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~III. Die Idee der Kunst~

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Die romantische Kunsttheorie gipfelt im Begriff der Idee der Kunst, in dessen Analysis die Bestätigung aller übrigen Lehren und der Aufschluß über deren letzte Intentionen zu suchen ist. Weit entfernt, lediglich ein schematischer Beziehungspunkt der einzelnen Theoreme über die Kritik, das Werk, die Ironie usw. zu sein, ist dieser Begriff sachlich auf das bedeutendste ausgestaltet. Erst in ihm ist Das zu finden, was als innerste Eingebung die Romantiker in ihrem Denken über das Wesen der Kunst geleitet hat. Methodisch beruht die gesamte romantische Kunsttheorie auf der Bestimmung des absoluten Reflexionsmediums als Kunst, genauer gesagt als der Idee der Kunst. Da das Organ der künstlerischen Reflexion die Form ist, so ist die Idee der Kunst definiert als das Reflexionsmedium der Formen. In diesem hängen alle Darstellungsformen stetig zusammen, gehen in einander über und vereinigen sich zur absoluten Kunstform, welche mit der Idee der Kunst identisch ist. Die romantische Idee der Einheit der Kunst liegt also in der Idee eines Kontinuums der Formen. Beispielsweise würde also die Tragödie für den Schauenden kontinuierlich mit dem Sonett zusammenhängen. Ein Unterschied zwischen dem Kantischen Begriff der Urteilskraft und dem romantischen der Reflexion läßt sich in diesem Zusammenhang unschwer andeuten: die Reflexion ist nicht, wie die Urteilskraft, ein subjektiv reflektierendes Verhalten, sondern sie liegt in der Darstellungsform des Werkes eingeschlossen, entfaltet sich in der Kritik, um sich endlich im gesetzmäßigen Kontinuum der Formen zu erfüllen. – Im »Herkules Musagetes« heißt es mit Hindeutung auf jenen Unterschied, der in den Termini Darstellungsform und absolute Form oben bezeichnet wurde, vom Dichter: »Ihm wird jegliche Form … sein eigen, | Sinnreich kann er … | Höher die Formen verbinden zur Form in leichtem Gewebe«218. Jugendschriften II, 431. Ausführlicher wird es im 116. Athenäumsfragment als Bestimmung der romantischen Poesie bezeichnet, »alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen … Sie umfaßt alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang … Die romantische Dichtart ist die einzige, die mehr als Art und gleichsam die Dichtkunst selbst ist«. Klarer konnte das Kontinuum der Kunstformen kaum bezeichnet werden. Zugleich beabsichtigt Schlegel, dieser Kunsteinheit, indem er sie als die romantische Poesie oder Dichtart bezeichnet, die bestimmteste sachliche Charakteristik zukommen zu lassen. Diese romantische Dichtart hat er im Sinne, wenn er sagt: »Man hat schon soviele Theorien der Dichtarten. Warum hat man noch keinen Begriff von Dichtart? Vielleicht würde man sich dann mit einer einzigen Theorie der Dichtarten behelfen müssen«219. Die romantische Poesie ist also die Idee der Poesie selbst; sie ist das Kontinuum der Kunstformen. Schlegel hat sich aufs intensivste bemüht, die Bestimmtheit und Fülle, in der er diese Idee dachte, zum Ausdruck zu bringen. »Haben die Ideale für den Denker nicht soviel Individualität, wie die Götter des Altertums für den Künstler, so ist alle Beschäftigung mit Ideen nichts als ein langweiliges und mühsames Würfelspiel mit hohlen Formeln«220. Insbesondere: »Sinn für Poesie … hat der, für den sie ein Individuum ist«221. Und: »Gibt es nicht Individuen, die ganze Systeme von Individuen in sich enthalten?«222 Die Poesie wenigstens, als das Reflexionsmedium der Formen, muß ein solches Individuum sein. Man möchte bestimmt annehmen, daß Novalis an das Kunstwerk denkt, wenn er sagt: »Ein unendlich charakterisiertes Individuum ist Glied eines Infinitoriums«.223 Jedenfalls spricht er für Philosophie und Kunst das Prinzip eines Kontinuums der Ideen aus; die Ideen der Poesie sind nach romantischer Auffassung die Darstellungsformen. »Der Philosoph, der in seiner Philosophie alle einzelnen Philosopheme in ein einziges verwandeln, der aus allen Individuen derselben Ein Individuum machen kann, erreicht das Maximum in seiner Philosophie. Er erreicht das Maximum eines Philosophen, wenn er alle Philosophien in eine einzige Philosophie vereinigt … Der Philosoph und Künstler verfahren organisch, wenn ich so sagen darf … Ihr Prinzip, ihre Vereinigungsidee ist ein organischer Keim, der sich frei zu einer unbestimmte Individuen enthaltenden, unendlich individuellen, allbildsamen Gestalt entwickelt, ausbildet – eine ideenreiche Idee.«224 »Alles befaßt die Kunst und Wissenschaft, von einem aufs andere, und so von einem auf alles, rhapsodisch oder systematisch zu gelangen; die geistige Weisekunst, die Divinationskunst.«225 Diese Weisekunst ist selbstverständlich die Kritik, die von Friedrich Schlegel auch die »divinatorische«226 genannt wird.

