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2. Kapitel: Der Messermann und zu Tisch mit Christus

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Ein großer Mann hält zwei Messer in den Händen und schaut mir in die Augen. Er sieht mich nackt, findet mich schön und berührt mit dem Messer mein offenes Hemd. Ich habe Angst.

Soweit der Traum. Die Messer, hier gleich zwei, und die gesamte Situation haben etwas Bedrohliches, Aggressives an sich. Es besteht Verletzungs- oder möglicherweise sogar Lebensgefahr. Gleichzeitig liegt etwas sehr Erotisches in der Luft, aber mit Angst verbunden, mit männlich-aggressiver Machtausübung. Ich bin dem anderen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, also in einer masochistischen Position. Ich bin nackt, habe aber zumindest noch ein Hemd an. Man denkt an etwas Exhibitionistisches und an Narzisstisches, die Bewunderung des anderen. Objektstufig gesehen könnte der Traum den Wunsch ausdrücken nach einer homosexuellen Beziehung, die auch mit Aggressivität und Unterwerfung, Überwältigung verbunden ist: „Schau mir in die Augen, Kleiner!“ Auf der Subjektstufe stellt der andere eine Schattenfigur dar, mit einer deutlich aggressiven und dominanten Einstellung. Sieht man das Messer als etwas Phallisches, dann findet gewissermaßen eine Verdreifachung statt. Gleichzeitig macht diese geballte Ladung dem Ich Angst, das bisher vor allem die weiblichen Anteile gepflegt hatte und sich mit ihnen am besten auskennt. Es handelt sich folglich um eigene ungelebte Aspekte, die zwar ansatzweise vorhanden sind und im Traum aus dem Unbewussten heraufscheinen, die aber bisher erfolgreich abgewehrt wurden und allenfalls in einer Partnerwahl zum Ausdruck kamen, wo beim andern diese Komponenten vorhanden waren und komplementär in der Beziehung eine erotische Spannung erzeugten. Die Messer können subjektstufig zudem als symbolische Abwehr gegen die Überwältigung durch das Unbewusste, die Übermacht des Ouroboros und der Großen Mutter, angesehen werden. Der Held und Gott Marduk muss Tiâmat, die Mutter aller Götter, besiegen. Er spaltet sie in zwei Hälften. Aus der einen Hälfte wird der Himmel, aus der andern die Erde. Symbolisch wird hier die aufkommende Spannung und Polarität dargestellt, die Aufspaltung der Archetypen „Weltelternpaar“ und der Großen Mutter in ihre negativ-furchtbaren und ihre positiv-erlösenden Seiten. All dies findet sich im Übrigen auch in den Weltschöpfungsmythen. Die Symbolik der Kosmogonie stimmt mit jener der Entwicklung des Bewusstseins überein.

In einem weiteren Traum bin ich bei einem Freund eingeladen. Ich komme in männlicher Begleitung in sein Zimmer, aber der Gastgeber ist gar nicht anwesend, sondern eine Frau, die uns empfängt. Es gibt etwas zu essen, Forelle unter anderem. Im Raum sehe ich „Kitsch“, einige Stofftiere, ein Doppelbett und eine menschliche Statue. Ich spiele mit ihr, und sie verliert dabei den Kopf. Sofort versuche ich, die Statue zu reparieren oder zumindest das Malheur zu kaschieren. Anschließend kommen zahlreiche Leute, die mir unbekannt sind. Mein Begleiter und ich gehen.

Es läuft nicht alles so wie geplant: der Freund, der eingeladen hatte, ist nicht zu Hause, kommt offenbar auch nicht mehr. Dafür ist eine Frau in seinem Zimmer, und es bleibt unklar, welche Rolle sie spielt. Sie zeigt zumindest gastfreundliche, bewirtende und somit auch mütterliche Eigenschaften. Die Einrichtung ist etwas „kitschig“, also nicht sehr geschmackvoll, und die Stofftiere erinnern an kindlich Regressives. Der „Mensch aus Stein“ scheint nicht sehr stabil zu sein und geht schon kaputt, wenn man ein wenig mit ihm spielt. Ich versuche, es ungeschehen zu machen, es ist mir peinlich.

