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Die Erzählung beginnt. Es ist der zweite September 1928. Ein heißer Tag. Hammachers haben ihren gemütlichen Abend. Sie haben die Flurtüre abgeschlossen, die Kette vorgelegt, wie gegen Diebe, und das Telefon im Flur gestöpselt, damit Hedwig die Gespräche erledigen kann.

„Nein, die Herrschaften bedauern, nicht zu sprechen zu sein“, flötet sie zehn-, zwölfmal den Abend über in den Apparat.

Also: Hammachers haben ihren gemütlichen Abend. Ellen liest einen langweiligen englischen Roman, um ihre Sprachkenntnisse aufzufrischen. Hans Hammacher liegt auf dem Rücken, und wenn er nicht raucht und keine Praline ißt, so pfeift er die Melodien des Grammophons mit. Er pfeift pianissimo und zwitschert wie ein Kanarienroller. Könnte sein Geld als Kunstpfeifer machen. Er würde gern den ganzen Abend so pfeifen. Denn er hat den ganzen Tag gesprochen. Mit Lieferanten und Bestellern. Rauh und süß, je nach dem Partner.

Er kann aber Ellen nicht den ganzen Abend anschweigen, und so sagt er in einer Musikpause, das heißt, er spricht es mit seiner seltsam leisen und tonlosen Stimme schnell vor sich hin: „Breuel will doch bauen. Aber ein Blockhaus. ‚Nee, Breuel‘, habe ich ihm versetzt. ‚Wenn Sie ein Blockhaus haben wollen, so ein echtes, dann suchen Se sich einen Indianer und nich en Architekten. Ich versteh mich nicht auf Blockhäuser.‘“

„Breuel — ein Blockhaus? Er sagt, er käme doch nie ’raus. Weekend hätte er im vorigen Jahr fünfmal gemacht. Für fünfmal reichte es. ‚Reicht, Herr Generaldirektor,‘ habe ich geantwortet, reicht für fünfmal, reicht aber nicht für Hollandia-Margarinewerke. Kann er doch wirklich nich machen, oder ...?“

Ellen Hammacher dreht ihr Buch um und legt es auf die Knie. „Wenn er normal wäre, Hans, brauchte er doch nicht mal ein Blockhaus. Aber weil Breuel eben Breuel ist, hast du recht. Bau ihm man ein Wochenendpalast hin. Neusachlich, mit Fransen und Maschinen.“

Hammachers vertiefen sich in das Thema. Sie erfinden ein drehbares Dach, das die Sonne einfängt und durch Sonnenröhren ins Zimmer leitet, einen Turn- und Schleudersaal, in dem man von den Wänden geknufft, geworfen und geschleudert wird, ein Regenzimmer für heiße Sommer und ein alpines Zimmer mit Höhensonne, Höhenwind, künstlichem Kuhläuten und tongefilmten Kurgastgeplauder. Sie lachen, daß dem Architekten die breiten Backen weh tun und Ellen, den Mund weit aufgerissen, quer über dem Klubsessel liegt, und mit den Beinen schlagen muß, um Luft zu bekommen.

„Was für Ideen“, ruft sie vergnügt, „mein Gott, was für ein Blödsinn.“

Aber es tut gut zu lachen. Seit vierzehn Tagen, seit sie aus Müritz zurück sind, haben sie nicht mehr gelacht. Es vergeht einem wie die Gesichtsbräune vergeht und schon dem echten Berliner Grau Platz macht.