Um die Individualität der Kunsteinheit zum Ausdruck zu bringen, hat Schlegel seine Begriffe überspannt und nach einer Paradoxie gegriffen. Anders war der Gedanke, das höchste Allgemeine als Individualität auszusprechen, unvollziehbar. Dieser Gedanke hat jedoch seinerseits zum letzten Motiv keineswegs eine Absurdität oder auch nur einen Irrtum; vielmehr hat Schlegel in ihm ein wertvolles und gültiges Motiv lediglich falsch interpretiert. Dies Motiv war das Bestreben, den Begriff der Idee der Kunst vor dem Mißverständnis zu bewahren, er sei eine Abstraktion aus den empirisch vorgefundenen Kunstwerken. Er wollte diesen Begriff als eine Idee im platonischen Sinn, als ein πρότερον τῇ φύσει, als den Realgrund aller empirischen Werke bestimmen, und er beging die alte Vermengung von abstrakt und allgemein, wenn er ihn darum zu einem individuellen machen zu müssen glaubte. Nur in dieser Absicht bezeichnet Schlegel wieder und wieder mit Nachdruck die Einheit der Kunst, das Kontinuum der Formen selber als ein Werk. Dieses unsichtbare Werk ist es, welches das sichtbare, von dem er an anderer Stelle spricht (s. o. p.86), in sich aufnimmt. Am Studium der griechischen Poesie war Schlegel diese Konzeption aufgegangen, von dort hatte er sie auf die Poesie überhaupt übertragen: »Der systematische Winckelmann, der alle Alten gleichsam wie einen Autor las, alles im ganzen sah und seine gesamte Kraft auf die Griechen konzentrierte, legte durch die Wahrnehmung der absoluten Verschiedenheit des Antiken und des Modernen den ersten Grund zu einer materialen Altertumslehre. Erst wenn der Standpunkt und die Bedingungen der absoluten Identität des Antiken und Modernen, die war, ist oder sein wird, gefunden ist, darf man sagen, daß wenigstens der Kontur der Wissenschaft227 fertig sei und nun an die methodische Ausführung gedacht werden könne«228. »Alle Gedichte des Altertums schließen sich eins an das andere, bis sich aus immer größern Massen und Gliedern das Ganze bildet … Und so ist es wahrlich kein leeres Bild zu sagen: die alte Poesie sei ein einziges unteilbares, vollendetes Gedicht. Warum sollte nicht wieder von neuem werden, was schon gewesen ist? Auf eine andere Weise versteht sich. Und warum nicht auf eine schönere, größere?«229 »Alle klassischen Gedichte der Alten hängen zusammen, unzertrennlich, bilden ein organisches Ganzes, sind richtig angesehen nur Ein Gedicht, das einzige, in welchem die Dichtkunst selbst vollkommen erscheint. Auf eine ähnliche Weise sollen in der vollkommenen Literatur alle Bücher nur Ein Buch sein«230. »So muß auch das Einzelne der Kunst, wenn es gründlich genommen wird, zum unermeßlichen Ganzen führen! Oder glaubt ihr in der Tat, daß wohl alles andere ein Gedicht und ein Werk sein könne, nur die Poesie selbst nicht?«231 Für die werdende Einheit der Poesie als des unsichtbaren Werkes ist die Ausgleichung und Versöhnung der Formen der sichtbare und maßgebende Vorgang. – Letzten Endes steht die mystische These, daß die Kunst selbst ein Werk sei, – Schlegel hat sie um 1800 besonders in den Vordergrund seiner Gedanken gerückt – in genauem Zusammenhang mit dem Satz, welcher die Unzerstörbarkeit der Werke behauptet, die in der Ironie geläutert sind. Beide Sätze erklären, daß Idee und Werk in der Kunst nicht absolute Gegensätze sind. Die Idee ist Werk und auch das Werk ist Idee, wenn es die Begrenztheit seiner Darstellungsform überwindet.232

Die Darstellung der Idee der Kunst im Gesamtwerk hat Schlegel zur Aufgabe der progressiven Universalpoesie gemacht; diese Bezeichnung der Poesie weist auf nichts anderes als jene Aufgabe hin. »Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie … Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.«233 Von ihr gilt: »… eine Idee läßt sich nicht in einen Satz fassen. Eine Idee ist eine unendliche Reihe von Sätzen, eine irrationale Größe, unsetzbar,234 inkommensurabel … Das Gesetz ihrer Fortschreitung läßt sich aber aufstellen«.235 – An den Begriff der progressiven Universalpoesie kann das modernisierende Mißverständnis sich besonders leicht heften, wenn sein Zusammenhang mit dem des Reflexionsmediums unbeachtet bleibt. Es würde darin bestehen, die unendliche Progression als eine bloße Funktion der unbestimmten Unendlichkeit der Aufgabe einerseits, der leeren Unendlichkeit der Zeit andrerseits, aufzufassen. Aber es ist schon darauf hingewiesen worden, wie sehr Schlegel um Bestimmtheit, um Individualität der Idee, welche der progressiven Universalpoesie die Aufgabe stellt, rang. Die Unendlichkeit der Progression darf also den Blick von der Bestimmtheit ihrer Aufgabe nicht ablenken, und wenn schon in dieser Bestimmtheit nicht eigentlich Schranken liegen, so könnte doch die Formulierung, daß es für »diese werdende Poesie … keine Schranken des Fortschritts, der Weiterentwicklung … gibt«,236 irreführen. Denn sie legt den Ton nicht auf das Wesentliche. Wesentlich ist vielmehr, daß die Aufgabe der progressiven Universalpoesie in einem Medium der Formen als dessen fortschreitend genauere Durchwaltung und Ordnung auf das bestimmteste gegeben ist. »… die Schönheit … ist … nicht bloß der leere Gedanke von etwas, was hervorgebracht werden soll, … sondern auch ein Faktum, nämlich ein ewiges transzendentales.«237 Dies ist sie als Kontinuum der Formen, als ein Medium, dessen Versinnlichung durch das Chaos als den Schauplatz ordnender Durchwaltung schon bei Novalis (s. o. p. 38) begegnet ist. Auch in der folgenden Bemerkung Schlegels ist das Chaos nichts anderes, als das Sinnbild des absoluten Mediums: »Aber die höchste Schönheit, ja die höchste Ordnung ist denn doch nur die des Chaos, nämlich eines solchen; welches nur auf die Berührung der Liebe wartet, um sich zu einer harmonischen Welt zu entfalten …«.238 Also nicht um ein Fortschreiten ins Leere, um ein vages Immer-besser-dichten, sondern um stetig umfassendere Entfaltung und Steigerung der poetischen Formen handelt es sich. Die zeitliche Unendlichkeit, in der dieser Prozeß stattfindet, ist ebenfalls eine mediale und qualitative.239 Daher ist die Progredibilität durchaus nicht das, was unter dem modernen Ausdruck »Fortschritt« verstanden wird, nicht ein gewisses nur relatives Verhältnis der Kulturstufen zu einander. Sie ist, wie das ganze Leben der Menschheit, ein unendlicher Erfüllungs-, kein bloßer Werdeprozeß. Wenn trotzdem nicht zu leugnen ist, daß in diesen Gedanken der romantische Messianismus nicht in seiner vollen Kraft wirkt, so sind sie doch kein Widerspruch gegen Schlegels prinzipielle Stellung zur Ideologie des Fortschritts, die er in der »Lucinde« ausgesprochen hat: »Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im Stillen von selbst wächst und sich bildet, nährenden Saft oder Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart«240.

