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3. Kapitel


Wir sahen uns von da an jede Woche. Immer am Mittwoch. Anfangs fuhr ich gleich nach Dienstschluss los und wartete in der Nähe der Wohnung in Landsberg auf Laura. Nachdem auch beim dritten Treffen die Fahrzeit gleich war, fuhr ich etwas später von zu Hause los. Laura war dann immer schon da. Ich parkte jedes Mal auf einem anderen Parkplatz. Wenn ich aus dem Wagen stieg, trug ich entweder einen breitrandigen Hut oder eine Mütze. Es war Anfang Oktober, und die Abende waren schon recht kühl. Da fiel es nicht auf, wenn ich jedes Mal einen Schal um den Hals hatte, mit dem ich meine Mundpartie abdeckte. Auch achtete ich darauf, dass ich jedes Mal anders gekleidet war. Auf der Außentreppe war ich nie jemandem begegnet.

Es passierte, als wir uns zum siebten Mal in der Wohnung von Lauras Freundin trafen. Ich stieg ausnahmsweise mal als Erster aus dem Bett. Nackt wie ich war, stand ich neben dem Bett und wandte mich Laura zu. Sie sah mich auf einmal mit großen Augen an und schüttelte den Kopf.

„Was ist los? Was hast du?“

„Du ... du hast denselben Körper wie er“, stammelte sie. „Die... dieselbe Größe, den gleichen Körperbau ...“

„Wirklich?“ Ich sah an mir hinunter.

„Es stimmt wirklich“, sagte Laura. Sie stand jetzt ebenfalls auf. „Er hat vielleicht mehr Muskeln. Aber sonst ... Nur dein Gesicht ist anders. Sanfter, schöner ... Und dein Haar ist dunkler. Seines ist schon leicht grau.“

„Ist das schlimm für dich?“

„Nein, nein“, sagte sie hastig. „Es ist mir nur jetzt erst aufgefallen. Vorher haben wir uns noch nie so gegenübergestanden. Wir sind immer gleich ...“

Tränen rannen plötzlich über ihre Wangen. „Oh Gott, ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte. Irgendwann wird er es merken.“

Ich nahm sie in die Arme. „Reiß dich zusammen, Liebes. Wir werden etwas finden. Es wird mir ’was einfallen.“

Ich zog mich an und küsste sie. Laura klammerte sich an mich. „Wir müssen uns anziehen“, mahnte ich. „Du darfst nicht zu spät kommen.“

„Ja, ja, ich weiß.“ Hastig suchte sie ihre Kleider zusammen und zog sich ebenfalls an. „Glaubst du, es wird eines Tages eine Zeit geben, wo wir glücklich zusammenleben können?“

„Davon bin ich fest überzeugt“, versicherte ich ihr.

„Weißt du, was es für mich bedeutet, von dir hier wegzugehen und zu ihm ...“ Sie weinte wieder. „Ich halte das bald nicht mehr aus.“

„Ich bin dabei, mir ’was zu überlegen“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Du hast doch selber gesagt, dass wir vorsichtig sein müssen.“

„Ja, ja, schon gut. Ich reiß mich ja zusammen.“

„Nächste Woche um die gleiche Zeit, ja?“, vergewisserte ich mich und verließ die Wohnung.

Auf dem Rückweg ging mir Lauras Bemerkung nicht mehr aus dem Kopf. Fast die ganze Nacht dachte ich darüber nach. Und dann fiel mir mein Kollegen Bernd Jellinek ein, der seit etwa vier Jahren ein ziemlich lukratives Geschäft aufgebaut hatte.

Als Privatkundenberater hatte Jellinek die besten Möglichkeiten an Kunden zu kommen, die ihr Geld gern gut angelegt wüssten. Allgäuer Kunden waren allerdings nur wenige darunter. Der Großteil seiner Kundschaft kam aus ganz Deutschland. Fast alle waren Kurgäste. Angefangen hatte es mit einem Millionär aus Köln. Geschickt hatte es Jellinek verstanden, dem Mann beiläufig zu sagen, dass er ein absolut sicheres System hatte, angelegtes Geld zu vermehren. Der Mann übergab ihm tatsächlich eine halbe Million Euro. Sechs Monate später zahlte er ihm die ersten Zinsen. Acht Prozent!

Das war vor etwa drei Jahren gewesen. Bis heute waren weitere Kunden dazugekommen. Und die Beträge waren immer höher geworden.

Was ihm dann das absolute Vertrauen seiner Kunden eingebracht hatte, war sein Tipp, bestimmte Aktien zu kaufen. Aktien, die er selbst vorher gekauft hatte und die ihm einen respektablen Gewinn eingebracht hatten. Einige seiner Kunden folgten seinem Rat. Ein halbes Jahr später riet er ihnen, die Aktien abzustoßen. Sie taten es und fuhren satte Gewinne ein. Damit war Jellinek der Mann, dem man sein Geld anvertrauen konnte. Und es kamen neue Kunden dazu.

