Читать книгу Komödie der Liebe - Walther von Hollander - Страница 11
8
ОглавлениеHammacher versucht zu Hause ein paarmal von der Sache anzufangen. Aber er kommt nicht weit. Ellen will keine Erklärungen oder Beteuerungen oder Lügen.
Nein, lieber nicht! Im Anfang einer Geschichte erfährt sie doch nicht die Wahrheit. Wahrscheinlich weiß Hammacher sie selbst nicht.
Sie sprechen noch ein paar freundliche Worte miteinander, sie duschen noch zusammen mit Stöhnen und Prusten, sie frottieren sich. Sie küssen sich schnell und voll Angst, es könnte dabei zu Geständnissen oder Rührungen kommen. Aber Gott sei es gelobt, nein, sie sind nur höflich miteinander. Sie lächeln sich an, nicken: „Gute Nacht! Gute Nacht!“
Jeder geht in sein Zimmer. Ellen macht leise die Tür zu Hammachers zu. Atmet auf, geht vor den Spiegel und beginnt ihre Haare zu bürsten. Vor allen Dingen die Seiten striegelt sie sich sorgfältig. Das Haar soll da voller werden, der schmale Schädel breiter. Vielleicht ist es dann überhaupt leichter. Vielleicht, wenn man etwas kräftiger aussieht, kann man sich etwas besser durchsetzen. Zieht Menschen nicht nur an, sondern ...
Sie legt die Bürste auf die Bürstenschale, nimmt das hauchdünne Haarnetz und streift es über den Kopf, bindet es mit einem Sturmriemen fest. Zieht Menschen nicht nur an, sondern man hält sie auch. Was hat man denn schon von Menschen, wenn man sie nicht halten kann? Es folgt ein Marsch ins große Zimmer. Konfektsuche. Sie findet Ingwer und gebrannte Mandeln, offiziell Hammachers Lieblingskonfekt. Er ißt aber nie davon. Nun, wenn es nichts Besseres gibt, so tritt sie, unter jedem Arm ein Sofakissen, wieder den Rückmarsch an.
Sie schichtet drei Lagen Kissen übereinander, setzt sich aufrecht ins Bett, einen Roman auf den Knien, den sie nicht liest, gebrannte Mandeln zwischen den Zähnen zermalmend, die sie nicht schmeckt und fängt an, kühl und ruhig zu rechnen. Das kann sie noch. Denn wenn sie auch weiß, daß sie verwundet ist, so kann sie noch gar nicht beurteilen, wie schwer und wie tief es ist. Sie hat den Schlag gespürt, aber es schmerzt noch nicht.
Also jetzt ist es wieder so weit. Es ist in drei Jahren das zweite Mal, wenn man die Karnevalsaffären abrechnet. Das erstemal war es die kleine Schmahl mit dem Soubrettenlachen, ein schmuddliges, begabtes Frauenzimmer. „Sehr geehrte Frau Hammacher, er ist gar nicht so fabelhaft wie er aussieht“, schrieb sie zum Schluß. „Sie können ihn behalten ...“
Ellen Hammacher möchte über die Frechheit lachen wie damals, aber es geht nicht. Sie liest lieber eine Seite in ihrem Roman. Ein mittelalterlicher König und ein ebensolcher Jude streiten sich über den freien Willen. Nein, gewiß ist Hamm nicht fabelhaft. Das weiß sie auch ohne die Schmahl. Sie hat ein, zwei Ehejahre daran gelitten, daß sie es nicht zugeben wollte. Nur sein Ansatz ist großartig, seine Intuition und wenn er will seine Einsicht. Aber dann hört es meist auf. Gedankenpause. Der Romanjude äußert etwas über die Freiheit durch Geld. Ellen denkt nun blitzschnell. Wer ist es? Ich will wissen, wer es ist! Wer ist es diesmal? Schlimm. Man ladet niemanden ein und plötzlich steht so eine fremde Dame mitten in der Ehe drin. Sie ist da, aber man kann weder mit ihr sprechen noch darf man von ihr sprechen.
