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4. Kapitel: Der Analytiker auf dem Schoß und die Übertragung

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Ein wichtiger Übertragungstraum aus der Anfangszeit der Analyse verlief wie folgt: Ich komme zur Analysesitzung und schaue mir an, was an den Wänden des Zimmers hängt, die Bilder usw. Vor mir war ein anderer Patient dran, der sich seltsam verhält und „agiert“. Als er gegangen ist, beklagt sich der Analytiker bei mir über ihn und äußert den Wunsch, diese Behandlung zu beenden. Ich liege diesmal nicht auf der Couch, sondern nehme auf einem Sessel Platz. Der Analytiker kommt und setzt sich auf meinen Schoss.

Das Ende des Traumes lässt eine Kindheitserinnerung in mir hochkommen, als ich auf dem Schoß eines schon etwas älteren Mannes saß. Es handelte sich um den Sohn der damaligen Hausbesitzerin, und er galt als Junggeselle. Ich war damals froh über jede Art von männlicher Zuwendung, und der Mann mochte offenbar Kinder und schien ein netter, warmherziger Mensch zu sein. Man erzählte mir damals, dass ich in noch früheren Jahren, an die es keine bewusste Erinnerung mehr gab, auf dem Schoß eines „Uronkels“ saß, der mir die „goldene Uhr“ ans Ohr hielt und ich diese mit „Ticktack“ benannte. Es war wohl die erste Begegnung mit der Zeit und mit ihrer „Bemessung“, die für diesen alten Mann eine besondere Bedeutung hatte, da er kurze Zeit danach verstarb. Später erbte ich diese Uhr und bewahrte sie sorgfältig auf.

Objektstufig handelt es sich um eine Umkehr der Rollen. Der Therapeut zieht mich ins Vertrauen und beklagt sich über einen andern Patienten, den er nicht mehr weiterbehandeln möchte. Ich sitze, wie der Analytiker sonst, und er setzt sich bei mir auf den Schoß, wie ein Kind auf den Schoß seines Vaters. Es entsteht dadurch eine große Nähe und Vertrautheit, im Gegensatz zu der ansonsten üblichen Distanz und Professionalität. Die Gemälde an der Wand symbolisieren wie schon in einem zuvor geschilderten Traum die Bilder aus dem Unbewussten, aus der Vergangenheit, auch aus der Kindheit, die es noch zu betrachten und zu deuten gilt. Im Traum bin ich groß und mächtig, väterlich, während sich der Analytiker in einer kindlichen Rolle befindet. Kehrt man die Dinge um, so liegt es nahe, dass ich ebenfalls der vorherige, abgelehnte Patient bin, der sich sonderbar verhält und „agiert“, also eine Art Schattenfigur, deren negative Eigenschaften den Unmut des Therapeuten hervorrufen und sogar den Wunsch, die Behandlung zu beenden. Dahinter steckt die Angst vor einer zurückweisenden Haltung des Analytikers, bis hin zum möglichen Abbruch der Therapie, also Trennungsangst. Im Gegensatz dazu stehen die Nähe und Vertrautheit der kontrastierenden Szenerie im Behandlungszimmer. Dort kann man wiederum in Umkehrung mich auf den Schoß des Analytikers versetzen, was den Wunsch nach kindlicher Abhängigkeit und Zutraulichkeit gegenüber einer väterlichen Person zum Ausdruck brächte. Eine solche Sehnsucht wäre vor dem Hintergrund der „vaterlosen“ Vergangenheit auch durchaus plausibel und verständlich. Dieser Wunsch wird allerdings durch eine Reaktionsbildung in eine reifere Form umgewandelt, die aber wiederum in eine Übertreibung mündet, nämlich die Infantilisierung des Analytikers. Das Ganze entbehrt nicht einer gewissen Komik und zeigt die schöpferische Kraft der Träumerei, die sogar zu humorvollen und lustigen Inszenierungen führen kann. Das Mitteilen des Traumes in der Analyse ermöglicht dann die Übertragungsdeutung und informiert den Therapeuten über die Ängste und Wünsche des Patienten, wobei er durch die Bearbeitung der eigenen Gegenübertragung die dadurch ausgelösten Gefühle bei sich selbst in die weitere therapeutische Arbeit integrieren kann.

