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Er wird vom Lehrling Rüdwin mit Verbeugungen empfangen. Fräulein Schnee ist noch nicht da. Gut, er wird warten. Er setzt sich auf den Stuhl neben die Kasse. Er sitzt krumm, sein schwerer Wintermantel, den er zum erstenmal in diesem Jahr trägt, rutscht hoch und bauscht sich in großem Bogen um sein Kinn. Den steifen Hut hat er in den Nacken geschoben.

Er ist wütend. Was ist das? Was ist das? Er soll warten? Nein, er will doch nicht warten. Das hat er sich fest vorgenommen. Was macht er aber? Er wartet. Warum wartet er? Weil ihm ein kleines Mädchen eingefallen ist. Warum ist es ihm eingefallen? Weil das Leben langweilig ist und reizlos und unausgefüllt. Wird das besser werden durch Fräulein Schnee? Nein, es wird nicht besser werden durch Fräulein Schnee. Also!

Er schlägt knallend auf seine Mappe, so daß Rüdwin erschreckt hochfährt, springt auf und rennt zur Tür hinaus, um zehn Sekunden später mit Ira Schnee wieder einzutreten. Sein Gesicht glänzt wie sonniger Honig.

„Na ja“, sagt er, „na also, na guten Tag.“

Wenn Ira unterdes nicht soviel an ihn gedacht hätte, müßte sie ihn für verrückt halten. Aber so stürzt sie vergnügt in die Garderobe, den kleinen Wasch- und Ankleideraum vor dem W. C. der grau ist von der nahen Hausmauer und dunkel von der morgendlichen Arbeitsunlust der beiden Angestellten. Sie kämmt über die Haare, streicht schnell die Lippen himbeerfarben und himbeersüß und kommt lächelnd zurück. „Na ja“, antwortet sie, „na also. Da sind Sie ja.“

„Sie haben also an mich gedacht“, doziert Hammacher, und stößt sie mit dem Zeigefinger auf die Schulter.

„Ja, ich habe an Sie gedacht“, antwortet Ira ernst und nimmt den Zeigefinger weg. Sie möchte noch ein bißchen weibliche Schlauheit einlegen, ein Ritardando fraulicher Zurückhaltung. Sie ist ja eigentlich scheu, furchtsam. Es fällt ihr doch gar nicht leicht, sich einem Fremden anzuvertrauen oder (wie sagte man früher?) hinzugeben.

„Ja, ich habe an Sie gedacht“, wiederholt sie und es schießen ihr Tränen in die Augen. Sie ist so hilflos.

„Nur nicht so billig wegschenken“, hat die Kusine Dora von Pfeiffer gesagt, „wenigstens auf Preis achten, wenn schon nicht auf Tugend.“

Was ist nun wahr? Woran kann man sich halten? Ach, sie kann sich an kein Wort halten, an keine Moralvorschrift, an keine Regel, an keinen Menschen, an keine Erfahrung.

Sie hat die Hände auf die Hüften gelegt und streicht an sich herunter. So allein ist man. Rings herum einsam.

„Ich muß nun weg“, sagt Hammacher leise und zärtlich, „habe entsetzlich zu tun, wann sieht man sich?“

Ira zieht die Schultern hoch. Sie hat keine eigenen Worte. Kann immer nur Hammachers wiederholen.

„Wann sieht man sich?“ wiederholt sie, „heut abend?“

„Heute abend!“

„Bei Ira Schnee?“

„Bei Ira Schnee!“

Er verbeugt sich, küßt ihr die Hand. Sie verbeugt sich auch und wäre nicht Rüdwin, der ängstlich von der Leiter her die beiden beäugt, vielleicht würde sie dem Architekten die Maurerhand küssen.

Als Hammacher schon an der Tür ist, muß sie ihn nochmal zurückrufen.

„Warten Sie“, flüstert sie, „warten Sie, da ist doch noch ... ich habe da doch noch ... Sie können ja sonst gar nicht ...“

Sie läuft in die Garderobe, kramt in ihrem Täschchen. „Da ... nehmen ... Sie“, sagt sie und drückt ihm den Schlüssel in die Hand, den sie zehn Tage zuvor dem Freund abgenommen hat. „Er ist für die Hintertür. Sie müssen hinten heraufkommen. Ja leider. Es geht nicht anders.“

Rüdwin steigt schnell von der Leiter, schleicht auf knarrenden Sohlen ab. Sein Gesicht ist fahlgrün vor Eifersucht wie das eines Seekranken. Die beiden merken seinen Abgang nicht. Sie sehen sich an und lächeln. Es ist der einzig berauschende Augenblick dieser ganzen Begegnung.

Abends sitzt Ira wieder und wartet. Berta, die Köchin, glaubt daß sie sich mit dem früheren Freund verabredet hat. Es sieht im Zimmer auch genau so aus wie immer: Brötchen mit feingewiegtem Schinken stehen auf dem Tisch, zwei Teetassen, dieselbe halbe Flasche Asbach Uralt (sie ist noch nicht angebrochen), englische Zigaretten, eine Schale mit Weintrauben und Bananen, halb ertrunken unter roten Weinblättern und bunten Astern und sogar das Kleid ist das gleiche, ein beigefarbenes Nachmittagskleid, innen rosa, von oben bis unten zu knöpfen.