Eine Deutung erscheint zunächst schwierig. Beschränken wir uns in diesem Fall auf das Subjektstufige, so wären mein Begleiter und ich das Selbst, die Frau eine Animafigur mit mütterlichen, nährenden Qualitäten. Die Anima ist das innere Bild des Weiblichen, herausgelöst aus dem Bild der Großen Mutter, die als Mittlerin zwischen dem Ich und dem Selbst und als Führerin auf dem Weg nach innen, zum Unbewussten, überlebenswichtige Botschaften zu verkünden hat. Es gibt etwas zu essen: man lässt sich gern von der Mutter verwöhnen, und die Forelle ist etwas Besonderes, Festliches. Sie drückt auch den Wunsch nach Lebensfreude aus und könnte einen Seelenanteil symbolisieren, der mit Springlebendigkeit zu tun hat und dem Einklang zwischen Verstand und Gefühlswelt. Der Fisch hat zudem archetypisch mit dem Großen Weiblichen zu tun als im Wasser lebend. Er symbolisiert das Kind und den Phallus und wird hier verspeist. Das Kitschige und die Stofftiere verweisen auf die Kindheit und drücken regressive Wünsche aus, die gleichzeitig mit etwas unguten Gefühlen verbunden sind. Das Doppelbett symbolisiert die Paarbeziehung, also etwas Reiferes, mag aber auch mit dem Ehebett der Eltern zu tun haben und so nochmals auf die Kindheit verweisen. Von besonderer Bedeutung ist sicherlich der „Mensch aus Stein“. Er könnte einen Selbstanteil darstellen, der versteinert ist und zerbrechlich. Wenn man beginnt, sich mit ihm zu beschäftigen, dann kann schnell etwas kaputtgehen. Es ist also Vorsicht geboten! Zur weiteren Symbolik des Steines siehe weiter unten. Der Kopf ist zwar normalerweise der Ort des Verstandes, des Intellekts, aber in diesem Zusammenhang bietet es sich an, ihn als Symbol der „oberen Männlichkeit“ anzusehen und die Beschädigung mit dem Kastrationskomplex in Verbindung zu bringen, wobei hier symbolisch eine Selbstverstümmelung zum Ausdruck kommt, die man aber gleich reparieren möchte. Die innere Fragilität hätte demnach mit der Kastrationsangst zu tun, mit einer Bedrohung oder schon erfolgten Beschädigung der „oberen“, „solaren“ Männlichkeit, mit der man sich in wiederherstellender Weise zu beschäftigen hat. Die anderen sollen dies möglichst gar nicht bemerken, es handelt sich um eine eher peinliche Angelegenheit. Der abgefallenen Kopf erinnert aber auch an Mythologisches, und zwar an das Medusenhaupt. In dem Fall hätte der Traum mit dem Heldenmythos zu tun und mit Perseus. Er bekommt den Auftrag, das Haupt der Medusa abzuschlagen, was er dann auch tut, und dabei entspringt das geflügelte Pferd Pegasos, Symbol des Schöpferischen und der Transzendenz, sowie der befreiten, zum Geistigen aufsteigenden Libido. Es handelte sich um den notwendigen Kampf gegen die furchtbare Große Mutter, die Übermacht des Unbewussten. Auch da geht es um Versteinerung, allerdings beim Helden, falls er das Haupt der Gorgo ansehen sollte. Nach der Tat muss Perseus fliehen, da er von den Grayen verfolgt wird. Vielleicht aus diesem Grund aber auch weil nun viele fremde Menschen eintreten (die Grayen?), wird es Zeit zu gehen. Soziale Kontakte sind gut, aber es kann schnell auch zu viel und zu anstrengend werden, und man muss sich dem nicht unbedingt aussetzen.

Im nächsten Traum geht es möglicherweise auch wieder ums Essen, da ich an einem Tisch sitze und Christus anwesend ist. Es gibt Leute, die nicht am Tisch sitzen wollen, wegen mir. Es ist eine seltsame Zeichnung zu sehen.

Christus erinnert natürlich an meine religiöse Zeit, an die Zeit im Orden. Der Tisch verweist möglicherweise auf das Abendmahl, die Kommunion. Die Leute, die mich meiden, lassen an soziale Ängste denken, an Zurückweisung, Ächtung. Die Zeichnung erinnert an Kinderzeichnungen, denen schon immer mein besonderes Interesse galt.