„Gott sei Dank“, sagt Ellen, „daß wir mal lachen. Ich dachte, das ginge nun so weiter. Telefon. Hetze. Menschen. Gram und Gries und Griesgram.“

Sie steht auf, zieht das Kleid zurecht, ein schwarzes glattes Crêpe-Satinkleid mit weißen Manschetten und weißem Kragen, ein Kleid, das sehr schlank und groß macht. „Nochmal die Tucker“, sagt sie, und legt die neue Sophie Tucker-Platte auf. „Deubel, heult die schön.“

Sie versucht, den rauhen, kehligen Schreigesang nachzumachen. Aber es kommt nur ein kleines Vogelfiepen heraus. Sie flattert dazu auch vogelähnlich mit den Armen vor den nachtschwarzen Fensterscheiben, so daß es aussieht, als wollten zwei Manschetten und ein Kragen in die Nacht fliegen.

Sie steckt den Kopf zum Fenster hinaus. Ein kühlerer Wind kommt aus dem Preußenpark mit etwas lauem Duft drin. Über Dahlem weg sieht man eine Wolkenwand unter den Sternen. „Sie bauen drüben doch“, ruft sie hinaus. (Hammacher kann es nicht hören.) „Sie haben schon ausgeschachtet. Sie werden uns den Park wegbauen.“ Sie kommt zurückgelaufen, wirft sich neben den Mann auf den Diwan, schmiegt den schmalen Kopf unter seinen Arm.

Schnapp, sagt das Grammophon und steht still. „Sie werden uns das bißchen Aussicht wegbauen, Hans“, klagt Ellen.

Hammacher antwortet nicht. Sein großer starker Arm preßt ihr den Brustkorb zusammen. Seine breite Hand streicht über ihrem Herzen hin und her. Ellen kann das gar nicht vertragen. Ihr wird immer banger und enger. Ich hätte doch noch in Müritz bleiben sollen, denkt sie, das Wasser da wird nie zugebaut. Jetzt sind auch alle Kurgäste weg. Man könnte nackt am Strande laufen.

Sie dreht sich langsam und vorsichtig aus dem Arm des Mannes, kniet vor dem Plattenschrank, um eine neue Musik herauszusuchen, hat plötzlich das Scharren, Tuten und Singen der fremden Musiker so entsetzlich satt, steht auf und geht schnell in ihr Zimmer hinüber.

Vor dem Hause läßt ein Motorradfahrer ungestraft seinen Motor knallen und schießen. Ellen Hammacher schließt ihre Fenster mit einem Ruck, zieht sich aus, legt das Kleid sorgfältig glatt und schlüpft in den Pyjama mit den unten breiten Zimmermannshosen.

Sie will ins große Zimmer zurückgehen, weiß aber nicht, was sie sagen soll. Sie hat sich doch eigentlich albern benommen, am besten wäre, sie ginge und erklärte alles. Wie? Was? Sie bauen drüben und du sollst nicht so hin- und herstreicheln, kein Grammophon mehr bitte und die Motorradfahrer müssen abgeschafft werden. Nein — sie legt sich lieber ins Bett, schlägt die rosa Karlsbader Decke so eng um sich, daß sie wie ein Strich in der riesigen Diwandecke liegt und wartet. Ich muß dieses doch aushalten, sagt sie sich. Ich konnte ja gar nicht in Müritz bleiben. Ich lasse ihn nicht allein hier. Da sind ... Nun, einerlei, es sind genug, die ihn haben wollen.

Johannes Hammacher sitzt gebückt im großen Zimmer auf dem Diwan. Er reibt sich die Augen, schüttelt sich, gähnt leise. Ihm ist unbehaglich zumute. Was ist das nur wieder? Warum weint sie und weint nicht? Klagt und man kann nichts fassen von ihren Klagen. Ach — er hat sich tagsüber genug mit Faßbarem zu plagen. Er haut sich mit der rechten Hand übers Knie, daß es knallt, schnellt auf, stapft durchs Zimmer, reißt die Schlafzimmertür auf und ruft leise: „Ellen?“ Lauter: „Ellen?“ Freundlich: „Elle? Ellen?“ Räuspernd: „Ellen!“ Ungeduldig: „E-l-l-e-e-n!“

