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Felicie

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Gerade als er den ersten Schritt in Richtung akademischer Karriere machte, dachte er auch schon darüber nach, diese Karriere einer jungen Frau zuliebe gänzlich aufzugeben. Zum Freundeskreis von Rudolf und Georgine Schrödinger gehörten Karl und Johanna Krauss. Sie waren eine ziemlich vermögende Familie mit Verbindungen zum niederen Adel und einer langen, streng katholischen Tradition. Karl war Jurist und arbeitete im Reichsarchiv. Die Tochter Felicie wurde 1896 geboren und war somit ungefähr acht Jahre jünger als Erwin. Als Junge wurde ihm häufig auf Kinderfesten aufgetragen, „auf Klein-Felicie aufzupassen“. Eine Aufgabe, die er ziemlich widerwillig übernahm. Als ihr Vater 1911 starb, war Felicie noch keine 15 Jahre alt. Sie wuchs zu einer hübschen Teenagerin heran, und nun war Erwin sehr daran gelegen, möglichst viel Zeit mit ihr zu verbringen. Er war immer von Mädchen fasziniert, die sich gerade in ihrer Entwicklung an der Grenze zum Erwachsenwerden befanden. Jedoch versuchte Felicies Mutter, jegliche engere Beziehung zu den Schrödingers zu unterbinden, und sah Erwin als eine vollkommen unmögliche Partie für ihre Tochter an. Dank ihrer Beziehungen setzte sie durch, dass sich Erwin und Felicie nur einmal monatlich treffen durften. Wie zu erwarten war, stärkte solch eine Maßnahme die Bindung eher und bald waren sie schwer ineinander verliebt. Sie wollten heiraten und betrachteten sich als formlos verlobt.


Abbildung 7: Felicie Krauss (1913)

Vom finanziellen Standpunkt aus gesehen waren Erwins Aussichten als Physiker miserabel. Das Beste, was er sich erhoffen konnte, war, einige Jahre als Privatdozent ohne gesichertes Einkommen zuzubringen oder eine schlecht bezahlte Assistentenstelle zu besetzen. Er war hinsichtlich seiner Liebe derart verzweifelt, dass er zu seinem Vater ging, um zu fragen, ob es möglich sei, die Universität zu verlassen und eine Führungsposition in dem familieneigenen Linoleumunternehmen zu übernehmen – er wolle heiraten und sähe keine Möglichkeit, als Physiker seine Frau zu ernähren. Aufgrund seiner beträchtlichen Lebenserfahrung lehnte Rudolf es ab, solch ein Vorhaben zu unterstützen. Er hatte die wissenschaftliche Arbeit, die er so liebte, geopfert, um in die Firma einzusteigen, und hatte dies sein Leben lang bereut; er beabsichtige nicht mit anzusehen, wie sein Sohn denselben Fehler mache. So musste Erwin sich weiterhin an der Universität der Physik widmen. Zudem war das Familienunternehmen nicht wirklich gewinnbringend und würde es somit nicht ermöglichen, Felicie einen Lebensstandard zu bieten, den ihre Familie als angemessen erachtet hätte.

Erwin war jetzt 25 und Felicie 17 Jahre alt – und Baronin Krauss hinsichtlich der Entwicklung der Beziehung alarmiert. Ihr ernsthaftester Einwand gegenüber Erwin als Schwiegersohn war vermutlich nicht die Tatsache, dass er arm war, die gesellschaftliche Stellung seiner Eltern war ein größerer Hinderungsgrund. Familie Krauss konnte als Angehörige des niederen Adels ein „von“ vor ihrem Familiennamen beanspruchen, was im kaiserlichen Wien von bedeutender Tragweite war. Gleichermaßen schlimm war die Tatsache, dass Erwin nominell Protestant war, genau genommen sogar ein Freidenker, der vermutlich nicht einmal an Gott glaubte. Ein adeliger Protestant wäre möglicherweise noch akzeptabel gewesen, aber ein mittelloser Atheist, der in der geheimnisvollen Mathematik herumpfuschte, war als Schwiegersohn undenkbar.

