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6. Kapitel: Marketing, Gruppendynamik und eine Wasserleiche
ОглавлениеEs geht darum, eine Intervention zu starten zugunsten eines Unternehmens in Schwierigkeiten. Ich spreche von einer Art Gruppendynamik, die man mit den Verantwortlichen machen müsste und die alles in Ordnung bringen könnte. Gleichzeitig füge ich hinzu, dass dies nicht meine Arbeit sei und ich die Angelegenheit einem Kollegen überlassen möchte. Insgeheim bin ich mir aber sicher, dass ich durchaus die erforderlichen Fähigkeiten dafür besitze. Ich befinde mich dann in einem Wohnwagen, an einem Computer, umringt von Leuten, die mir zusehen und Fragen stellen, Informationen über den Markt erbitten. Woher man sie bekommen könne. Ich antworte, das sei schwierig, und man müsse ein Industrieller sein. Anschließend träume ich davon, aufzuwachen und stelle fest, dass kein Wohnwagen mehr vorhanden ist. Ich frage mich, wie ich dazu komme, den Traum als Realität aufzufassen. Im Traum erscheint auch das Bild eines Lenkrades, das in zahlreiche Einzelteile zerbricht.
Gruppendynamik gehört zur Sozialpsychologie, und davon hatte ich schon eine gewisse Ahnung. Hier war aber ein Betriebspsychologe gefragt. Der Kollege, den ich vorschlage, ist allerdings auch kein ausgebildeter Betriebspsychologe. Und ich scheine die Arbeit dann ja doch zu machen, bin aber anscheinend ein wenig überfordert bezüglich der gestellten Fragen. Mit Computern kannte ich mich damals noch gar nicht aus, hatte aber während des Studiums kurzfristig an einer EDV-Vorlesung teilgenommen, die mir allerdings gar nicht gefiel, wegen des damals noch üblichen Betriebssystems MS-DOS und der umständlichen Tastatureingabe der Befehle. Im Traum will ich mich dem Ganzen entziehen durch das Erwachen und denke dann absurderweise, ich hielte den Traum für Realität, da ich den Wohnwagen vermisse. Das sich auflösende Lenkrad erinnert an Steuerung, die misslingt oder nicht mehr möglich ist. Zum Kollegen fällt mir ein, dass zwischen ihm und mir ein gewisses Konkurrenzverhältnis bestand und er mein Vorgänger war an der Arbeitsstelle, die ich damals hatte. Man erwartete von mir, dass ich alles besser mache als er. Er war mehr Theoretiker, während ich der Praktiker war. Im Traum lasse ich ihm den Vortritt, bin aber überzeugt, dass ich die Sache ebenfalls machen könnte, möglicherweise effizienter als er? Es geht demnach auch um Ehrgeiz und Besserwisserei. Außerdem zeigt dieser Traum, dass man unter Umständen träumen kann, wach zu sein: traumhaft absurd!
Subjektstufig handelt es sich bei dem mit Schwierigkeiten behafteten Unternehmen um mein Selbst, und es ist Gruppendynamik angesagt, Sozialpsychologisches. Es geht demnach um soziale Vorgänge, um Beziehungen, wobei ich mich dem zunächst entziehen will, dann aber doch tätig werde, mich dabei offenbar überfordert fühle und erneut einen Ausweg suche, indem ich im Traum aufwache. Der Arbeitsplatz ist verschwunden, das Problem gelöst. Ich wundere mich dann nur über meine eigene Naivität. Soziale Kontakte zu pflegen und mich in Gruppen zu bewegen, war nicht immer leicht und schnell mit Ängsten unterlegt, insbesondere im privaten Bereich, aber auch beruflich, wobei zu sagen ist, dass meine Arbeit mich immer ausgiebig mit anderen Menschen konfrontierte. Die Bewertung oder mögliche Abwertung durch andere wurde erlebt und zum Teil leidvoll erfahren. Gewisse Schutzmechanismen und Vermeidungsstrategien hatten sich etabliert. Dennoch wagte ich immer wieder einen Vorstoß, fühlte mich manchmal dabei auch sehr gut. Es gab wohl stets einen inneren Konflikt zwischen dem Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen und bewundert zu werden (Exhibitionismus) und dem Bedürfnis, mich unsichtbar zu machen und möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Dies kommt in dem Traum zum Ausdruck, da es ein Hin und Her gibt zwischen Vermeidung und aktiver Bewältigung. Die Vermeidung scheint zu überwiegen, aber der Wunsch, etwas zu leisten, ist vorhanden, wie auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das zerbrechende Lenkrad lässt allerdings Zweifel aufkommen, ob genügend Steuerungsvermögen vorhanden ist, um das Ganze in die richtige Richtung zu lenken. Im realen Leben gab es immer wieder Phasen von gesteigerter sozialer Aktivität, gefolgt von Zeiten des Rückzugs und der Besinnung. Das eine war anstrengend und kostete einiges an Energie, das andere wiederum war erholsamer, aber mit Gefühlen der Einsamkeit verbunden. In Zeiten starker Belastung überwog der Rückzug, und eine Art Schutzmauer wurde aufgebaut, um sich gegen weitere Verletzungen zu sichern.
