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~III. System und Begriff~

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Gegenüber dem Versuch, im Begriff des Reflexionsmediums dem Denken der Frühromantiker ein methodisches Gradnetz unterzulegen, in das sich ihre Problemlösungen wie ihre systematischen Positionen überhaupt einzeichnen ließen, werden sich zwei Fragen erheben. Die erste – sie ist in skeptischem oder gar verneinend-rhetorischem Ton in der Literatur immer wieder gestellt worden – lautet, ob denn die Romantiker überhaupt systematisch gedacht oder in ihrem Denken systematische Interessen verfolgt hätten. Die zweite, warum diese systematischen Grundgedanken, ihr Dasein zugegeben, in so auffallend dunkler, ja mystifizierender Rede sich niedergelegt fänden. Angesichts der ersten Frage gilt es zunächst, genau zu bestimmen, was hier bewiesen werden soll. Dabei darf man es sich nicht so leicht machen, mit Friedrich Schlegel vom »Geist des Systems, der etwas ganz anderes ist als ein System,«77 zu sprechen, aber diese Worte führen doch auf das Entscheidende. Es soll hier in der Tat nichts bewiesen werden, was durch den geistigen Augenschein widerlegt werden müßte, wie daß Schlegel und Novalis um 1800 ein System gehabt hätten, sei es ein gemeinsames, sei es ein jeder sein eigenes. Erweislich aber gegenüber allen Anzweiflungen ist, daß ihr Denken durch systematische Tendenzen und Zusammenhänge, die allerdings in ihnen selbst nur teilweise zur Klarheit und Reife gekommen sind, bestimmt wurde; oder, um es in der exaktesten und unanfechtbarsten Form auszudrücken: daß ihr Denken sich auf systematische Gedankengänge beziehen läßt, daß es in der Tat in ein richtig gewähltes Koordinatensystem sich eintragen läßt, gleichviel, ob die Romantiker selbst dieses System vollständig angegeben haben oder nicht. Für die vorliegende, nicht pragmatisch-philosophiegeschichtliche, sondern problemgeschichtliche Aufgabe kann es durchaus bei dem Erweis dieser eingeschränkten Behauptung sein Bewenden haben. Jene systematische Beziehbarkeit erweisen, heißt aber nichts anderes, als das Recht und die Möglichkeit einer systematischen Kommentierung der frühromantischen Gedankengänge durch die Tat erweisen. Dieses Recht ist angesichts der außerordentlichen Schwierigkeiten, vor die sich die geschichtliche Auffassung der Romantik gestellt sieht, in einer kürzlich veröffentlichten Schrift (Elkuß: Zur Beurteilung der Romantik und zur Kritik ihrer Erforschung) gerade von einem Literarhistoriker verfochten worden, also vom Standpunkt einer Wissenschaft aus, die eben in dieser Frage noch sehr viel skrupulöser vorgehen muß, als diese problemgeschichtliche Untersuchung. Elkuß vertritt die Analyse der romantischen Schriften auf Grund systematisch orientierter Interpretation u. a. mit folgenden Sätzen: »Diesem78 Sachverhalt kann man sich von der Theologie her nähern, von der Religionsgeschichte, vom geltenden Recht, vom geschichtlichen Denken der Gegenwart: immer wird die Situation für die Erkenntnis … einer Gedankenbildung günstiger sein, als wenn man an ihn in einem verhängnisvollen Sinne des Wortes voraussetzungslos herantritt, den materiellen Kern der in den frühromantischen Theorien aufgeworfenen Fragen nicht mehr kontrollieren kann, kurz sie als ›Literatur‹ behandelt, in der ja oft die Formel bis zu einem gewissen Grade Selbstzweck werden kann«.79 »Eine hier80einsetzende Analyse dringt naturgemäß sehr oft weit hinter den ›literarischen‹ Sinn dessen zurück, was ein Schriftsteller gesagt hat und zu formulieren willens oder auch nur fähig war. Sie ergreift die intentionalen Akte, wenn sie erkannt hat, was sie leisten sollen.