Der vielumstrittene Begriff der Transzendentalpoesie ist in diesem Zusammenhange unschwer, dennoch genau, zu erklären. Er ist, wie der der progressiven Universalpoesie, eine Bestimmung der Idee der Kunst. Stellt dieser in begrifflicher Konzentration deren Beziehung zur Zeit dar, so verweist der Begriff der Transzendentalpoesie zurück auf das systematische Zentrum, aus dem die romantische Kunstphilosophie hervorgegangen ist. Er stellt also die romantische Poesie als die absolute poetische Reflexion dar; die Transzendentalpoesie ist in der Gedankenwelt Friedrich Schlegels zur Athenäumszeit genau das, was der Begriff des Ur-Ich in den Windischmannschen Vorlesungen ist. Um das zu beweisen, hat man nur den Zusammenhängen, in denen der Begriff des Transzendentalen bei Schlegel und Novalis steht, genau nachzugehen. Man findet, daß sie überall auf den Begriff der Reflexion führen. So sagt Schlegel über den Humor: »sein eigentliches Wesen ist Reflexion. Daher seine Verwandtschaft mit … allem, was transzendental ist«241. »Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemächtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein«242, d. h. sich reflektierend zu verhalten. Die Reflexion transzendiert die jeweilige geistige Stufe, um auf die höhere überzugehen. Daher sagt Novalis mit Beziehung auf den Reflexionsakt in der Selbstdurchdringung: »Jene Stelle außer der Welt ist gegeben, und Archimedes kann nun sein Versprechen erfüllen«243. Der Ursprung der höheren Dichtung aus der Reflexion findet sich im folgenden Fragment angedeutet: »Es gibt gewisse Dichtungen in uns, die einen ganz anderen Charakter als die übrigen zu haben scheinen, denn sie sind vom Gefühle der Notwendigkeit begleitet, und doch ist schlechterdings kein äußerer Grund zu ihnen vorhanden. Es dünkt dem Menschen, als sei er in einem Gespräch begriffen und irgend ein unbekanntes geistiges Wesen veranlasse ihn auf eine wunderbare Weise zur Entwicklung der evidentesten Gedanken. Dieses Wesen muß ein höheres Wesen sein, weil es sich mit ihm auf eine Art in Beziehung setzt, die keinem an Erscheinungen gebundenen Wesen möglich ist. Es muß ein homogenes Wesen sein, weil es ihn wie ein geistiges Wesen behandelt und ihn nur zur seltensten Selbsttätigkeit auffordert. Dieses Ich höherer Art verhält sich zum Menschen wie der Mensch zur Natur oder der Weise zum Kinde«244. Die Dichtungen, welche aus der Tätigkeit des höheren Ich entspringen, sind die Glieder der Transzendentalpoesie, deren Charakteristik sich mit der im absoluten Werk ausgeprägten Idee der Kunst deckt. »Die bisherigen Poesien wirken meistenteils dynamisch, die künftige transzendentale Poesie könnte man die organische heißen. Wenn sie erfunden ist, so wird man sehen, daß alle echten Dichter bisher, ohne ihr Wissen, organisch poetisierten – daß aber dieser Mangel an Bewußtsein … einen wesentlichen Einfluß auf das Ganze ihrer Werke hatte – so daß sie größtenteils nur im einzelnen echt poetisch, im ganzen aber gewöhnlich unpoetisch waren.«245 Die Poesie des ganzen Werkes ist eben nach Novalis’ Ansicht von der Erkenntnis des Wesens der absoluten Kunsteinheit abhängig. – Die Einsicht in diese klare und einfache Bedeutung des Terminus »Transzendentalpoesie« ist durch einen besonderen Umstand außerordentlich erschwert worden. In demjenigen Fragment nämlich, das nach seinem Grundgedanken durchaus als der Hauptbeleg für den erörterten Ideengang anzusehen ist, hat Schlegel den fraglichen Ausdruck anders definiert246 und ihn von einem Terminus, mit dem er nach seinem eigenen und Novalis’ Sprachgebrauch gleichbedeutend sein muß, unterschieden. »Transzendentalpoesie« bedeutet in der Tat bei Novalis – und sollte es sinngemäß auch bei Schlegel – die absolute Reflexion der Poesie, welche Schlegel in dem fraglichen Fragment als »Poesie der Poesie« von ihr unterscheidet: »Es gibt eine Poesie, deren Eins und Alles das Verhältnis des Idealen und des Realen ist, und die also nach der Analogie der philosophischen Kunstsprache Transzendentalpoesie heißen müßte … So wie man aber wenig Wert auf eine Transzendentalphilosophie legen würde, die nicht kritisch wäre, nicht auch das Produzierende mit dem Produkt darstellte, und im System der transzendentalen Gedanken zugleich eine Charakteristik des transzendentalen Denkens enthielte, so sollte wohl auch jene Poesie die in modernen Dichtern nicht seltnen transzendentalen Materialien und Vorübungen zu einer poetischen Theorie des Dichtungsvermögens mit der künstlerischen Reflexion und schönen Selbstbespiegelung … vereinigen und in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen und überall zugleich Poesie und Poesie der Poesie sein«.247 Die ganze Schwierigkeit, die der Begriff der Transzendentalpoesie der Darstellung romantischer Philosophie bereitet, die Unklarheit, mit der er behaftet erschien, rührt daher, daß im obigen Fragment dieser Ausdruck nicht mit Hinsicht auf das reflexive Moment in der Poesie, sondern mit Hinblick auf die ältere Fragestellung Schlegels nach dem Verhältnis der griechischen zur modernen Poesie gebraucht wird. Da die griechische