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Für Ira Schnee, Tochter des verstorbenen Oberstleutnants Schnee und seiner gleichfalls verstorbenen Gemahlin Irene, geborene von Pfeiffer, für die Malerin, Kunstgewerblerin und Kunstgewerbeverkäuferin Ira Schnee verläuft dieser gleiche Abend äußerst ungemütlich.

Sie sitzt in ihrem kleinen Zimmer zwischen dem Berliner Zimmer und der Küche der Ramnitzschen Wohnung in der Bleibtreustraße. Sitzt und wartet.

Es ist alles fertig. Zwei Teetassen stehen da wie immer, Brötchen mit feingewiegtem Schinken, eine halbe Flasche Asbach-Uralt, englische Zigaretten, eine Schale mit Weintrauben und Bananen, fast ertrunken in roten Weinblättern und dunklen Astern.

Ira Schnee hat die Nägel gekürzt, gerieben, gefettet und sorgfältig poliert. Sie glänzen wie Asphalt bei Regen. Sie hat die maisgelben Haare wieder und wieder gebürstet, sie sind vorn glatt wie ein Dackelfell (und hängen in die Stirn hinein) und stehen hinten ab wie eine Sprungfedermatratze.

Wenn unten im Hof Schritte gehen, beugt Ira sich weit aus dem Fenster. Die Beine sind dann allein im Zimmer, gute, gerade Beine, an den Waden übertrainiert, von Stunden in einer modernen Tanzschule.

Um einhalbzehn ist Ira ganz verwelkt vom Warten. Sie hat auch eine Weintraube halb leer gezupft und muß sie hinter dem Wandschirm auf dem Bett verstecken. Um dreiviertelzehn läutet es endlich zweimal an der Hintertür. Ira fegt über den engen Flur, daß die Tafttüten an ihrem Rock segelartig knallen.

„Ja, Sie haben recht behalten, Berta“, sagt sie strahlend, und knallt der teilnehmenden Köchin die Küchentür vor der Nase zu.

„Komm nur“, flüstert sie, und zieht den zögernden Freund mit ein paar schnellen Schritten ins Zimmer. „Komm nur, es ist nur Berta da.“

Sie bleiben bleich voreinander stehen. Der Freund hat die Hände in der Jacke des Sportanzuges. Er trägt den Kopf ein bißchen gesenkt, die Stimme ist heiser vor Verlegenheit.

Ira legt eine Hand auf die Lehne ihres Stuhles. Sie möchte sich die Haare schnell struppig machen und die Fingernägel stumpf. Was von acht bis dreiviertelzehn rumort und gebohrt hat, was sie zwei Wochen lang geahnt und seit zwei Stunden gewußt hat, das ist nun Tatsache.

Da steht der Freund: breitbeinig, hübsch, kurzsichtig, nicht mehr erreichbar, trotzdem sie nur die Hand ausstrecken müßte, um ihn anzufassen. Sie will die Hand heben. Sie haben sich doch noch nicht begrüßt. Aber es geht nicht. Aus. Aus.

„Was ist? Warum kommst du jetzt erst?“

Sie kann nichts weiter sagen. Sie setzt sich. Sinkt ein wenig zusammen. Der Rücken wird so schwach, die Schultern krümmen sich nach vorn.

„Ich bin dir eine Erklärung schuldig“, sagt der Freund.

„Ja“, nickt Ira.

„Ich habe mich verlobt.“

„Man kann es sich denken“, nickt Ira.

„Du hast es nicht erwartet?“

Keine Antwort.

„Ich muß es dir anständigerweise erklären.“

Ira hebt den Kopf und sieht den Freund an. Freundinnen sagten früher, sie hätte unsagbar hochmütige Augen. Der ganze Hochmut liegt aber daran, daß sie ein klein wenig kurzsichtig ist, daß die Augenlider ungewöhnlich lang sind und die Wimpern sehr seidig. Eigentlich ist ihr Blick im allgemeinen eher wehmütig.

„Willst du dich nicht setzen“, fragt Ira.

Nein, der Freund will sich nicht setzen. Er findet Sitzen bei Verabschiedungen undelikat. Es ist ungefähr so wie bei Kartelltragen. Womöglich bietet sie ihm noch Obst und Kognak an, dazu ist die Sache viel zu ernst.

„Ich hätte dich gern geheiratet“, sagt er nun schnell, „aber wir hätten solange warten müssen.“

Sie ist also reich, denkt Ira. Na gut. Da kann ich nicht mit.

