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3. Kapitel: Feminismus und Vorsicht: bissiger Hund
ОглавлениеWir befinden uns in einer Schule für Erzieherinnen. „Lustige Wichtel“ war ihr Name, und ich hatte dort Psychologie und Philosophiegeschichte unterrichtet sowie der Tochter der Direktorin Nachhilfeunterricht erteilt. Im Traum frage ich dort an, ob ich nochmals Kurse geben könne. Die Leiterin und eine Lehrkraft zeigen sich empört: sie hätten erfahren, dass ich eine der Schülerinnen schriftlich kontaktiert habe. Ich verteidige mich und weise darauf hin, dass diese bereits 23 Jahre alt sei und erwachsen. Sie müsse wissen, was sie will und was nicht. Ich rege mich deswegen auf.
Tatsächlich hatte ich kurz vor oder nach meinem Weggang von der besagten Einrichtung einer der Schülerinnen einen Brief geschrieben und sie gefragt, ob sie einem Treffen zustimmte. Die Sache entwickelte sich zu meinem Bedauern nicht zu meinen Gunsten, aber wenn ich mich recht entsinne, gab es immerhin eine schriftliche Antwort. Ob die Schule und die Lehrkräfte etwas davon erfuhren, weiß ich nicht, aber ich war frech genug, an das Fräulein mit Anschrift der Einrichtung zu schreiben. Von meinem Brief mussten sie also schon etwas mitbekommen haben, aber nicht unbedingt von dessen Inhalt.
Objektstufig geht es darum, dass zwei Frauen mich zur Rechenschaft ziehen, weil ich es gewagt habe, mit einer vorherigen Schülerin brieflich in Kontakt zu treten, gemäß der (feministischen) Vorstellung, dass ein Mann seine Machtstellung nicht ausnutzen dürfe, um mit einer Frau eine Beziehung anzufangen, und ich mich zu rechtfertigen suche. Also ist hier nicht der Mann mächtig, da er sich in der Defensive befindet, sondern die zwei Frauen. Der Feminismus war damals zwar schon ansatzweise vorhanden, aber noch nicht besonders ausgeprägt, denn wir befinden uns gerade mal 13 Jahre nach Mai 1968, also in einer Zeit der „sexuellen Befreiung“. Habe ich da schon frühzeitig etwas vorweggenommen? Vermutlich geht es (subjektstufig) um mein eigenes schlechtes Gewissen, also um das Über-Ich, repräsentiert in zweifacher Ausfertigung durch die gestrengen Damen, die mich zur Rede stellen. Es spielte aber wohl auch das Bedauern eine Rolle, dass aus der Sache nichts geworden war, was eine narzisstische Kränkung für mich bedeutete, und der Traum könnte implizieren, dass die Lehrkräfte von der Sache Wind bekommen, auf die junge Frau Druck ausgeübt hatten und dass dadurch kein Treffen zustande kam.
Und nun zu dem Traum vom bissigen Hund. Ich bin mit dem Auto in der Dunkelheit unterwegs, und ein Lastwagen verfolgt mich, ohne Scheinwerfer. Als ich nach links abbiege, fährt er ebenfalls nach links. Ich komme auf einem Campingplatz an, und es nähert sich ein Hund, der mich in die Hand beißt. Ich rufe um Hilfe. Da kommt noch ein weiterer Hund, und ich denke an ein großes Messer, das man jetzt haben müsste, stelle mir vor, wie ich die Hälse der Hunde durchtrenne.
Zweifellos handelt es sich um einen Verfolgungstraum. Die Dunkelheit steht für das Unbewusste, das Auto für das Unterwegssein. Der LKW ohne Licht für eine Bedrohung, die aus demselben auftaucht und sich an mich hängt, nicht mehr locker lässt. Er erinnert an den Film „Duell“ von Steven Spielberg (1971), den ich damals wahrscheinlich schon gesehen hatte. Die linke Seite steht für Vergangenes und wiederum für das Unbewusste. Der Campingplatz erinnert eher an etwas Angenehmes, an Urlaubsfreuden, an Zelte und Wohnwagen, also an Schutz und Geborgenheit. Aber nichts da: es kommen die beißenden Hunde. Man hatte zwar einen gewissen Respekt zumindest vor größeren Hunden, war aber doch noch nie von einem gebissen worden.