als real, die moderne als ideal248 von Schlegel bezeichnet wurde, so prägt er, mit mystizistischer Anspielung auf den ganz andersartigen philosophischen Streit zwischen metaphysischem Idealismus und Realismus und dessen Lösung durch die transzendentale Methode bei Kant, den Terminus »Transzendentalpoesie«. Im letzten Grunde kommt hier allerdings dennoch Schlegels Sprachgebrauch mit dem, was Novalis Transzendentalpoesie und er selbst Poesie der Poesie nennt, überein. Denn die Reflexion, welche in den beiden letzten Bezeichnungen gemeint ist, ist eben die Methode der Lösung für die »transzendentale« ästhetische Aporie Schlegels. Durch die Reflexion im Kunstwerk selbst wird, wie ausgeführt wurde, seine strenge formale Geschlossenheit (griechischer Typus), welcher relativ bleibt, einerseits gebildet, andererseits aber aus ihrer Relativität erlöst und ins Absolutum der Kunst durch Kritik und Ironie erhoben (moderner Typus).249 – Die »Poesie der Poesie« ist der zusammenfassende Ausdruck der reflexiven Natur des Absoluten. Sie ist die ihrer selbst bewußte Poesie, und da Bewußtsein nach der frühromantischen Lehre nur eine gesteigerte geistige Form dessen ist, wovon es Bewußtsein ist, so ist Bewußtsein der Poesie selbst Poesie. Es ist Poesie der Poesie. Die höhere Poesie »ist selbst Natur und Leben …; aber sie ist die Natur der Natur, das Leben des Lebens, der Mensch im Menschen; und ich denke, dieser Unterschied ist für den, der ihn überhaupt wahrnimmt, wahrlich bestimmt und entschieden genug«250. Diese Formeln sind nicht rhetorische Steigerungen, sondern Bezeichnungen der reflexiven Natur der Transzendentalpoesie. »Ich vermute, daß sich auch über Shakespeare über kurz oder lang in Dir die Kunst in der Kunst spiegeln wird«251, schreibt Friedrich Schlegel an seinen Bruder.

Das Organ der Transzendentalpoesie als diejenige Form, welche im Absolutum nach dem Zerfall der profanen Formen überdauert, bezeichnet Schlegel als die symbolische Form. In dem literarischen Rückblick, mit welchem er 1803 die »Europa« eröffnet, sagt er von den Heften des »Athenäums«: »Im Anfange derselben ist Kritik und Universalität der vorwaltende Zweck, in den späteren Teilen ist der Geist des Mystizismus das Wesentlichste. Man scheue dieses Wort nicht;252 es bezeichnet die Verkündigung der Mysterien der Kunst und Wissenschaft, die ihren Namen ohne solche Mysterien nicht verdienen würden; vor allem aber die kräftige Verteidigung der symbolischen Formen und ihrer Notwendigkeit gegen den profanen Sinn«253. Der Ausdruck »symbolische Form« deutet auf zweierlei: er bezeichnet erstens die Beziehung auf die verschiedenen Deckbegriffe des poetischen Absolutums, vor allem auf die Mythologie. Die Arabeske beispielsweise ist eine symbolische Form, die auf einen mythologischen Inhalt deutet. In diesem Sinne gehört die symbolische Form nicht in diesen Zusammenhang. Zweitens ist sie die Ausprägung des reinen poetischen Absolutums in der Form. So wird Lessing von Schlegel verehrt, »wegen der symbolischen Form seiner Werke … wegen dieser … gehören … seine Werke in das Gebiet der höheren Kunst, da eben sie … das einzige entscheidende Merkmal derselben ist«254. Nichts anderes als die symbolische Form ist unter dem allgemeinen Ausdruck »Symbol« verstanden, wenn Schlegel von der höchsten Aufgabe der Poesie sagt, sie sei »schon oft erreicht worden, durch dasselbe, wodurch überall der Schein des Endlichen mit der Wahrheit des Ewigen in Beziehung gesetzt und eben dadurch in sie aufgelöst wird: … durch Symbole, durch die an die Stelle der Täuschung die Bedeutung tritt, das einzige Wirkliche im Dasein«255. Diese Bedeutung, d. h. die Beziehung auf die Idee der Kunst verleiht die symbolische Form den transzendentalpoetischen Werken durch die Reflexion. Die »symbolische Form« ist die Formel, unter der die Tragweite der Reflexion für das Kunstwerk zusammengefaßt wird. »Die Ironie und Reflexion sind die Grundeigenschaften der symbolischen Form der romantischen Dichtung«256 – da aber die Reflexion auch der Ironie zugrunde liegt und also im Kunstwerk mit der symbolischen Form völlig identisch ist, müßte es genauer heißen: Die Grundeigenschaften der symbolischen Form bestehen einerseits in solcher Reinheit der Darstellungsform, daß diese zum bloßen Ausdruck der Selbstbegrenzung der Reflexion geläutert und von den profanen Darstellungsformen257 unterschieden wird, andererseits in der (formalen) Ironie, in der sich die Reflexion ins Absolute erhebt. Die Kunstkritik stellt diese symbolische Form in ihrer Reinheit dar; sie löst sie von allen wesensfremden Momenten, an die sie im Werk gebunden sein mag, ab und endigt mit der Auflösung des Werkes. Daß trotz aller begrifflichen Prägungen es im Rahmen der romantischen Theorien niemals zu völliger Klarheit in der Unterscheidung von profaner und symbolischer Form, von symbolischer Form und Kritik kommen kann, drängt sich der Betrachtung auf. Nur um den Preis solcher unscharfen Abgrenzungen können alle Begriffe der Kunsttheorie, wie die Romantiker es zuletzt erstrebten, in den Bereich des Absolutums einbezogen werden.

