohne Hut.

Seitdem hatte ich so was wie einen Freund. Jedenfalls beim Lämmerwirt. Wir trafen uns nie woanders. Immer nur dort. Wenn Charlie das Lokal betrat, hielt er immer nach mir Ausschau und kam dann schnurstracks auf mich zu. Mit der Zeit kannte er meine bevorzugte Stelle an der Theke, und er stellte sich auch dorthin, wenn ich nicht da war. Und wenn ich ein Bier dort stehen hatte, trank er es aus. Das war seine Art, mir zu zeigen, dass er mich mochte.

Wir unterhielten uns an diesem Abend noch eine Weile. Aber ich erzählte ihm nichts von Laura. Wir hielten beide nichts davon, mit unseren Eroberungen zu protzen. Nach einer Weile trank ich mein Bier aus und zahlte. Ich warf Laura noch einen letzten Blick zu, sie nickte leicht. Ich fasste es so auf, als wollte sie mir sagen, es wäre gleich so weit.

Tatsächlich dauerte es keine halbe Stunde, bis sie mit ihrem Mann vor der Pension Greiner auftauchte. Ich saß in meinem Wagen und beobachtete die beiden. Laura versuchte die Tür aufzuschließen. Aber es gelang ihr nicht gleich, das Schlüsselloch zu treffen. Brutal riss der Mann ihr die Schlüssel aus der Hand und stieß sie zur Seite. Ich hatte große Mühe, mich zurückzuhalten. Schon von diesem Moment an hatte ich ihn gehasst.

Die beiden betraten das Haus. Laura hielt etwas Abstand zu ihrem Mann.

Ich wartete und ein seltsames, bislang nie gekanntes Gefühl beschlich mich. Zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich Eifersucht. Es war richtige Eifersucht. Und je länger es dauerte, bis Laura wieder erschien, desto mehr schmerzte es mich. Wie konnte eine Frau wie Laura nur so einen Mann heiraten?

Nach einer halben Stunde kam Laura endlich aus dem Haus. Sie blieb unschlüssig an der Tür stehen. Ich gab ihr kurz ein Lichtzeichen, und sie kam hastig auf meinen Wagen zu. Ich öffnete die Tür von innen, und sie stieg ein.

„Ich glaube, ich kann nicht lange bleiben“, sagte sie leicht außer Atem.

„Was ist nicht lange?“

„Höchstens eine Stunde.“

„Nur eine Stunde?“, fragte ich enttäuscht.

„Ich bin mir nicht sicher, ob er jetzt durchschläft. Er war sehr aufgekratzt.“

„Hat er ein gutes Geschäft gemacht?“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich hatte den Eindruck, dass er dem Mann, der an eurem Tisch saß, imponieren wollte.“

„Großer Gott, wer bist du?

„Nur ein guter Beobachter.“

„Du musst schon ein verdammt guter Beobachter sein, wenn du das gesehen hast.“

„Dann stimmt es also.“

„Ich selbst kenne den Mann nicht. Thomas sagt, er wäre eine Größe in München. Wer sich mit ihm gut stellt, kann es zu was bringen ...“

„Wohnst du auch in München?“

„Nein, in der Nähe von Landsberg. Wir wohnen dort in einem kleinen, alten Haus, das mein Mann geerbt hat.“

„Was macht dein Mann?“

„Im Moment nichts. Er ist arbeitslos.“

„Sucht er Arbeit?“

„Er sucht immer Arbeit. Und er hat auch immer wieder mal eine gefunden. Aber er hat es selten länger als drei Monate in einem Job ausgehalten.“

„Er schlägt dich“, sagte ich. „Stimmt’s?“

Diesmal sah sie mich richtig erschrocken an. „Du machst mir langsam Angst. Wer bist du?“

„Das sagte ich doch bereits. Ich bin einfach nur ein guter Menschenkenner und Beobachter.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Oh Gott, sieht man was?“

„Nichts sieht man. Wie auch? Es ist dunkel. Aber ich habe euch vorhin an der Tür beobachtet und ich habe mir meinen Reim darauf gemacht.“

„War das so offensichtlich?“

„Ziemlich ... Lass uns hier wegfahren.“ Ich startete den Motor.

„Aber du bringst mich in einer Stunde wieder zurück.“

„Du kannst dich auf mich verlassen.“

Ich fuhr raus aus Oberstaufen, über Buflings weiter Richtung Stiefenhofen. Kurz nach Zell fuhr ich in einen Waldweg.

