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Das Ende des Krieges

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Während des Jahres 1917 machten beide Kaiser, Karl und Wilhelm, sowie auf der Gegenseite Lloyd George in Großbritannien Versuche, Friedensverhandlungen herbeizuführen. Inzwischen aber hatten die Generäle die Kommandogewalt der Krieg führenden Nationen. In ihren behaglichen Hauptquartieren waren sie gierig auf die eine finale Offensive, welche die Abschlachtung ihrer Feinde vollenden würde. Hindenburg und Ludendorff versicherten Wilhelm, dass der uneingeschränkte U-Boot-Krieg Großbritannien in wenigen Monaten in die Knie zwingen würde. Karl warnte jedoch vor dieser selbstmörderischen Politik und plädierte weiterhin für Friedensverhandlungen, aber Wilhelm zog ihn mit in die endgültige Katastrophe. Am 6. April 1917 erklärten die Vereinigten Staaten Deutschland den Krieg – die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn erfolgte erst acht Monate später.

Vier Jahre lang hatten die multinationalen österreichisch-ungarischen Streitkräfte couragiert gekämpft. Von den acht Millionen mobilisierten Männern waren eine Million gefallen und nahezu zwei Millionen in Gefangenschaft geraten. Die Generäle beider Seiten hatten auf Angriff gesetzt, der darin bestand, Massen von Soldaten gegen Maschinengewehrstellungen anrennen zulassen. Als Pershing mit den US-amerikanischen Streitkräften in Frankreich landete, stellte er einen von zehn Männern für die Militärpolizei ab, deren Aufgabe es war, den Angreifern zu folgen und jeden Nachzügler zu erschießen.

Zunehmend verschlechterte sich die Versorgungslage in Österreich-Ungarn: Die Soldaten ernährten sich hauptsächlich von Suppe, zubereitet aus getrocknetem Gemüse, und die wöchentliche Fleischration – gewöhnlich mageres Pferdefleisch voller Würmer – umfasste 200 g an der Front und 100 g in den hinteren Stellungen, weniger als ein McDonald’s-Hamburger. Die Führung ließ die Truppen wissen, dass dies zwar unappetitlich sei, aber die Gesundheit nicht gefährde. In einigen Divisionen trugen nur die Truppen in der Frontlinie Uniformen – die Reserve wartete in Unterwäsche, bis sie an der Reihe waren, in das Gemetzel geworfen zu werden. Karl ließ sich in dieser Situation von Konrad überzeugen, eine Schlussoffensive an der italienischen Front zu starten; sollte sie mit großen Verlusten scheitern, werde er endgültig zurücktreten.

Schrödinger leistete bis Ende 1918 Kriegsdienst. Unter seinen sporadischen Aufzeichnungen aus diesem Jahr ist ein kurioses Fragment erhalten geblieben:

Da sind zwei Armeen ausmarschiert seit 1914

Die eine kämpft noch

Die von der anderen haben Frieden gemacht (unter) der Erde

Wähle! Zu welcher willst du?

Die Zeilen können von Erwin selbst verfasst worden sein oder aus irgendeiner illegalen Friedenspropaganda stammen, die langsam offener zutage trat. Natalie Lechner-Bauer hatte sich so aktiv in der Friedensbewegung engagiert, dass sie verhaftet und des Hochverrats schuldig gesprochen wurde.

Während dieser Zeit war das Leben in der großen Wohnung im fünften Stock, die die Schrödingers von Großvater Bauer gemietet hatten, besonders schwierig. Sie hatten nie elektrische Beleuchtung installieren lassen. Zum einen war Alexander nicht bereit, hierfür zu zahlen, zum anderen zog Rudolf das sanfte weiße Licht der Welsbach-Glühstrümpfe dem rötlich-gelben Licht der erhältlichen elektrischen Glühlampen vor. Sie hatten die großen Kachelöfen aus mehreren Räumen entfernt und durch Öfen ersetzt, die mit Gas betrieben wurden. Auch kochten sie mit Gas, obwohl weiterhin ein riesiger Sparherd wie ein Monster mitten in der Küche trohnte. Als aus dem Rathaus die Anweisung erging, dass jede Wohneinheit nur noch einen Kubikmeter Gas pro Tag verbrauchen dürfe – jede Zuwiderhandlung würde durch vollständiges Abstellen bestraft – bekam der Schrödinger-Haushalt zusätzlich zu der fürchterlichen Lebensmittelknappheit ernsthafte Energieprobleme. Erwins Mutter schien sich von einer radikalen Brustkrebsoperation zu erholen, der sie sich 1917 unterziehen musste. Aber sie war weiterhin schwach und hatte Schmerzen. Erwins eigene Gesundheit war von einem zufriedenstellenden Zustand weit entfernt: Im August 1918 wurde die Entzündung einer Lungenspitze diagnostiziert. Hierbei hätte es sich auch um Tuberkulose handeln können, denn die Krankheit war unter der hungernden Stadtbevölkerung epidemisch.