Unter allen Darstellungsformen gibt es eine, in welcher die Romantiker die reflexive Selbstbegrenzung sowohl, als auch Selbsterweiterung aufs entschiedenste ausgebildet und auf diesem Gipfel unterschiedslos in einander übergehend finden. Diese höchst symbolische Form ist der Roman. Was vorerst an dieser Form in die Augen fällt, ist ihre äußerliche Ungebundenheit und Regellosigkeit. Der Roman kann in der Tat beliebig über sich reflektieren, in immer neuen Betrachtungen jede gegebene Bewußtseinsstufe von einem höheren Standort zurückspiegeln. Daß er aus der Natur seiner Form dies erreicht, was anderen nur durch den Gewaltstreich der Ironie möglich ist, neutralisiert in ihm die Ironie. Aber eben weil der Roman niemals seine Form überschreitet, kann jede seiner Reflexionen andererseits wieder als durch sich selbst begrenzt angesehen werden, denn keine regelartige Darstellungsform ist es, welche sie eingrenzt. Dies neutralisiert in ihm die Darstellungsform, die allein in ihrer Reinheit, nicht in ihrer Strenge in ihm waltet. Während jene äußerliche Ungebundenheit, da sie auf der Hand liegt, keiner Betonung bedurfte, ist die Gesetztheit und reine Sammlung in der Romanform wieder und wieder von den Romantikern betont worden. Daß »der Geist der Betrachtung und der Rückkehr in sich selbst … eine gemeinsame Eigentümlichkeit aller sehr geistigen Poesie« sei258, spricht Schlegel bei Gelegenheit der Meisterrezension aus. Die geistigste Poesie ist der Roman; sein retardierender Charakter ist der Ausdruck der ihm eigenen Reflexion: »Durch seine retardierende Natur kann das Stück dem Roman, der sein Wesen eben darin setzt, … verwandt scheinen«259, heißt es an der gleichen Stelle vom »Hamlet«. Novalis: »Die retardierende Natur des Romans260 zeigt sich vorzüglich im Stil«261. Aus der Erwägung heraus, daß die reflexiv in sich geschlossenen Komplexe den Roman bilden, sagt er: »Die Schreibart des Romans muß kein Kontinuum, es muß ein in jedem Perioden gegliederter Bau sein. Jedes kleine Stück muß etwas Abgeschnittenes, Begrenztes, ein eigenes Ganze sein«262. Gerade diese Schreibart rühmt Schlegel am »Wilhelm Meister«: »Durch … die Verschiedenheit der einzelnen Massen … wird jeder notwendige Teil des einen und unteilbaren Romans ein System für sich«263. Die Darstellung der Reflexion gilt Schlegel für die höchste Legitimation der Goetheschen Meisterschaft in diesem Roman: »Die Darstellung einer sich wie ins Unendliche immer wieder selbst anschauenden Natur war der schönste Beweis, den ein Künstler von der unergründlichen Tiefe seines Vermögens geben konnte«264. Der Roman ist die höchste unter allen symbolischen Formen, die romantische Poesie die Idee der Poesie selbst. – Die Zweideutigkeit, welche in der Bezeichnung »romantisch« liegt, hat Schlegel sicherlich gern in Kauf genommen, wenn nicht aufgesucht. Bekanntlich bedeutet »romantisch« im damaligen Sprachgebrauch »ritterlich«, »mittelalterlich«, und hinter dieser Bedeutung hat Schlegel, wie er es liebte, seine eigentliche Meinung, die man aus der Etymologie des Wortes lesen muß, versteckt. Man hat also, wie Haym, den Ausdruck »romantisch« in seiner wesentlichen Bedeutung durchaus als »romangemäß« zu verstehen. Dieser sagt, Schlegel vertrete die Lehre, »daß der echte Roman ein Non plus ultra, eine Summe alles Poetischen sei, und er bezeichnet folgerecht dieses poetische Ideal mit dem Namen der ›romantischen‹ Dichtung«.265 Als diese Summe alles Poetischen, wie die Schlegelsche Kunsttheorie es verstand, ist der Roman also eine Bezeichnung des poetischen Absolutums: »Eine Philosophie des Romans … wäre der Schlußstein«266 einer Philosophie der Poesie überhaupt. Oft wird es betont, daß der Roman nicht eine Gattung neben anderen, die romantische Dichtart nicht eine unter vielen, sondern daß sie Ideen sind. Dieses »Buch … nach einem aus Gewohnheit und Glauben, aus zufälligen Erfahrungen und willkürlichen Forderungen zusammengesetzten und entstandenen Gattungsbegriff beurteilen: das ist, als wenn ein Kind Mond und Gestirne mit der Hand greifen und in sein Schächtelchen packen will«,267 heißt es vom »Wilhelm Meister«.