Subjektstufig sind alle Beteiligten als Anteile des eigenen Selbst zu sehen, wobei der Analytiker im Traum die kindlich-abhängigen Tendenzen verkörpert und das Bedürfnis nach einer väterlichen Präsenz, während der andere Patient die schon erwähnte Schattenfigur ist, mit den abgelehnten und unerwünschten Eigenschaften, wobei aber auch eine größere Autonomie und Ablösungsfähigkeit verkörpert wird. Ich selbst bin im Traum Ausdruck einer superioren Funktion, verbunden mit Machtausübung und Kontrolle, aber auch mit Liebesfähigkeit, Wärme und Nähe.

An dieser Stelle möchte ich gleich einen weiteren Übertragungstraum anknüpfen und die chronologische Reihenfolge geringfügig verändern. Der Analytiker wird durch „jemanden“ disqualifiziert. Er habe ein Exposé nachverfolgt und dabei festgestellt, dass er „weibisch“ sei. Seine Frau sei schrecklich, kommandiere zu Hause, und er selbst sei niemals anwesend.

Der Traum lässt an „Klatsch und Tratsch“ denken. Das „Weibische“ an „Weichei“ und die Frau mit den Hosen an Witze mit dem Nudelholz. In Wirklichkeit gab es beim Analytiker keine Hinweise in diese Richtung, und auch seine Frau, die ebenfalls Analytikerin war und als solche regelmäßig in Erscheinung trat, machte nicht den Eindruck eines solchen „Drachen“.

Vermutlich werden eigene weibliche Anteile auf den Therapeuten projiziert, der mir selbst dadurch ähnlicher wird, und auch die Vorstellung, er stehe unter dem Pantoffel, macht ihn ein wenig kleiner und menschlicher. Ich erinnere mich an eine Art Comiczeichnung, die zwei Kinder während einer Familiensitzung anfertigten, und in der ich als jemand dargestellt wurde, der von seiner Frau drangsaliert wird. Dabei waren möglicherweise ähnliche Mechanismen vorhanden, wobei in diesem Fall natürlich auch daran zu denken wäre, dass die Kinder die Beziehung ihrer Eltern auf mich und meine hinzu fantasierte Frau projizierten. Gleichzeitig fordert dieser Traum mich auf, eigene weibliche Anteile zu beachten und mich mit der eigenen Abwertung derselben auseinanderzusetzen, entsprechend der negativen Konnotation, die mit den Attributen „weibisch“ und „Weichei“ verbunden ist. Es geht demnach um die Integration der „Anima“. Zudem scheint es um Ängste oder zumindest eine Besorgnis zu gehen im Hinblick auf eine mögliche Partnerschaft oder Ehe mit einer Frau. Werde ich dann unter der Fuchtel einer gestrengen Herrin mein Dasein fristen, und besteht vielleicht sogar eine Neigung zu einer derartigen Beziehungsgestaltung, auch wieder in Richtung Sadomasochismus? Die Frau dominant und ich devot? Auf die Männergesellschaft insgesamt angewandt hat der Traum wiederum mit dem Feminismus zu tun und spiegelt womöglich die Sorge aller Männer vor einer Herrschaft der Frauen, dass also die Benachteiligung und Diskriminierung des weiblichen Geschlechts umschlagen könnte und statt Gleichberechtigung ein Niedergang der Männer bevorstünde. Aktuell ist diese Besorgnis wohl nicht ganz unbegründet, da sich intelligente Fernsehmoderatoren als „männliche Feministen“ (Gert Scobel) outen, um in einer Art Anbiederung an das “schwache Geschlecht“ jedem Vorwurf von Machogehabe prophylaktisch zu begegnen.