Es handelt sich um einen archetypischen Traum, denn Christus symbolisiert die transzendente Funktion des Selbst, das Ideal-Ich, und er verkörpert auch eine Heldenfigur, einen Erlöser und Heilbringer, den „Pantokrator“, und personifiziert somit die Libido, die Lebensenergie und Lebenskraft, sowie das Selbst in seiner Totalität, die „übergeordnete Persönlichkeit“. Als vereinigendes Symbol ist er somit der Ausdruck einer wirksamen Ganzheitskonstellation des Selbst. Er ist der „große Mann“ der Naskapi-Indianer (Labrador-Insel), der innere Begleiter und Seelenführer („Psychopompos“), der uns aus dem Dunklen der Unterwelt ins Licht bringt oder uns ins Jenseits geleitet. Ich darf mit ihm am Tisch sitzen und möglicherweise das Abendmahl mit ihm teilen. Dieses und die Kommunion sind wiederum Initiationsrituale, die den Übergang von einer Lebensphase zur nächsten symbolisieren und speziell die Vereinigung mit dem Göttlichen, Kosmischen. Es geht darum, über sich selbst hinauszuwachsen und die geistigen Kräfte zu aktivieren, hin zu einer größeren Ganzheit und Reife. Die Leute, die sich nicht dazu setzen wollen, sind von mir vielleicht auch gar nicht erwünscht, denn es spielt sich da etwas ab zwischen Christus und mir, in einer Eigendynamik des Selbst, bei der andere, auch die Apostel, nichts verloren haben. Die seltsame Zeichnung symbolisiert Erinnerungen, auch aus der Kindheit, und Inhalte des Unbewussten, die zwar sonderbar erscheinen mögen, die aber von großer Bedeutung sind, gerade auch in Anwesenheit des Göttlichen, und die es zu deuten, zu verstehen und umzusetzen gilt. Das Ganze hat natürlich gar nichts damit zu tun, in eine infantile Form von Religiosität zurückzufallen, sondern es zeigt die inneren Ressourcen, die zu mobilisieren sind, die aus dem Unbewussten im Traum aufleuchten und Hinweise für den weiteren Lebensweg geben. Man hatte vielleicht in einem gewissen Sinn das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, als man sich krampfhaft und radikal vom Glauben lossagte, als einer Art Illusion und Elternersatz, von der man sich jetzt lösen musste. Nun galt es aber, die wahre „religiöse“ Einstellung zu erhalten, also die Offenheit für das Transzendente, das Streben nach der eigentlichen Ganzheit und Vollkommenheit, die insbesondere darin besteht, eine Integration und ein gelingendes Zusammenspiel zwischen dem persönlichen und kollektiven Unbewussten und dem Ich-Bewusstsein zu erreichen. Es geht letztlich um die Selbstwerdung! Ein anderer möglicher „Erlöser“ könnte auch der Psychoanalytiker sein, der im Traum als Christus erscheint und mit dem ich allein bin. Die Übertragungskomponente darf bei Analyseträumen wie auch bei Träumen während einer Psychotherapie nie aus den Augen verloren werden!

Der nächste Traum handelt von der Arbeit als Psychologe und Psychotherapeut in einer Sonderschule für Kinder mit Sprachbehinderung. Es war meine erste Stelle als Psychologe. Ich befinde mich in einer der Schulklassen und diskutiere mit der Lehrerin wegen eines Jungen, dem es schlecht geht und der weint. Ich sage, dass er nicht zufrieden ist und dass ich mit ihm und mit der Lehrerin sprechen müsse. Danach muss ich warten und bin zusammen mit Kindern. Man macht mir Vorwürfe wegen eineinhalb Tagen pro Woche, die ich nicht in der Schule bin, sondern in Lausanne. Man vermutet, dass ich dort mit Schwestern (Klosterschwestern?) zusammen bin. Ich rechtfertige mich und verweise auf fehlende Informationen und Gerüchte.

Konflikte gab es dort zu Hauff. Die Lehrerinnen verweisen auf die eigene Schulzeit, Kindheit, auch die „Schwestern“ (Schulschwestern?) Die Zeit in Lausanne war vorgesehen für die psychotherapeutische Weiterbildung. Ich hatte mir ausbedungen, dafür freigestellt zu werden, mit Bezahlung für eine volle Stelle, nutzte diese Zeit aber auch für einen Nebenjob, um die Analyse bezahlen zu können. Nicht ganz korrekt, aber von mir gerechtfertigt, da es ja ebenfalls der Fortbildung diente und diese ermöglichte.