Er wirft die Tür hinter sich zu, tastet nach ihr, faßt zuerst ihre Füße, schüttelt ihre Beine. „Nein, nein!“ ruft er, „das laß nur! Nein — jetzt sage mal. Das ist doch. Ich kann doch nicht dafür, daß sie bauen.“

Und Ellen, die schon geschlafen hat (denn sie leidet leicht unter Müdigkeiten), läßt sich gern von ihm hochreißen, hin- und herschwingen. Sie hat die Hände in seine Schultern geschlagen, hält sich ganz fest, hat das Ohr an seinem Herzen, und während das Herz des Mannes zu ihrer Freude langsam zu hämmern anfängt, dann schneller und schneller, flüstert sie: „Nein, nein. Ja, ja. Nein, nein. Ja, ja.“ Aber er versteht es nicht. Das ist um elf Uhr.

Um elf Uhr zehn, um elf Uhr dreißig, um elf Uhr fünfzig läutet das Telefon. Beim ersten Schrillen zucken Hammachers zusammen, dann aber lassen sie es läuten, zwei Minuten, drei Minuten. Einerlei, sie wollen mit niemandem sprechen.

„Laßt uns nur in Ruh“, sagt die Frau und lehnt sich fest gegen seine Schulter, um einzuschlafen.

„Nein, es ist bestimmt nur Römer mit was Geschäftlichem“, sagt der Mann, „nein, wir wollen es gar nicht wissen.“

Um zwölf Uhr, als er immer noch nicht schlafen kann, sammelt er seine Kleider, geht in sein Zimmer, steht nackt am Fenster. Er wäscht sich mit der lauwarmen Nachtluft, reibt, massiert sich. Er macht das so katzengeschmeidig und katzenleise, wie man es dem massiven Mannskerl nicht zugetraut hätte, ein paar Rumpfbeugen, schleudert die Arme und Beine, springt — in der Nachtdämmerung sieht das sehr merkwürdig aus — ein bißchen Seil, steht dann am Fenster und starrt in den Preußenpark.

Das Gewitter ist noch nicht näher gekommen. Die Bäume stehen ohne Atem. Es riecht ein wenig nach Laub, nach Benzin und nach Herbstboden.

Eng, denkt Hammacher, und hat eine Faust gegen die Wand gestemmt, als wollte er sie wegschieben. Eng, eng, wiederholt er, und hebt die andere Hand an den Hals, als müsse er sich würgen.

Er dreht sich schnell um und legt sich ins Bett. Eng, eng, denkt er, und alles so komisch und unverständlich.

Er legt sich auf den Rücken, die Hände so unter den Kopf, daß die Ellenbogen in die Luft starren, die Augen geschlossen.

Eng, eng, denkt er immer wieder, und ich passe nicht in die Stadt. Es fällt ihm nichts ein, was dieses beklemmende Unbehagen, dieses anrückende Unglück sonst erklären könnte.

Bis er wieder an den Park denkt. Richtig, die Bäume bauen sie uns weg. Richtig, sie schachten schon aus. Bald werden wir in fremde Fenster hineinglotzen. Er lächelt befriedigt. Es ist wohl schlimm, aber es ist gut, daß er weiß, woher diese Beklemmung kommt. Er schläft ein, liegt still und starr wie ein Toter.

Bald danach kommt der Mond. Geht erst durch Hammachers Zimmer, dicht an seinem müden Gesicht vorbei, wandert dann über die Hauswand in Ellens Zimmer, kriecht über das schwarze Crêpe-Satinkleid hinweg, steigt ins Bett.

Ellens Gesicht rückt, sowie der Mond es erreicht, in den Schatten. Ihre Hände aber, kleine ineinandergekrampfte Hände, bleiben im Licht liegen. Ein paarmal heben sie sich und fallen, so ineinandergefügt wie sie waren, nieder, als wollten sie auch das Mondlicht festhalten, als dürften sie nichts loslassen, was sie einmal gefaßt haben.

Komödie der Liebe

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