«81 »Für die Literaturgeschichte … rechtfertigt sich … von hier aus eine Betrachtung, die auf Voraussetzungen zurückgeht, auch wenn diese von der Reflexion des Autors selber meist nicht getroffen werden«.82. Für die Problemgeschichte ist eine solche Betrachtung geradezu erfordert. Es wäre für sie unbedingter, als für eine literarhistorische ein Tadel, wenn man von ihr, wie Elkuß von einer literarhistorischen, sagen müßte, sie bleibe einem Autor gegenüber »bei der Charakterisierung seiner geistigen Welt in den Antithesen befangen, die für ihn selbst Bewußtseinsinhalt waren,« beurteile »geistige Mächte nur in der Stilisierung, die er ihnen gibt, und« dringe »zu dieser Stilisierung als einer … selber der Analyse bedürftigen Leistung überhaupt nicht mehr vor«.83 Allerdings ist es gar nicht nötig, weit hinter das Ausgesprochene zurückzugehen, um zunächst nur die entschieden systematische Tendenz in Friedrich Schlegels Denken um die Jahrhundertwende wahrzunehmen; die übliche Auffassung von seinem Verhältnis zum systematischen Denken ist eher daher zu verstehen, daß man ihn zu wenig, als daß man ihn zu genau beim Wort genommen hat. Die Tatsache, daß ein Autor sich in Aphorismen ausspricht, wird niemand letzthin als einen Beweis gegen seine systematische Intention gelten lassen. Nietzsche z. B. hat aphoristisch geschrieben, dazu sich als Gegner des Systems bezeichnet, dennoch hat er seine Philosophie umfassend und einheitlich nach den leitenden Ideen durchdacht und zuletzt sein System zu schreiben begonnen. Schlegel dagegen hat sich niemals auch nur schlechthin als Gegner der Systematiker bekannt. Bei allem scheinbaren Zynismus ist er bezeichnenderweise in seiner Reifezeit auch seinen eigenen Worten nach niemals Skeptiker gewesen. »Als vorübergehender Zustand ist der Skeptizismus logische Insurrektion; als System ist er Anarchie. Skeptische Methode wäre also ungefähr wie insurgente Regierung«84, heißt es in den Athenäumsfragmenten. Die Logik nennt er ebendort eine »Wissenschaft, welche von der Forderung der positiven Wahrheit und der Voraussetzung der Möglichkeit eines Systems ausgeht«.85 Die bei Windischmann veröffentlichten Fragmente86 geben Zeugnis in Fülle, daß er seit dem Jahre 1796 über das Wesen des Systems und die Möglichkeit seiner Begründung angestrengt nachdachte; es war jene Gedankenentwicklung, die im System der Vorlesungen mündete. Die zyklische Philosophie87 ist der Titel, unter welchem Schlegel damals das System vorstellte. Von den wenigen Bestimmungen, die er von ihr gibt, ist die wichtigste, die ihren Namen begründet: »Es muß der Philosophie nicht bloß ein Wechselbeweis, sondern auch ein Wechselbegriff zugrunde liegen. Man kann bei jedem Begriff wie bei jedem Erweis wieder nach einem Begriff und Erweis desselben fragen. Daher muß die Philosophie wie das epische Gedicht in der Mitte anfangen, und es ist unmöglich, dieselbe so vorzutragen und Stück für Stück hinzuzählen, daß gleich das erste für sich vollkommen begründet und erklärt wäre. Es ist ein Ganzes, und der Weg, es zu erkennen, ist also keine gerade Linie, sondern ein Kreis. Das Ganze der Grundwissenschaft muß aus zwei Ideen, Sätzen, Begriffen … ohne allen weiteren Stoff abgeleitet sein«.88 Diese Wechselbegriffe sind dann später in den Vorlesungen die beiden Pole der Reflexion, die sich letzten Endes als einfache Urreflexion und als einfache absolute Reflexion kreisförmig wieder zusammenschließen. Die Philosophie beginnt in der Mitte, bedeutet, daß sie keinen ihrer Gegenstände mit der Urreflexion identifiziert, sondern in ihnen ein Mittleres im Medium sieht. Als weiteres Motiv kommt in jener Zeit noch die Frage des erkenntnistheoretischen Realismus und Idealismus bei Schlegel hinzu, die sich in den Vorlesungen von selbst erledigt. Nur aus der Ignorierung der Windischmannschen Vorlesungen erklärt es sich also, daß Kircher mit Hinsicht auf die Fragmente von 1796 ab sagen konnte: »Das System der zyklischen Philosophie hat Friedrich nicht ausgeführt; es sind lauter Vorarbeiten, Voraussetzungen, es sind die subjektiven Grundlagen des Systems, die in Begriffe gestalteten Antriebe und Bedürfnisse seines philosophischen Geistes, was uns davon erhalten ist«.89