Es wäre aus vielerlei Gründen keine wünschenswerte Verbindung gewesen, und Felicie ließ sich überzeugen (oder wurde von ihrer willensstarken Mutter gezwungen), die formlose Verlobung aufzukündigen. Dies geschah etwa in der Mitte des Jahres 1913. Im Rahmen der österreichischen Gesellschaft dieser Zeit wäre es für Felicie so gut wie unmöglich gewesen, dem Druck ihrer Familie standzuhalten und Erwin zu heiraten. Dennoch war das Resultat ein unermesslicher Verlust für Erwin.

Seine früheren Liebschaften waren nicht oberflächlich, aber er sah sie nicht als endgültige Verbindungen an – wohingegen er bereit war, sein Gefühlsleben Felicie zu widmen. Vermutlich ist seine ablehnende Einstellung gegenüber der bürgerlichen Hochzeit auf diese Zeit zurückzuführen. Da es ihm durch die sozialen Rahmenbedingungen unmöglich gemacht wurde, seine spirituellen, romantischen und sexuellen Sehnsüchte der einen Person seiner Wahl zu widmen, würde er fortan mit Verachtung auf die Einrichtung der Ehe blicken und versuchen, sein Gefühlsleben außerhalb dieses starren Gefüges zu verwirklichen.

Nach der Auflösung der Verlobung mit Felicie sollten viele Jahre vergehen, bis Erwin sich wieder in eine Frau verliebte, die seiner eigenen oder einer höheren sozialen Schicht angehörte. In Anbetracht der Oberflächlichkeit der religiösen Überzeugungen der meisten Wiener kann er die Zurückweisung durch die Familie Krauss durchaus eher gesellschaftlichen als kirchlichen Faktoren zugeschrieben haben, und möglicherweise entschied er sich im Stillen, niemals wieder einen solchen Angriff auf seinen Stolz zuzulassen. Diese Interpretation erklärt möglicherweise auch, warum er sich für die Frau entschied, die er schließlich heiratete, sowie ihre spätere Behandlung als eine Art von höherer Hausangestellten. Er wäre mit Felicie niemals in solcher Weise umgegangen.

Es muss allerdings zugegeben werden, dass die konsequente Vorgehensweise von Felicies Mutter vermutlich späteres Unheil von den beiden Jungverliebten abgewendet hat, aber sicher kann man sich hierbei natürlich nicht sein. Hätte Felicie Erwin geheiratet und einen Sohn zur Welt gebracht, wäre es möglich gewesen, dass Erwin zufrieden dem Vorbild seiner eigenen Familie gefolgt wäre. Die eine Seite seiner Persönlichkeit strebte nach einem ruhigen Leben in der Lehre und mit philosophischen Betrachtungen. Dennoch wird er der Anregung stürmischer sexueller Abenteuer bedurft haben, um die leidenschaftliche Kreativität zu entfachen, die seine großartigen theoretischen Durchbrüche ermöglichte.

1917 heiratete Felicie einen jungen Leutnant der österreichischen Armee, Ferdinand Bianchi. Er war Baron, wie ihr Vater, und entstammte einer alten kaiserlichen Militärfamilie, die zu der Zeit recht wohlhabend war. Später verloren sie jedoch ihr Vermögen. Er entsprach somit den Bedürfnissen von Felicies Mutter hinsichtlich religiöser, sozialer und finanzieller Anforderungen. Felicie verlor nie das Interesse an Erwins Karriere und wurde später eine gute Freundin seiner Frau. Zum 70. Geburtstag schickte sie Erwin ein langes Gedicht, das folgende Strophe einschloss:

Mir scheint, es ging beim ersten Hahnenschrei

Grad unsre Kindheit eben erst vorbei,

Mir scheint, als war es nur ein Augenblick

Seit unsrer Jugend Übermut und Glück.

Erwin Schrödinger

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