Unsere Bank wusste vermutlich von Jellineks Aktionen. Schließlich hatten alle Kunden auch ein normales Konto in unserem Haus. Einige von Bernd Jellineks Kunden hatten auch größere Bauvorhaben mit unserer Bank finanziert. Damit hatte Jellinek natürlich auch einen Bonus beim Vorstand. Über seine anderen Geldgeschäfte wurde hinweggesehen. Für den Fall, dass etwas schiefging, konnte man sagen, dass man von Jellineks Geschäften nichts gewusst hat.

Es gab Zeiten, da verwaltete Jellinek bis zu vierzig Millionen Euro. Das alles hatte ich erst erfahren, nachdem ich hinter seine Geschäfte gekommen war. Ich stellte ihn zur Rede, und er bot mir sofort an, mich an seinem Geschäft zu beteiligen. Wie viel für ihn bisher dabei herausgesprungen war, verriet er mir nicht.

Ich beobachtete ihn daraufhin, wann immer ich die Möglichkeit hatte. Schon nach wenigen Tagen entdeckte ich, dass Jellinek Geld seiner Kunden bar abhob und in einem Schließfach aufbewahrte. Es waren oft sehr hohe Summen. Das war noch bevor ich Laura kennengelernt hatte. Bis dahin hatte ich gerade mal fünfhundert Euro als Gewinnbeteiligung von ihm bekommen. Versprochen hatte er mir jedoch, dass ich bei der nächsten Zahlung mit dem Zehnfachen rechnen könne.

Ich sprach ihn wegen der Gelder im Schließfach an.

„Du hast mich beobachtet?“, fragte er ohne Groll in der Stimme.

„Ein bisschen“, gab ich zu.

„Und?“, erkundigte er sich ruhig. „Was hast du dir dabei gedacht?“

„Ich bin mir da nicht sicher“, gab ich zu.

„Ich muss den meisten Kunden die Gewinne bar auszahlen“, erklärte er. „Ich mache das sehr gern. Das macht bei den Kunden Eindruck. Bargeld ist noch immer die beste Art, jemanden zu überzeugen.“

Mich hatte das nicht überzeugt. Er schien mir meine Skepsis angesehen zu haben und setzte deshalb hinzu: „Weißt du was? Du begleitest mich einfach nächste Woche am Freitag bei meiner fälligen Tour zu den Kunden. Da könnte ich dich auch gleich als meinen Partner vorstellen.“

„Als Partner? Darüber haben wir aber nie gesprochen.“

„Jetzt tun wir es. Ich schaffe das nicht mehr alleine. Es sind nämlich schon wieder drei neue Kunden dazugekommen. Dort, wo es was zu holen gibt, will halt jeder dabei sein.“

„Jeder?“

„Na ja“, milderte er ab. „Zumindest jeder, der genug übriges Geld hat und noch mehr daraus machen will.“

„Und wie machst du das?“, erkundigte ich mich. „Verrätst du mir das auch?“

„Das ist kein großes Geheimnis“, erklärte er. „Ich steige bei Aktien ein, bei denen ich sicher bin, dass sie steigen werden. Und ich steige rechtzeitig aus, wenn ich glaube, dass sie bald fallen werden.“

„Und woher weißt du ...“

„Ich weiß es natürlich nicht“, fällt er mir ins Wort. „Zumindest nie hundertprozentig. Es ist eher so eine Art Bauchgefühl. Wenn man den Markt ständig im Auge behält, bekommt man mit der Zeit ein Gespür dafür, wann man kaufen und wann man schnell verkaufen muss.“

„Das klingt zwar ziemlich einfach ...“

„Genau“, fällt er mir erneut ins Wort. „Das klingt im ersten Moment einfach. Ist es aber nicht. Man muss die Gabe haben, in den Markt hineinsehen zu können. Und man muss ständig am Ball bleiben. Wenn du willst, können wir mal einige Tests machen. Wir nehmen uns ein paar Aktien vor und jeder behält sie ein paar Wochen im Auge. Dann schreibt jeder seine Meinung auf ein Blatt und sechs Wochen später sehen wir, wer näher dran war. Einverstanden?“

„Na ja“, sagte ich. „Ein Versuch ist es wert.“

„Eben, ein Versuch ist es wert. Ich könnte mir vorstellen, dass du recht gut darin bist.“

„Ich werde mich bemühen“, versicherte ich ihm.

„Gut. Und du fährst nächste Woche mit.“

„Du meinst wirklich, ich soll mitfahren?“, hakte ich nach.

„Das meine ich. Bei fast einer Million, die ich diesmal zu verteilen habe, wäre es mir ohnehin lieber, wenn noch jemand dabei ist. Wir teilen uns natürlich den Gewinn.“

„Und wie hoch ist dann der Gewinn?“

„Ich habe achtzehn Kunden. Jeder kriegt acht Prozent. Da kommt schon was zusammen.“

Es sollte beiläufig klingen, so, als wäre das etwas Alltägliches für ihn. Aber es lag etwas Lauerndes in seiner Stimme. Ich spürte es sofort. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass er tatsächlich zwei Millionen erwirtschaftet hat. Und selbst wenn. Das Geld verteilen konnte er auch ohne mich. Wozu brauchte er mich dann? Als Zeugen?

Er hat was vor. Das war mir jetzt klar.

Aber was?

Ich wollte es wissen und sagte, ohne zu zögern zu.

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