Der Lastwagen und auch die Hunde symbolisieren männliche Macht und Aggressivität, und ich wünsche mir selbst ein großes Messer (Penis), um mich wehren zu können und die angreifenden Hunde in Notwehr zu töten, zumal mein Hilferuf offenbar keine Wirkung zeigt und ich allein zurechtkommen muss. Das Halsabschneiden könnte eine Kastration symbolisieren und im Umkehrschluss die Angst davor, wie auch der Biss in die Hand. Es ist also die Furcht vor dem Verlust der Männlichkeit, die da aus dem Unbewussten mit Macht nach oben drängt, wie auch eigene ungelebte männlich-aggressive Wünsche und Bedürfnisse. Oder es handelt sich gar um den „Höllenhund“, den Kerberos, welchen der Gottheros Herakles bei seiner Hadesfahrt zu besiegen hatte, eine der zahlreichen Aufgaben, die es zu bewältigen galt und die alle einen gemeinsamen Nenner haben: den Kampf gegen den Tod. Der Hund ist symbolisch auch mit Mond und Sonne verbunden und betrifft deren jeweils dunklen Aspekt. Der Mond, der mit dem Großen Weiblichen verbunden ist (Hekate, Artemis), wird als weibliche Hündin („canicula“, Sirius, der Hundsstern oder Großer Hund als „Mondhündin“), die Sonne als männlicher Hund gesehen. Andererseits wird der Hund als „Hundesohn“ (Alchemie) auch als Symbol des „Lapis philosophorum“, der „aqua permanens“ und Christi gesehen, wobei es um deren dunkle Seiten geht. Positive Aspekte des Hundes wurden im 1. Kapitel geschildert. Es bleibt offen wie der Traum weitergeht, und wie so oft bei Albträumen kam das Erwachen oder das Ende des Traumes vor dem „Show down“. Man kann nur spekulieren oder besser den Traum als Anreiz verstehen, sich mit dieser Problematik intensiver auseinander zu setzen. Notfalls kommt alles noch mal, in ähnlicher Form: der Wiederholungszwang! Das Unbewusste birgt Gefahren, das Instinktive, Triebhafte, Unkontrollierte, aber der Hund ist darüber hinaus auch Hüter des Schatzes, also der Geheimnisse im Zusammenhang mit der Individuation.
Im nächsten Traum befinde ich mich in einer Bibliothek und treffe einen ehemaligen Freund. Ich lächle ihn an, aber er reagiert abweisend. Ein unbekannter Mann schaut mich an und beginnt eine Konversation, legt mir später die Hand auf den Oberschenkel. Ich schiebe sie weg. Er spricht mit englischem Akzent, sei aber polnischer Herkunft und arbeite mit Hühnern. Auffällig sind seine drakulaartigen Zähne. Später bin ich beim Arzt wegen eines Pruritus, also eines Juckreizes, und es ist die Rede von sexuellen Problemen.
Der Freund verweist auf eine komplizierte und nicht nur angenehme Beziehung, aber ich bin dennoch freundlich zu ihm, er hingegen nicht, was wie eine Bestätigung erscheint. Die Bibliothek erinnert ans Studium, an intellektuelle, geistige Tätigkeit. Der andere Mann ist fremdartig und rätselhaft, unsympathisch, was durch die bedrohlichen Zähne noch verstärkt wird. Er könnte ein Vampir sein! Die Hühner erinnern an Heinrich Himmler, der studierter Agrarwirt war und nebenbei eine Hühnerzucht betrieb, aber das wusste ich zum damaligen Zeitpunkt wohl nicht. Passend ist es allemal. Auch Adolf Eichmann betätigte sich interessanterweise vorübergehend als Hühnerzüchter, und zwar nach dem Krieg, inkognito. Der Arzt signalisiert Hilfe und Heilung. Vom Pruritus hatte ich schon gelesen, dass er unter Umständen als psychosomatisches Symptom mit unbefriedigten sexuellen Bedürfnissen zu tun haben kann: „es juckt mich.“ Objektstufig verweist der Freund auf eine zurückliegende, unbefriedigende sexuelle Beziehung und das zeitweilige Gefühl, ausgenutzt (ausgesaugt?) zu werden, und dieser Aspekt erscheint auch bei dem Unbekannten, wegen seiner Vampir-Zähne. Vorsorglich weise ich ihn ab. Subjektstufig könnten beide Gestalten Schattenfiguren sein, die kompensatorisch auf eigene oral-aggressive Tendenzen hinweisen und auf den ungelebten Wunsch, ebenfalls gelegentlich andere auszunutzen oder zumindest auch mal an den eigenen Vorteil zu denken, was im Gegensatz zu gelebten, überwiegend altruistischen Verhaltensweisen steht (Reaktionsbildung). Der Arzt symbolisiert die selbstheilenden Kräfte, die hier im Hinblick auf möglicherweise vorhandene sexuelle Störungen und Schwierigkeiten zur Anwendung kommen könnten. Ein Pruritus kann eine quälende Angelegenheit sein und soll mit infantil-unreifen Einstellungen zusammenhängen. Diese wären demnach zu untersuchen und zu heilen, im Sinne einer Nachreifung.