Es folgt nun der „dramatische“ Traum: Zwei Männer erscheinen. Der Eine steht aufrecht und bedroht den sitzenden anderen. Dieser ist beunruhigt, aber der Aufrechte sagt, er wolle ihn nicht töten, sondern etwas anderes machen. Der Sitzende hat auf einmal ein Gewehr und richtet es gegen den andern, der den Abzug betätigt und sich selbst tötet. Der Sitzende hält das Gewehr immer noch in der Hand, voller Entsetzen. Ein älterer Herr (der Butler?) kommt herein, sieht alles mit an und ist Zeuge. Später ist die Leiche eine Frau und schwimmt im Wasser. Der Hals ist teilweise abgeschnitten, und es fließt Blut.
Der ältere Herr lässt an den „Senex“, den „alten Weisen“ denken oder an den Analytiker. Er kann bezeugen, dass der Stehende angefangen und sich zuletzt selbst gerichtet hat. Das Gewehr kann etwas Phallisches oder zumindest etwas Aggressiv-Männliches darstellen. Der abgeschnittene Hals und das Blut verweisen auf Kastrationsangst, aber auch auf Besorgnis um sich selbst und/oder vorhandene selbstzerstörerische Neigungen. Die Wasserleiche hat möglicherweise mit dem toten Zwilling im Mutterleib zu tun, der da noch mal auftaucht aus dem tiefsten Untergrund und der unter ungeklärten Umständen zu Tode kam. Es mag ja wirklich dramatische Vorgänge gegeben haben da drin! Oder es handelt sich um eine negative Animafigur, die hier symbolisch entsorgt wird, der böse, bedrohliche und verschlingende („nefaste“) Anteil der Mutter etwa, der Hexe! Es bleibt offen, in welcher Weise der Stehende den Sitzenden bedroht und ob er auch eine Waffe hat, was zumindest anzunehmen ist, und man kann nur spekulieren, was er vorhat und was „etwas anderes machen“ bedeuten könnte. Auch wieder Kastration? Dann ist es natürlich sehr von Nutzen, dass der Sitzende, der sich ja zunächst in der inferioren Position befindet, auf einmal ein Gewehr besitzt.
Die Gegner im Traum symbolisieren wahrscheinlich zwei Anteile des Selbst, und es tobt ein „mörderischer“ Konflikt zwischen ihnen, wobei auch eine Umkehr der Verhältnisse erfolgt. Der scheinbar superiore Part ist letztlich der Verlierer, der sich sogar selbst vernichtet und schlussendlich als weibliche Wasserleiche endet. Der zuvor Wehrlose hat plötzlich die Oberhand, ist bewaffnet und überlebt. Der „Butler“ hat alles gesehen und kann dem Sieger, dem Helden gratulieren und seine Unschuld bezeugen. Auch hier könnte der Heldenarchetypus eine Rolle spielen, da es um Kampf und Bewährung geht. Das Gute siegt über das Böse, auch wenn es zunächst gar nicht danach aussah. Der „alte Weise“ oder der Analytiker verkörpern wiederum den Seelenführer, der bei diesem Kampf assistiert und die Dinge ins rechte Licht zu rücken vermag. Von Leichen zu träumen kann ein ernstes Warnsignal sein, vor allem, wenn es gehäuft der Fall ist. Der Selbstmord kann symbolisch, wie schon gesagt, selbstzerstörerische Tendenzen oder einen drohenden Selbstverlust darstellen. Hier handelt es sich vermutlich „nur“ um den Ausdruck eines heftigen Konfliktes, der da im Zuge der analytischen Behandlung innerseelisch ausgefochten wird und wo es auch mal um die sprichwörtliche Leiche im Keller gehen kann.
Zur Abwechslung nun einen deutlich harmloseren Traum: Ich entdecke in meinem Fach auf der Arbeitsstelle ein Erste-Hilfe-Set sowie ärztliche Instrumente. Ich stelle fest, dass ich jetzt wirklich alles habe. Es ist auch eine Blutdruckmanschette dabei, und ich sage mir, dass ich sie gar nicht zu bedienen weiß.