Nachdem ich den Motor abgestellt hatte, sagte Laura stöhnend: „Mein Gott, was mache ich hier?“

„Du bist mit mir zusammen.“

„So was habe ich noch nie gemacht.“

„Natürlich nicht. Wir kennen uns ja auch erst seit ein paar Stunden.“

„Ich meine, ich habe das überhaupt noch nie gemacht. Ich bin noch nie nachts aus dem Schlafzimmer geschlichen und habe mich in das Auto eines fremden Mannes gesetzt.“

„Bin ich fremd?“

„Etwa nicht?“

„Du bist mir nicht fremd. Ich habe das Gefühl, als kenne ich dich schon mein Leben lang. Wir sind uns eben erst jetzt begegnet.“

„Du hast recht. Mir geht es genauso.“ Sie lehnte sich an mich und legte den Kopf auf meine Schulter. „Es war sehr leichtsinnig von mir, mitten in der Nacht in das Auto eines Mannes zu steigen, mit dem ich mich gerade Mal ein paar Minuten unterhalten habe. Aber bei dir habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht. Ist das nicht seltsam? Nicht eine Sekunde habe ich gezögert. Es war so selbstverständlich für mich. Ich habe dir einfach vertraut.“

„Das ist gut so.“

„Du würdest nie eine Frau schlagen, stimmt’s?“

„Niemals! Ich hasse Männer, die ihre Frauen schlagen! Ich habe da ...“ Ich hielt inne.

Laura hob den Kopf und sah mich an. „Ja?“

„Ach, nichts.“

„Wenn man jemandem vertraut, kann man alles sagen.“

Ich zögerte einen Moment. Dann sagte ich: „Ja, vermutlich hast du recht. Ich hatte schon mit so einem Mann zu tun.“

„Ein Freund von dir“

„Mein Vater.“

„Oh, das ist schlimm. Hast du es gesehen?“

„Ja. Öfter.“

„Das muss ja schrecklich für dich gewesen sein.“

„Ja, es war wirklich schlimm. Meine Mutter hat sehr unter meinem Vater gelitten.“

„Du redest nicht gern darüber, stimmt’s?“

„Stimmt“, bestätigte ich einsilbig.

„Wir müssen nicht darüber reden.“

Ich legte den Arm um sie, zog sie fester an mich und küsste sie. Wir redeten jetzt eine Weile nicht mehr.

Danach brauchten wir einige Zeit, um wieder zu Atem zu kommen.

Schließlich fragte Laura: „Du fährst einen tollen Wagen. Was bist du eigentlich von Beruf?“

„Ich bin Leiter der Vermögensberatung bei einer hiesigen Bank.“

„Jetzt kann ich gar nicht mehr.“ Sie ließ sich in ihren Sitz zurücksinken und stieß den Atem aus. „Jetzt kann ich gar nicht mehr!“

„Bist du jetzt enttäuscht?“

„Enttäuscht?“ Es klang erfreut und überrascht. „Warum sollte ich enttäuscht sein? Ich wundere mich nur.“

„Worüber?“

„Dass ich auch mal an einen normalen Mann mit einem seriösen Beruf gerate.“

„Das klingt, als hättest du bisher nur Luschen getroffen.“

„Das trifft den Nagel auf den Kopf. Nur Versager und verkrachte Existenzen. Meinen Mann eingeschlossen.“ Sie seufzte. „Ich habe mich immer in die falschen Männer verliebt.“

Darauf sagte ich nichts. Ich nahm sie nur wieder in den Arm und hielt sie fest und fühlte, wie sie zitterte. Ihr ganzer Körper bebte, und sie krallte sich an mir fest. Dann küssten wir uns wieder, dabei verging die Zeit wie im Flug.

„Ich glaube, du solltest mich wieder zurückfahren.“

„Ja, sicher.“ Ich machte die Innenbeleuchtung an und sah ihr in die Augen. „Sehen wir uns wieder?“

„Ich möchte schon ... Aber mein Mann ist sehr eifersüchtig. Er hat mal gesagt, wenn er mich mit einem anderen erwischt, bringt er mich um.“

„Das sagen die meisten Männer seines Schlages.“

„Er sagt es nicht nur. Er tut es.“

„Wir werden vorsichtig sein. Kann ich dich anrufen?“

„Lieber nicht. Er ist in letzter Zeit sehr viel zu Hause. Es ist besser, ich rufe dich an. Kann ich dich irgendwie erreichen?“

Ich gab ihr meine Handynummer. „Unter dieser Nummer bin ich Tag und Nacht erreichbar.“

Anschließend fuhren wir zurück. Hundert Meter vor der Pension hielt ich den Wagen an.

Laura sagte: „Danke, dass du nicht versucht hast, mit mir zu schlafen.“

„Ich bin kein Mann für eine Nacht“, erwiderte ich. „Ich will dich wiedersehen.“

„Ich melde mich bei dir.“ Sie stieg aus und ging mit schnellen Schritten zum Haus. Ich wartete, bis sie von innen die Tür geschlossen hatte, stieg schließlich ebenfalls aus und ging ebenfalls zur Pension. Hinter dem Haus standen drei Autos. Ein alter Opel Kadett hatte eine Augsburger Nummer. Ich merkte sie mir, ging zu meinem Wagen zurück und fuhr nach Hause.

Blutiges Geld

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