Dafür jedoch, daß Schlegel in der Athenäumszeit zu keiner vollen Klarheit über seine systematische Intention gelangen konnte, lassen sich mehrere Gründe namhaft machen. Die systematischen Gedanken besaßen damals nicht die Vorherrschaft in seinem Geiste, und dies hängt einerseits damit zusammen, daß er nicht genügend logische Kraft besaß, um sie aus seinem damals noch reichen und leidenschaftlichen Denken herauszuarbeiten, andererseits damit, daß er kein Verständnis für den Systemwert der Ethik hatte. Das ästhetische Interesse überwog alles. »Friedrich Schlegel war ein Künstler-Philosoph, oder ein philosophierender Künstler, als solcher ging er einerseits den Traditionen der philosophischen Zünftler nach und suchte Zusammenhang mit der Philosophie seiner Zeit, andererseits war er zu sehr Künstler, um beim rein Systematischen stehen zu bleiben.«90 Bei Schlegel tritt, um auf den obigen Vergleich zurückzukommen, das Gradnetz seiner Gedanken unter der überdeckenden Zeichnung fast nie hervor. Wenn die Kunst als das absolute Reflexionsmedium die systematische Grundkonzeption der Athenäumszeit ist, so findet sich diese fortwährend durch andere Bezeichnungen substituiert, die den Anschein der verwirrenden Vielgestaltigkeit seines Denkens hervorrufen. Das Absolute erscheint bald als Bildung, bald als Harmonie, als Genie oder Ironie, als Religion, Organisation oder Geschichte. Und es soll gar nicht geleugnet werden, daß in anderen Zusammenhängen es wohl denkbar wäre, eine der anderen Bestimmungen – also nicht die Kunst, sondern etwa die Geschichte – jenem Absoluten, wofern nur sein Charakter als Reflexionsmedium gewahrt bliebe, einzuzeichnen. Unstreitig aber lassen die meisten dieser Bezeichnungen gerade jene philosophische Fruchtbarkeit vermissen, die in der Analyse des Begriffs der Kunstkritik für die Bestimmung des Reflexionsmediums als Kunst aufgewiesen werden soll. Der Begriff der Kunst ist in der Athenäumszeit eine – und außer dem der Geschichte vielleicht die einzige – legitime Erfüllung der systematischen Intention Friedrich Schlegels.91 Eine seiner typischen Verschiebungen und Überdeckungen möge hier, wenn auch vorgreifend, ihre Stelle finden: »Die Kunst, aus dem Impulse der strebenden Geistigkeit gestaltend, bindet diese in immer wieder neuen Formen mit dem Geschehen des gesamten Lebens der Gegenwart und der Vergangenheit. Die Kunst heftet sich nicht an einzelne Geschehnisse der Geschichte, sondern an deren Gesamtheit; vom Gesichtspunkt der sich ewig vervollkommnenden Menschheit aus, faßt sie den Komplex der Geschehnisse vereinheitlichend und veranschaulichend zusammen. Die Kritik … sucht das Menschheitsideal aufrechtzuerhalten, indem sie … auf dasjenige Gesetz hinausgeht, das sich an frühere Gesetze knüpfend, die Annäherung an das ewige Menschheitsideal verbürgt«.92 Dies ist eine Paraphrase des Gedankens in der Condorçet-Kritik des frühen Schlegel (1795). In den Schriften um 1800 nehmen, wie sich noch ergeben wird, derartige Amalgamierungen und gegenseitige Trübungen mehrerer Begriffe des Absolutums, die in solcher Vermischung ihre Fruchtbarkeit selbstverständlich einbüßen, überhand. Wer nach solchen Sätzen sich ein Bild vom tieferen Wesen der Schlegelschen Kunstauffassung machen wollte, müßte notwendig irren.