Um neun Uhr kommt Hammacher. Berta wird aufmerksam, die Schritte sind anders. Die Stimme ist nicht dieselbe, das Lachen ... na, der lacht ja von oben bis unten und wieder zurück, eine ganze Klaviatur. Berta ist ein bißchen böse. Sie hat keine großen moralischen Bedenken, aber kleine. So schnell darf das doch nicht gehen.

Obgleich sie todmüde ist, geht sie nicht schlafen. Der Wind weht Geruch von englischen Zigaretten ins Küchenfenster, Gesprächsfetzen. Was Männer eben so sagen. Dann Stille. Das Fenster wird geschlossen, der Vorhang vorgezogen. Es ist wirklich kalt. Berta holt sich das Tuch, setzt sich an den Küchentisch und wartet. Sie nickt ein und fährt um halb Zwölf hoch.

Die Tür nebenan hat sich bewegt, die Köchin schießt schlaftrunken in den Flur hinaus. Da steht Ira Schnee in ihrem braunen Abendcape mit dem Fuchskragen. Aber sie wird wohl nicht ausgehen. Denn sie trägt hellblaue Pantoffeln und keine Strümpfe. Und ein großer Mann hat den Arm um ihre Schultern gelegt, ein blonder Herr, ein schöner Herr, ein großer Herr im schwarzen Mantel.

„Guten Abend“, sagt Berta milder als sie gewollt hat.

„Guten Abend“, antwortet Hammacher und lacht freundlich.

„Das ist meine liebe Berta“, stellt Ira zitternd vor.

„So, das ist deine liebe Berta“, verbeugt sich Hammacher und reicht ihr die Hand. Wo er so fix die fünf Mark her hat, die er ihr in die Hand drückt, ist ein Rätsel. Aber jedenfalls hat er schnell und doppelt gesiegt.

Er küßt jetzt Ira ganz offen auf den Mund, nickt der Berta zu, indem er sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger die Lippen klopft (aber natürlich, nickt Berta zurück, natürlich bin ich diskret). Dann ist er verschwunden.

Ira hängt schluchzend an Bertas Hals. „Erstens“, sagt Berta, „erkälten Sie sich, so mit nischt drunter. Und zweitens wie kommt er denn ’raus?“

„Aber er hat doch natürlich den Schlüssel“, antwortet Ira, schlüpft in ihr Zimmer, in ihr Bett, in ihren Schlaf.

„Natürlich“, sagte Berta, und löscht das Licht in Flur und Küche, denn der alte Ramnitz ist polternd vom Stammtisch nach Hause gekommen und wenn er Licht sieht, schimpft er wegen Lichtverbrauch und findet außerdem immer was, das er sich wünschen könnte.

Hammacher trifft kurz vor Mitternacht im Café Wien ein. Er geht schnell mit zusammengekniffenen Augen durch den Rauchnebel, das Menschenschwatzen unter der Musikhaube. Unten ist Ellen nicht. In den Seitengängen oben kann er sie nicht finden. Endlich im breiten Raum hinter der Musik sieht er sie: Römer sitzt bei ihr. Das ist unangenehm. Da sie nun weiß, daß er an diesem Abend nicht mit Römer zusammengearbeitet hat, wird sie ihm auch die anderen Abende nicht glauben, und eine ganz falsche, eine übertriebene Vorstellung von dem Geschehnen bekommen.

Er klopft sich mit seinem steifen Hut aufs Knie, stopft die freie Hand in seine Manteltasche, wobei sie auf einen fremden Schlüssel, ach ja, Iras Schlüssel, stößt und schiebt sich langsam, ein bißchen großspurig auf den Tisch der beiden zu.

„Guten Abend“, sagt er freundlicher als er möchte. „Guten Abend, Römer! Wo kommen Sie denn her? Ich war noch mit Herrn Gebrüder einen Kognak trinken. Herrlicher Kerl!“

„Ja, er ist wirklich komisch“, sagt Römer nebenbei und fährt dann in seinem Gespräch mit Ellen fort. Sie streiten sich über moderne Männerkleidung. Er hat schon ein paar lustige Modelle auf den Tisch gezeichnet. Hammacher zeigt sich interessiert. „Obwohl es Quatsch ist, ist es diskutabel“, brummt er und hat gleich ein paar Verbesserungsvorschläge im Bleistift.

Damit kann man eine halbe Stunde hinbringen, aber dann hilft es nichts, sie müssen doch nach Hause. Ihre Wege laufen gleich vom Café aus getrennt.

„Ich war nämlich mit Römer verabredet“, lügt Ellen, als sie im Auto sitzen.

„So, du warst mit Römer verabredet“, sagt Hammacher gleichgültig und sieht zum Fenster hinaus. Und nach einer Weile. „Nein, du warst mit Römer verabredet? Wirklich mit Römer verabredet? Na, das ist ja komisch.“

„Das ist nicht komischer als dein Kognak bei Herrn Gebrüder,“ antwortet Ellen und sieht nach der anderen Seite hinaus.

„Wieso? Was meinst du? Na nun sag’ doch aber mal“, murmelt Hammacher.

Aber Ellen antwortet nicht und Hammacher erwartet auch keine Antwort.

Komödie der Liebe

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