Читать книгу Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter Benjamin - Страница 62

X

Оглавление

Es ist eine andere Art der Reproduktion, die die Photographie einem Gemälde, und eine andere, die sie einem im Filmatelier gestellten Vorgang zuteilwerden läßt. Im ersten Falle ist das Reproduzierte ein Kunstwerk, und seine Produktion ist es nicht. Denn die Leistung des Kameramanns am Objektiv schafft ebensowenig ein Kunstwerk, wie die eines Dirigenten an einem Symphonieorchester; sie schafft bestenfalls eine Kunstleistung. Anders bei der Aufnahme im Filmatelier. Hier ist schon das Reproduzierte kein Kunstwerk und die Reproduktion ihrerseits ist es ebensowenig wie in dem ersten Fall. Das Kunstwerk entsteht hier erst auf Grund der Montage. Einer Montage, von der jedes einzelne Bestandstück die Reproduktion eines Vorgangs ist, der ein Kunstwerk weder an sich ist, noch in der Photographie ein solches ergibt. Was sind diese im Film reproduzierten Vorgänge, da sie doch keine Kunstwerke sind?

Die Antwort muß von der eigentümlichen Kunstleistung des Filmdarstellers ausgehen. Ihn unterscheidet vom Bühnenschauspieler, daß seine Kunstleistung in ihrer originalen Form, in der sie der Reproduktion zu Grunde liegt, nicht vor einem zufälligen Publikum, sondern vor einem Gremium von Fachleuten vor sich geht, die als Produktionsleiter, Regisseur, Kameramann, Tonmeister, Beleuchter u. s. w. jederzeit in die Lage geraten können, in seine Kunstleistung einzugreifen. Es handelt sich hier um eine gesellschaftlich sehr wichtige Kennmarke. Das Eingreifen eines sachverständigen Gremiums in eine Kunstleistung ist nämlich charakteristisch für die sportliche Leistung und im weiteren Sinn für die Testleistung überhaupt. Ein solches Eingreifen bestimmt in der Tat den Prozeß der Filmproduktion durchgehend. Viele Stellen werden bekanntlich in Varianten gedreht. Ein Hilfeschrei beispielsweise kann in verschiedenen Ausfertigungen registriert werden. Unter diesen nimmt der Cutter dann eine Wahl vor; er statuiert gleichsam den Rekord unter ihnen. Ein im Aufnahmeatelier dargestellter Vorgang unterscheidet sich also von dem entsprechenden wirklichen so, wie das Werfen eines Diskus auf einem Sportplatz in einem Wettbewerb unterschieden ist von dem Werfen der gleichen Scheibe am gleichen Ort auf die gleiche Strecke, wenn es geschähe, um einen Mann zu töten. Das erste wäre eine Testleistung, das zweite nicht.

Nun ist allerdings die Testleistung des Filmdarstellers eine vollkommen einzigartige. Worin besteht sie? Sie besteht in der Überwindung einer gewissen Schranke, welche den gesellschaftlichen Wert von Testleistungen in enge Grenzen schließt. Es ist hier nicht von der sportlichen Leistung die Rede, sondern von der Leistung am mechanisierten Test. Der Sportsmann kennt gewissermaßen nur den natürlichen. Er mißt sich an Aufgaben, wie die Natur sie bietet, nicht an denen einer Apparatur – es sei denn in Ausnahmefällen, wie Nurmi, von dem man sagte, daß er gegen die Uhr lief. Inzwischen ruft der Arbeitsprozeß, besonders seit er durch das laufende Band normiert wurde, täglich unzählige Prüfungen am mechanisierten Test hervor. Diese Prüfungen erfolgen unter der Hand: wer sie nicht besteht, wird aus dem Arbeitsprozeß ausgeschaltet. Sie erfolgen aber auch eingeständlich: in den Instituten für Berufseignungsprüfungen. In beiden Fällen stößt man auf die oben erwähnte Schranke.

Diese Prüfungen sind nämlich, zum Unterschied von den sportlichen, nicht im wünschenswerten Maß ausstellbar. Und genau dies ist die Stelle, an der der Film eingreift. Der Film macht die Testleistung ausstellbar, indem er aus der Ausstellbarkeit der Leistung selbst einen Test macht. Der Filmdarsteller spielt ja nicht vor einem Publikum, sondern vor einer Apparatur. Der Aufnahmeleiter steht genau an der Stelle, an der bei der Eignungsprüfung der Versuchsleiter steht. Im Licht der Jupiterlampen zu spielen und gleichzeitig den Bedingungen des Mikrophons zu genügen, ist eine Testleistung ersten Ranges. Sie darstellen heißt, im Angesicht der Apparatur seine Menschlichkeit beibehalten. Das Interesse an dieser Leistung ist riesengroß. Denn eine Apparatur ist es, vor der die überwiegende Anzahl der Städtebewohner in Kontoren und in Fabriken während der Dauer des Arbeitstages ihrer Menschlichkeit sich entäußern muß. Abends füllen dieselben Massen die Kinos, um zu erleben, wie der Filmdarsteller für sie Revanche nimmt, indem seine Menschlichkeit (oder was ihnen so erscheint) nicht nur der Apparatur gegenüber sich behauptet, sondern sie dem eigenen Triumph dienstbar macht.

—————

Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Подняться наверх