Schlegels vielfältige Bestimmungsversuche des Absoluten entspringen nicht allein aus einem Mangel, nicht nur aus Unklarheit. Ihnen liegt vielmehr eine eigentümliche positive Tendenz seines Denkens zugrunde. In ihr findet die oben gestellte Frage nach dem Grunde der Dunkelheit so vieler Schlegelscher Fragmente und gerade ihrer systematischen Intentionen ihre Antwort. Das Absolute war für Friedrich Schlegel in der Athenäumszeit allerdings das System in der Gestalt der Kunst. Aber er suchte dies Absolute nicht systematisch, sondern vielmehr umgekehrt das System absolut zu erfassen. Dies war das Wesen seiner Mystik, und obwohl er sie im Grunde bejahte, blieb ihm das Verhängnisvolle dieses Versuches nicht verborgen. Von Jacobi – daß Schlegel sich nicht selten gegen Jacobi wandte, um öffentlich eigene Fehler zu geißeln, hat Enders gezeigt – heißt es in den Windischmannschen Fragmenten: »Jacobi ist zwischen die absolute Philosophie geraten und zwischen die systematische, und da ist sein Geist zuschanden gequetscht«,93 eine Bemerkung, die etwas boshafter pointiert auch in den Athenäumsfragmenten94 Platz gefunden hat. Auch Schlegel selbst vermochte nicht, den mystischen Impuls absoluter Erfassung des Systems, den »alten Hang zum Mystizismus«95 von sich fernzuhalten. Das Gegenteil macht er Kant zum Vorwurf: »Er polemisiert … gar nicht die transzendente Vernunft, sondern die absolute – oder auch wohl die systematische«.96 Unübertrefflich charakterisiert er diese Idee absoluten Erfassens des Systems mit der Frage: »Sind nicht alle Systeme Individuen …?«97 Denn freilich, wenn dies der Fall wäre, so könnte man daran denken, Systeme ebenso intuitiv in ihrer Ganzheit zu durchdringen wie eine Individualität. Schlegel ist sich denn auch über die extreme Folgerung der Mystik im klaren gewesen: »Der konsequente Mystiker muß die Mitteilbarkeit alles Wissens nicht bloß dahingestellt sein lassen, sondern geradezu leugnen; dies muß tiefer nachgewiesen werden, als die gewöhnliche Logik reicht«.98 Mit diesem Satze aus dem Jahre 1796 kombiniere man den gleichzeitigen: »Die Mitteilbarkeit des wahren Systems kann nur beschränkt sein; das läßt sich a priori beweisen«,99, um zu erkennen, wie bewußt Schlegel sich schon frühe als Mystiker fühlte. In den Vorlesungen ist dann dieser Gedanke zum unverhülltesten Ausdruck gekommen: »Das Wissen geht bloß nach innen, ist an und für sich selbst unmitteilbar, wie dann auch nach dem gewöhnlichen Ausdruck der Nachdenkende sich in sich selbst verliert … Erst durch die Darstellung kommt … die Gemeinsamkeit … Es läßt sich freilich annehmen, daß es ein inneres Wissen gibt vor aller Darstellung oder jenseits derselben; aber dies ist … in dem Grade unverständlich, als es darstellungslos ist«.100 Novalis ist hierin mit Schlegel einig: die Philosophie »ist eine mystische … durchdringende Idee, die uns unaufhaltsam nach allen Richtungen hineintreibt«.101 – In seiner Terminologie hat sich die mystische Tendenz von Friedrich Schlegels Philosophieren am klarsten ausgeprägt. Im Jahre 1798 schreibt sein Bruder an Schleiermacher: »Die Randglossen meines Bruders rechne ich auch zu dem Gewinn; denn sie