Passend hierzu der nächste Traum: Es herrscht Überschwemmung in der Stadt, und ich schwimme im Wasser, mit Kleidern, und mir ist kalt. Nun erscheint ein „sehr starker Mann“, der seine Fähigkeiten zeigt. Es ist ein Videofilm zu sehen mit sehr brillanten Bildern.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich noch kein Hochwasser miterlebt. Es erinnert aber an entsprechende Berichte, auch an die Sintflut natürlich. Dass ich die Kleider anhabe, zeigt vermutlich, dass ich vom Wasser überrascht und mitgerissen wurde. Der starke Mann könnte wiederum den inneren „großen Mann“ der Naskapi-Indianer darstellen, der hier offenbar hilfreich eingreift. Das Video mit den Bildern bezieht sich wie zuvor auf die Bilder aus dem Unbewussten, die mit dem Traum zu tun haben können.

Wasser ist ein mütterliches Symbol und verweist auf den vorgeburtlichen Zustand, wo es aber normalerweise warm ist. Im Traum ist jedoch von Kälte die Rede, und das könnte symbolisch bedeuten, dass ich selbst schon im Mutterleib eine gewisse (seelische) Kälte verspürt habe, da es meiner Mutter zum damaligen Zeitpunkt nicht gut ging und sie nur daran dachte, wie sie ihr Kind loswerden könnte. In Wirklichkeit waren es sogar zwei, ein Zwilling von mir ging als Totgeburt ab. Man weiß nicht, was sich diesbezüglich im Innern abgespielt hat, aber der Fantasie sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Das verschlingende Wasser hat mit dem furchtbaren Aspekt des „Großen Weiblichen“ zu tun und der tödlichen „Westgefahr“, dort wo die Nachtseite beginnt und der Sonnenheld seine Nachtmeerfahrt beginnt (Erich Neumann, „Die Große Mutter“ 1974). Die Überflutung ist ein archetypisches Bild und wurde in früheren Zeiten als eine Strafe Gottes oder der Götter angesehen, verbunden mit einer wundersamen Rettung wenigstens einiger Menschen, die der Katastrophe entrinnen konnten. Die biblische Sintflut ist ja bei weitem nicht die einzige Erzählung dieser Art. Beispielhaft kann man an eine Legende der Mosuo in Südwestchina denken, im Himalaya-Gebiet, in der von einer Überflutung des Lugu-Sees berichtet wird, ausgelöst durch zu viele Tränen der Seegöttin. Nur eine Frau und ihre Kinder konnten sich in einem Schweinetrog retten und neue Generationen von Mosuo begründen. Es ist kein Zufall, dass die Gottheit weiblich ist und gerade eine Frau mit Kindern gerettet wird, da bei den Mosuo eine Art Matriarchat herrscht und die Frauen sich für alles verantwortlich fühlen. Eine andere Version schildert das Gilgamesch-Epos, wo von der „großen Flut“ berichtet wird. Einige Forscher vermuten einen Kometen oder Meteoriteneinschlag als Ursache, aber auch Tsunamis oder durch Wirbelstürme verursachte Flutwellen könnten durchaus der Ursprung von solchen Berichten sein. Aus der Sicht einer Bestrafung hätte das Ganze mit schlechtem Gewissen zu tun und einem unbewussten Bestrafungsbedürfnis, von dem schon die Rede war. Rettung naht in Gestalt des „Großen Mannes“, der hier seine Fähigkeiten zeigen kann und auch noch besonders brillante Bilder aus dem Unbewussten vorstellt. Die „Überflutung“ kann nämlich, in Anlehnung an C. G. Jung, die Gefahr einer Überschwemmung („Inflationierung“) durch Inhalte des Unbewussten andeuten. Unterdrückte und verdrängte Triebimpulse oder auch unbewusste und ungelöste Konflikte können mit Macht ins Bewusstsein eindringen und eine ernste Bedrohung für das psychische Gleichgewicht darstellen. Dank des inneren, starken Seelenführers und natürlich auch des äußeren (dem Psychoanalytiker) kann es gelingen, die Naturgewalten zu besiegen und zu überleben. Man muss aber sozusagen bereit sein, ins kalte Wasser zu springen, auch mit den Kleidern, um zumindest das nackte Überleben zu sichern. Bezogen auf das kollektive Unbewusste können solche Träume und Mythen eine Warnung und ein Hinweis darauf sein, dass die Menschen zu wenig auf ihre „innere Stimme“ hören und dass deshalb eine Katastrophe droht.

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