Als Psychotherapeut ist man in gewisser Weise auch Arzt, zumindest Seelenarzt, und so ist es kein Zufall, dass in Deutschland die Psychotherapeuten als „Kassenärzte“ zugelassen sind. Dennoch sind ihre Kompetenzen natürlich begrenzt. Man kann keine körperliche Untersuchung machen, keine Operationen durchführen und keine Medikamente verordnen, wobei Letzteres schon diskutiert wurde, wie auch die Möglichkeit, eine Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen.
Ärzte gelten als die „Götter in Weiß“, und so ist es leicht nachzuvollziehen, dass man als Psychologe ein wenig neidisch ist auf den Arzt, der sozusagen als Herr über Leben und Tod angesehen wird, auch wenn das natürlich gar nicht zutrifft. Die Ärzte halten sich auf jeden Fall den Psychologen und meist auch den Psychotherapeuten für überlegen. Diesbezügliche Erlebnisse sind im Gedächtnis gespeichert. Die Psychiaterin, die mir so nebenbei folgende „Anordnung“ gab: „Machen Sie da mal einen Intelligenztest!“ Immerhin war das etwas, das sie nicht konnte und wo sie sich nicht auskannte. Das Gefälle war jedenfalls deutlich zu spüren. Auch in meiner späteren Tätigkeit als Klinischer Psychologe in einer Kinderklinik bestätigte sich der Eindruck, dass die Ärzteschaft eine gewisse Vorherrschaft und hoheitliche Stellung für sich beansprucht. Auch ein Assistenzarzt fühlt sich immer noch befugt, einem Psychologen Weisungen zu erteilen. Aus diesem Grund ist es nicht gerade berauschend, als Psychologe in einem Krankenhaus zu arbeiten, und ich habe es immerhin 14 Jahre lang getan. Es mag allerdings sein, dass sich in psychiatrischen Kliniken und Krankenhäusern die Lage inzwischen verändert hat. Der Traum zeigt jedenfalls einen gewissen Minderwertigkeitskomplex und den Wunsch, „alles“ zu haben, was aber schon an der eigentlich simplen Bedienung einer Blutdruckmanschette scheitern soll. Auf die Hybris folgt die Bescheidenheit. Man kann eben nicht alles beherrschen und sollte sich auf sein Fach beschränken, nach dem Motto: „Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ Dies ist wohl auch die Botschaft dieses Traumes.
Und hier noch ein Übertragungstraum: Ich bin in den Urlaub gefahren, ohne darauf zu achten, dass die Analyse ebenfalls pausiert. Ich will den Analytiker anrufen, denke aber zur gleichen Zeit darüber nach, ob ich es überhaupt tun soll. In der letzten Sitzung war ich verärgert und fühlte mich wie ein kleiner Junge behandelt, nach der Devise: „Sehen Sie mal, wie Sie sind!“
In Wirklichkeit wäre so etwas nie in Frage gekommen, und ich traue mich im Traum, was ich mich in der Realität nie getraut hätte. Es gehörte zum Behandlungsvertrag, dass ich möglichst meinen Urlaub mit dem des Analytikers in Einklang zu bringen habe. Ausnahmen wären natürlich möglich gewesen, aber die nahm ich nie in Anspruch. Das Ende des Traumes erinnert an das Orakel von Delphi: „Mensch, erkenne Dich selbst!“ und an Sokrates, dessen Wahlspruch dies war, wodurch dieser Traum eine philosophische Dimension erhält. Die Analyse hat ohnehin gewisse Ähnlichkeiten mit einem Orakel, und der Psychoanalytiker mit einem Philosophen, der die Lebenskunst lehrt und den Weg zu sich selbst. Die Spiegelung durch den Analytiker hatte mich verärgert, denn es war zu erkennen, dass ich wie ein kleiner Junge dastehe und nicht wie ein Erwachsener. Dies ist natürlich wenig schmeichelhaft und verweist auf eine innere Weigerung, das Kindsein aufzugeben, die offenbar auch noch im mittleren Alter seine Wirkung entfaltet. Das Verhalten im Traum entspräche also einem Ausagieren von Ärgergefühlen, die ich dem Behandler gegenüber nicht direkt zum Ausdruck gebracht hatte, die mir im Traum aber vor Augen geführt werden. Die gestellten Aufgaben wären: in der Selbsterkenntnis voranschreiten und das Erwachsenwerden in Angriff nehmen sowie Ärger besser direkt äußern, ohne zu agieren.