gelingen ihm weit besser als ganze Briefe, sowie Fragmente besser als Abhandlungen und selbstgeprägte Wörter besser als Fragmente. Am Ende beschränkt sich sein ganzes Genie auf mystische Terminologie«.102 Wirklich hat das, was A. W. Schlegel sehr treffend als mystische Terminologie bezeichnet, den genauesten Zusammenhang mit Friedrich Schlegels Genie, mit seinen bedeutendsten Konzeptionen und seiner eigentümlichen Denkweise. Diese nötigte ihn, zwischen dem diskursiven Denken und der intellektuellen Anschauung eine Vermittlung zu suchen, da das eine seiner auf intuitives Begreifen gerichteten Intention, die andere seinem systematischen Interesse nicht genügte. Er fand sich also, da sein Denken nicht systematisch entfaltet, wohl aber durchaus systematisch orientiert war, vor das Problem gestellt, mit äußerster Eingeschränktheit des diskursiven Denkens das Maximum an systematischer Tragweite der Gedanken zu verbinden. Was insbesondere die intellektuelle Anschauung betrifft, so ist Schlegels Denkweise im Gegensatz zu derjenigen vieler Mystiker ausgezeichnet durch Indifferenz gegen Anschaulichkeit; er beruft sich nicht auf intellektuelle Anschauungen und entrückte Zustände. Vielmehr sucht er, um es in eine Formel zusammenzufassen, eine unanschauliche Intuition des Systems, und er findet sie in der Sprache. Die Terminologie ist die Sphäre, in welcher jenseits von Diskursivität und Anschaulichkeit sich sein Denken bewegt. Denn der Terminus, der Begriff enthielt für ihn den Keim des Systems, war im Grunde nichts anderes als ein präformiertes System selbst. Schlegels Denken ist ein absolut begriffliches, d. h. sprachliches. Die Reflexion ist der intentionale Akt absoluter Erfassung des Systems und die adäquate Ausdrucksform dieses Aktes ist der Begriff. In dieser Anschauung liegt das Motiv der zahlreichen terminologischen Neubildungen Friedrich Schlegels und der tiefste Grund seiner ständig erneuerten Benennungen des Absoluten. – Für das frühromantische Denken ist dieser Denktypus charakteristisch, er findet sich auch bei Novalis, obschon weniger ausgeprägt als bei Schlegel. Der letzte hat die Beziehung des terminologischen Denkens auf das System in den Vorlesungen klar ausgesprochen: »der Gedanke eben, worin man die Welt in eins zusammenfassen und den man wieder zu einer Welt erweitern kann, … ist, was man Begriff nennt«.103 »… so wäre sehr wohl ein System vielmehr nur ein umfassender Begriff zu nennen.«104 Aber auch wenn im Athenäum gesagt wird: »Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden«105, kann als Organon dieser Verbindung wieder nichts anderes als der begriffliche Terminus gedacht sein. Im Begriff allein kann auch die individuelle Natur, die Schlegel, wie gesagt, dem System vindiziert, zum Ausdruck gelangen. – Ganz allgemein heißt es von den sittlichen Menschen: »Ein gewisser Mystizismus des Ausdrucks, der bei einer romantischen Phantasie und mit grammatischem106 Sinn verbunden etwas sehr Reizendes und etwas sehr Gutes sein kann, dient ihnen oft als Symbol ihrer schönen Geheimnisse«107. Ähnlich schreibt Novalis: »Wie oft fühlt man die Armut an Worten, um mehrere Ideen mit einem Schlage zu treffen«.108 Und umgekehrt: »Mehrere Namen sind einer Idee vorteilhaft«.109