Die Frühromantik hat den Roman nicht allein als die höchste Form der Reflexion in der Poesie ihrer Kunsttheorie eingeordnet, sondern in ihm deren außerordentliche transzendente Bestätigung gefunden, indem sie ihn in eine weitere unmittelbare Beziehung zu ihrer Grundkonzeption der Idee der Kunst setzte. Nach dieser ist die Kunst das Kontinuum der Formen, und der Roman ist nach der Auffassung der Frühromantiker die faßbare Erscheinung dieses Kontinuums. Er ist dies durch die Prosa. Die Idee der Poesie hat ihre Individualität, nach der Schlegel suchte, in der Gestalt der Prosa gefunden; die Frühromantiker kennen keine tiefere und treffendere Bestimmung für sie, als Prosa. In dieser scheinbar paradoxen, in Wahrheit aber sehr tiefsinnigen Anschauung finden sie einen völlig neuen Grund der Kunstphilosophie. Auf diesem Grunde beruht, wie die gesamte Kunstphilosophie der Frühromantik, so besonders ihr Begriff der Kritik, um dessentwillen die Untersuchung über scheinbare Abwege bis hierher geführt werden mußte. – Die Idee der Poesie ist die Prosa. Dies ist die abschließende Bestimmung der Idee der Kunst, auch der eigentliche Sinn der Romantheorie, die erst so in ihrer tiefen Absicht verstanden und von der ausschließlich empirischen Beziehung auf den »Wilhelm Meister« abgelöst wird. Was die Romantiker unter der Prosa als der Idee der Poesie verstanden haben, ist aus folgender Stelle des Briefes zu entnehmen, den Novalis am 12. Januar 1798 an A. W. Schlegel richtete: »Wenn die Poesie sich erweitern will, so kann sie es nur, indem sie sich beschränkt; indem sie sich zusammenzieht, ihren Feuerstoff gleichsam fahren läßt und gerinnt. Sie erhält einen prosaischen Schein, ihre Bestandteile stehen in keiner so innigen Gemeinschaft – mithin nicht unter so strengen rhythmischen Gesetzen – sie wird fähiger zur Darstellung des Beschränkten. Aber sie bleibt Poesie – mithin den wesentlichen Gesetzen ihrer Natur getreu; sie wird gleichsam ein organisches Wesen, dessen ganzer Bau seine Entstehung aus dem Flüssigen, seine ursprünglich elastische Natur, seine Unbeschränktheit, seine Allfähigkeit verrät. Nur die Mischung ihrer Glieder ist regellos, die Ordnung derselben, ihr Verhältnis zum Ganzen ist noch dasselbe. Ein jeder Reiz verbreitet sich darin nach allen Seiten. Auch hier bewegen sich nur die Glieder um das ewig ruhende, eine Ganze … Je einfacher, gleichförmiger, ruhiger auch hier die Bewegungen der Sätze, je übereinstimmender ihre Mischungen im Ganzen sind, je lockerer der Zusammenhang, je durchsichtiger und farbloser der Ausdruck – desto vollkommener diese im Gegensatz zu der geschmückten Prosa268 – nachlässige, von den Gegenständen abhängig scheinende Poesie. – Die Poesie scheint von der Strenge ihrer Forderungen hier nachzulassen, williger und gefügiger zu werden. Aber dem, der den Versuch mit der Poesie in dieser Form wagt, wird es bald offenbar werden, wie schwer sie in dieser Gestalt vollkommen zu realisieren ist. Diese erweiterte Poesie ist gerade das höchste Problem des poetischen Dichters – ein Problem, was nur durch Annäherung gelöst werden kann und was zu der höheren Poesie eigentlich gehört … Hier ist noch ein unermeßliches Feld, ein im eigentlichsten Sinne unendliches Gebiet. Man könnte jene höhere Poesie die Poesie des Unendlichen nennen«.269 Das Reflexionsmedium der poetischen Formen erscheint in der Prosa, darum darf sie die Idee der Poesie genannt werden. Sie ist der schöpferische Boden der dichterischen Formen, diese alle sind in ihr vermittelt und aufgelöst als in ihren kanonischen Schöpfungsgrund. In der Prosa gehen sämtliche gebundene Rhythmen in einander über, sie verbinden sich zu einer neuen Einheit, der prosaischen, welche bei Novalis der »romantische Rhythmus«270 ist.271 – »Die Poesie ist die Prosa unter den Künsten.«272 Erst unter diesem Gesichtspunkt läßt die Romantheorie sich in ihrer tiefsten Absicht verstehen und von der empirischen Beziehung auf den »Wilhelm Meister« ablösen. Weil die Einheit der ganzen Poesie als eines Werkes ein Gedicht in Prosa darstellt, ist der Roman die höchste poetische Form. Vermutlich ist es in Anspielung auf die vereinende Funktion der Prosa gemeint, wenn Novalis sagt: »Sollte nicht der Roman alle Gattungen des Stils in einer durch den gemeinsamen Geist verschiedentlich gebundenen Folge begreifen?«273 Friedrich Schlegel hat das prosaische Element weniger rein erfaßt, wenn auch nicht weniger tief intentioniert als Novalis. Er hat daher in seinem Romanmuster »Lucinde« die Mannigfaltigkeit der Formen, in deren Vereinigung die Aufgabe besteht, mitunter vielleicht noch mehr kultiviert als das rein Prosaische, das sie erfüllt. In den zweiten Teil des Romans wollte er viele Gedichte einfügen. Aber beide Tendenzen, die Mannigfaltigkeit der Formen und das Prosaische, haben den Gegensatz gegen die begrenzte Form und die Aspiration aufs Transzendentale gemein. Nur wird dies stellenweise weniger durch Friedrich Schlegels Prosa dargestellt, als in ihr postuliert. Auch in Schlegels Theorie des Romans steht der Gedanke der Prosa, obgleich er zweifellos ihren eigentlichen Geist bestimmt, nicht klar im Mittelpunkt. Er hat ihn mit der Lehre von der Poetisierung des Stoffes kompliziert.274

Die Konzeption der Idee der Poesie als der Prosa bestimmt die ganze romantische Kunstphilosophie. Aus dieser Bestimmtheit heraus ist sie historisch folgenreich gewesen. Sie hat sich nicht nur mit dem Geiste der modernen Kritik verbreitet, ohne in ihren Voraussetzungen und ihrem eigentlichen Wesen agnosziert worden zu sein, sondern sie ist auch in mehr oder weniger ausgeprägter Gestalt in die philosophischen Grundlagen späterer Kunstschulen eingegangen, wie der ausgehenden französischen Romantik, der deutschen Neuromantik. Vor allem aber stiftet diese philosophische Grundkonzeption eine eigentümliche Beziehung innerhalb eines weiteren romantischen Kreises selbst, dessen Gemeinschaftliches ebenso wie das der engeren Schule, wie man allgemein zugibt, unauffindbar bleibt, solange es nur in der Dichtung und nicht ebensosehr in der Philosophie gesucht wird. Unter jenem Gesichtspunkt rückt in diesen weiteren Kreis, um nicht zu sagen in seine Mitte, ein Geist, der durch seine bloße Einschätzung als Dichter im modernen Sinne des Wortes (so hoch dieser auch gegriffen werden muß) nicht erfaßt werden kann, und dessen ideengeschichtliches Verhältnis zur romantischen Schule im Unklaren verharrt, wenn seine besondere philosophische Einheit mit ihr unbeachtet bleibt. Dieser Geist ist Hölderlin, und die These, welche seine philosophische Beziehung zu den Romantikern stiftet, ist der Satz von der Nüchternheit der Kunst. Dieser Satz ist der im wesentlichen durchaus neue und noch unabsehbar fortwirkende Grundgedanke der romantischen Kunstphilosophie, die vielleicht größte Epoche in der abendländischen Philosophie der Kunst wird durch ihn bezeichnet. Wie er mit dem methodischen Verfahren jener Philosophie, der Reflexion, zusammenhängt, liegt auf der Hand. Das Prosaische, in dem die Reflexion als Prinzip der Kunst sich zuhöchst ausprägt, ist ja im Sprachgebrauch geradezu eine metaphorische Bezeichnung des Nüchternen. Als ein denkendes und besonnenes Verhalten ist die Reflexion das Gegenteil der Ekstase, der μανία des Platon. Wie bei den Frühromantikern gelegentlich das Licht als Symbol des Reflexionsmediums, der unendlichen Besinnung auftritt (s. o. p. 37), so sagt auch Hölderlin:

Wo bist du, Nachdenkliches! das immer muß

Zur Seite gehn, zu Zeiten, wo bist du, Licht?275

»Besonnenheit ist die frühste Muse des nach Bildung strebenden Menschen«,276 sagt sogar der unphilosophische A. W. Schlegel, und Novalis nennt das einen treffenden »Lichtstrahl auf die frühste Poesie«.277 In einem sehr eigentümlichen, schönen Bilde spricht er die nüchterne Natur der Reflexion aus: »Ist nicht die Reflexion auf sich selbst … konsonierender Natur?278 … Gesang nach innen: Innenwelt. Rede-Prosa-Kritik«.279 Der ganze Zusammenhang der romantischen Kunstphilosophie auf ihrer höchsten Stufe, wie er zum Teil noch zu entwickeln bleibt, ist in diesen Worten schematisch angedeutet.