Die Lehrerin könnte erneut eine Animafigur verkörpern, wobei die strengen und kontrollierenden Aspekte hervortreten. Ich selbst bin wohl das Schulkind, das unzufrieden ist und weint, vermutlich wegen der Lehrerin. Man sollte sich darum kümmern und sich beide vorknöpfen, um Genaueres zu erfahren. Die Vorwürfe sind Selbstvorwürfe, vom Über-Ich ausgehend, da die Angelegenheit nicht ganz in Ordnung war. Die Schwestern haben wahrscheinlich mit der Zeit im Internat bei Klosterschwestern zu tun, wo eine Schulschwester aus Bayern in lebhafter Erinnerung geblieben ist. Sie war sehr streng und fordernd, mochte mich aber auch. Hinter ihrer unnahbaren Fassade (Persona) verbarg sich vermutlich sogar eine recht warmherzige und sensible Frau. Auf jeden Fall bemühten sich die Schwestern insgesamt, mich „auf Vordermann“ zu bringen und natürlich auch, meine Frömmigkeit zu fördern, was bestens gelang. Nach einiger Zeit keimte bei mir der Entschluss, später Priester zu werden! Mein Über-Ich wurde entsprechend unnachgiebiger. Der unzufriedene und weinende Junge verkörpert zudem meine depressive Seite, um die es sich zu kümmern gilt. Da steckt sehr viel dahinter an Trauer, Not und Verzweiflung, die aus dem Unbewussten herüberscheinen. Es hat mit der ambivalenten Mutter-Kind-Beziehung zu tun, mit dem fehlenden Vater und, nicht zuletzt, mit dem „verlorenen Paradies“, der Kindheit. Während der Zeit im Internat bei den Klosterschwestern gab es tatsächlich anfangs eine depressive Phase, mit Ängsten und Nahrungsverweigerung, wobei die sehr schlechte Qualität des Essens und diesbezügliche Ekelgefühle (u.a. „Brotsuppe“ aus Brotresten und gesalzenem Wasser sowie gekochtem, sehr fettem Schweinefleisch) ihren Beitrag leisteten. Ich war etwa 10 Jahre alt und litt zu Beginn an sehr ausgeprägtem Heimweh, es handelte sich damals um meinen ersten Internatsaufenthalt. Der erste Besuch der Eltern und das erleichterte Weinen sind bildhaft in deutlicher Erinnerung geblieben. Natürlich sollte das Weinen auch die innere Verzweiflung und depressive Verstimmung zum Ausdruck bringen.

Der nun folgende Traum verweist auf die Zeit im Orden. Der damalige Ordensobere erscheint weiß gekleidet und spielt Tennis. Er besitzt ein weißes Auto, und ich denke an Reinheit. Er verhält sich „hysterisch“. Ich diskutiere mit einem anderen Ordensbruder und spreche von „trüben Gewässern“, was den andern zum Lachen bringt. Ich mache ein Feuer, worauf jemand hinzukommt und erstaunt ist.

Tennisspielen passt nicht zum Orden, der sich mit den Armen solidarisiert und nicht mit den Besserverdienenden dieser Welt, die man eher mit Tennis assoziiert. Sport war auch kein Thema damals. Man hatte genug Bewegung durch die geforderte körperliche Arbeit. Die „trüben Gewässer“ erinnern an Intransparenz, an verborgene Schwächen, Fehler, im Gegensatz zu der „weißen Weste“ (Bekleidung) und dem weißen Auto, die offenbar schon im Traum mit „Reinheit“, also Makellosigkeit in Verbindung gebracht werden. Auch das „hysterische“ Verhalten geht in diese Richtung. Das Feuer kann ebenfalls reinigen, läutern, erinnert hier aber eher an ungezügelte Leidenschaft, an Triebhaftigkeit, Impulsivität. Es werden also die Mächte des Unbewussten und des Es in Szene gesetzt, was im fraglichen Kontext zum Erstaunen der Anwesenden führt. Da traut sich ja einer was!

Der Ordensobere verkörpert im Traum die transzendente Funktion, was noch durch die Betonung der Farbe Weiß unterstrichen wird. Weiß bedeutet außer Reinheit, Jungfräulichkeit, auch geistige Transformation, Vollkommenheit, spirituelle Kraft, Gleichgewicht, Klarheit, Ordnung. Weiß ist andererseits kalt, undifferenziert, geisterhaft, jenseitig. In der Alchemie erscheint die „Albedo“ nach der „Nigredo“, vor oder nach der „Cauda pavonis“, dem Pfauenrad, der Vielfalt der Spektralfarben. Sie entspricht dem Silber und ist die erste Stufe des Lapis. Der Übergang von den „vielen Farben“ zum Weiß symbolisiert demnach die Einheit und Ganzheit, Vollständigkeit. Das Tennisspiel erinnert an das ihm ähnliche Pingpong: der Ball wird hin und her geschlagen. Man schlägt sich mit etwas herum. Es könnten zwei innere Tendenzen oder zwei unterschiedliche Seiten der Persönlichkeit sein, die sich da widerstreben. Diese Deutung wird bestätigt durch die Idee der „trüben Gewässer“. Hinter der zur Schau getragenen Unschuld verbergen sich ganz andere Dinge, die dann noch durch das Feuer zum Ausdruck kommen. Es handelt sich wohl um sexuelle Fantasien, und es war damals auch das Gelübde der „Keuschheit“, mit dem man die größten Probleme hatte, schon in der Nacht nach dem ersten, „zeitlichen“ Gelöbnis in der Wüste Algeriens. Zwar hatte man nun angefangen, das „Spiel mit dem Feuer“ zu proben und den triebhaften Bedürfnissen deutlich mehr Raum gegeben, aber es blieb im Gegenzug die Sehnsucht nach dem Transzendenten, dem Vollkommenen, der seelischen Ganzheit. Das Triebhafte ist nur ein Aspekt des Lebens, und es hat auch etwas Gefährliches, potenziell Zerstörerisches. Da kann nur das übergeordnete Streben nach Wandlung und geistiger Vervollkommnung als Gegengewicht die innere Stabilität und Harmonie gewährleisten, wie auch die Weiterentwicklung des Selbst. Der mittlere Weg ist der richtige: keine einseitige Vergeistigung und Lustfeindlichkeit, aber auch keine Besessenheit durch das Triebhafte und das Feuer der Leidenschaft.