Die allgemeinste Rolle hat diese mystische Terminologie in der Frühromantik in der Form des Witzes gespielt. Neben Friedrich Schlegel haben sich auch Novalis und Schleiermacher für dessen Theorie interessiert; sie nimmt in den Fragmenten des ersten einen breiten Raum ein. Im Grunde ist sie keine andere als die Theorie der mystischen Terminologie. Diese ist der Versuch, das System beim Namen zu nennen, d. h. in einem mystischen individuellen Begriff so zu erfassen, daß die systematischen Zusammenhänge in ihm inbegriffen sind. Die Voraussetzung eines stetigen medialen Zusammenhanges, eines Reflexionsmediums der Begriffe liegt dabei vor. Im Witz tritt, wie im mystischen Terminus, jenes begriffliche Medium blitzartig in Erscheinung. »Ist aller Witz Prinzip und Organ der Universalphilosophie und alle Philosophie nichts anderes als der Geist der Universalität, die Wissenschaft aller sich ewig mischenden und wieder trennenden Wissenschaften, eine logische Chemie, so ist der Wert und die Würde jenes absoluten, enthusiastischen, durch und durch materialen Witzes, worin Baco und Leibniz … jener einer der ersten, dieser einer der größten Virtuosen war, unendlich.«110 Wenn der Witz bald als »logische Geselligkeit«111, bald als »chemischer … Geist«112, als »fragmentarische Genialität«113, oder als »prophetisches Vermögen«114 charakterisiert, wenn er bei Novalis als ein »magisches Farbenspiel in höheren Sphären«115 bezeichnet wird, so ist dies alles von der Bewegung der Begriffe in ihrem eigenen Medium gesagt, welche im Witz bewirkt und im mystischen Terminus bezeichnet wird. »Witz ist die Erscheinung, der äußere Blitz der Phantasie. Daher … das Witzähnliche der Mystik.«116 In dem Aufsatz »Ueber die Unverständlichkeit« will Schlegel zeigen, »daß die Worte sich selbst oft besser verstehen, als diejenigen, von denen sie gebraucht werden, … daß es unter den philosophischen Worten … geheime Ordensverbindungen geben muß; … daß man die reinste und gediegenste Unverständlichkeit gerade aus der Wissenschaft und aus der Kunst erhält, die ganz eigentlich aufs Verständigen und Verständlichmachen ausgehen, aus der Philosophie und Philologie«.117 Gelegentlich hat Schlegel von einer »dicke(n), feurige(n) Vernunft« gesprochen, »welche den Witz eigentlich zum Witz macht und dem gediegenen Stil das Elastische gibt und das Elektrische«. Indem er diese dem »was man gewöhnlich Vernunft nennt« gegenüberstellte118, hat er offenbar seine Art zu denken höchst treffend bezeichnet. Es war, wie schon gesagt wurde, die eines Menschen, dem jeder einzelne Einfall die ganze ungeheure Ideenmasse in Bewegung setzte, der Phlegma mit Glut im Ausdruck seiner geistigen wie seiner leiblichen Physiognomie vereinigte. Es soll schließlich im Vorbeigehen die Frage aufgeworfen werden, ob nicht jener terminologischen Tendenz, die bei Schlegel so klar und bestimmend hervortritt, für alles mystische Denken eine typische Bedeutung zukomme, deren nähere Untersuchung sich verlohnen und schließlich auf das a priori, das der Terminologie jedes Denkers zugrunde liegt, führen würde.