Die »heilignüchterne«280 Poesie hat Hölderlin in seinen spätern Schriften in einer Fülle der tiefsinnigsten Gedanken zu erkennen gesucht. Hier soll nur eine hervorragende Stelle angeführt werden, um das Verständnis der weniger klaren, aber gleichstrebenden Sätze von Friedrich Schlegel und Novalis vorzubereiten: »Es wird gut sein, um den Dichtern, auch bei uns, eine bürgerliche Existenz zu sichern, wenn man die Poesie, auch bei uns, den Unterschied der Zeiten und Verfassungen abgerechnet, zur μηχανή der Alten erhebt. – Auch andern Kunstwerken fehlt, mit den griechischen verglichen, die Zuverlässigkeit; wenigstens sind sie bis jetzt mehr nach Eindrücken beurteilt worden, die sie machen, als nach ihrem gesetzlichen Kalkül und sonstiger Verfahrungsart, wodurch das Schöne hervorgebracht wird. Der modernen Poesie fehlt es aber besonders an der Schule und am Handwerksmäßigen, daß nämlich ihre Verfahrungsart berechnet und gelehrt, und wenn sie gelernt ist, in der Ausübung immer zuverlässig wiederholt werden kann. Man hat, unter Menschen, bei jedem Dinge, vor allem darauf zu sehen, daß es Etwas ist, d. h. daß es in dem Mittel (moyen) seiner Erscheinung erkennbar ist, daß die Art, wie es bedingt ist, bestimmt und gelehret werden kann. Deswegen und aus höheren Gründen bedarf die Poesie besonders sicherer und charakteristischer Prinzipien und Schranken. – Dahin gehört einmal eben jener gesetzliche Kalkül«.281 Novalis: »Echte Kunstpoesie ist bezahlbar«.282 »Kunst … ist mechanisch«.283 »Der Sitz der eigentlichen Kunst ist lediglich im Verstande.«284 »Die Natur zeugt, der Geist macht. Il est beaucoup plus commode d’être fait que de se faire lui(sic!)-même.«285 Die Art dieses Machens ist also die Reflexion. Das Zeugnis dieser bewußten Tätigkeit im Werk sind vor allem die »geheimen Absichten, … deren wir beim Genius … nie zu viele voraussetzen können«,286 wie Schlegel sagt. »… absichtliche … Nebenausbildung des … Kleinsten«287 ist Zeugnis dichterischer Meisterschaft. Radikal – eine gewisse Unklarheit ist der Grund dieses Radikalismus – heißt es im Athenäum: »Man glaubt Autoren oft durch Vergleichungen mit dem Fabrikwesen zu schmähen. Aber soll der wahre Autor nicht auch Fabrikant sein? Soll er nicht sein ganzes Leben dem Geschäft widmen, literarische Materie in Formen zu bilden, die auf eine große Art zweckmäßig und nützlich sind?«288 »Solange der Künstler … begeistert ist, befindet er sich für die Mitteilung wenigstens in einem illiberalen Zustande.«289 – An die gemachten, mit prosaischem Geiste erfüllten Werke dachten die Romantiker, wenn sie den Satz von der Unzerstörbarkeit der echten Kunstgebilde aussprachen. Was am Strahl der Ironie zerfällt, ist allein die Illusion, unzerstörbar bleibt aber der Kern des Werkes, weil es nicht in der Ekstase beruht, die zersetzt werden kann, sondern in der unantastbaren nüchternen prosaischen Gestalt. Durch die mechanische Vernunft ist auch noch im Unendlichen – im Grenzwert der begrenzten Formen – nüchtern das Werk konstituiert. Für diese mystische Konstitution des Werkes jenseits der eingeschränkten und in der Erscheinung schönen (im engern Sinn poetischen) Formen ist der Roman der Prototyp. Der Bruch dieser Theorie mit hergebrachten Anschauungen vom Wesen der Kunst manifestiert sich endlich in der Stelle, die sie jenen »schönen« Formen, die sie der Schönheit überhaupt einräumt. Es wurde schon ausgeführt, daß die Form nicht mehr Ausdruck der Schönheit, sondern der Kunst als der Idee selbst ist. Letzten Endes muß der Begriff der Schönheit aus der romantischen Kunstphilosophie überhaupt weichen, nicht nur, weil er nach der rationalistischen Auffassung mit dem der Regel kompliziert war, sondern vor allem, weil die Schönheit als ein Gegenstand des »Vergnügens«, des Wohlgefallens, des Geschmacks, nicht zu vereinigen schien mit der strengen Nüchternheit, die nach der neuen Auffassung das Wesen der Kunst bestimmte. »Eine eigentliche Kunstlehre der Poesie würde mit der absoluten Verschiedenheit, der ewig unauflöslichen Trennung der Kunst und der rohen Schönheit anfangen290 … Flüchtigen Dilettanten ohne Enthusiasmus und ohne Belesenheit … müßte eine solche Poetik vorkommen, wie einem Kinde, das bildern wollte, ein trigonometrisches Buch.«291 »Die höchsten Kunstwerke sind schlechthin ungefällig; es sind Ideale, die nur approximando gefallen können und sollen, ästhetische Imperative.