Ist es die Schwild? Vielleicht. Hammacher verfällt immer wieder dem verschönernden Abglanz des Orchesterabgrundes. Frauen von weitem sind so angenehm, sagt er. Oder? Oder die Brandt? Nein! Die Löwenberg? Die mit den breiten Hüften und dem albernen Lachen? Kaum! Oder? Ja, oder die Kleine, die so unmotiviert auftauchte. Wie hieß sie nur? Ellen kann nicht auf den Namen kommen. Irgendwas wetterliches war es. Regen? Hagel? Wind? Nein!
Sie horcht hinaus. Der Wind weint, ein paar Regentropfen zischen über das Fensterglas. Zwei Autos und ein Motorradfahrer knattern und hupen.
Ellen beginnt zu frieren. Das geht immer so wenn sie scharf nachdenkt. Regen oder Hagel? Nein, so hieß sie nicht. Aber sie ist es. Ellen merkt es daran, wie böse sie ihr ist. Diesmal wird es nicht so glatt abgehen. Richtig! Schnee hieß sie. Diesmal wird Ellen sich das nicht so ohne weiteres gefallen lassen. Entweder wird sie davongehen. Das kann man doch. Oder aber dieser Schnee den Hals umdrehen. Man muß wirklich nicht alles so über sich ergehen lassen, was die anderen Herrschaften beschließen. Der Herr Gemahl oder die fremde Dame. Oder eigentlich doch nur die fremden Damen. Denn wenn sie ihn nur so recht rührend ankucken, so tut er ja doch, was sie wollen. Sie wird es sich nicht gefallen lassen. Duldsam ist zwar modern und Ellen ist sehr für das Moderne, für das Heutige und gar nicht für das, was die älteren Herrschaften schön finden. Aber diesmal wird sie unmodern, mit Pech und Schwefel, mit Feuer und Schwert losgehen. Gut. In Ordnung. Sie schmeißt das Buch vom König und vom Juden aus dem Bett, löscht das Licht, streckt sich.
Es ist halb zwei. Das Haus ist still geworden. Auch die jungen Ehepaare haben heimgefunden. auch die Lautsprecher müssen feiern, weil die Luft keine Musik mehr liefert. Es ist die Stunde in der die stilleren Stadtstraßen wieder zu Landstraßen werden mit Regen und Wind darüber.
Regen und Wind fahren über die Hausmauer. Ellen Hammacher kann nicht schlafen. Unmodern ist ganz schön. Eifersüchtig — eifersüchtig ist weder modern noch unmodern. Eifersucht ist ewig, ist fast selbstverständlich. Man sucht zu halten, was man hat. Aber hat man denn, was man zu halten sucht? Darf man halten?
Ellen wirft sich herum und macht wieder Licht. Da ist noch die Geschichte mit Alice Hammacher, Hans Hammachers erster Frau und mit Luzie Hammacher, seiner Tochter.
Wenn man es richtig besieht: sie hat Alice den Mann weggenommen, Luzie den Vater gestohlen. Ganz offen gestohlen, ohne Betrug, ohne Heimlichkeit, aber doch gestohlen.
„Ich kann nicht ohne ihn leben, Alice.“
„Muß ich es denn können, Ellen?“
„Du kannst es, Alice, du bist ein selbständiger Mensch. Du hast deinen Beruf. Du hast deine Praxis, du bist eine bekannte Ärztin. Du ...“
„Ja, ich habe eine Praxis, Ellen, aber ich kann doch nicht ohne ihn leben. Nur weiß ich, daß danach nicht gefragt wird.“
Ellen zieht die Bettdecke bis zum Mund und schüttelt abwehrend den Kopf. Unheimlich. Das Gespräch ist vor Jahren gesprochen und ist noch da. Man braucht bloß die Erinnerung einzustellen oder das Herz wird empfindlich: schon ist es da. Solange einer der Sprecher lebt, lebt es mit. „Danach wird nicht gefragt.“
Ellen tastet aus dem Bett, schnell den Morgenrock an mit der Straußfederboa. Schnell, schnell (es ist eiskalt) die Hausschuhe an. Ob man es aushält, danach wird nicht gefragt. Sie will nicht so streng mit Hammacher ins Gericht gehen, wenn sie zu streng ist, wird er erst recht weglaufen. Deshalb kann sie nicht streng sein. Deshalb und weil Alice nicht streng war. Sie kann nicht als Rächerin dastehen, denn jetzt will man ihr nur tun, was sie einer anderen getan hat.