Im nächsten Traum erscheint die Spinne, Insekten fangend und verspeisend. Der Gedanke des Aufgefressenwerdens und die Angst davor tauchen auf. Ich befinde mich vor einem Haus und diskutiere mit jemandem, der mir vorwirft, ich hätte in früheren Zeiten nie an etwas teilnehmen wollen. Ich erwidere, dass man sich auch verändern könne und bin gleichzeitig ein wenig berührt. Zuvor wollte ich Kleider und andere Sachen in Leder kaufen, aber es gab nie welche, da sehr gefragt. Ich sitze nun da, um nach etwas zu schauen oder auf etwas zu hören. Da kommt eine junge Frau vorbei in Begleitung eines Mannes, die mich ansieht und sich neben mich setzt, mich mit dem Stiefel berührt. Ich rücke noch näher an sie heran.

Die Lederartikel und der Stiefel erinnern an Sadomasochismus, wobei der Stiefel, ebenso wie die Spinne, mit dem weiblichen Genitale zu tun haben können. Dass es keine Lederkleidung mehr gibt, kann bedeuten, dass der sadistische Part eher von der anderen Seite besetzt werden soll, was dann ja auch geschieht, mit der gestiefelten Frau. Die Spinne wird schon im Traum gedeutet als etwas Bedrohliches, Aggressives, Auffressendes und erscheint wie eine Warnung, nicht in die Fänge eines solchen (weiblichen?) Wesens zu geraten. „Spider Woman“ ist in vielen Indianergeschichten zugleich die Schaffende (Spinnende) und die Zerstörende und symbolisiert mittels dieser Polarität wiederum die Einheit der Schöpfung. Es hat eben alles seine zwei Seiten! Die Spinne verweist symbolisch auf den festhaltenden, einfangenden Elementar-Charakter des archetypisch „Großen Weiblichen“. Sie repräsentiert aber auch „die das Leben webende und den Schicksalsfaden spinnende Große Mutter“ (Erich Neumann „Die Große Mutter“ 1974). Man denke an die drei Moiren, die Schicksalsgöttinnen, oder an die drei Nornen. Sie symbolisieren jeweils die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Objektstufig könnte der Traum den Wunsch nach einer sadomasochistischen Beziehung mit einer Frau zum Ausdruck bringen, wobei hier auch noch eine Triangulation angedeutet wird und ich offenbar einen anwesenden Rivalen „auszustechen“ habe. Eigene sadistische Anteile werden erkannt, können aber nur schwer umgesetzt werden. Die Angst vor dem Aufgefressenwerden hat wiederum mit einer Bedrohung der Autonomie zu tun, die möglicherweise gerade in der Beziehung mit einer Frau reaktualisiert werden könnte, aufgrund von entsprechenden Vorerfahrungen in der Kindheit. Auf der Subjektstufe mache ich mir zunächst selbst Vorwürfe hinsichtlich einer früher mangelnden Bereitschaft, an sozialen Aktivitäten teilzunehmen, stelle aber auch mit einer gewissen Ergriffenheit fest, dass eine Veränderung eingetreten ist. Alles Schnee von gestern also! Die junge Frau bezöge sich auf eigene weibliche Anteile und schattenhafte, „dunklere“ Aspekte, die ebenfalls durch die Spinne symbolisiert wären und für andere bedrohlich sein könnten, etwa unterschwellig vorhandene sadistische Tendenzen, verbunden mit dem Wunsch, andere zu kontrollieren und Macht auszuüben.

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