«292 Die Lehre, nach welcher die Kunst und ihre Werke essentiell weder Erscheinungen der Schönheit noch Manifestationen unvermittelter begeisterter Erregung, sondern ein in sich ruhendes Medium der Formen sind, ist seit der Romantik wenigstens im Geiste der Kunstentwicklung selbst nicht mehr in Vergessenheit geraten. Wollte man die Kunsttheorie eines so eminent bewußten Meisters wie Flaubert, die der Parnassiens oder diejenige des Georgeschen Kreises auf ihre Grundsätze bringen, man würde die hier dargelegten unter ihnen finden. Diese Grundsätze waren hier zu formulieren, ihr Ursprung in der Philosophie der deutschen Frühromantik war nachzuweisen. Sie sind dem Geist dieser Epoche so sehr eigen, daß Kircher mit Recht erklären konnte: »Diese Romantiker wollten gerade das ›Romantische‹ von sich abhalten – wie man es damals und heute versteht«.293 »Ich fange an, das Nüchterne, aber echt Fortschreitende, Weiterbringende zu lieben«,294 schreibt Novalis 1799 an Caroline Schlegel. Auch hierfür gibt Friedrich Schlegel die extremste Formulierung: »Das ist der eigentliche Punkt, daß wir uns wegen des Höchsten nicht so ganz allein auf unser Gemüt verlassen«.295

Es erübrigt, die Erklärung des romantischen Begriffs der Kunstkritik auf Grund der obigen Ausführungen abzuschließen. Nicht mehr um seine methodische Struktur handelt es sich, welche dargestellt ist, sondern lediglich um seine letzte inhaltliche Bestimmung. Von ihr ist schon gesagt worden, daß die Aufgabe der Kritik die Vollendung des Werkes ist. Einen informatorischen oder pädagogischen Zweck weist Schlegel weit zurück: »Der Zweck der Kritik, sagt man, sei Leser zu bilden! – Wer gebildet sein will, mag sich doch selbst bilden. Dies ist unhöflich: es steht aber nicht zu ändern«296. Ebensowenig ist die Kritik, wie erwiesen wurde, essentiell eine Beurteilung, eine Meinungsäußerung über ein Werk. Sie ist vielmehr ein Gebilde, das zwar in seinem Entstehen vom Werk veranlaßt, in seinem Bestehen jedoch unabhängig von ihm ist. Als ein solches kann sie vom Kunstwerk nicht prinzipiell unterschieden werden. Das 116. Athenäumsfragment, das die Synthese an allen Begriffen vornimmt, sagt: »Die romantische Poesie … will und soll auch … Genialität und Kritik … verschmelzen«. Auf dasselbe Prinzip führt auch eine andere Äußerung im Athenäum: »Eine sogenannte Recherche ist ein historisches Experiment. Der Gegenstand und das Resultat derselben ist ein Faktum. Was ein Faktum sein soll, muß strenge Individualität haben, zugleich ein Geheimnis und ein Experiment sein, nämlich ein Experiment der bildenden Natur«.297 Neu ist in diesem Zusammenhange allein der Begriff des Faktums. Dieser findet sich im »Gespräch über die Poesie« wieder. »Ein wahres Kunsturteil, … eine ausgebildete, durchaus fertige Ansicht eines Werks ist immer ein kritisches Faktum, wenn ich so sagen darf. Aber auch nur ein Faktum, und eben darum ist’s leere Arbeit, es motivieren zu wollen, es müßte denn das Motiv selbst ein neues Faktum oder eine nähere Bestimmung des ersten enthalten.«298 Durch den Begriff des Faktums soll die Kritik aufs schärfste von der Beurteilung – als bloßer Meinung – unterschieden werden. Jene bedarf keiner Motivierung, so wenig wie ein Experiment, welches sie ja auch in der Tat am Kunstwerk vornimmt, indem sie seine Reflexion entfaltet. Eine unmotivierte Beurteilung freilich wäre eine Ungereimtheit. – Die theoretische Überzeugung von der höchsten Positivität aller Kritik hat die positiven Leistungen der romantischen Kritiker getragen. Sie haben nicht sowohl einen Kleinkrieg gegen das Schlechte,299 als die Vollendung des Guten und durch sie die Annihilierung des Nichtigen heraufführen wollen. Zuletzt beruht diese Einschätzung der Kritik auf der völlig positiven Bewertung ihres Mediums, der Prosa. Die Legitimation der Kritik, welche diese als objektive Instanz aller poetischen Produktion gegenüberstellt, besteht in ihrer prosaischen Natur. Kritik ist die Darstellung des prosaischen Kerns in jedem Werk. Dabei ist der Begriff »Darstellung« im Sinne der Chemie verstanden, als die Erzeugung eines Stoffes durch einen bestimmten Prozeß, welchem andere unterworfen werden. So hat es Schlegel gemeint, wenn er vom Wilhelm Meister sagt, das Werk »beurteilt sich nicht nur selbst, es stellt sich auch selbst dar«.300 In seinen beiden Bedeutungen wird das Prosaische durch die Kritik erfaßt: durch ihre Ausdrucksform in seiner eigentlichen, wie sie denn in ungebundener Rede sich ausspricht; in seiner uneigentlichen durch ihren Gegenstand, welcher der ewige nüchterne Bestand des Werkes ist. Diese Kritik ist als Prozeß wie als Gebilde eine notwendige Funktion des klassischen Werks.

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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