Besser wäre es mit etwas Liebe und etwas Humor. Wenn es diese Schnee ist (au! es schmerzt doch. Aber still mal, nicht auf dem Schmerz reiten!), wenn es diese Schnee ist (es ist ja unverständlich, ihre Hüften sind doch so breit, der Mund ist hartherzig, die Finger richtige Spinnenfinger, was findet er nur daran) wenn es diese Schnee ist, nun dann vergeht es doch wieder. Sie ist nicht gefährlich. Einen Monat wird’s dauern. Oder den Winter über. Den Winter über? Es ist doch erst Oktober! Nun, sagen wir um Weihnachten herum wird es vorüber sein.
Etwas Liebe und etwas Humor, wer hat das gesagt? Natürlich Hammacher. Jawohl Hammacher. Kunststück. Er kann Liebe und Humor aufbringen. Alle lieben ihn.
Wie spät? Wirklich halb drei. Aber jetzt wird doch geschlafen. Nur noch ... doch ... sie wird ihm ein paar lustige Worte sagen. So: „Gestehe, Verruchter!“ Oder: „Verstoße trotzdem nicht dein mageres Weib!“
Sie öffnet vorsichtig die Tür zu Hammachers Zimmer. Schleicht auf nackten Füßen dicht vors Bett, hebt die Hand und sagt: „Gestehe, Verruchter!“ Sie sagt oder sie flüstert es heiser. Die Stimme bleibt ihr stecken.
Hammacher — sie erkennt es jetzt erst in dem halben Licht, das von nebenan kommt — Hammacher liegt in seinem tiefen, unzerstörbaren Kinderschlaf. Sein großer Kopf ist vom Kissen gerutscht. Der Mund steht offen. Die etwas kurze Oberlippe ist hochgezogen. Die herrlichen Zähne blinken entblößt. Das alte liebenswürdige Lächeln ist zum Vorschein gekommen, nur eingefroren, nur festgeleimt, verhärtet. Beinahe wie das Lächeln eines Toten.
Nein, sie sagt nichts mehr. Weder „Gestehe, Verruchter“ noch „Verstoße nicht dein mageres Weib“. Sie schleicht zurück, sie stürzt sich ins Bett, gräbt sich tief in die Kissen, damit niemand das laute, das erbärmlich laute Heulen hört. Schrecklich, sie kann es nicht anhalten. Wie bei einer Seekrankheit wird ihr das unterste zu oberst gekehrt. Stundenlang noch im Schlaf wird sie gerüttelt und gestoßen vom Schluchzen.
Was ist denn geschehen? Kurz gesagt, sie hat zum erstenmal den Tod gesehen oder vielmehr sie hat gesehen, daß auch Hammacher sterben kann, ja, daß es selbst ihr zustoßen wird, dieses Unheimliche, dieses Aufhören, dieses Zurücklehnen und Nichtmehrsein. Ach, man weiß es und man weiß es doch nicht. Aber nun spürt sie, daß es tatsächlich ihr eines Tages zustoßen wird und daß sie darum ihr Leben nicht mehr in Abwarten und Kommenlassen und Ertragen führen darf. Und sie weiß, daß sie auch, wenn sie schon eifersüchtig ist, wenn sie es wirklich wagt eifersüchtig zu sein und sich soweit und so tief in ein zweites Leben hineinzugraben, daß sie dann auch die Verantwortung für dieses Leben mitübernehmen muß.
Eifersucht ohne Verantwortung ist eine hysterische Albernheit.