„Ja, und ich kann nicht so lange ohne Frau leben“, zischt er aufgeregt, „ich kann es nicht.“

Er zieht die Hände aus den Taschen und läßt sie schlaff auf die Schenkel fallen.

„Ich kann es nicht. Kann es nicht. Kann es nicht.“

„Ja, aber“, wundert sich Ira, „ja aber, das habe ich doch gar nicht von dir verlangt. Wir waren doch ...“

Sie wird rot und winkt ab. Der Freund tritt einen halben Schritt näher. Er biegt einen Finger auf dem Tisch so krumm, daß er weiß wird und das Geschirr zu zittern anfängt. Er kommt nun endlich zu seiner Rede, die er sich den ganzen Tag einstudiert hat. Er spricht scharf und dozierend, haut ein paarmal mit der flachen Hand durch die Luft, als müsse er die Gegengründe mit einem Beil zerstückeln. Gut, daß Ira den Jargon ihrer Kreise noch kennt. Sonst würde sie kein Wort verstehen. Weil sie sich nämlich mit ihm eingelassen hat, deshalb kann der Freund sie nicht heiraten. Oder er müßte sich wenigstens mit ihr verloben und sie in der Verlobungszeit meiden. Die Verlobungszeit aber müßte lange dauern, weil der Freund erst vor dem Referendar steht. Eine lange Enthaltsamkeit hält er nicht aus, also mußte er sich mit einer anderen verloben.

Diese Erklärungen dauern bis fünf Minuten nach zehn. Ira sagt nichts, bittet nichts, weint nicht. Sie weiß, gegen diese Argumente gibt es keine Logik, keinen Beweis, keinen Grund. Wie konnte sie sich nur mit einem solchen Menschen einlassen. Solche Jungens heiratet man, aber man schläft nicht mit ihnen.

„Gut also“, sagt sie endlich, und steht auf. Sie öffnet die Tür ihres kleinen Zimmers, sie begleitet ihn zur Hintertür. Ach richtig, sie muß ihn ja noch hinunter begleiten, ihm den Hausschlüssel abnehmen. Auf der Hintertreppe treffen sie den Portier mit einem Dienstmädchen.

„Adieu“, sagt Ira, und gibt ihm wider Willen doch noch die Hand.

„Adieu“, sagt der Freund, und will ihr die Hand küssen.

„Nein, ich bin nicht verheiratet“, wehrt Ira wütend, und schlägt ihm die Tür vor der Nase zu.

Sie läuft hinauf. Die Tafttüten rauschen bei jedem Schritt. Der Portier und das Dienstmädchen sind verschwunden. Nur Berta steckt noch den dicken Kopf zur Küchentür hinaus. Aber sie fährt zurück, weil das Fräulein „ganz wilde Augen macht“. Ira reißt sich das Kleid herunter, die Wäsche, steht im Nachthemd eine Weile, stumpfsinnig vor Müdigkeit, wirft sich rückwärts aufs Bett und drückt den Kopf in die Kissen. Am Hals, in den Haaren, spürt sie etwas kühles, klebriges, feuchtes. Sie tastet, zieht die abgegessene Weintraube heraus, deren restliche Beeren nun zerquetscht sind. Sie betrachtet aufmerksam das Malheur, das der armen Weintraube zugestoßen ist, und beginnt erbärmlich zu schluchzen.

Sie weint lange. Nicht eigentlich über den Verlust des Freundes (Himmel, da könnte sie ja als Ersatz jeden ihrer Vettern nehmen, die sind alle ganz genau wie der Freund, es sei denn, die eine Nase ist größer, die andere kleiner, die Hände dicker oder dünner). Nein, sie weint erst über ihre Dummheit, dann über die Aussichtslosigkeit ihres Lebens, dann darüber, daß sie allein steht, dann über das Leben ihrer Mutter, die neben einem saufenden Offizier zusammengeschrumpft und schließlich gestorben ist.

Sie weint über ihre Stellung bei Prinz & Priester und gibt ehrlich zu, daß sie eigentlich keine Kunstgewerblerin mehr ist, sondern längst schon eine ganz gewöhnliche, eine recht talentlose Verkäuferin.

Sie weint, bis ihr wirklich endgültig leichter ist, und sie, mit geschwollenen Augen, mit dickem Kopf, aber dünnem leichtem Körper sanft einschläft.

Komödie der Liebe

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