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Die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verändert das Verhältnis der Masse zur Kunst. Aus dem rückständigsten, z. B. einem Picasso gegenüber, schlägt es in das fortschrittlichste z. B. bei Chaplin um. Dabei ist das fortschrittliche Verhalten dadurch gekennzeichnet, daß die Lust am Schauen und am Erleben in ihm eine unmittelbare und innige Verbindung mit der Haltung des fachmännischen Beurteilers eingeht. Solche Verbindung ist ein wichtiges gesellschaftliches Indizium. Je mehr nämlich die gesellschaftliche Bedeutung einer Kunst sich vermindert, desto mehr fallen – wie das sehr deutlich angesichts der Malerei sich erweist – die kritische und die genießende Haltung im Publikum auseinander. Das Konventionelle wird kritiklos genossen, das wirklich Neue kritisiert man mit Widerwillen. Nicht so im Kino. Und zwar ist der entscheidende Umstand dabei: nirgends so sehr wie im Kino erweisen sich die Reaktionen des Einzelnen, deren Summe die massive Reaktion des Publikums ausmacht, von vornherein so sehr durch ihre unmittelbar bevorstehende Massierung bedingt und indem sie sich kundgeben, kontrollieren sie sich. Von neuem ist der Vergleich mit der Malerei dienlich. Das Gemälde hatte stets ausgezeichneten Anspruch auf die Betrachtung durch einen oder durch wenige. Die simultane Betrachtung von Gemälden durch ein großes Publikum, wie sie im neunzehnten Jahrhundert beginnt, ist ein frühes Symptom der Krise der Malerei, die keineswegs durch die Photographie allein sondern relativ unabhängig von dieser durch den Anspruch des Kunstwerks auf die Masse ausgelöst wurde.

Es liegt eben so, daß die Malerei nicht imstande ist, den Gegenstand einer simultanen Kollektivrezeption zu bilden, wie es von jeher für die Architektur, wie es einst für das Epos der Fall war, wie es heute für den Film zutrifft. Und so wenig aus diesem Umstand von Hause aus ein Schluß auf die gesellschaftliche Rolle der Malerei zu ziehen ist, so fällt er doch in dem Augenblick als eine schwere gesellschaftliche Beeinträchtigung ins Gewicht, wo die Malerei durch besondere Umstände und gewissermaßen wider ihre Natur mit den Massen unmittelbar konfrontiert wird. In den Kirchen und Klöstern des Mittelalters oder an den Höfen des 16ten, 17ten und des 18ten Jahrhunderts fand die Kollektivrezeption von Gemälden nicht simultan sondern vielfach vermittelt statt. Wenn das anders geworden ist, so kommt darin der besondere Konflikt zum Ausdruck, in welchen die Malerei durch ihre technische Reproduzierbarkeit im Laufe des vorigen Jahrhunderts verstrickt wurde. Aber ob man auch unternahm, sie in Galerien und in Salons mit den Massen des Publikums zu konfrontieren, so war doch auf keinem Weg möglich, daß dieses Publikum im Rezipieren sich selbst organisiert und kontrolliert hätte. Es hätte schon zum Skandal schreiten müssen, um sein Urteil offenkundig zu manifestieren. Mit andern Worten: die offenkundige Manifestierung seines Urteils hätte einen Skandal gebildet. Damit wird ebendasselbe Publikum, das vor dem Groteskfilm fortschrittlich reagiert, vor dem Surrealismus zu einem rückständigen.

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Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

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