Rudolfs Geschäft war durch die Engpässe der Kriegszeit zerstört worden, und 1917 wurden die „Gebrüder Groll“, seine Wachstuch- und Linoleum-Gesellschaft am Stephansplatz, geschlossen. Als der Krieg beendet war, hatte er weder Geld noch die Kraft, einen Neuanfang zu wagen. So stand die Familie erstmals ernsthaften finanziellen Problemen gegenüber. Mit dem Ende des Jahres 1918 wurde Erwin kein Sold mehr gezahlt und das Gehalt der Universität reichte kaum für den eigenen Unterhalt aus. In diesem Winter versorgte sich die Familie häufig in einer städtischen Suppenküche.

Nach dem Waffenstillstand wurde das Kaiserreich aufgelöst und die Situation in Wien noch schlechter als selbst im Krieg: Die Lebensmittelversorgung aus Ungarn war unterbrochen und die Triple Entente erhielt die Blockade aufrecht. Tausende Menschen in Wien verbrachten den Winter 1918/19 hungernd und frierend. Die Straßen waren voll von Bettlern, ehemaligen Soldaten mit verschiedensten Verstümmelungen, in Lumpen gehüllt, gespickt mit Auszeichnungen. Das Schlimmste waren die Zitterer, die an grotesken nervösen Zuckungen litten und andauernd zuckende Bewegungen ausführten.

Den Großteil der Verantwortung für die Versorgung der Familie trugen die Frauen: Die Bauern in den entlegenen Gebieten besaßen größere Lebensmittelvorräte, aber man musste sie zunächst ausfindig machen und dann wertvolle Besitztümer für einige Eier, Gemüse und anderes Essbares eintauschen. Dabei wurden Damen auf eine Art und Weise belästigt und angebettelt, die sie als beschämend empfanden – die Bauern verhandelten hart mit den hungernden Stadtbewohnern.

Schrödinger erinnerte sich: „1918 war bei uns so eine Art Revolution; Kaiser Karl ging und wir wurden eine Republik, ohne daß das viel in unserem Leben änderte. Für mich persönlich hatte die Zerstückelung des Reiches eine Folge, weil ich eine Berufung als Extraordinarius nach Czernowitz hatte, wo ich theoretische Physik vorzutragen, aber im Privatleben mich nur mehr mit Philosophie zu befassen die Absicht hatte (ich hatte soeben mit großer Begeisterung Schopenhauer und durch ihn die Einheitslehre der Upanishaden kennengelernt).“ Czernowitz gehörte jedoch zu Rumänien und die neue Führung war nicht bereit, ausländische Lehrer zu tolerieren.

Die österreichische Regierung bemühte sich, das Land zu einem Teil Deutschlands zu machen, was aber von Frankreich verhindert wurde. Italienische Truppen besetzten Wien und die Tschechen unterbanden die Versorgung mit Kohle. Viele Leben wurden durch die Schwarzhändler gerettet, die einmal in der Woche über die ungarische Grenze schlichen; Papiergeld war wertlos, aber alles andere, von Teppichen bis zu Klavieren, wurde abtransportiert. Der sozialistische Präsident Karl Renner beschwor die Briten und Franzosen, die Blockade zu lockern, sodass zumindest Lebensmittel das Land erreichen könnten. Deutschland, gegen das ebenfalls eine Blockade errichtet worden war, lieferte kleinere Mengen Trockenfisch, Schweden Reis, und die Schweiz und Italien taten was sie konnten, um eine gewisse Erleichterung der Situation zu ermöglichen. Am Weihnachtstag wurde der offizielle Blutzoll des Krieges auf beiden Seiten bekanntgegeben: siebeneinhalb Millionen Menschen.

Am 17. Januar kam Herbert Hoover nach Wien und organisierte über die Quäkeragenturen Unterstützung für einige US-Amerikaner. Seine Motive waren ebenso politisch wie humanitär – die Lieferung von Lebensmitteln sollte auch helfen, die Verbreitung des Bolschewismus einzudämmen. Die Blockade dauerte an und ab März wurden die Hamsterfahrten in das Wiener Umland unter Strafe gestellt. Am 22. März endlich wurde die Blockade Österreichs aufgehoben, während sie in Deutschland weiterhin Bestand hatte. In der Geschichte gibt es für dieses bewusste Aushungern des besiegten Feindes kaum eine Parallele. Am 23. März verließ schließlich der Kaiser – nach einem für ihn typischen unbeholfenen Versuch, den Thron wiederzuerlangen – das Land, um im Exil zu sterben.

Erwin Schrödinger

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