Nicht sowohl aus polemischen und rein literarischen Motiven, als vielmehr auf Grund der dargestellten tieferen Tendenzen ist die romantische »Kunstsprache«119 gebildet worden, von deren »hypertrophische(r) Ausbildung«120 Elkuß spricht. Aber er verkennt dabei nicht: »Jene Spekulationen werden ja für das Bewußtsein jedes Einzelnen durchaus eine reale Funktion besessen haben, und es entsteht die schwierige Aufgabe, den Inbegriff von Bedürfnis … und Erkenntnis zu entwickeln, den die romantische Schule in allen jenen Hieroglyphen von der Transzendentalpoesie bis zum magischen Idealismus zu besitzen meinte«.121 Groß ist in der Tat die Anzahl jener hieroglyphischen Ausdrücke; für einige von ihnen, wie den Begriff der Transzendentalpoesie und der Ironie, wird sich eine Erklärung im Laufe der Arbeit ergeben, andere, wie die Begriffe des Romantischen und der Arabeske, können hier nur ganz kurz, wieder andere, wie z. B. der der Philologie, gar nicht behandelt werden. Dagegen ist der romantische Begriff der Kritik selbst ein exemplarischer Fall mystischer Terminologie, und aus diesem Grunde ist denn auch diese Arbeit nicht Wiedergabe einer romantischen Theorie der Kunstkritik, sondern die Analysis ihres Begriffs. Diese kann hier noch nicht seinen Gehalt, sondern nur seine terminologischen Beziehungen treffen. Sie führen über die engere Bedeutung des Wortes Kritik als Kunstkritik hinaus, und es muß daher ein Blick auf die merkwürdige Verkettung fallen, durch welche der Begriff der Kritik zum esoterischen Hauptbegriff der Romantischen Schule, neben jenem Terminus, der ihr den Namen gibt, wurde.

Von allen philosophischen und ästhetischen Fachausdrücken dürften die Worte Kritik und kritisch in den Schriften der Frühromantiker leicht die häufigsten sein. »Du schaffst eine Kritik«,122 schreibt Novalis im Jahre 1796 seinem Freunde, als er ihm das höchste Lob zuteil werden lassen will, und zwei Jahre später spricht Schlegel es mit Selbstbewußtsein aus, daß er »aus den Tiefen der Kritik« begonnen habe. »Höherer Kritizismus«123 ist den Freunden eine geläufige Bezeichnung für all ihre theoretischen Bestrebungen. Durch Kants philosophisches Werk hatte der Begriff der Kritik für die jüngere Generation eine gleichsam magische Bedeutung erhalten; jedenfalls verband sich mit ihm ausgesprochenermaßen gerade nicht der Sinn einer bloß beurteilenden, nicht produktiven Geisteshaltung, sondern für die Romantiker und für die spekulative Philosophie bedeutete der Terminus kritisch: objektiv produktiv, schöpferisch aus Besonnenheit. Kritisch sein hieß die Erhebung des Denkens über alle Bindungen so weit treiben, daß gleichsam zauberisch aus der Einsicht in das Falsche der Bindungen die Erkenntnis der Wahrheit sich schwang. In dieser positiven Bedeutung gewinnt das kritische Verfahren die denkbar nächste Verwandtschaft mit dem reflektierenden, und in Aussprüchen wie dem folgenden gehen beide ineinander über: »In jeder Philosophie, die mit Beobachtung124 ihres eigenen Verfahrens, mit Kritik anfängt, hat der Anfang immer etwas Eigentümliches«.125 Dasselbe bedeutet es, wenn Schlegel vermutet: »Abstraktion, und besonders praktische, ist wohl am Ende nichts als Kritik«.126 Denn er las bei Fichte, daß »keine Abstraktion … ohne Reflexion und keine Reflexion ohne Abstraktion möglich«127 sei. So ist es endlich nicht einmal mehr unverständlich, wenn er zum Ärger seines Bruders, der das »wahre(n) Mystizismus«128 nennt, die Behauptung aufstellt, »jedes Fragment sei kritisch«, »kritisch und Fragmente wäre tautologisch«129. Denn ein Fragment – auch dies ein mystischer Terminus – ist für ihn, wie alles Geistige, ein Reflexionsmedium130. – Nicht so weit, als man meinen sollte, weicht diese positive Betonung des Kritikbegriffs vom Kantischen Sprachgebrauch ab. Kant, in dessen Terminologie gar nicht wenig mystischer Geist enthalten ist, hatte sie vorbereitet, indem er den beiden verworfenen Standpunkten des Dogmatismus und Skeptizismus nicht sowohl die wahre Metaphysik, in der sein System gipfeln sollte, als »Kritik«, in deren Namen es inauguriert wurde, entgegenhielt. Man darf also sagen, daß der Kritikbegriff bereits bei Kant doppelsinnig spielt, welcher Doppelsinn sich bei den Romantikern potenziert, weil sie durch das Wort Kritik zugleich auch auf Kants ganze historische Leistung und nicht nur auf seinen Begriff der Kritik Bezug nehmen. Endlich haben sie auch das unvermeidliche negative Moment dieses Begriffs zu bewahren und zu verwenden verstanden. Auf die Dauer konnten die Romantiker eine ungeheure Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der Leistung ihrer theoretischen Philosophie nicht übersehen. Da stellt sich wieder zur rechten Zeit das Wort Kritik ein. Denn es besagt, so hoch man die Geltung eines kritischen Werkes auch immer bewerte, daß es das Abschließende nicht sein kann. In diesem Sinne haben die Romantiker unter dem Namen der Kritik zugleich die unausweichliche Unzulänglichkeit ihrer Bemühungen eingestanden, als eine notwendige zu bezeichnen gesucht und so endlich in diesem Begriff auf die notwendige Unvollständigkeit der Unfehlbarkeit, wie man es bezeichnen kann, angespielt.

Eine besondere terminologische Beziehung ist schließlich für den Kritikbegriff auch in seiner engeren, kunsttheoretischen Bedeutung wenigstens vermutungsweise festzustellen. Erst mit den Romantikern setzte sich der Ausdruck Kunstkritiker gegenüber dem älteren Kunstrichter endgültig durch. Man vermied die Vorstellung eines zu Gericht-Sitzens über Kunstwerke, eines an geschriebene oder ungeschriebene Gesetze fixierten Urteilsspruches, man dachte dabei an Gottsched, wenn nicht etwa noch an Lessing und Winckelmann. Ebenso sehr aber fühlte man sich im Gegensatz zu den Theoremen des Sturmes und Dranges. Diese führten, zwar nicht durch zweiflerische Tendenzen, sondern durch schrankenlosen Glauben an das Recht der Genialität, zur Aufhebung aller festen Grundsätze und Kriterien der Beurteilung. Jene Richtung durfte man als eine dogmatische, diese in ihren Wirkungen als eine skeptische auffassen; da lag es überaus nahe, die Überwindung beider in der Kunsttheorie unter dem gleichen Namen zu vollziehen, unter dem Kant in der Erkenntnistheorie jenen Gegensatz geschlichtet hatte. Wenn man den Überblick liest, den Schlegel im Anfang des Aufsatzes »Ueber das Studium der Griechischen Poesie« über die Kunstrichtungen seiner Zeit gibt, so möchte man glauben, daß er der Analogie der kunsttheoretischen und der erkenntnistheoretischen Problemlage sich mehr oder weniger deutlich bewußt gewesen sei: »Hier empfahl sie131 durch den Stempel ihrer Autorität sanktionierte Werke als ewige Muster der Nachahmung: dort stellte sie absolute Originalität als den höchsten Maßstab alles Kunstwerts auf und bedeckte den entferntesten Verdacht der Nachahmung mit unendlicher Schmach. Strenge forderte sie in scholastischer Rüstung unbedingte Unterwerfung auch unter ihre willkürlichsten, offenbar törichten Gesetze; oder sie vergötterte in mystischen Orakelsprüchen das Genie, machte eine künstliche Gesetzlosigkeit zum ersten Grundsatz und verehrte mit stolzem Aberglauben Offenbarungen, die nicht selten sehr zweideutig waren«.132

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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